FvSpee

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316 - 320 von 323
FvSpee vor 7 Jahren 19 7
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Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
8.5
Duft
Pro Valeria - Eine Verteidigungsrede
Herr Prätor, hohe Richter, hört mich an!

Der edle Name, den Valeria trägt, uralt aus römischem Geschlecht,
schützt sie vor Schmähung und Verspottung nicht.
Wär es nur blanker Hass, Verachtung auch, was ihr entgegenschlüge,
so wollte man es dulden mit Gelassenheit,
wär doch solch offner Abscheu Zeichen jedenfalls von Achtung!

Nicht aber kann ich's tragen, wenn mit gift'gem Pfeil der Nachsicht,
der falschen, man sie straft und sie medioker nennt.
Odeberlinus und Alpicius Magnus immerhin,
wenn auch von wirklicher Begeist'rung frei,
begegnen ihrem Duft noch mit Gewogenheit.

Bertellius indes, Patrizier von Parfumo-Adel,
und auch Grenullius, der mit Witz und Scharfsinn manches Urteil sprach,
die nennen sie „recht nett“ und fahren fort, „so duftet auch manch Römer aus der Plebs,
der bei den Duftöl-Händlern, die für hoi polloi ihr Riechwerk mischen,
für wenige Sesterzen sich versorgt.“

Das, hohe Richter, hat Valeria nicht verdient!
Und wenn kein bess'rer Mann sich findt, der für sie spricht,
dann spreche ich für sie, so gut ich kann.

Ich kenne keinen Duft des breiten vulgus, der Valerien ähnelt,
und gäb' es einen: Spräch dies gegen sie? Wohl kaum!
Wie aber duftet sie nun? Dies bezeuge ich:

Es heißt, ihr Duft sei grün und frisch; doch sollten wir dies recht verstehn:
Vom Moos der feuchten Wälder von Germanien hat sie nichts!

Sie duftet nach den Heideflächen des Imperiums,
wie sie im Süden des Italerlandes sich erstrecken,
und auch erstrecken sich in den Provinzen unsres Reichs,
dort wo manch kampferprobter Legionär sich niederließ,
zum Eh'weib nehmend eine schöne Keltin oder Dakerin.

Die buschbewachsnen, trock'nen Macchien Galliens,
die kargen, kräuterreichen Weiden Lusitaniens,
die endlos weiten, menschenarmen Wiesen Moesiens,
und auch die Fluren in Britanniens Norden, wo die Skoten siedeln.

An diesen Orten wächst ein zähes Buschwerk,
vom Harn der wollereichen Schafe wohl gedüngt,
nicht üppig, prächtig, feuchtwarm wie das Grün des Nils Ägyptens,
tief wurzelnd aber, stark und lebenskräftig,
durchsetzt von manchem Heilkraut und von schlichten Blumen.

Das ist Valerias Duft! Und doch ist er's nicht ganz:
Hinzu tritt eine Süße, wie sie Römern ziemt,
nicht schwülstig wie Arabiens und Persiens Wollust,
nein, eher herb, wie guter würz'ger Honig,
wie trock'ner Wein auch, den mit Harz ein Grieche hat vermischt.

Ein Duft, der seinen Träger dauerhaft begleitet,
bei Aufgang angelegt, ist er beim Sonnenuntergang noch kräftig.
Ein Duft, der einer Senatorengattin steht und einer klugen Sklavin,
der einen Redner auf dem Forum schmückt und einen Kämpfer.

Wer aber allzu jung ist, gänzlich frei von Sorgen,
nur heitere Zerstreuung liebt und leeres Tändeln,
der meide diesen Duft!

