
Frieden im Flakon
„Ach Duftessa, nimm‘ Dir das alles nicht so zu Herzen...“
Ich bemühe mich, bemühe mich wirklich.
Schalte den Fernseher aus, koche mir einen Kräutertee und gehe an die frische Luft. Atme tief ein und aus. Zähle unzählige Frühlingsblüher im Garten...
Und wieder stehen mir die Bilder vor Augen. Krawatte versus Pullover. Angriffe, Beleidigungen, Vorwürfe, Ego, Macht und Manipulation.
Ich bin sprachlos.
Schaue in den leeren Himmel.
Fühle mich ohnmächtig.
Kein Frieden weit und breit.

„Ach Duftessa, nimm‘ das alles nicht...“
Ich gehe zurück in die Wohnung, schleiche um meine Duftsammlung herum, suche etwas Frieden im Flakon. Sprühe zwei Spritzer Santalum in den Raum.
Ein strahlend-reiner Zedern-Engel schwebt herbei und setzt sich sanft auf meine Schulter. „Ich helfe Dir ins Gleichgewicht zu kommen, innere Ruhe zu finden. Alles wird gut, vertraue mir…“
Vertrauen. Ein großes Wort hängt schief im Raum. Zu viele Worte, Lügen. Ständig neue Realitäten, alternative Fakten, Unbeständigkeiten. Täter. Opfer. Andersrum. Neue Runde...
Schwindel. Karussell. Worte im Kreisverkehr.
- STOPP.
Das Leben ist schön. Es muss ja. Weitergehen! Arbeit, Alltag, Haushaltspflichten. Geschirrabwasch als Friedenszeichen:-) Ich schalte das Küchenradio ein. „… kann sich weiterhin auf seine Partner und Freunde verlassen“ - behauptet zumindest der Radiomann.
Verlassen. Verlässlichkeit. Und wenn man sich nicht verlassen kann, muss man sich dann verlassen?
Es folgen Veranstaltungs- und Kinotipps. Weitermachen, als wäre nichts. „Like a complete unknown.“ Selbstverwirklichung, Haltung, Selbstfindung. Große Themen unserer Zeit. Die einen suchen sich in Musik-, die anderen in Duftnoten…
Ach, warum eigentlich nicht… Ich sinke in den weichen Kinosessel ein und lasse die stimmungsvollen USA-Bilder der 1960er Jahre an mir vorüberziehen…
Dazu singt der ernste Bobby sehr schön, erst 22 und schon so weise:
For the times they are a-changin'...
And you better start swimmin'…
Or you'll sink like a stone...
Wie es damals wohl auf den Straßen New Yorks gerochen hat? Hat JFK einen Duft benutzt? Welchen? Auch an jenem Tag, dem 22. November 1963?
In diesem Moment streckt ein angeschossener Van-Gogh-Pitbull seine Faust hoch in die Luft und grinst. Mich. Dreckig. An.
- NEIN, ich will nicht mehr in diesen versifften Gedankenzug einsteigen!
Ich sprühe etwas Hinoki auf meine Handrücken… die Kinosessel mutieren zu duftenden Zedernbäumen, Vögel zwitschern im Saal. Ich gleite durch den hellen Wellnesswald und trinke eine Clementinenschorle, ultrafein und zuckerfrei.

Auf einer Lichtung singen Bob und Jean weiter kraftvoll den ersehnten Frieden herbei...
How many times must the cannonballs fly
Before they are forever banned?
How many times can a man turn his head
And pretend that he just doesn't see?
- the end -
Genug Hollywood und Literaturpreisworte, das wahre Leben ist konkret.
Ich gehe, Du gehst, es geht… jeden Tag voran. Auch auf lang gebuchte Städtetreisen.
Zauberhafte Dinge geschehen. Ich begegne neuen Menschen und alten Menschen ganz neu. Starke Friedensstifter/innen überall: Café & Kommunales Kino, Weinberge, Apotheke, Kunsthallenkonzert und Leibniz-Institut. Auch meine treue Königin der Stäbe ist immer dabei:-)
Trotzdem, der Weg zum friedlichen Miteinander ist wahnsinnig mühsam: immer noch viele Blumen am Marktplatz, ein frisches Blumenmeer am Paradeplatz...

