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vor 5 Jahren - 07.03.2019
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Surrealistisches Schneiderpüppchen - Shocking von Schiaparelli - Flakondesign

Heute kümmere ich mich um den Flakon eines Duftes, den ich leider noch nicht gerochen habe. Der Flakon selbst ist aber so ikonisch, dass ich nicht anders kann. Es geht um „Shocking“ von Elsa Schiaparelli.

Elsa Schiaparelli („Skiaparälli“, per favore) war eine italienischstämmige Modedesignerin mit Atelier in Paris, deren Karriere in den 1930er Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Ihre Mode unterschied sich gravierend von dem, was die Konkurrenz damals produzierte, was durch Elsas Lebensgeschichte zu erklären ist:

In den 1920er Jahren lebte sie zeitweise in London und New York, wo sie in die Künstlerszene eintauchte und Gespür und Leidenschaft für moderne Kunst entwickelte. Strömungen dieser Zeit waren unter vielen anderen der Dadaismus und der Surrealismus. Dadaismus klingt etwas merkwürdig nach Babysprache und genau das war die Absicht der Dadaisten: Als Protestbewegung gegen die etablierte Kunstszene machten sie allerlei Blödsinn, man denke an Marcel Duchamp und sein Readymade „Fountain“. Ein handelsübliches Urinal, das er liegend als Skulptur im Museum montierte und als Kunst bezeichnete.

Die Surrealisten waren teils dieselben Leute wie die Dadaisten (Duchamp war auch dabei), andere waren die Künstler Salvador Dalí, Max Ernst und René Magritte. Von Magritte haben bestimmt schon viele im Kunstunterricht die „Ceci n’est pas une pipe“-Pfeife besprochen. Die Surrealisten waren fasziniert von Freuds Psychoanalyse und versuchten in ihrer Kunst Unbewusstes, Träume und Rauscherlebnisse darzustellen. Einer der bekanntesten Surrealisten ist der Katalane Salvador Dalí. Seine Werke sind surreale Traumsequenzen, die verfremdete Gegenstände und Lebewesen zeigen.

Garantiert hat jeder schon seine schmelzenden Uhren in „Die Beständigkeit der Erinnerung“ gesehen, genauso seine naturalistisch gezeichneten Menschen und Tiere mit überlangen, skelettartigen Spinnenbeinen. Dalí hatte im Laufe seines Lebens wie jeder anständige Künstler einige Musen, die ihn inspirierten. In den 30er Jahren war es die Schauspielerin Mae West, ab den 60ern dann Amanda Lear, die durch ihn erst richtig ins Licht der Öffentlichkeit rückte.

Wichtig für den Shocking-Flakon ist allerdings nicht Lear, sondern West. Die in Brooklyn geborene West war eine der gefragtesten Filmschauspielerinnen der 1930er Jahre und pflegte das Image der Femme Fatale. Sie war eine kurvige Erscheinung mit platinblonden Wasserwellen und sprach mit dem typischen nasalen Akzent New Yorks, den manche möglicherweise schon bei Fran Drescher in der „Nanny“ und bei Cindy Lauper gehört haben. Was ich ziemlich faszinierend finde, ist der vergleichsweise späte Beginn ihrer Filmkarriere – 1932 im Alter von 39 Jahren.
Mehr als alles andere liebte West Sex, Männer und Zweideutigkeiten. Wenn man ihre Interviews anschaut, ist tatsächlich jeder zweite Satz irgendwie schmutzig angehaucht. Manche kennen vielleicht bekannte Songs, die aus ihren Filmen stammen wie „Frankie and Johnnie“ und „A guy what takes his time“, welches Christina Aguilera 80 Jahre später in „Burlesque“ gecovert hat. Ein vielfach zitierter Satz stammt ebenfalls von ihr: „Is that a gun in your pocket or are you just glad to see me?“


Weniger bekannt ist ihre Vorgeschichte am Theater. In den 20er Jahren hatte sie revolutionäre Stücke geschrieben, produziert und inszeniert wie "The Drag" und "Sex". Letzteres wurde auf Drängen religiöser Gruppierungen sogar verboten und sie wurde für zehn Tage dafür inhaftiert. West war sowohl mit Schiaparelli befreundet als auch die Muse von Dalí. Ihr widmete er sein Gemälde „Gesicht der Mae West“, welches ihr Portrait als Wohnraum darstellt. Die Lippen bilden das Sofa des Zimmers und finden sich mitsamt der Nase hier auf Parfumo in den Merchandise-Flakons von Dalí wieder.

