Foxear

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6 - 10 von 22
Foxear vor 3 Jahren 71 43
6
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
2.5
Duft
Eiserner Revoluzzer oder Cyborgs, die nach Menschen riechen
Sécrétions Magnifiques – zu Deutsch „Prächtige Körpersäfte“, war das erste Parfum aus dem Hause Etat Libre d'Orange (Eldo). Firmenethos ist das Kreieren von Düften abseits jeglicher Konventionen. Der Gründer, Etienne de Swardt, sieht sich als Rebell im Kampf gegen die olfaktorische Angepasstheit – ein hehres Ziel, das ich gerne unterstütze. Frei nach Rosa Luxemburg – ist die Revolution dieses Duftwassers großartig oder nichts als Quark?

Marketingtechnisch ist Sécrétions Magnifiques ist ein dicker Mittelfinger in Richtung der frischen Aquaten aus den Häusern Armani, Davidoff sowie Calvin Klein, die in den 90ern ihre Blütezeit hatten und eine Trendwende einläuteten, die bis heute Wurzeln schlägt. Animalik wurde an den Rand gedrängt und fristet seit den 00er Jahren ein Nischendasein.

2006 – Auftritt Eldo: „Wir haben einen Duft kreiert, der wie Beischlaf unmittelbar vor dem Orgasmus riecht. Ejakulat, Schweiß, Blut und Adrenalin – pure Animalik! Na, klingt das nicht affengeil?“, ungefähr so kann man sich den Marketingsprech von Eldo vorstellen. Bei der Duftbeschreibung auf der eigenen Internetpräsenz bleibt man hingegen konservativ und zimperlich. Mann und Frau in Missionarsstellung: „Don Juan and the woman who offers herself, arms are laid down. “. Gähnende Langeweile – stellvertretend für den Duft?

Dieser startet ozonisch-maritim, entfernt erinnert er mich ans Meer. Quasi eine Kampfansage an die Aquaten, die man im Anschluss abschießen möchte. Im Verlauf wird es zunächst kühl-metallisch und später cremig – übrigens ist es das erste Mal, dass ich einen Duft als metallisch empfinde – hier ist es adäquat. Das Metallische rührt vermutlich aus dem überdosierten beinhalteten Azuron, das feucht, schwitzig – wie Speichel auf der Haut – riechen soll, sowie einem nachgesagten Schwefelakkord. Das Cremige, welches für die weiblichen Körpersäfte steht, ist ein Ergebnis aus Sandelholz, Milch und Iris. Hintergründig kann man stets den Geruch von Salz wahrnehmen.

Das Metallische ist tonangebend und zieht sich bitterböse bis zum Ende – hat man Beischlaf mit Robotern oder ist selbst ein Roboter, könnte diese Tatsache erklären, was der Duft entfernt mit Sex zu tun hat. Alles andere ergibt für mich keinen Sinn. Ebenso: was hat Blut mit dem Geschlechtsakt zu tun? Keine Ahnung, aber das muss ein abgefahrener Fetisch sein. Etwas bodenständiger kann ich es mir nur so erklären: Blut pumpt schneller, wenn man aufgeregt oder in Ekstase ist – beim Akt eben. Adrenalin ist tatsächlich geruchslos, was Antoine Lie, zuständiger Parfumeur, selbst bestätigte. Daher frage ich mich, wie man Adrenalin neben Blut wahrnehmen kann. Womöglich das Adrenalin, welches im eigenen Blut kocht, während man voller aufgeregtem Ekel mit dem Kopf über der Toilette hängt. Hat man mehr Fantasie als J. R. R. Tolkien, Terry Pratchett und Tad Williams zusammen, riecht man bestimmt Blut, Eiter, Galle, Ejakulat und sogar geruchsloses Adrenalin. Denkt man beim Testen an spuckende Einhörner, urinierende Gremlins oder schwitzende Gummibärchen, dann riecht es bestimmt danach – „Magnifiques jus d'imagination“.

