Sarungal
Top Rezension
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Majestätische Vanille - auch für den Kerl!
„Ich hab dir außerdem noch drei Francesca-Dell'-Oro-Proben eingepackt; sind die maskulinsten..“, meint der Fachverkäufer meines Vertrauens, als ich Heeleys „Verveine d’Eugene“ erstehe. Zu Hause wandern die (recht dekorativ in Kartons verpackten) Proben dann rasch in die Schublade…
Zu Unrecht, das möchte ich eingangs feststellen – auch wenn „Page 29“ tatsächlich recht feminin startet; da hilft auch die saftige Mandarine wenig. Im Opening dominiert für Momente eine florale Vielfalt, deren etwas schwülstige Lieblichkeit mir nicht behagt – und die den zitrischen Noten nur geringe Chancen zur Entfaltung lässt. Meine Wahrnehmung findet damit keine Entsprechung in der firmeneigenen Beschreibung, die eine klare Abfolge von zitrischen und floralen Noten behauptet…
Die Herznote von „Page 29“ zeigt eine ebenso spannende wie wohlriechende Entwicklung: Labdanum gibt ihr eine warmweiche, androgyne Färbung. Auf geheimnisvolle Weise entsteht dabei eine hoheitsvolle Weihrauchnote, die das Bouquet stilvoll veredelt, die Blütenpracht einrahmt und den vanilligen Aromen Raum zur Entfaltung lässt. Ein Hauch von „Carbone de Balmain“ schwebt als Idee im Duft – die Geschlechterfrage wird (nicht nur deshalb) zweitrangig.
Meine Freundin Iris tritt hier übrigens bestenfalls in einer Nebenrolle auf. Man mag sie auch in den lichten Duftspitzen der beweihräucherten Blumennoten erahnen - vor allem aber kleidet sie den Duft in ein edles Silbergrau. Ob sie es ist, die der Madagaskar-Vanille ihre nachgerade zauberhafte Pudrigkeit verleiht, bleibt Spekulation – in jedem Falle macht mich „Page 29“ mit einem der überzeugendsten Vanillearomen bekannt, das ich bis heute erschnuppert habe. Da klebt keine falsche Süße in der Schote, und kein Doktor Oetker droht aus dem Tütchen; diese Vanille ist kühl und bei aller Präsenz dezent; dazu changiert sie spannungsvoll zwischen herb und lieblich. Frei von aller Gormandigkeit etabliert sie sich als Abstraktum: kein Kipferl, kein Pudding, sondern eine fast sakrale Inszenierung. Wow!
In dieser Phase sind die floralen Noten nur noch schmückendes Beiwerk. Die Blumen haben dank eines sehr vornehm eingesetzten Vetivers einige Blütenblätter gelassen und duften jetzt grüner als zu Beginn. Sparsam und insofern eher feminin dosiert hat sich die Vanille einige ledrige Nuancen angeeignet; sie erden gleichermaßen die immer noch präsente weihräucherne Anmutung des Dufts, machen aber kein Gewese um ihre Anwesenheit: Die Veranstaltung bleibt vornehm und distinguiert. Selbst die leichte Süße von „Page 29“ ändert daran nichts, denn sie erscheint nicht aufgesetzt und muss dank ihrer Natürlichkeit nicht um Aufmerksamkeit ringen.
Der hautschmeichelnde, duftadäquat weiche Moschus’ sorgt für eine gute Haltbarkeit; eine Einschätzung zur Sillage fällt mir allerdings schwer – auch weil ich „Page 29“ bislang nicht in freier Wildbahn trug.
Fazit: Dank eines freundlichen Parfumos aus meiner Nachbarschaft habe ich inzwischen mit einigen herausragenden Damendüften Bekanntschaft machen dürfen; für einen Kommentar allerdings waren diese Begegnungen zu kurz. Deshalb ist „Page 29“ der erste von mir kommentierte Duft, der für Ladies komponiert wurde. Im Vergleich zu Amouages „Silver“ ist diese Geschlechterzuordnung fast ein Witz: Da Letzterer als Herrenduft lanciert wird, muss „Page 29“ eigentlich für holzfällende Supermachos kreiert worden sein. Abseits dieses Brachialvergleichs dürfen also beide Geschlechter zugreifen: Francesca dell’Oros Parfum ist zu interessant, um es allein den Damen zu überlassen!