Mae West und Schiaparelli wurden einander ursprünglich durch eine gemeinsame Freundin vorgestellt und beide schätzten die Arbeit der anderen. So ist es kein Wunder, dass West in vielen ihrer Filme Kleider trägt, die von Schiaparelli extra dafür entworfen wurden. Ihr Stil unterschied sich damals stark von anderen Designern wie Patou oder Chanel: Während die allgemeine Mode unfassbar elegant, aber auch konservativ und nicht besonders farbenfroh daherkam, war Schiaparelli für ihre Verspieltheit berühmt. So schuf sie unter anderem Handschuhe mit aufgeklebten Fingernägeln und Kleider mit dem Aufdruck eines riesigen Hummers. Im Kontext dieser Zeit war sie also so etwas wie die Lady Gaga der Schneiderkunst. Ihre aufsehenerregenden Kreationen waren offensichtlich vom Surrealismus inspiriert, den sie so schätzte, war sie doch mit Dalí selbst befreundet.

Und jetzt endlich, der Flakon:

Der Duft „Shocking“ von 1936 ist nach dem Farbton „Shocking Pink“ benannt, den sie und ihr Mentor Paul Poiret wohl beide gern nutzten. Der Flakon selbst wurde von ihrer Angestellten Leonor Fini gestaltet, die dafür perfekt die Quintessenz Schiaparellis herausarbeitete.

Im Grunde ist der Flakon ein Torso. Aber nicht irgendein Torso, sondern der von Mae West höchstpersönlich. Angeblich zeigt er die Schneiderpuppe, die extra für ihre Kleider modelliert worden sein soll. Passenderweise trägt die Schneiderpuppe ein Maßband mit der Aufschrift "Shocking" um den Hals, das von einem Siegel mit dem „S“-Logo von Schiaparelli zusammengehalten wird und an die Aids-Schleifchen erinnert. Die Verwendung einer Schneiderpuppe als Flakon-Korpus war für eine berühmte Modedesignerin zwar naheliegend, gleichzeitig aber auch sehr ungewöhnlich für damalige Verhältnisse. Besonders, da er unverhohlen die weiblichen Rundungen einer berühmten Schauspielerin zeigt. Somit passt dieser Teil schon ausgezeichnet in die allgemeine Arbeitsphilosophie Schiaparellis. Richtig interessant wird es aber erst mit den gläsernen Blumen um den Deckel herum. Man fragt sich, was die da verloren haben. Hier kommt der Surrealismus ins Spiel. Von Dalí gibt es mehrere Werke, die eine Frau mit wahlweise Rosen oder einem gemischten Blumenbouquet als Kopf zeigen:

Was genau sich Dalí dabei gedacht hat, ist nicht bekannt. Eine Interpretation ist die Abneigung, die Dalí seiner reichen Kund-/Kennerschaft entgegengebracht haben und die sich in einem kopflosen Wesen zeigen soll. Da die Surrealisten und Dadaisten sich und andere allgemein nicht zu ernst nahmen, könnte meiner Meinung nach auch einfach gar nichts dahinterstecken. Dalí hatte vielleicht einfach Spaß daran, wie sich wichtige Kunstkenner den Kopf über sein Werk zerbrachen und einen tieferen Sinn dahinter suchten.
Auch vom Surrealisten Magritte gibt es eine ähnliche Darstellung:

Dieser Blumenstrauß ist es also, der sich auf dem Flakon von Shocking wiederfindet und durch die Kombination von Torso mit Blumenkopf eine direkte Verbindung zu den Werken Dalís schafft.
Anfangs war der Flakon äußerst edel verpackt: Er stand auf einem runden Sockel und wurde von einer Glasglocke bedeckt, wie man sie aus eher religiösem Kontext und der Volkskunst kennt.
Auf dem Glas der Glocke ist ein weißes Wabenmuster aufgeklebt, das an kunstvolle Stickereien erinnert und von Blumen unterbrochen wird. Seinen Abschluss bildet ein gewellter Rand.


Im Laufe der Zeit hat sich der Flakon natürlich verändert. Aus dem Maßband wurde erst eine pinke Schleife und später ein einfacher Aufdruck auf dem Glasflakon, die Blumen verschwanden irgendwann komplett und mit ihnen der Bezug zum Surrealismus. Verschiedene Konzentrationen wurden auch in einfachen, rechteckigen Flakons abgefüllt. Wenn ihr alle Flakonvarianten sehen wollt, schaut einmal bei Rosaviola im Fotoalbum vorbei, sie hat sie alle.

Der Torso-Flakon von Shocking war sicher Inspiration für eine ganze Reihe weiterer Fläschchen von anderen Designern, man denke an „Classique“ und „Le Male“ von Jean Paul Gaultier, „Âme Toscane" von Isabel Derroisnè und vielleicht sogar „Body“ von Kim Kardashian. Die Lippen von Mae West aus ihrem Wohnzimmerbild finden sich wie schon erwähnt in den Dalí-Düften wie Dalí und Laguna.

Ich hoffe, ihr hattet euren Spaß beim Lesen und bin gespannt auf eure Gedanken zu Schiaparelli, West, ihrem Schneiderpüppchen und zum Surrealismus!

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