03.10.2024 - 15:09 Uhr

Mairuwa
50 Rezensionen

Mairuwa
Sehr hilfreiche Rezension
10
Les Fleurs Du Mal? - Kammermusikalische Improvisation zum Jahresausklang
Während die meisten Düfte von N.O.A.M. jeweils ein zumeist geografisch-historisch definiertes Thema umsetzen, geht der Hersteller mit der „Millefleurs“-Reihe dezidiert einen anderen Weg. Hier werden Akkorde, die bei der Arbeit an verschiedenen Projekten übers Jahr entstanden sind, gemischt und verfeinert, bis ein ganz besonderes Elixir entsteht. Streng technisch müsste man hier wohl von Verschnitt sprechen (was der Hersteller auch tut), doch ließe das eher an minderwertige Qualität denken, weshalb mir der Vergleich mit einer veredelten Beerenlese als der stimmigere Vergleich erscheint.
Millefleurs (ich würde mich hier einmal für diese, meines Erachtens korrektere Schreibweise entscheiden – der Hersteller selbst benutzt auf den handschriftlichen Etiketten abwechselnd mal Fleurs, mal Fleures). Der Name erscheint mir hier, trotz aller vielleicht naheliegenden irreführenden Assoziationen, sehr treffend. Mit Blumen oder Blütendüften hat das weniger zu tun, die spielen thematisch eher eine Nebenrolle. Aber wenn man an spätgotische Millefleurs-Tapisserien denkt, wo vor einem meist dunklen Hintergrund wie Schlaglichter eine Vielzahl filigraner Blüten leuchten, dann fällt die Übertragung auf die Düfte von N.O.A.M. nicht schwer. Auch hier hat man es mit einem Duftteppich zu tun, vor dem immer wieder einzelne Noten wie Edelsteine aufblitzen und trotz der Vielzahl der Ingredienzien erstaunlich klar und leuchtend für sich wirken. Dieses Phänomen, ebenso wie die langen Zutatenlisten, die den Begriff Millefleurs auch schlüssig erscheinen lassen, sind einerseits bis zu einem gewissen Grad für alle mir bisher bekannten Düfte des Hauses kennzeichnend (Floyd hat diesen Effekt für „Bois Verna“ recht stimmig mit der leicht flirrenden Wirkung pointillistischer Malerei verglichen). Andererseits erscheint es mir hier noch einmal verstärkt und geradezu zum Prinzip erhoben.
Die Beschreibung der Vorgehensweise bei der Herstellung der Millefleurs-Düfte lässt an eine Art meditatives Ritual denken: Zeitpunkt - meist die letzte Woche des Jahres - und Regeln erscheinen streng formalisiert: Nur beste, hochwertige Rohstoffe. Je etwa zur Hälfte vorhandene Akkorde und anschließend die Veredelung dieser Basis durch weitere Öle, Tinkturen und Auszüge. Keine Waage, keine Notizen, keine Reproduktion. So heißt es auf der Seite des Herstellers. Das klingt ein wenig nach Dogma. Andererseits aber auch nach kammermusikalischem Jazz. Improvisation im besten Sinne von vollendeter Meisterschaft im Moment; absolute Harmonie im Zusammenspiel der Noten, die während des Spielens entstehen. Auch improvisierte Musik ist ja eine Art Meditation.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich die Beschreibung von Parfums so häufig musikalischer Metaphern bedient: Aus Noten werden Akkorde geschaffen, so entstehen Harmonien. Das Besondere bei N.O.A.M. besteht nun oft darin, dass bestimmte Akkorde gleichsam als Arpeggien gespielt werden, das heißt, die Noten erklingen nicht gleichzeitig, wobei durch den Zusammenklang ein neuer Ton geschaffen würde, sondern sie werden perlend, leicht versetzt angeschlagen, wodurch jede einzelne Note für sich klar erkennbar bleibt und dennoch die gleiche Harmonie ausgedrückt wird.
Das besondere beim freien Jazz ohne Notation, und auch hier sehe ich eine Parallele zur Herangehensweise von N.O.A.M, ist der bewusste Verzicht auf Reproduzierbarkeit. Der Duft ist ebenso vergänglich wie die im Moment aufgeführte Musik: Er verbraucht sich selbst, verklingt von dem Augenblick an, in dem man ihn durch Vaporisation zum Klingen bringt. Das ist große Kunst in der kleinen Form, die leider einem sehr kleinen Kreis vorbehalten bleibt. Nicht zuletzt deshalb geht mein inniger Dank an El Atterine, die mich an diesem kostbaren Dufterlebnis hat teilhaben lassen.