In Summe erhält man einen synthetisch-metallischen Duft mit cremigen Nuancen und hintergründiger maritimer Note, animalische oder erotische Assoziationen kommen für mich nicht ansatzweise auf. Der Duft erinnert mich an eine kreischende Kreissäge, die man vergessen hat auszustellen – laut, langweilig und nach Aufmerksamkeit lechzend. Das Marketing, der Name und die angegebenen Duftnoten haben nur einen Zweck: die bewusste Provokation. Offensichtlich hat es gewirkt, den Ruf als eines der widerlichsten Parfums hält es inne. Auch schlechte Presse ist gute Presse – meine Zeilen sind der Beweis.

Sécrétions Magnifiques ist Revoluzzer aus Leidenschaft – eine radikale andersriechende Ausnahmeerscheinung, als Konzeptduft scheitert er jedoch. Hier könnte ich meine Rezension beenden, allerdings habe ich eine eigene ausgefallene These aufgestellt, die ich im Folgenden erläutere.

Menschliche Augmentation. Diese wird in der Medizin eingesetzt, um verletzte Körperteile, Sehnen und Bänder des Körpers durch Kunststoff- oder Metall-Implantate/Prothesen zu ersetzen. Hauptzweck hierbei ist die Therapie des Körpers und das Zurückgewinnen der Gesundheit.

Oscar Pistorius lief mit seinen Unterschenkelprothesen bei den Paralympics bessere Zeiten als manch ein Olympiateilnehmer. Im Klartext: er lief mit künstlichen Beinen schneller als jemand mit organischen. Es ist davon auszugehen, dass diverse Institute sowie Militärs weltweit in diese Richtung forschen, letztere um die körperlichen Fähigkeiten der eigenen Soldaten zu verbessern. Viele der ursprünglich fürs Militär entwickelten Technologien zogen auf Umwegen in unseren Alltag ein, wie z. B. das Internet, Drohnen, Mikrowellen, GPS und sogar die Bluttransfusion.

Übertragbar ist die Augmentation nämlich auf den Alltag – die Vorteile sind offensichtlich: eine Verbesserung der allgemeinen körperlichen Gesundheit, besseres Sehvermögen, schöneres Aussehen und mehr Kraft. Das Potential ist endlos – birgt aber auch etliche moralische und gesellschaftliche Gefahren, das ist jedoch Diskussionsstoff für Transhumanisten und deren Gegner. Der Mensch übersteigt seine biologischen Fähigkeiten und wird zum Cyborg – halb Mensch, halb Maschine – den Göttern nahe?

In diesem Szenario wird mein eingangs scherzhaft erwähnter Satz „ist (man) selbst ein Roboter“ halbwegs zur Realität. Stellt man sich vor, dass Menschen sich freiwillig mit künstlichen Bauteilen erweitern und das gesunde Fleisch aufgeben, riecht es entsprechend – kühl-metallisch durch die synthetischen Prothesen/Implantate sowie cremig und salzig, was den verbleibenden eigenen Körpersäften wie Schweiß als auch Speichel geschuldet ist. Sécrétions Magnifiques – unser Geruch von morgen?

Passende Musik: Giant Swan - Pandaemonium
Besten Dank an MmeMo und Vrabec für die Probe!
43 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 100 51
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
6.5
Duft
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Layton hieß das Zugpferd, welches den vollbeladenen Wagon mit den Dufttinkturen von Jérémie de Marly zog, wenn Herod wegen Hufbeschlagung eine Pause einlegen musste. De Marly eilte sein Ruf voraus – in ganz Suessland war er berühmt. Er übte sich als fahrender Händler und bot seine Dufttinkturen feil. Doch er hatte ein Problem, das seinem Ziel der radikalen Ertragsmaximierung im Wege stand: der Markt war gesättigt.

