07.08.2015 - 13:03 Uhr
Sarungal
69 Rezensionen
Sarungal
Top Rezension
37
Feuerwasser
Prolog
Angesichts meiner wiederholt geäußerten Freude an Weihrauchigem wurde mir hier verschiedentlich Rundholz’ „03. April 1968“ nahegelegt– zuletzt 47 Jahre später - am 30. Juli 2015 - von Monsieur Meggi. Tatsächlich lesen sich auch die Kommentare – einschließlich jener, die mindestens von Irritation künden – hochspannend; kein Wunder, dass ich diesen Duft zeitnah erkunden wollte.
Der Plan
Rundholz bei Müller oder Douglas? Wohl kaum – aber München hat nicht nur die republikweit höchsten Immobilienpreise, sondern auch einige Nischenparfümerien im Portfolio. Erfreulicherweise führt Brückner das Eau de Parfum auf seiner Internetseite – also fahre ich nach getaner Arbeit zum Marienplatz, um das Geschäft im Rathaus aufzusuchen.
I. Aufzug
Heiß ist’s – und der Laden auch noch gerammelt voll; also organisiere ich mir ein Getränk und warte vor der Tür, bis die (multikulturelle) Kundschaft das Geschäft verlassen hat. Dann betrete ich den Laden, um dort sofort hochprofessionell abgefangen zu werden. Dass ich mich – den Namen „Rundholz“ hinterfotzig übergehend - für einen Apriltag des Jahres 1968 interessiere, bringt die freundliche Dame nicht für eine Sekunde ins Schlingern; stattdessen steuert sie zielsicher auf das Testertablett am Eingang zu. Allein – da steht zwischen all den Tiegeln und Flakons nur noch mein Geburtsjahr in phallischer Gestalt; von studentischen Unruhen ist weit und breit nichts zu sehen. Eine kurze Recherche im System ergibt die grausame Gewissheit: „Den haben wir nicht mehr - und werden ihn auch nicht mehr führen!“. Ich grummle, murmle beschwörend etwas von Weihrauch und Scheiße und… „Wie wäre es stattdessen mit diesem hier? Einen so strahlenden Weihrauch, so sauber und angenehm, haben sie vermutlich noch nicht gerochen!“ Sprichts – und nebelt einen Streifen mit „Sancti“ ein. Der zweite Einfall: „Hier – auch sehr interessant. ‚Wanted’ von Diane Pernet!“ Sprühsprüh – schon habe ich den zweiten Streifen in der Hand. Zugegeben: Beide Vorschläge duften gut – mehr noch: Nachdem ich den Laden mit beiden Parfums auf der Haut verlasse, versteige ich mich dazu, vor allem dem „Sancti“ exzellente Qualität zu bescheinigen. Blöd nur, dass ich einen „Hummer“ will – angesichts dieser Erwartungshaltung hilft der schönste BMW wenig.
Zwischenspiel
Sarungals Frustrationsresistenz ist gelegentlich phänomenal – das gilt keinesfalls, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Smartphone sei Dank ergoogle ich mir eine Rundholz-Boutique, rufe an – und erhalte die Auskunft, dass sie selbstverständlich den 3.4.1968 führen. Ich kündige (wie überflüssig!) meine baldige Ankunft an und schleppe meinen hitzegeschädigten Kadaver hinab in die U-Bahn…
II. Aufzug
Natürlich latsche ich an dem Laden erst einmal vorbei: Kein Werbeschild, kaum Auslagen, eher so etwas wie eine moderne Installation und etwas Taschenähnliches im Fenster. Nur direkt links neben der Eingangstür stehen – buchstäblich auf dem inneren Fensterbrett – circa 12 cm große schwarze dreidimensionale Buchstaben, die den Namen „Rundholz“ bilden. Innen viele gedeckte Textiltöne an Mobiliar in Hochglanz- und Shabby-Weiß neben Holzstühlen in Weinrot – und drei ausgesprochen nette Ladies. Die Eine ist ebenfalls Kundin, lebt in den Staaten und ist während ihrer kurzen Deutschlandaufenthalte wohl Stammkundin bei Rundholz. En passant empfiehlt sie mir ein Herrenlabel, das ich inzwischen nachhaltig vergessen habe, und verortet die entsprechende Boutique souverän in der Türkenstraße. Den Duft darf ich übrigens ausgiebig testen – und sprühe mir beherzt einen Schuß auf den Unterarm. Wowblubberdibla – der Rest folgt unten. Beim Zahlen wedelt die Verkäuferin etwas irritiert vor dem Gesicht, obwohl das Geschäft völlig fliegenfrei ist. „Dosieren sie sparsam!“, ermahnt sie mich dann. Ich nicke und gelobe Mäßigung, da ergänzt sie: „... sonst kriegen Sie Kreislaufprobleme!“ Oha – klingt wirklich nicht nach BMW; ich denke, ich habe meinen „Hummer“ erstanden.
