Terra
08.03.2017 - 16:26 Uhr
Top Rezension
7.5Duft 9Haltbarkeit 9Sillage

Unberechenbar

Mit Tabac Tabou hatte ich nun 3 jeweils völlig unterschiedliche Begegnungen. Zuerst habe ich ihn auf dem Parfumo-Treffen in Göttingen gerochen. Auf dem Papier fand ich ihn schrecklich, doch waren die Loblieder hier so vielversprechend, dass ich diesem Eindruck einfach nicht trauen konnte und er auf die Haut musste. Richtig so, denn dort führte er zum großen, olfaktorischen Aha-Erlebnis des Tages, war einfach wundervoll.

Um ihn genauer testen zu können, schickte mir die Parfuma im Tausch netterweise noch eine großzügige Probe. Kaum ist die angekommen, ist mir noch eine weitere, kleine Probe von Tabac Tabou in die Hände gefallen, als ich meine Proben durchkramte. Das traf sich in sofern gut, weil mir quasi zeitgleich eine Parfuma davon erzählte, dass sich der Duft auch olfaktorisch durch unterschiedliche Batches unterscheiden würde.

Ich habe also erstmal die kleine Probe aufgebraucht, die ich schon länger hatte und war erstaunlich ernüchtert. Tabac Tabou war im Grundcharakter noch identisch, aber doch völlig anders. Er hat sich viel pappig-süßer, weniger elegant, irgendwie schmuddelig entwickelt. Eigentlich hat er sich von einem Duft den ich liebte in einen Duft entwickelt, mit dem ich mich unwohl gefühlt habe, den ich als unausgewogen empfand.

Heute testete ich Tabac Tabou aus der Probe von der Parfuma, bei der ich ihn das erste Mal mit so viel Begeisterung gerochen habe. Nun, die Begeisterung ist nicht mehr so groß, was sicher auch daran liegt, dass ich mich nun den zweiten Tag hintereinander mehr oder weniger analytisch mit dem Duft beschäftige. Doch was ich heute trage ist der Duft, in den ich mich beim Parfumo-Treffen verliebt habe. Ganz anders, als der aus der gestrigen Probe.

Ich muss dazu sagen, dass ich für beide Parfumos die Hand ins Feuer legen würde. Ich bin mir sicher, dass beides Originaldüfte sind und die Düfte riechen jeweils auch okay, keineswegs alt. Nur einfach anders.

Diese Einleitung finde ich in sofern wichtig, weil alleine das für mich ein K.O,-Kriterium sein könnte. Wenn ich vorher nicht weiß, ob mir der Duft den ich kaufe gefällt, oder nicht, weil der Hersteller keine auch nur annähernd gleichmäßige Qualität liefern kann, dann wird mir die Sache etwas zu blöd. Allerdings ist es auch möglich, dass meine Wahrnehmung einfach nur jeweils so unterschiedlich war. Who knows?

Den Duft zu beschreiben fällt mir folglich nicht ganz einfach, denn von völliger Begeisterung, bis tendenzieller Abneigung bis zu "schön" ohne den Wow-Effekt war bisher alles dabei. Ich versuche mal den generellen Charakter einzufangen.

Der Auftakt zeigt sich relativ herb, beinahe kratzig und chyprig. Eindeutig: Chypre. Recht oldschool sogar. In Tabac Tabou rieche ich zu Beginn schwere Blumennoten, die schon fast schmutzig wirken. Vielleicht sogar an der Grenze, wie eine gekippte Blumennote zu riechen. Doch das liegt an der Immortelle, ich reagiere empfindlich auf sie. Zu Beginn ist Tabac Tabou also nicht gerade freundlich, sondern recht herb, dunkel-blumig und auf dem Papier ist das so extrem krautig-blumig-kratzig ohne großartige Veränderung, dass ich TT schon fast ad acta legen wollte.

Auf der Haut jedoch wird der Duft schnell viel weicher. Beinahe samtig fließender Honig zähmt den eben noch harschen Auftakt, dabei wirkt der Honig nicht klebrig, sondern er bleibt relativ luftig. Heu und Tabak sind eher Assoziationen, finde ich. Man kann in TT schon etwas Trockenes erriechen und er hat auch eine Note, die mich an hellen Tabak erinnert, aber für meine Nase zeigt er sich nicht vordergründig als Heu oder Tabakduft, sondern eher als Honigchypre. Die zu Beginn harsche Chyprenote wird schnell sehr hintergründig, zeigt sich aber als angenehm herbe Kante, die den Honig davor schützt ins allzu banale oder kitschige abzudriften. All das erinnert an den Duft von einem trockenen Sommertag mit süß-blühenden Bäumen. Naturalistisch und wunderschön. Trotz aller Zartheit wird er nie verspielt, wirkt irgendwie sogar melancholisch, erwachsen und ernst.