Daher brauch er zu neuen Ufern auf – ins ferne Land Herbien. Als er dort ins erste Örtchen eintraf, begab er sich zum Marktplatz. Bevor er mit dem Verkauf anfing, rief er lautstark „Kraft, Leute!“ – sogleich zog er die Aufmerksamkeit auf sich. Just machte er auf der Stelle einen Salto und schrie: „De Marly!“. Seine absurde und artistische Einlage bescherte ihm zahlreiche Blicke – solch einen schrägen Vogel hatte man in Herbien lange nicht gesehen.

„Vor elf Jahren begann ich mit meiner Berufung! Sie mögen sich denken: noch ein opportunistischer Schnösel, der sich als exklusiv bezeichnet, keine Tradition hat und charakterschwache Dufttinkturen zu Mondpreisen verkauft. Doch weit gefehlt! In meinen Düften liegt lodernde Leidenschaft! Exquisite Wunderwasser, welche renommierte Sachkundige und ahnungslose Banausen begeistern!“.

Vier Männer näherten sich ihm und hörten neugierig zu. „Meine Herren – für Sie habe ich genau das Richtige. Die neueste Kreation, benannt nach meinem treuen Gaul, Layton. Die Magie dieses Wassers kann man nicht in Worte fassen – es sprengt den Rahmen des sprachlich Möglichen! Die Frauenwelt wird Ihnen zu Füßen liegen und Sie allzeit umschmeicheln – darauf gebe ich Brief und Siegel! Ein Betriebsgeheimnis: entzückte Kunden aus meinem Heimatland teilten mit, der Geruch meiner Wundertinktur hätte manch ein Frauenzimmer dazu verlockt, ihren Rock hochzuheben. Sicherlich kennen Sie den Spruch: hoch den Rock, rein den Stock!“.

Drei der Herren begannen vergnügt zu lachen und bekamen große Augen. Der letzte im Bunde, ein Rothaariger, schaute skeptisch und ungläubig drein. „Hehre Worte. Sagen Sie, Herr de Marly, was kostet dieses Wunderwasser?“ – „Sie mit den roten Haaren – eine ausgezeichnete Frage! Mein Zauberwasser ist einzigartig und erstklassig. Die Haltbarkeit und der Duftschleier seien – so sagen es die Suessländer – einem Ungetüm, gar einem Biest, gleich! Meine Herren, so heben Sie sich vom nach Pisswasser duftenden Pöbel ab – vertrauen Sie mir, ich halte den Ruf eines Connaisseurs inne! Das olfaktorische Paradies – zum Kaufen nahe – für lächerliche 140 Groschen!“. Die Herren tuschelten untereinander – das war ein halber Monatssalär. Just darauf legten sie dennoch ihre Groschen zusammen und kauften sich eine Flasche, die sie sich teilen würden. Der Rothaarige enthielt sich: „Herr, darf ich eine Probeabfüllung bekommen?“ – „Natürlich! Obacht allerdings – dieses Wasser entfaltet seine Eleganz nur unmittelbar aus der Flasche. Schauen Sie sich diesen hochwertigen und wuchtigen Flakon an! Damit…“ – „Verzeiht, ich habe keine Verwendung für tödliche Wurfgeschosse, lediglich Duftwasser.“ – „Nun gut, bitte sehr – das macht 5 Groschen!“.

Am nächsten Tag kam der Rothaarige auf de Marly zu: „Herr, gestern hatte ich die Möglichkeit, Ihr vermeintliches Wunderwasser zu testen. Nach Ihrem verheißungsvollen Vortrag, hatte ich weitaus mehr erwartet.