Und auf der Weltbühne erst: Sanktionen hier, Verhandlungen dort, Ansagen, Zusagen, Absagen im Stundentakt. Geheimnisse, Black Box. Unklarheit als Kalkül. Dealen ist Silber, Schweigen ist Zarengold.
Zähe Mission. Anstrengend. Ich werde krank. Es wird Zeit, endlich nach Hause zu fahren...
Mein Zug fährt ein. Ich lehne mich an die kühle Fensterscheibe. Trinke Halstee, kann kaum sprechen und bin einfach nur unendlich traurig... Selbst der malerische Ausblick zur blauen Stunde kann mich nicht mehr trösten...
Gleichzeitig wabern die neusten Ankündigungen in meinem fiebrigen Kopf umher: Was kann man bloß erwarten, befürchten, hoffen, wenn zwei Pitbulls miteinander reden?
„Ach Duftessa, nimm' Dir..."
Halbvolles Zugabteil - also halbleer:-) Ich wühle in meinem prallgefüllten Probentäschchen und versuche es mit einem Spritzer Alofilo auf meinen Handrücken. Normalerweise eine frische Brise, feinste Zitrik, hauchzarter Moschus, alles besonders elegant verwoben. Ein Duft, der mich sonst ans Meer zaubert. Ein Meer, das kraftvoll und tiefinnerlich in sich selbst ruht.
Aber ich rieche nichts mehr! Bin verschnupft und erschöpft. Es ist zum Heulen. Also heule ich.
Mine Tischnachbarin mit Hornbrille und gelber Ledertasche streckt ihre Nase in die Luft und lächelt sanft. „Finden Sie, dass dieser Duft nach Meer und Frieden riecht?“ - „Oh ja, ganz wunderbar!! Besorgen Sie mir gleich eine große Flasche :-) Ist das alles nicht schrecklich zurzeit?! ... oh, viele Düfte haben Sie da... normalerweise trage ich ja Paloma Picasso… die Jil Sander kann das auch ganz gut… und dieser Narciso erst, besonders sein schwarzer Flakon…“ ... und plappert und plappert... über meine Traurigkeit hinfort. Gut so. Ich schiebe ihr meine Abfüllungen herüber, verweise auf Parfumo ("was es nicht alles gibt!") ...

... und verkrieche mich in mich selbst.
Der Zug schleicht laaaaangsam 'gen Norden... irgendwann, endlich - Zielbahnhof. Ich will nur noch nach Hause... Zu Hause ist Ruhe, echte Harmonie, Beständigkeit. HausFRIEDEN. Besonders wertvoll jene Tage...
Und morgen? - Morgen bleibe ich mit Wärmflasche im Bett und schreibe mir all' das von der Seele, für das ich eigentlich keine Worte mehr habe...
"Ach Duftessa, nimm' Dir alle Zeit die Du brauchst, um Deinen Frieden zu finden."
... sagt eine gute Freundin, meine Intuition. - Ich höre auf sie.
so tiefgründige und wahre poetische Gedanken gepaart mit Melancholie und emotionaler Intelligenz. Vielen Dank für diese intensiven Zeilen und die tollen Bilder, die du mit uns geteilt hast.
Ein Zitat über den Frieden sagt:
„ Frieden kann nicht mit Gewalt bewahrt werden; er kann nur durch Verständnis erreicht werden."
Erhol dich gut und GUTE BESSERUNG süsse!
PS: Alofilo - ich liebe elegante Düfte
Liebe Grüße
LaMedi
Ich zögere, das Wort "Menschlichkeit" zu benutzen, denn es wird so oft missbraucht.
Das Leben ist ist ein Kampf. Man sollte sich mehr mit sich selbst beschäftigen und auf sein Inneres höhren.
Schön, wenn Düfte einem helfen aus dieser Welt zu entkommen
Manche Dinge brauchen ihre Zeit. Ich mach mal Tee.
P.S. Sehr schöner Blog!!!
"Fängt die Henne an zu gackern, muss der Hahn sie wohl beackern".
Da bin ich dann wohl einem Irrtum erlegen. Schade.
Ganz tolles Bild mit dem Stacheldraht und den wegfliegenden Vögeln!