„Millefleurs 2023“ ist ein Naturduft, phantastisch dunkel, funkelnd grün. Ein Waldduft, moosig und harzig aber auch verbrannt. Tatsächlich sehr deutlich auch torfig-rauchig. Einen Moment lang denke ich: ein guter schottischer Single-Malt zum Aufsprühen. Ja, eine Lagerfeuerstimmung verbreitet sich. Gleichzeitig ein Anflug von Sauna, aber nur kurz. Dann würzig-harziges Holz. Das von mir so geliebte und bei parfumo nicht gelistete Cypriol, vom Hersteller mit der schönen Wortschöpfung „Nagarmothismus“ umschrieben. Blumen allenfalls ganz am Rande. Etwas Animalisches gesellt sich bald dazu, ergänzt die Flora um die Fauna. Bibergeil und Ambra. Eine mit „Tierhaut“ bezeichnete Note - was immer man sich darunter vorstellen mag. Wie schon ansatzweise in „Le Boucanier“ wird hier für ein „botanical perfume“ überraschend üppig mit animalischen Lockstoffen hantiert. Thematisch ist das allerdings in jedem Fall gerechtfertigt, denn die Natur ist nun einmal nicht rein pflanzlich. Der Hersteller nennt das: „Sauerei“.
Überwältigend!
„Das Sandbuch“ in der gleichnamigen phantastischen Erzählung von Jorge Luis Borges ist ein Buch mit einer unendlichen Anzahl von Seiten, die zudem willkürlich und unberechenbar von immer neuer Beschaffenheit sind. Dem Erzähler, der unverhofft in dessen Besitz kommt, gelingt es nicht, diesen irrationalen und beunruhigenden Gegenstand zu erfassen. Eine Seite, schlägt man sie zu, geht für immer verloren und taucht nie wieder auf. Das kann schwer zu ertragen sein, den Verstand über Gebühr herausfordern, so wie in der Erzählung. Dennoch würde ich dafür plädieren, es, auf die Düfte von N.O.A.M übertragen, eher als Geschenk zu betrachten. Hier ist leider die Menge sehr stark begrenzt, der Duft dafür aber von unendlichem Facettenreichtum und in jedem Tropfen immer wieder neu, immer wieder einzigartig.
Millefleurs (ich würde mich hier einmal für diese, meines Erachtens korrektere Schreibweise entscheiden – der Hersteller selbst benutzt auf den handschriftlichen Etiketten abwechselnd mal Fleurs, mal Fleures). Der Name erscheint mir hier, trotz aller vielleicht naheliegenden irreführenden Assoziationen, sehr treffend. Mit Blumen oder Blütendüften hat das weniger zu tun, die spielen thematisch eher eine Nebenrolle. Aber wenn man an spätgotische Millefleurs-Tapisserien denkt, wo vor einem meist dunklen Hintergrund wie Schlaglichter eine Vielzahl filigraner Blüten leuchten, dann fällt die Übertragung auf die Düfte von N.O.A.M. nicht schwer. Auch hier hat man es mit einem Duftteppich zu tun, vor dem immer wieder einzelne Noten wie Edelsteine aufblitzen und trotz der Vielzahl der Ingredienzien erstaunlich klar und leuchtend für sich wirken. Dieses Phänomen, ebenso wie die langen Zutatenlisten, die den Begriff Millefleurs auch schlüssig erscheinen lassen, sind einerseits bis zu einem gewissen Grad für alle mir bisher bekannten Düfte des Hauses kennzeichnend (Floyd hat diesen Effekt für „Bois Verna“ recht stimmig mit der leicht flirrenden Wirkung pointillistischer Malerei verglichen). Andererseits erscheint es mir hier noch einmal verstärkt und geradezu zum Prinzip erhoben.
