Duftessa
Duftessas Blog
vor 2 Jahren - 19.11.2021
7 33

Dufterinnerungen eines Dorfmädchens

Oder: Wie wurden wir der Duftmensch, der wir sind? 

Drei Monate nach meinem letzten Blog bin ich wieder auf Heimatbesuch. Diesmal erinnere ich mich an meine Kindheit im polnischen Dorf und frage mich, wie sie meine heutigen Duftvorlieben prägt.

Beim Spaziergang entlang flachwelliger Hügelketten, Getreidefelder und Ebereschen im vorwinterlichen Schlaf kam mir ein Hobby meiner unbeschwerten Kindersommer in den Sinn: mit Nadel und Faden bastelte ich meterlange Ketten aus Vogelbeeren. Die knallroten Schmuckstücke verwahrte ich in einer verschließelbaren Metalldose. Großes Geheule, wenn mein Bio-Schmuck zu schimmeln und zu stinken begann. (Heute trage ich riesige Statementketten und knallroten Lippenstift ebenso gerne wie Düfte, die den ganz großen Bahnhof versprechen.)

Beim Passieren winterkahler Gemüsegärten fiel mir der Dorfladen ein, den ich in einer Ecke unseres Gewächshauses betrieb. Statt öko-zertifizierter Holzspielzeug-Miniaturen gab es bei mir echte Verpackungen alter "Pewex"-Produkte, zerbeulte Fischkonserven und Kosmetikverpackungen, in Süßigkeitenpapier eingewickelte Steinchen als Bonbonersatz etc. Es lebe die Phantasie! Selbst die schönen Gerüche musste man sich selbst dazudenken:-) (Dennoch war meine Auslage immer noch spannender als das wahre Warenangebot im sozialistischen Polen 1988.) Der größter Schatz in meinem Krämerladen jedoch war eine makellose Nivea-Dose, ein Überbleibsel aus einem West-Paket der "deutschen Oma". (Heute liebe ich Düfte, deren Cremigkeit wie eine innige Umarmung ist.)

Beim Anblick der Dorfkirche sah ich unweigerlich Klein-Duftessa wieder in der Kinder-Kirchenbank knien (immer erste Reihe, was sonst?), engelsgleich und voll kindlicher Begeisterung für das fulminante Gold und Orgelspiel. Das Gerede des Pfarrers hat sie schon damals nicht verstanden. Trudno. (Heute genieße ich Düfte mit erhabener Weihrauch-Wolke, gerne in Kombination mit opulenten Lilien.)

Außerdem erinnere ich mich mit Wehmut daran, wie hingebungsvoll meine "polnische Oma" ihrem geliebten Goldkind mit selbstgemachtem Brennesselsud die Haare wusch (heute liebe ich Düfte mit würziger Kante), wie ausgelassen ich auf bunten Wildblumenwiesen herumtollte oder auf Heuböden Verstecken spielte (heute gefallen mir Düfte mit grasigem Touch), wie gerne ich schon als kleines Mädchen weiße Kleider und Haarkränze aus duftenden Maiglöckchen und Myrte trug und unangefochtene Königstochter war, always the one and only... 

- und heute...?

Diese kindlich eingefärbte Nostalgie hilft mir. Nicht nur zu verstehen, wie ich Duftessa wurde. Sondern auch, um Ruhe und inneren Frieden zu finden angesichts ernüchternder Entwicklungen im heutigen (politischen) Polen und im Privaten und überhaupt... 

-------------

Wenn Du magst: Wie hat Deine Kindheit Deinen Duftgeschmack beeinflusst?

7 Antworten