Epilog (und – finalmente – ein paar Worte zum Duft!)
Dass eine Verkäuferin vor ihrem Kunden die Luft händisch verquirlt, um einen parfumfreien Atemzug zu erhaschen, habe ich tatsächlich noch nicht erlebt – aber wir reden hier ja auch über Rundholz’ „03. April 1968“! Die Kreislaufkrise, vor der ich gewarnt wurde, konnte ich angesichts der gewählten Testdosis mühelos umgehen; überhaupt hätte ich die höchstens angesichts der Temperaturen erlitten – oder vor Freude über meine neueste Errungenschaft.
Zuallererst: Irgendwie trifft jeder der unten stehenden Kommentar ins Schwarze – am Ende steht allein die Frage, ob man mag, was Rundholz einem da um die Nase haut. Ich finde diesen leicht fruchtig angematschten, zart, aber nachhaltig vanillisierten Weihrauchextremoverkill mit kaum dezenten Kokelröstaromen nachgerade spektakulär – aber ich bin froh, dass die jüngst vermieterseitig aufgedrängten Rauchmelder bei mir noch nicht installiert wurden; sonst wäre ich inzwischen ganz sicher taub!
Angesichts der unzweifelhaft feurig-verbrannten Note, die arg unheilig diesen ansonsten sakral anmutenden Weihrauch prophaniert, war ich sogar versucht, mich selbst zu plagiieren und Baphomet nicht nur zur Inspiration von Amouages „Memoir Man“ zu erklären, sondern ihm das Urheberrecht an Rundholz’ gnadenlos fegefeuriger Rußrauch-Orgie zuzusprechen. Am Ende ist’s dann aber doch nur Menschenwerk – dazu eines, das nicht nur holzkohlige Aspekte bietet, sondern in Momenten auch Assoziationen zu einem kuschlig-warmen Kaminfeuer erlaubt.
Wobei… - Kamine sind seltenst in halb verfallenen romanischen Kirchenruinen beheimatet, die über Jahrhunderte hinweg Weihrauch atmeten und den balsamisch-harzigen Duft aus jedem Stein, jeder morschen Kirchenbank, ja, sogar aus dem Mörtel zwischen den Steinen ausdünsten – insofern ist’s ein sehr spezielles Kamingefühl, dass sich einstellt. Man möchte gar nicht so genau wissen, mit wem man dann das kuschlige Fell vor der Feuerstätte teilen würde… Andererseits ist da noch dieser nachgerade absurde pseudotropische Litschi-Sidekick, den ich bestenfalls als lieblich-angeranzte Fruchtigkeit beschreiben kann: keinesfalls unangenehm, aber ein wenig dekadent in seiner Überreife – zumal in der Kopfnote. Die verursacht deshalb auch keinen Wow-, sondern einen Hä?-Effekt. Der wird Manchen abschrecken; mich hat er neugierig gemacht. Kann DAS gut gehen? Es geht nicht nur gut, sondern immer besser – aber ich habe volles Verständnis für eventuell auftretende allergische Reaktionen.
Fazit
Eine scharfe, verkokelte Ode an den Weihrauch haben wir hier – gnadenlos in Haltbarkeit wie Sillage. Abwaschen? Keine Chance – ich vermute, das Zeug geht eine persistierende chemische Verbindung mit der Haut ein. Den von Leimbacher als zu harmlos für den Inhalt geschmähten Flakon empfinde ich als witziges und wertiges Statement – eine zum Flakon aufgepumpte Probenphiole. Abzug gibt’s (wie immer) für die Schwarz-in-Schwarz-Installation des Sprühkopfs – aber das ist eine Lappalie, die zu verschmerzen ist. Zuletzt: Wenn das ein reiner Damenduft ist, bin ich Catherine Deneuve!
Ans Ende meines Kommentars möchte ich ein Zitat von fragrantica.com stellen; dort schreibt ein User: „If you don't care whom you may offend, then go for this.“ Dem will und kann ich nicht widersprechen – and do go for it!
