Fegefeuer

Fegefeuer

Rezensionen
Filtern & sortieren
6 - 9 von 9
Fegefeuer vor 2 Jahren 13 3
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Purgatory Is a Place on Earth
Es ist ein bisschen wie abstrakte Kunst, Parfüms zu kreieren. Düfte werden in verschiedenen Mengen vermischt und bilden ein gesamtheitliches Werk, bei dem die einzelnen Komponenten ihre Eigenständigkeit verlieren und etwas neues schaffen. So liegt es im Auge des Betrachters, die Schönheit zu interpretieren, zu deuten. Oft kann ad hoc nur zwischen verschiedenen Nuancen unterschieden werden, aber die subjektive Wahrnehmung wird sich immer ändern. Wie ein Bild von Pollock wird die Wirkung immer eine andere sein und das ist sicherlich gewollt und ein Stück weit auch außerhalb der eigenen Kontrolle. Man muss loslassen, denn das Werk gehört nun dem Observant.

Konträr der zeitgenössischen Duftwässer steht Bois d'Encens, welches sich entsprechend dem Alter seiner Inspiration wie ein Renaissancegemälde äußert. Es ist klar, was es ist und sein will. Die Intention geht niemandem verloren. Es schafft nichts nie Dagewesenes, sondern rekreiert, was bereits allzu bekannt ist. Hier lässt sich nicht endlos analysieren, sondern nur das Handwerk und die Umsetzung kritisieren, denn die Bedeutung liegt offen dar.

Die Kopfnote ist hyperrealistischer, frisch gemahlener schwarzer Pfeffer, aber nicht das industrielle, eindimensionale Gewürz des alltäglichen Lebens. Wie hochwertiger Kampot Pfeffer hat er viele unterliegende Facetten, die sich durch Minze und Eukalyptus äußern und von einem zitrischen Biss begleitet werden. Ich bin immer wieder fasziniert, wie authentisch das Präludium ist.

Wenn sich das imposante Feuerwerk legt, schwenkt der Messdiener das Weihrauchfass durch den Gang, der Pastor predigt von der Erlösung und dem Blut, das für unsere Sünden gelassen wurde. Man kniet in Selbstpein auf der schmalen, ungemütlichen Holzbank. Die Hände sind gefaltet, manch einer ballt sie fest zusammen. Augen geschlossen oder gen Himmel gerichtet, obwohl das imposante Mauerwerk den Blick verwehrt, als hätte Petrus das Tor geschlossen. Das Buntglas bricht das Licht und der Weihrauch hinterlässt einen ominösen Nebel in der Luft. Je älter die gottesfürchtigen Anhänger sind, desto intensiver scheinen sie zu beten. Man kann das Vater Unser von ihren unruhigen Lippen lesen, wenn man die Worte vergessen hat.

Und immer wieder zeigt sich der schwarze Pfeffer inmitten der Zeremonie, ehe er wieder flieht. Wenn er auftaucht, dann sticht er wie ein Messerhieb, aber dabei so wohltuend wärmend und wertet uns nicht. Wie ein blasphemischer Kommentar lässt er uns zweifeln, richtet unseren Blick zum Ofen unter unseren Knien. Ist er die Versuchung, vor der wir gewarnt werden? Dabei war Luzifer doch auch ein Engel, bevor er wie Regen vom Himmel fiel.

Die Erinnerung an die Sonntage, die man in die Kirche gezerrt wurde, ist wie ein Wachtraum. Obwohl meine Gebete nie erhört wurden, die Existenz das läuternde Fegefeuer für mich war und ich jeglichen Glauben verlor, zieht mich Bois d'Encens dennoch in seinen Bann. Die Frage für mich ist nicht, ob ich wie ein christlicher Sermon duften, sondern ob ich das Handwerk zelebrieren will. Die Form steht über der Funktion und die Umsetzung ist meisterhaft.
3 Antworten
Fegefeuer vor 2 Jahren 13 2
8
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
8.5
Duft
Der Mund des Ozeans
Tom Ford war mir in der Parfümwelt noch kein Begriff, bevor selbstproklamierte Modeinfluencer es anpriesen. Oud war nun in aller Munde und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Es war kurzweilig das, was Ed Hardy in meiner Jugend war - ein teurer Trend. Doch jetzt reizt es mich doch, weil Bitter Peach so lecker klingt und Tobacco Vanille immer wieder bejubelt wird. Deswegen hab ich mich mit großer Neugier auf meine Abfüllung von Oud Minérale gewartet. Der Name hat es mir nämlich angetan. So vereint er zwei Noten, die ich sehr mag.