Layton startet fruchtig-frisch und leicht süß – ein knackiger grüner Apfel, der sich mit Bergamotte vereint, und von leicht würzigem Lavendel umschlungen wird. Der Beginn ist gewöhnungsbedürftig, da es flüchtig medizinisch riecht, wie ein Drops aus der Apotheke – Minze? Das legt sich zum Glück jäh. Was das Herz angeht: dieses hat Layton nicht – in zweierlei Hinsicht. Florale Noten sind Mangelware. Sollte ich ein vermeintliches Bouquet übersehen haben, muss es ganz tief im Zahnschmelz zerstörenden Zuckersumpf, den die Basis darstellt, zu finden sein. Gelegentlich scherze ich gerne, meine Zähne sind offenkundig nicht von Karies befallen. Doch dahin geht die verhängnisvolle süße Reise, nachdem sich die Kopfnote nach grob zwei Stunden ausklinkt. Strikt linear verweilt der Duft für die restliche Zeit von einem Viertel eines Tages in der fast schon gourmandig wirkenden cremigen Basis aus Karamell-Vanille, Akzente grünen Apfels und holzigen Noten, allen voran süßes Sandelholz. Zuweilen bekommt man den Eindruck von karamellisierten Kaffee. Kardamom und Pfeffer ziehen vermutlich im Hintergrund die Würzfäden. Sie sind die schmucklosen Superhelden, welche das sonst dominierende Dextrosescheusal bekämpfen. Lakonisch und pointiert: Zuckerwasser im Holzfass.

Wissen Sie, zwei Monate lebte ich in Suessland. Damals hätte mir Layton womöglich gefallen, in Herbien hingegen ist man anderes gewohnt. Mir dünkt, Sie ließen sich von den erfolgreichsten Dufttinkturen aus der jüngsten Vergangenheit von Suessland inspirieren und vermengten diese zu einem profanen Potpourri. Anschließend gaben Sie dieses als gediegen und exklusiv aus. Im Ergebnis nicht mehr als nett.“ – „Werter Herr, bei allem Respekt für Ihre Meinung, doch mit Ihrer Aussage haben Sie sich als offenkundiger Duftbanause enttarnt. Ihre Ansicht ändert keine Tatsachen, egal ob in Herbien oder Suessland. Erkennen Sie meine glorreiche Wundertinktur nicht als solche an, sind Sie von allen Duftgöttern verlassen. Sie wissen sicherlich – Zeit ist Geld und das schwindet mir mit jeder Sekunde, die ich mit einem Hinterwälder wie Ihnen verbringe.“. Der Rothaarige grinste verschmitzt, diese Reaktion hatte er erwartet. Ohne eine Antwort abzuwarten, fragte er abschließend: „Und von wem haben Sie Ihre Meinung?“.

Später kamen die anderen Herbianer vom Vortag auf de Marly zu und stellten diesen zur Rede, da das Wasser nicht wie versprochen exquisit und ritterlich roch. Einer verlangte den Kaufpreis zurück – de Marly blieb stur und schwatzte ausschweifende Ausreden. Als die Situation zu eskalieren drohte, da ein Herbianer eine Mistgabel holte, um den Scharlatan zu lynchen, schwang de Marly sich auf seinen Gaul und flüchtete ins nächste Dorf. In ganz Herbien hörte man noch von seinen Eskapaden – vergleichbare Situationen spielten sich vielerorts ab. Nach einem halben Jahr verlautbarten Gerüchte, dass er zurück nach Suessland geflohen war – wo sein treuer Kundenstamm ihn mit spontan aufspringenden Brieftaschen bereitwillig begrüßte. Man hörte nie wieder vom Süßholz raspelnden und Salto schwingenden Zuckerwasserkasper.

Passende Musik: Harry Enfield - Loadsamoney
51 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 53 37
10
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Sturm der Emanzipation
Habanita – zu Deutsch etwa „kleines Havanna, die Essenz von Havanna“, der Verkaufsschlager aus dem Hause Molinard. Die Urversion erschien 1921 und wurde von einem bis heute nicht weiter als „Herr Boucanier“ bekannten Pharmazeutiker geschaffen. Im Laufe von mittlerweile einem Jahrhundert wurde das Parfum mehrmals reformuliert. Was zeichnet dieses Wasser aus, dass es weiterhin produziert wird und Menschen weltweit begeistert?