Angesichts meiner wiederholt geäußerten Freude an Weihrauchigem wurde mir hier verschiedentlich Rundholz’ „03. April 1968“ nahegelegt– zuletzt 47 Jahre später - am 30. Juli 2015 - von Monsieur Meggi. Tatsächlich lesen sich auch die Kommentare – einschließlich jener, die mindestens von Irritation künden – hochspannend; kein Wunder, dass ich diesen Duft zeitnah erkunden wollte.
Der Plan
Rundholz bei Müller oder Douglas? Wohl kaum – aber München hat nicht nur die republikweit höchsten Immobilienpreise, sondern auch einige Nischenparfümerien im Portfolio. Erfreulicherweise führt Brückner das Eau de Parfum auf seiner Internetseite – also fahre ich nach getaner Arbeit zum Marienplatz, um das Geschäft im Rathaus aufzusuchen.
I. Aufzug
Heiß ist’s – und der Laden auch noch gerammelt voll; also organisiere ich mir ein Getränk und warte vor der Tür, bis die (multikulturelle) Kundschaft das Geschäft verlassen hat. Dann betrete ich den Laden, um dort sofort hochprofessionell abgefangen zu werden. Dass ich mich – den Namen „Rundholz“ hinterfotzig übergehend - für einen Apriltag des Jahres 1968 interessiere, bringt die freundliche Dame nicht für eine Sekunde ins Schlingern; stattdessen steuert sie zielsicher auf das Testertablett am Eingang zu. Allein – da steht zwischen all den Tiegeln und Flakons nur noch mein Geburtsjahr in phallischer Gestalt; von studentischen Unruhen ist weit und breit nichts zu sehen. Eine kurze Recherche im System ergibt die grausame Gewissheit: „Den haben wir nicht mehr - und werden ihn auch nicht mehr führen!“. Ich grummle, murmle beschwörend etwas von Weihrauch und Scheiße und… „Wie wäre es stattdessen mit diesem hier? Einen so strahlenden Weihrauch, so sauber und angenehm, haben sie vermutlich noch nicht gerochen!“ Sprichts – und nebelt einen Streifen mit „Sancti“ ein. Der zweite Einfall: „Hier – auch sehr interessant. ‚Wanted’ von Diane Pernet!“ Sprühsprüh – schon habe ich den zweiten Streifen in der Hand. Zugegeben: Beide Vorschläge duften gut – mehr noch: Nachdem ich den Laden mit beiden Parfums auf der Haut verlasse, versteige ich mich dazu, vor allem dem „Sancti“ exzellente Qualität zu bescheinigen. Blöd nur, dass ich einen „Hummer“ will – angesichts dieser Erwartungshaltung hilft der schönste BMW wenig.
Zwischenspiel
Sarungals Frustrationsresistenz ist gelegentlich phänomenal – das gilt keinesfalls, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat. Smartphone sei Dank ergoogle ich mir eine Rundholz-Boutique, rufe an – und erhalte die Auskunft, dass sie selbstverständlich den 3.4.1968 führen. Ich kündige (wie überflüssig!) meine baldige Ankunft an und schleppe meinen hitzegeschädigten Kadaver hinab in die U-Bahn…
II. Aufzug
Natürlich latsche ich an dem Laden erst einmal vorbei: Kein Werbeschild, kaum Auslagen, eher so etwas wie eine moderne Installation und etwas Taschenähnliches im Fenster. Nur direkt links neben der Eingangstür stehen – buchstäblich auf dem inneren Fensterbrett – circa 12 cm große schwarze dreidimensionale Buchstaben, die den Namen „Rundholz“ bilden. Innen viele gedeckte Textiltöne an Mobiliar in Hochglanz- und Shabby-Weiß neben Holzstühlen in Weinrot – und drei ausgesprochen nette Ladies. Die Eine ist ebenfalls Kundin, lebt in den Staaten und ist während ihrer kurzen Deutschlandaufenthalte wohl Stammkundin bei Rundholz. En passant empfiehlt sie mir ein Herrenlabel, das ich inzwischen nachhaltig vergessen habe, und verortet die entsprechende Boutique souverän in der Türkenstraße. Den Duft darf ich übrigens ausgiebig testen – und sprühe mir beherzt einen Schuß auf den Unterarm. Wowblubberdibla – der Rest folgt unten. Beim Zahlen wedelt die Verkäuferin etwas irritiert vor dem Gesicht, obwohl das Geschäft völlig fliegenfrei ist. „Dosieren sie sparsam!“, ermahnt sie mich dann. Ich nicke und gelobe Mäßigung, da ergänzt sie: „... sonst kriegen Sie Kreislaufprobleme!“ Oha – klingt wirklich nicht nach BMW; ich denke, ich habe meinen „Hummer“ erstanden.