Nach dem euphorischen Zerreißen des Briefumschlags wurden die Arme benetzt und ich stand sofort am Mund des Ozeans. Es ist kühl am morgen und die Wellen, die mit letzter Kraft den Strand erreichen, brechen an meinen eingecremten Beinen. Das Salz des vom aufgewirbelten Sand vernebelten Wassers rangt empor und ich schwimme hinaus. Algen und Seegras aromatisieren den tiefblauen Schlund unter mir, bevor ich zurück ans Land will.

Die Sonne steht an ihrem höchsten Punkt. Ich weiß nicht, wie lange ich im Meer gewesen sein muss. Erschöpft setze ich mich auf einen vor langer Zeit ans Land gespülten desolaten Baumstamm. Das Salzwasser trocknet auf meiner Haut und der Exzess hydriert das Holz. Das vom Salz getünchte Gehölz umarmt mich für meine Gesellschaft. In der Ferne ist ein Feuer, welches ich nicht sehen kann. Jemand bereitet den Fang zu und presst beherzt Zitronen in die Flammen. Die Seeluft vereint sich harmonisch mit dem Rauch und der Würze. Das Zeichen, mich vom lapislazulifarbenen Horizont zu verabschieden. Und wenn ich dann abends im Bett liege, rieche ich noch das Salz und die Erinnerung des Ozeans bleibt auf meiner Haut.

Ein außerordentlich schöner Duft, der durchweg frisch und aquatisch bleibt, obwohl diese Noten sonst so flüchtig sind. Wie reifender Wein wird er mit der Zeit intensiver und das Holz präsenter, gibt einen herben Akzent. Wenn ich dachte, es sei nur noch hautnah, zerrte mir der Duft erinnernd an der Nase. Noch abends raubte Oud Minérale mir den Schlaf, weil mein Arm unter meinem Kopf noch danach roch und hielt mich als Geisel. Nachts wollte ich dann doch nicht mehr im Meer schwimmen - Geruchswaterboarding!

Leider muss ich aber gestehen, dass ich die Einstellung des Parfüms verstehen kann. Es fehlt das gewisse Etwas, damit dieser Duft sich Private Blend schimpfen darf. Verdammt gut gemacht, aber ohne je ne sais quoi. So bin ich doch froh, dass es eine Abfüllung ist und kein blind gekaufter Flakon.
2 Antworten
Fegefeuer vor 2 Jahren 20 10
5
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft
Von der Wiege bis zum Grab
Das Ideal von Schönheit wird von der Gesellschaft vorgekaut, prädeterminiert und zum kollektiven Urteil gebracht. Makellos soll es sein und ja nicht anecken. Haut soll unversehrt, Textilien nicht ausgeblichen, Jeans ohne Löcher sein und Düfte müssen harmonisch die passierenden Massen besingen.

Dabei sind es gerade diese Makel, die Endlichkeit zelebrieren und Geschichten erzählen, die die Farbe einer sonst blanken Leinwand sind. So vereint Breath of God Leben und Tod und erzählt eine wundervolle Geschichte. Denn die Komposition besteht aus zwei Duftölen, die online exklusiv vertrieben wurden. Das Öl „Inhale“ ist fruchtig und floral, wie frisch blühende Rosen und gereiftes Obst, dass die Geburt und das Leben widerspiegeln. „Exhale“ wiederum ist holzig und rauchig, wie die Asche, die der unerkenntliche Überrest und der Staub des Todes sind. Sauerstoff, den wir für unsere Vitalität brauchen, wird zu Kohlendioxid, welches uns in zu großen Mengen tötet. So atmet Gott Leben ein und atmet Tod aus.

Breath of God ist deswegen kein schöner Duft, denn er trägt all das in sich, was uns an unsere Vergänglichkeit erinnert und dieser düstere Schatten vertilgt fast vollständig, was an Leben in die Komposition gehaucht wurde. Das Parfüm ist alles gleichzeitig und doch nichts von alledem. Es ist das Feuer, dass uns neugierig in den Bann zieht und doch verbrennen wir uns an seiner Flamme, aber es sind auch diese Narben, die von einem reichen Dasein erzählen. Kein Stein der nicht gewendet wurde, keine Chance ungenutzt. Denn ohne Makel bleibt nur das, was unberührt präserviert wurde.

So öffnet sich das Parfüm schlagartig mit einem beißend kalten Teer ehe sich seifige Noten zeigen, sauber und unversehrt. Inmitten blüht eine Rose auf, welche später verbrennt und kalten Rauch zurücklässt. Die poetische Entwicklung lässt sich mit dem Rätsel der Sphinx beantworten: Welches Wesen geht morgens auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen? Der Mensch von der Wiege bis zum Grab.

Breath of God ist eine blühende Wiese und ein niedergebrannter Obstbaum, die frisch asphaltierte Straße neben dem von der Sommersonne versengten Gras, doch was nach dem Feuer bleibt ist Asche und Rauch. Dieser Rauch verweilt für ein paar Stunden, bevor er verfliegt und so düster wie es endet, bleibt zu sagen: Es gäbe keinen Schatten, wäre da kein Licht.

