Mein hochgeschätzter Soulmates, Du hast schon recht. Der Lauder-Konzern ist wohl der Einäugige unter den Blinden. Aber apropos Kulturpessimismus: ist es Zufall, dass die von Dir erwähnten Beispiele für ordentliche Düfte bis auf einen alle ein Alter haben, was dem d'Yquem gut gestanden hätte (den ich dann doch nicht aus dem Keller geholt habe - in meiner Erinnerung war ich besser mit Süßweinen bestückt)? Hätte Coty Inc. Malle übernommen, hättest Du dann auch gesagt "L'Origan, Emeraude, Chypre de Coty - alles super."?
Ich lebe im Hier und Jetzt und will auch in Zukunft spannende
neue Parfums entdecken. Die Vorstellung, abwägen zu müssen zwischen weniger oder mehr gekonnten Reformulierungen auf der einen und Vintages mit angedätschter Kopfnote und erhöhter Opazität im Dufteindruck auf der anderen Seite, finde ich nicht wirklich attraktiv. Als Ergänzung zu Neuentdeckungen ist das Vintagejagen hochwillkommen, aber eben nur als Ergänzung.
Dein Hinweis auf Andy Tauer triftt es IMHO nicht ganz: Seiteneinsteiger wie Pierre Guillaume, Andy Tauer, Erik Kormann, Abderrazzak Benchaâbane sind Duftautodidakten, die sich abseits klassischer Parfumeursausbildung (und Parfumindustrie) das Handwerk selbst beibringen und mit großer Akribie und Leidenschaft ihre eigene Formensprache finden. Das oft Verwirrende, Aneckende und immer Überraschende ist ein großartiger Beitrag zur Parfumvielfalt.
Editions de Parfums Frédéric Malle ist etwas anderes: eine Plattform für Profis klassischer Ausbildung, wo diese ohne Zeitdruck, frei vom Bedienenmüssen populärer Trends und mit mehr Freiheit bei der Rohstoffwahl das machen können, was sie schon immer wollten.
Um den weinerlichen Duktus meiner Ausführungen selbst zu konterkarieren mag ich nicht unerwähnt lassen, dass es noch weitere, auch in Zukunft unabhängige "Selbstverwirklichungsplattformen" für Parfumeurinnen und Parfumeure gibt - Biehl, Six Scents u.v.a.m. Daher, selbst wenn es mit Frédéric Malle bergab gehen sollte (was nicht so sein muss): die Parfumwelt bleibt spannend, die Vielfalt nimmt zu, nicht ab. Auch wenn die Durchschnittsqualität erschreckend fällt: noch nie wurden in absoluten Zahlen vermutlich so viele gute Parfums lanciert wie zur Zeit. Man muss nur länger suchen.
In diesem Sinne: zum Glück habe ich gestern keinen Süßwein geköpft. Bin eh etwas erkältet.