Epilog (und – finalmente – ein paar Worte zum Duft!)
Dass eine Verkäuferin vor ihrem Kunden die Luft händisch verquirlt, um einen parfumfreien Atemzug zu erhaschen, habe ich tatsächlich noch nicht erlebt – aber wir reden hier ja auch über Rundholz’ „03. April 1968“! Die Kreislaufkrise, vor der ich gewarnt wurde, konnte ich angesichts der gewählten Testdosis mühelos umgehen; überhaupt hätte ich die höchstens angesichts der Temperaturen erlitten – oder vor Freude über meine neueste Errungenschaft.
Zuallererst: Irgendwie trifft jeder der unten stehenden Kommentar ins Schwarze – am Ende steht allein die Frage, ob man mag, was Rundholz einem da um die Nase haut. Ich finde diesen leicht fruchtig angematschten, zart, aber nachhaltig vanillisierten Weihrauchextremoverkill mit kaum dezenten Kokelröstaromen nachgerade spektakulär – aber ich bin froh, dass die jüngst vermieterseitig aufgedrängten Rauchmelder bei mir noch nicht installiert wurden; sonst wäre ich inzwischen ganz sicher taub!
Angesichts der unzweifelhaft feurig-verbrannten Note, die arg unheilig diesen ansonsten sakral anmutenden Weihrauch prophaniert, war ich sogar versucht, mich selbst zu plagiieren und Baphomet nicht nur zur Inspiration von Amouages „Memoir Man“ zu erklären, sondern ihm das Urheberrecht an Rundholz’ gnadenlos fegefeuriger Rußrauch-Orgie zuzusprechen. Am Ende ist’s dann aber doch nur Menschenwerk – dazu eines, das nicht nur holzkohlige Aspekte bietet, sondern in Momenten auch Assoziationen zu einem kuschlig-warmen Kaminfeuer erlaubt.
Wobei… - Kamine sind seltenst in halb verfallenen romanischen Kirchenruinen beheimatet, die über Jahrhunderte hinweg Weihrauch atmeten und den balsamisch-harzigen Duft aus jedem Stein, jeder morschen Kirchenbank, ja, sogar aus dem Mörtel zwischen den Steinen ausdünsten – insofern ist’s ein sehr spezielles Kamingefühl, dass sich einstellt. Man möchte gar nicht so genau wissen, mit wem man dann das kuschlige Fell vor der Feuerstätte teilen würde… Andererseits ist da noch dieser nachgerade absurde pseudotropische Litschi-Sidekick, den ich bestenfalls als lieblich-angeranzte Fruchtigkeit beschreiben kann: keinesfalls unangenehm, aber ein wenig dekadent in seiner Überreife – zumal in der Kopfnote. Die verursacht deshalb auch keinen Wow-, sondern einen Hä?-Effekt. Der wird Manchen abschrecken; mich hat er neugierig gemacht. Kann DAS gut gehen? Es geht nicht nur gut, sondern immer besser – aber ich habe volles Verständnis für eventuell auftretende allergische Reaktionen.
Fazit
Eine scharfe, verkokelte Ode an den Weihrauch haben wir hier – gnadenlos in Haltbarkeit wie Sillage. Abwaschen? Keine Chance – ich vermute, das Zeug geht eine persistierende chemische Verbindung mit der Haut ein. Den von Leimbacher als zu harmlos für den Inhalt geschmähten Flakon empfinde ich als witziges und wertiges Statement – eine zum Flakon aufgepumpte Probenphiole. Abzug gibt’s (wie immer) für die Schwarz-in-Schwarz-Installation des Sprühkopfs – aber das ist eine Lappalie, die zu verschmerzen ist. Zuletzt: Wenn das ein reiner Damenduft ist, bin ich Catherine Deneuve!
Ans Ende meines Kommentars möchte ich ein Zitat von fragrantica.com stellen; dort schreibt ein User: „If you don't care whom you may offend, then go for this.“ Dem will und kann ich nicht widersprechen – and do go for it!
12 Antworten