Aus der Zeit in der ich kurzweilig bei Lush arbeitete, muss ich aber warnend sagen, dass Haltbarkeit und Sillage bei jedem anders sein werden. Da auf Synthetik verzichtet wird, bleibt es der Haut überlassen, wie der Duft angenommen wird. Welche Noten letztendlich herausstechen und wie er sich entwickelt, lässt sich leider nicht verallgemeinern. Was man aber sagen kann, ist dass er anecken wird und Leute ihn entweder hassen oder lieben. Er ist eben nicht makellos und auch nicht schön.
10 Antworten
Fegefeuer vor 2 Jahren 35 5
7
Flakon
9
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft
Der Anfang vom Ende oder wie ich Düfte lieben lernte
Als junger Erwachsener waren Düfte für mich von keiner großen Relevanz. Die üblichen Verdächtigen von Jean Paul Gaultier oder was auch immer im Dusch-Geschenk-Set war, war mein Parfüm. Irgendwie gehörte es zu den Freuden des Erwachsenseins, Düfte zu tragen, aber so wie ich selbstverständlich nach der Zahnpasta griff, waren auch olfaktorische Genüsse keinen zweiten Gedanken wert.

Sobald ich mich für Mode interessierte und Wert darauf legte, welche Marken ich trug - wahrscheinlich aus jugendlichem Narzissmus - wollte ich unbedingt wissen, was Comme des Garçons macht. Japanische Mode war damals immerhin der heilige Gral, nur gab es die Düfte damals noch nicht in jeder Parfümerie.

Vor über 10 Jahren reiste ich nach Amsterdam und es musste jeder Fashionstore abgegrast werden, der die Textilien vertrieb, die man zuvor nur von digitalen Bildern kannte. So war auch das Ziel mal an Wonderwood von Comme des Garçons schnuppern zu können und ein kleiner, unscheinbarer Laden führte jeden Duft, den es von dem japanischen Modehaus gab.
Man erzählte uns von der Idee hinter Odeur 53 und dem Konzept zur Series 3: Incense und plötzlich ergaben Düfte Sinn. Sie waren nicht mehr nur das, was man jungen Männern als Notwendigkeit zum Dating verkauft, sondern eine Kunstform, die man in einem feinen Nebel auf seine Haut sprüht und dann kam der große Auftakt: „Can I try Wonderwood?“ Ich war sofort verliebt, ein Feuer entfachte sich in mir, welches ich noch heute in mir trage.

Der Duft führte mich sofort in einen unberührten Fichtenwald. Die Äste brechen unter meinen Schritten und das Laub knistert in meinem Takt. Die Zypressen beleben die Luft und jeder Atemzug ist voller Energie. Die Bergluft trägt die Mineralität zu mir und das Arboretum vermengt sich im Wind. Ein leichter Rauch heißt mich in der Ferne willkommen und was bleibt, ist eine nährende Wärme aus Holz und wilden, unversehrten Kräutern, die mir nicht von der Seite weicht. Ein Duft der das ganze Jahr den Wald nicht verlässt und immer seinen Platz hat.

Ab diesem Zeitpunkt trug ich das Wunderholz bis heute. Es war meine Signatur und Leute verbanden den Duft mit mir. Freunde und flüchtige Bekannte fragten euphorisch nach dem Namen des Dufts. In romantischen Beziehungen war mein Kopfkissen in meiner Abwesenheit sehr gefragt. Ich habe multiple Flakons geleert und bin immer wieder zurück zu Wonderwood. Das Parfüm hält bei mir den ganzen Tag und die Sillage ist ein Schleier, der einem elegant auf Schritt und Tritt folgt.

Die DNA ist, wie ich heute weiß, typisch für Comme des Garçons. Es hat nicht diese typische, synthetische Alkoholnote anderer (billigerer) Designerparfüms, es erzeugt oft ein klares Bild und erinnert an bestimmte Momente und Orte. Auch wenn es verwendet wird, bemerkt man keine Synthetik. Die Düfte sind so authentisch, wie es im Kompromiss mit der Haltbarkeit erlaubt ist.

Wonderwood ist für mich, was für viele der erste Kinobesuch oder erste Schluck Wein ist. Mein Verständnis für die Kunst wurde geboren, als ich daran roch. Kein Outfit war komplett, wenn ich mich nicht in eine Geschichte aus dem Flakon hüllte, der aussieht, als hätte er Jahrzehnte im Fluss gelegen, bis er diese Form erhielt. Von der Zeit und den Strömungen geformt, bis er alle Ecken und Kanten verlor. Eine Skulptur die nur Mutter Natur hätte anfertigen können.

Dieses Parfüm hat mir die Augen und Sinne geöffnet und wird immer ein Teil von mir sein.
5 Antworten
6 - 9 von 9