René Lalique, „einer der bekanntesten Schmuck- und Glaskünstler des Art Déco“, hat den ursprünglichen schwarzen Flakon kreiert und nannte sein Werk schlicht „Schönheit“. Der 1988er Flakon ist daran angelehnt und wird von goldenen Schriftzügen und nackten Nymphen auf gesondertem Fries geziert. Farbsymbolik: Schwarz: Eleganz, Modernität – Gold: Freiheit, Abenteuerlust. Ein Blick auf den Flakon verrät, was die Intention des Dufts ist und für welche Anlässe sich dieser eignet – Golfen, Briefmarken sortieren und Kindergeburtstage gehören nicht dazu.

Grob kategorisieren kann man Habanita als orientalischen Leder-Chypre. Hierbei handelt es sich um einen fein ineinander verwobenen Duftcocktail, der laut Aussage von Molinard in seiner Urversion aus über 600 Rohstoffen zusammengesetzt war. Werde ich diese einzeln aufschlüsseln? Bestimmt nicht. Habanita ist ein leidenschaftlicher Sturm, der alle beinhalteten Duftstoffe gnadenlos mitreißt – Gewürze, Blumen, Kräuter und Hölzer warten wirbelnd in der Dunkelheit auf den Augenblick, sich an die Haut zu krallen.

Der Sturm zieht herb würzig herauf, tost lautstark und wird im Verlauf ruhiger. Fruchtige Schüchternheit blitzt spontan auf; irgendwo sausen auch Blumen mit, die den Sturm etwas aufhellen und ihn nicht ins Finstere abdriften lassen. All das wird anschließend von holzigen Akkorden, rauchig-pudrigen Nuancen und Leder umschlungen – bis zuletzt steht ein trockener Vanilleturm im Auge des Sturms. Wie ein richtiger Sturm, ist der Duft nie wirklich greifbar, da er stets in Bewegung ist. Habanita ist jedoch keineswegs aufdringlich, dass sie einen förmlich wegfegt, sondern immer stilvoll und ansprechend – wie ein gefühlvoller Blick, der ohne Worte alles offenbart. In Summe eine warme, sinnliche und elegante fein austarierte Melange, die seinesgleichen sucht. Wer den Duftverlauf genauer kennenlernen möchte, wird fündig im Kommentar von Serenissima.

Habanita trägt sich ausgezeichnet auf Männerhaut. Verblüfft? Ich auch! Im Vergleich zu „klassischen Damenparfüms“ tendiert Habanita für mich nie exklusiv in eine genderspezifische Richtung. Vergleichbares schaffen nur wenige ausgewählte Vintagedamen wie z. B. Bandit, Cabochard, Tabac Blond oder Shalimar. Habanita vollführt eine perfekte Symbiose aus femininen und maskulinen Attributen, dadurch wird sie zur olfaktorischen Bereicherung für alle: Zweiklang im Einklang.

In den 1920er galt es als chic und modern zu rauchen – kosmopolitische Frauen griffen folglich zur Zigarette. Habanita war ursprünglich zur Beduftung von Zigaretten gedacht. So konnte man Zigarettenschachteln mit kleinen Duftsäckchen ausstatten oder Zigaretten mit der Flüssigkeit direkt beträufeln; das sollte den Geruch des Qualms kaschieren. Ironisch, dass man dafür einen Duft wählte, der mitunter rauchig roch. Der erstklassige Duft fand so großen Anklang, dass man ihn zunächst als Seife und anschließend als Parfüm für Frauen vermarktete. 1924, wenige Jahre nach dem Ende der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wollte man die dunkle Zeit vergessen und genoss das Leben – es war eine Zeit des ausgelassenen Feierns und der grenzenlosen Freiheit. Frauen begannen aus den Fesseln der traditionellen Geschlechterrolle auszubrechen und nahmen mehr als je zuvor am gesellschaftlichen Leben teil: der sukzessive Beginn der zweiten Welle der Frauenbewegung Mitter der 1940er. Habanita ist ein Produkt dieses Zeitgeists und vermittelt diesen in Perfektion.