Die Beschreibung der Vorgehensweise bei der Herstellung der Millefleurs-Düfte lässt an eine Art meditatives Ritual denken: Zeitpunkt - meist die letzte Woche des Jahres - und Regeln erscheinen streng formalisiert: Nur beste, hochwertige Rohstoffe. Je etwa zur Hälfte vorhandene Akkorde und anschließend die Veredelung dieser Basis durch weitere Öle, Tinkturen und Auszüge. Keine Waage, keine Notizen, keine Reproduktion. So heißt es auf der Seite des Herstellers. Das klingt ein wenig nach Dogma. Andererseits aber auch nach kammermusikalischem Jazz. Improvisation im besten Sinne von vollendeter Meisterschaft im Moment; absolute Harmonie im Zusammenspiel der Noten, die während des Spielens entstehen. Auch improvisierte Musik ist ja eine Art Meditation.
Es ist wohl kein Zufall, dass sich die Beschreibung von Parfums so häufig musikalischer Metaphern bedient: Aus Noten werden Akkorde geschaffen, so entstehen Harmonien. Das Besondere bei N.O.A.M. besteht nun oft darin, dass bestimmte Akkorde gleichsam als Arpeggien gespielt werden, das heißt, die Noten erklingen nicht gleichzeitig, wobei durch den Zusammenklang ein neuer Ton geschaffen würde, sondern sie werden perlend, leicht versetzt angeschlagen, wodurch jede einzelne Note für sich klar erkennbar bleibt und dennoch die gleiche Harmonie ausgedrückt wird.
Das besondere beim freien Jazz ohne Notation, und auch hier sehe ich eine Parallele zur Herangehensweise von N.O.A.M, ist der bewusste Verzicht auf Reproduzierbarkeit. Der Duft ist ebenso vergänglich wie die im Moment aufgeführte Musik: Er verbraucht sich selbst, verklingt von dem Augenblick an, in dem man ihn durch Vaporisation zum Klingen bringt. Das ist große Kunst in der kleinen Form, die leider einem sehr kleinen Kreis vorbehalten bleibt. Nicht zuletzt deshalb geht mein inniger Dank an El Atterine, die mich an diesem kostbaren Dufterlebnis hat teilhaben lassen.
„Millefleurs 2023“ ist ein Naturduft, phantastisch dunkel, funkelnd grün. Ein Waldduft, moosig und harzig aber auch verbrannt. Tatsächlich sehr deutlich auch torfig-rauchig. Einen Moment lang denke ich: ein guter schottischer Single-Malt zum Aufsprühen. Ja, eine Lagerfeuerstimmung verbreitet sich. Gleichzeitig ein Anflug von Sauna, aber nur kurz. Dann würzig-harziges Holz. Das von mir so geliebte und bei parfumo nicht gelistete Cypriol, vom Hersteller mit der schönen Wortschöpfung „Nagarmothismus“ umschrieben. Blumen allenfalls ganz am Rande. Etwas Animalisches gesellt sich bald dazu, ergänzt die Flora um die Fauna. Bibergeil und Ambra. Eine mit „Tierhaut“ bezeichnete Note - was immer man sich darunter vorstellen mag. Wie schon ansatzweise in „Le Boucanier“ wird hier für ein „botanical perfume“ überraschend üppig mit animalischen Lockstoffen hantiert. Thematisch ist das allerdings in jedem Fall gerechtfertigt, denn die Natur ist nun einmal nicht rein pflanzlich. Der Hersteller nennt das: „Sauerei“.
Überwältigend!
„Das Sandbuch“ in der gleichnamigen phantastischen Erzählung von Jorge Luis Borges ist ein Buch mit einer unendlichen Anzahl von Seiten, die zudem willkürlich und unberechenbar von immer neuer Beschaffenheit sind. Dem Erzähler, der unverhofft in dessen Besitz kommt, gelingt es nicht, diesen irrationalen und beunruhigenden Gegenstand zu erfassen. Eine Seite, schlägt man sie zu, geht für immer verloren und taucht nie wieder auf. Das kann schwer zu ertragen sein, den Verstand über Gebühr herausfordern, so wie in der Erzählung. Dennoch würde ich dafür plädieren, es, auf die Düfte von N.O.A.M übertragen, eher als Geschenk zu betrachten. Hier ist leider die Menge sehr stark begrenzt, der Duft dafür aber von unendlichem Facettenreichtum und in jedem Tropfen immer wieder neu, immer wieder einzigartig.
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