Gerry:
So abwegig finde ich den Gedanken der Reifung nicht, angesichts dessen, was wir im August beim Treffen in Hannover erfahren haben. Laut eines Parfumeurs könne der erst das Ergebnis einer Duftmischung endgültig beurteilen, wenn diese ein halbes Jahr geruht hätte. Der Anteil von natürlichen und synthetischen Duftstoffen soll dabei unerheblich gewesen sein.
Das Problem, das ich dabei sehe ist, dass mir niemand bisher erklären konnte, was bei "Reifung" passieren könnte. Es könnte sein, dass manche Bestandteile aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften anfällig für Oxidation durch Sauerstoff sind, UV-labil sind und/oder allgemein chemisch reaktiver sind als andere Bestandteile, und dann aber auch mit anderen Molekülen reagieren und neue Verbindungen bilden. Und das ist bei natürlichen Stoffen i.d.R. wahrscheinlicher, da synthetische Duftstoffe natürlich auch auf Stabilität getrimmt werden, indem man die Zahl an angreifbaren Bindungen und/oder reaktiven Gruppen minimiert.
Ein Beispiel ist Javanol, welches ein Derivat des Norradjanol ist. Vergleicht man die chemischen Strukturen von Norradjanol und Javanol, so sieht man, dass die beiden Doppelbindungen des Norradjanol in Javanol durch zwei Zyklen Cyclopropanation mit Dibrommethan eliminiert wurden und man stattdessen Cyclopropyl-Gruppen (die beiden Dreiecke, die man in Javanol statt der Doppelbindungen sieht) erhält.
Hierzu die Patentanmeldung von Fridtjof Schröder von Firmenich:
www.google.com/patents/EP2190803A1?cl=enUnd seine Publikation zu Cyclopropanation, wer Zugriff drauf hat:
www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25408320(wer keinen Zugriff hat und interessiert dran ist, der schreibe mich doch einfach an
)
Ähnliches wird bei der Synthese von Hedione gemacht, es wird die Doppelbindung in Methyljasmonat (MeJA, einem universell konservierten Stresshormon in Pflanzen) durch Hydrierung eliminiert (Hedione = dihydro-MeJA) und wird dadurch auch stabiler.
Und naja, ob das jetzt ein Parfümeur gesagt hat, ist jetzt auch keine Garantie. Ich will denjenigen nicht angreifen, aber so ansich ist "Parfumeur" kein geschützter Titel, so ungefähr wie "Schriftsteller" oder "Künstler". Jeder kann Parfumeur sein und werden, die großen Parfumeure der Großkonzerne - wie Maurice Roucel z.B. - sind jedoch richtige Hardcore-Chemiker (d.h. die Chemie oder Lebensmittelchemie studiert haben), die zum Teil auch selbst mal im Labor standen und neuartige Duftstoffe im Reagenzglas synthesisiert haben, teilweise mir richtig beschissener Ausbeute, einfach um erstmal chemische Verbindungen zu finden, die nach irgendwas Interessantem riechen. Und erst wenn sie das gefunden haben, wird eben geschaut, wie man das mit weniger Reaktionsschritten in großem Maßstab synthetisieren kann. Und auch die anderen großen Parfumeure haben an der ISIPCA sicherlich intensive Module in organischer Chemie meistern müssen (oder der Studiengang an der ISIPCA dient wirklich nur dazu, sich quasi in die Industrie einzukaufen).
Damit will ich nur sagen, dass es auch unter Parfumeuren 'ne ziemlich hohe Varianz an Expertise gibt und ich das nicht auf die Goldwaage legen würde.