Habanita ist kein süßes Mauerblümchen, das träumend im Turm auf die Rettung durch einen Prinzen wartet; sie ist kühn und erkämpft sich ihre Freiheit selbst, macht keine Gefangenen und ergreift im Sturm alles, wonach es ihr verlangt – sie ist selbstbewusst, unabhängig, charakterstark und ambitioniert: Habanita verkörpert die weibliche Emanzipation.

Passender Musik: Rodrigo y Gabriela – Hanuman
Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
Vielen Dank an Cappellusman für die stürmische Bekanntschaft!
37 Antworten
Foxear vor 3 Jahren 100 52
10
Flakon
9
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10
Haltbarkeit
10
Duft
Anderssein ist Persönlichkeit
Wie lange bin ich schon hier? Tage? Jahre? Gefühlt sind 100 Leben an mir vorbeigezogen – nach der Schule wollte ich Theologie studieren, nun verharre ich in der Hölle. Über mir strahlt hämisch die Sonne – zum Sterben schön.

Donnernder Artilleriebeschuss erschallt und holt mich zurück in die Gegenwart. Das Trillern von Pfeifen ertönt, der Befehl zum Angriff. Aus dem Schützengraben heraus stürme ich mit meinem treusten Freund in beiden Händen in den rauchigen Nebel aus Leid und Verderben. Dicht neben mir wird der Boden durch einschlagende Geschosse emporgehoben – hinter mir das anpeitschende Trommelfeuer der befreundeten MG-Schützen. Entzündetes Schießpulver, süßer Blutdunst und der Geruch durch die Luft geschleuderter Möhrensamen, aus den Versorgungstaschen krepierter Pferde, wabern drückend in der Atmosphäre. Infernalisches Chaos, welches den gesunden Menschenverstand sprengt. Degradiert zu dem, was wir im Grunde sind: Tiere.

„Vorwärts, weiter, weiter – nicht zurückfallen!“ höre ich meinen Zugführer lauthals brüllen. Mehr meinen Instinkten als seinem Befehl folgend, eile ich voran – derweil um mich herum der Boden hochgeht und Funken aus Zeus Donnerkeil an mir vorbeisausen. Tief verwurzelte Blüten steigen angetrieben durch die Druckwellen der einschlagenden Geschosse empor und finden noch vor mir ihren Weg in die ewigen Jagdgründe. Indes lacht die Sonne weiterhin gleichgültig ob der Geschehnisse.

Als sich mir die erste Möglichkeit auftut, den Feind ins Visier zu nehmen, überkommt mich ein kalter Taumel und ich falle auf die von Tonkabohnen gesäumte Erde, welche mich voller Vergnügen vollends verschlingt. (Inspiriert durch „Im Westen nichts Neues“)

… Keine Angst, ins Gras beißen muss hier keiner – die gewaltige und bestialische Rohheit hingegen teilt der Duft mit der Erzählung. Dieser kommt nämlich wie ein Artilleriegeschoss auf die Haut geflogen. Dunkler Rauch und dreckige Gewürze explodieren beim Aufprall in unmittelbarer Nähe: „Gestatten, Andy Tauer mein Name. Kennen wir uns? Nein? Jetzt schon!“. Die Duftnoten sind komplex ineinander verwoben und schwer zu beschreiben. Ein chaotischer und zugleich harmonischer Geruch der rauchig und ledrig sowie leicht süß riecht. Zur Veranschaulichung: Lederlappen auf brennenden Autoreifen mit einem Klecks Amber überzogen. Es klingt grotesk, ist aber genial.