Hin und wieder gibt es auch Momente, in denen ich eine leicht schmutzige Note in TT glaube zu riechen. Allerdings kein Stück animalisch, sondern eher "staubig" oder ungewaschen. Ich kann das schlecht beschreiben. Es erinnert mich ein wenig an das Gefühl welches entsteht, wenn man einen Tag durch eine Stadt wandert, ohne sich zwischendurch mal groß Hände oder Gesicht waschen zu können. Möglicherweise soll das der "Haut-Akkord" sein? Für mich ist es eher ein kleiner Stör-Faktor.

TT endet jedoch als unheimlich erotischer Hautduft. Es ist nicht so, dass er sich nochmals groß verändert, aber wenn er ganz nah und leise auf der Haut liegt, wirkt er sehr sexy und wie eine Verstärkung und Verschönerung eines natürlichen Hautduftes.

Nach dem Auftakt ist der Duftverlauf von Tabac Tabou ohnehin äußerst linear. Er erscheint dann schon fast einfach, so wenig facettenreich. Aber dieser erste Eindruck täuscht, denn mittlerweile glaube ich, könnte es noch lange dauern, bis ich wirklich weiß, was ich von ihm halten soll.

Die weniger angenehme Probe war viel süßer, hatte mehr von der mich störenden "schmutzigen Note" und die chyprigen Nuancen waren deutlich schwächer ausgeprägt, so das die Süße auch schlechter im Zaum gehalten werden konnte. Es ist eindeutig noch TT, aber die Unterschiede sind für mich so groß, dass der Duft aus dieser Abfüllung für mich seinen Reiz verliert.

Tabac Tabou macht mir die Bewertung wirklich nicht leicht. Ich möchte mich vorerst anderen Düften widmen und diesen Kommentar abschließen. Ich kann aber auch nicht ausschließen, dass sich meine Meinung nach einem vierten, fünften oder sechsten Test noch mal ändert. Sollte dies der Fall sein, werde ich es nachtragen.

Der Haben-Muss-Reflex ist bei mir momentan nicht mehr so stark ausgeprägt. Tabac Tabou hat sich dafür nicht gut genug in die beiden Testtage integriert, aber möglicherweise braucht er auch nur ein anderes Setting.
9 Antworten
YataganYatagan vor 9 Jahren
Sehe gerade, dass Du den Duft getestet hast. Ich kenne offenbar nur die dezente Variante. Schmutzig und süß war meiner nicht. Dies vielleicht als Info. für dich.
CravacheCravache vor 9 Jahren
Spannender Kommi !
ErgoproxyErgoproxy vor 9 Jahren
Manche Düfte brauche einfach Haut und der gehört dazu.
ShamisShamis vor 9 Jahren
Och schade, den hätte ich wohl auch besser testen müssen - ich erinnere mich nur, Tabakblätter zu Beginn gerochen zu haben.
PlutoPluto vor 9 Jahren
Obschon Chypre, glaub ich nicht, dass es einer für mich ist. Ich hatte auch schon Düfte, da war das Pröbchen toll, der Duft aus dem Flakon dann enttäuschend
JumiJumi vor 9 Jahren
Sehr aufschlussreich! Und wenn ich zum Testen komme, hoffe ich doch die herbere Version zu erwischen :)
TroemmerTroemmer vor 9 Jahren
…und so steht der Flakon von Rivegauches nun bei mir – mitsamt der „depressiven“ Note, die auf mich völlig anders, nämlich relaxed und anheimelnd wirkt, fast ein kleiner Stimmungsaufheller ist. Verrückt, oder? ; )
RivegaucheRivegauche vor 9 Jahren
Diese ungewaschene Note zieht sich durch viele Düfte dieser Marke, finde ich. Sie ist in der Tat schwer zu beschreiben. Am Anfang war ich fasziniert, so dass ich Eau de Gloire kaufte, beim Tragen hat es mir allerdings einfach keinen Spaß gemacht. Es wirkte in einer Art "depressiv" auf mich. Grundsätzlich spannende Marke mit einem "aber"...
GerdiGerdi vor 9 Jahren
Der Duft wurde als Jahresedition 2016 neu aufgelegt. (Steht auch auf dem Etikett.) Ich hatte ihn aufgrund der 2015er Kommentare blind bestellt, und konnt diese nicht nachvollziehen, wahr schrecklich enttäuscht, und habe auch flugs wieder verkauft.