Im Verlauf verliert der Duft an Rohheit und wird dadurch tragbar(er). Es bleibt weiterhin warm ledrig und etwas Verruchtheit schwingt mit. Die rauchige Basis ist omnipräsent, sie bildet das Fundament, auf dem sich das olfaktorische Gefecht abspielt – wenn auch nicht besonders auffällig. Im Gegensatz zum aggressiven Auftakt mutet der Duft fortwährend heller und weicher an, womöglich durch florale Noten oder ein Durchschimmern der süßen Basis zu begründen. Abklingen tut der Duft cremig süß, möglicherweise auf ein Zusammenspiel aus Myrrhe, Tonka und Sandelholz zurückzuführen. Das war mein stümperhafter Versuch, das Geschehene in Worte zu fassen; eine ausgefeilte Duftbeschreibung indes findet man im Kommentar von Chizza.

Lonestar Memories ist abstrakt und facettenreich. Realistisch gesehen öffentlich untragbar; zu opulent, zu kantig – bei Außenstehenden stößt man vermutlich auf Unverständnis und Ablehnung. Trotzdem: ich würde ihn jederzeit tragen. Dem Duft wohnt ein Charakter inne, der viele Wesenszüge hat. Ambivalent zwischen brutal und gefühlvoll, finster und hell, böse und barmherzig, traurig und glücklich, hasserfüllt und liebend. Anfangs ist er harsch und derb, nur um sich später für seine aufbrausende Art mit einer innigen Umarmung zu entschuldigen. Seine Persönlichkeit hat Risse, doch erst dadurch kann das Licht hineinscheinen: das macht ihn menschlich. Was Andy Tauer hiermit gelungen ist? Ein olfaktorisches Kunstwerk.

Passende Musik: Cthulhu Rise – Opus 22
Vielen Dank an Unruh für dieses liebvolle Viech von einem Duft!

Wissenswert: 2014 versuchte sich die norwegische Chemikerin Sissel Tolaas tatsächlich an einen Duft, welcher den Geruch der Schlachtfelder aus dem 1. Weltkrieg nachahmen sollte. Ein Geruch von „grausam unentrinnbarem hundertfachem Dahinvegetieren, Siechen und Sterben.“. Diesen Duft kann man in der Dauerausstellung zum 1. Weltkrieg des historischen Militärmuseums in Dresden erfahren.
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Foxear vor 3 Jahren 70 42
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Duft
Auf Umwegen zur innigen Männerfreundschaft
Antaeus – zu Deutsch etwa „ich trete entgegen, ich begegne“. Benannt nach Antaios, einem griechischen Halbgott. Er zwang vorbeiziehende Reisende immer zu einem Kampf heraus, welchen er stets gewann. Für seinen Vater Poseidon fertige er einen Tempel aus den Schädeln der Unterlegenen. Ich müsste nur den Zerstäuber betätigen, damit sein Kampfgeist aus dem schwarzen Turm entspringt und mich zum Duell fordert – war ich dieser Begegnung gewachsen?

Antaeus erschien 1981 – gerade im Herrenbereich eine Zeit geprägt von verschwenderischer Opulenz und komplexer Düfte. Anfangs strotzt der Duft vor Potenz: wild und bissig stürzt er sich auf die Haut. Bereits hier zeigt sich, ob man seiner Gewürzkeule gewachsen ist. Im Verlauf wird er sanfter, lieblich florale Noten tun sich auf, werden allerdings von der Basis aus Bibergeil und Patchouli überschattet – im Gesamtbild ergibt sich eine trocken würzige Ledernote. Verabschieden tut er sich würzig grün – ohne Patch und Moos nix los! Aus dem Duftnotencocktail ergibt sich ein herber, warmer und facettenreicher Chypre der besonderen Art. Die vorhandene Animalik wird dezent dosiert, die Krallen wurden fein gestutzt – elegant und alltagstauglich. Wenig verwunderlich, dass er Anfang der 80er ein enormer Kassenschlager war.

Vergleicht man die Flakons von Antaeus und Pour Monsieur (1955), sind beide formidentisch. Rechteckige, schlanke Wolkenkratzer. Der Flakon von Pour Monsieur ist klar, hell und vermittelt Heiterkeit sowie Lebensfreude. Antaeus hingegen ist dunkel und undurchsichtig– ein geheimnisvoller Halbgott, der gefangen in seinem finsteren Turm seinen nächsten Herausforderer erwartet.

Antaeus kam zufällig zu Beginn meiner Parfumbegeisterung im Vintage Gewand in meine Hände. Erstmalig testete ich ihn im Januar auf der Arbeit. Noch heute, fast vier Monate später, erinnere ich mich gut daran. Er war knarzig, abstrakt, schwer zu greifen und lächerlich präsent – als wollte er mich von der Arbeit abhalten. Abends bewertete ich ihn auf Parfumo mit 5 von 10 möglichen Punkten- ich hatte die erste Begegnung gegen ihn verloren, mein Kopf indes zierte nicht den Tempel von Poseidon. Womöglich war das zu komplex für meine damals jungfräuliche Nase. Nachdem ich anschließend Starthilfe für klassische (Herren-) Düfte bekam und mich in alles verliebte, was mindestens eine Dekade älter als ich war, erinnerte ich mich an den griechischen Halbgott, der noch wartend im Regal lag.

Nun, da meine Brust meterlange Brusthaare zierten, ich kiloweise Goldketten um meinen Hals trug, Kouros zum Gottesdienst auflegte, bei süßen Düften sofort Schnappatmung bekam, Bären als Sparringspartner in der Freizeit hatte und nebenbei mit den Tampa Bay Buccaneers den Super Bowl gewann, fühlte ich mich Manns genug für meine nächste Begegnung mit dem griechischen Griesgram.

… Unversehens stand ich in einem Wald und das Wasser aus dem Zerstäuber formte sich zu einer menschlichen Gestalt. Da stand er vor mir – der griechische Riese – halbnackt und muskelbepackt, einzig mit einem Lendenschurz aus Leder bestückt. Hämisch grinste er mich an, verlor kein einziges Wort und stürmte sogleich auf mich los. Er packte mich am Hals, wollte mir den Kehlkopf eindrücken- doch ich leistete Gegenwehr. Ich riss seine Arme von mir ab und wuchtete ihn mit meinem gesamten Körper gen Boden. Im Fall sah ich flüchtig sein sinisteres Grinsen aufblitzen- er schien das bevorstehende Scharmützel voller Passion zu begrüßen.

Es folgte ein stundenlanges Raufen um Leben und Tod, aus dem kein eindeutiger Sieger hervorging. Als sich die Sonne verabschiedete, schallte noch immer das Kampfgeschrei zweier Todgeweihter durch die finstere Nacht. Wir beide waren vollkommen adrenalingeladen, brodelndes Blut rauschte angetrieben von donnernden Herzschlägen durch die filigranen Kapillaren unserer lebhaften Leiber – ob der körperlichen Anstrengung waren wir beide restlos erschöpft und verschwitzt, das Geplänkel jedoch zog sich fort. Uns beiden schwand fortwährend die Kraft, diesen frenetischen Todesreigen ewig fortzuführen.

Bis zuletzt wollte keiner von uns die Niederlage eingestehen- als sich abrupt etwas Sonderbares ereignete. Überraschend unterbrach ein hervorhuschender Biber unser Ballett des Todes und machte mit einem Geräusch auf sich aufmerksam. Als der griechische Halbgott diesen bemerkte, begann er spontan laut schallend zu lachen. Erschöpft und entkräftet saß er sich auf den bemoosten Waldboden neben den Biber. Zunächst war ich perplex – einen Augenblick später fing auch ich laut zu lachen an und ließ mich entkräftet zu Boden sinken. Erste Sonnenstrahlen küssten unsere verschwitzten und vom Kampf gezeichneten Leiber, während Antaios mit glasklaren Augen tief in meine Seele blickte – blitzartig manifestierte sich in mir die Gewissheit, dass zwischen uns eine lebenslange innige Männerfreundschaft aufblühen würde.

Passende Musik: Ton Steine Scherben – Heut‘ Nacht
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