Das ist Valeria! Wer sie kränkt, der beleidigt Rom!
7 Antworten
FvSpee vor 7 Jahren 20 5
6
Flakon
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Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Aus der Orangenbranche II - Im Zentrum der Astral-Apfelsine
Zitrische Düfte im Allgemeinen und orangige im Besonderen mag ich gerne, auch wenn sie ihre inhärenten Schwächen haben (namentlich die Flüchtigkeit), nicht gerade geheimnisvoll, tiefgründig oder gar erotisierend daherkommen, und nicht für jede Gelegenheit geeignet sind. Der konkrete Anlass für mich, diesen Duft auszuprobieren, war indes der, dass ich zuvor "Classic Orange" von "von Eusersdorff" versucht hatte, ein schöner Duft, der aber nicht "straight orange" ist und mit dem ich mich dann auch letztlich nicht 100% anfreunden konnte. Also wollte ich mal prüfen, was Harry Lehmann zum Thema beizutragen hat. Das Ergebnis fällt sowohl in puncto "klassisch-rein-orangig" als auch in puncto "gefällt mir" eindeutig zu gunsten von Harrys Orange aus, die, bezogen auf eine 10 ml-Portion, zudem nur 20% des anderen Duftes kostet.

Es handelt sich bei diesem Duft chemisch-kompositorisch gesehen nicht um einen "reinen" Orangenduft, wie sich bereits daraus ergibt, dass auf der Zutatenliste des Flakons auch andere Inhaltsstoffe, u.a. Anis, angegeben sind. Ich habe zudem die Verkäuferin gefragt, die (gewohnt freundlich, aber ohne Umschweife zum Punkt kommend) meinte "nee, n bisschen Chemie ist da schon auch drin".

Sensorisch ist es allerdings ein reiner Orangenduft, ich möchte sagen, reiner könnte er eigentlich gar nicht sein. Oder sogar: Er ist noch orangiger als Orange. Ab und zu hat man wirklich den Eindruck, gerade so zu riechen, als ob man mit den Fingern eine Frucht geschält hätte, aber vorherrschend ist für mich eher die Vision, mich im Zentrum einer unglaublich netten Astral-Apfelsine aus Licht und Energie zu bewegen. Magisch!

Klar ist das kein "komplexer" Duft (soll er ja auch nicht sein), aber eine gewisse Entwicklung meine ich trotzdem auszumachen: Ganz am Anfang, so die ersten 15 Minuten, riecht die Orange ziemlich zitronig (Statement aus meinem Haushalt - "hat hier jemand Zitronenöl verschüttet?" - so stark zitronig fand ich es aber nicht), und nach etwa 2 Stunden dreht die bis dahin hellorange Frucht eindeutig ins blutorangige. Zeitweise enorm blutorangig, was ich umso interessanter finde, als bei "Classic Orange" Blutorange ausdrücklich als Duftrichtung/Inhaltsstoff angegeben wird, ich es dort aber gar nicht rausschnuppern konnte.

Die Sillage ist natürlich, vor den ersten Minuten abgesehen, kein Brüller, aber die Haltbarkeit finde ich für einen zitrischen Duft schon enorm (auch hier: Berlin bleibt Sieger im Vergleich mit dem edlen New Yorker Konkurrenten). Auch nach 6-7 Stunden stiegen mir immer mal wieder kleine Orangen-Wölkchen in die Nase.

Summa summarum: Das ist bis auf weiteres für mich DER Orangen-Referenzduft, ich vermute, ich werde lange darauf warten müssen, bis ich (wenn überhaupt), einen schöneren finde. Und ich möchte behaupten: Wer nicht gerade ein eingeschworener Zitrushasser ist, der wird diesen Duft schön finden: Entweder richtig toll, oder nur "nett", aber niemals unangenehm.

Zusatz: Ich habe bis dahin noch nie Parfums gemischt oder gelayert, habe mit diesem Duft aber mal einen ersten Versuch gemacht. Man liest ja überall, man könne mit den Harry-Lehmann-Düften so gut mischen, und da die Orange natürlich ein wenig eindimensional ist und andererseits das HL-Sandelholz in meinem Schrank mir für sich alleine etwas zu krass ist. Orangen wachsen ja auch auf Bäumen, also kann Holz mit Orange ja nicht verkehrt sein. Also 2 Sprüher Sandelholz als Grundlage und dann 3-4 Sprüher Orange obendrauf. Geht durchaus! Am Anfang standen die Düfte ein bisschen nebeneinander als ob sie sich nicht kennen, aber so nach 30 min schienen sie sich verbunden zu haben; dem Sandelholz wird die stechende Aggressivität genommen und die Orange scheint an Tiefe zu gewinnen. Vielleicht experimentiere ich da noch weiter...
5 Antworten
FvSpee vor 7 Jahren 9 4
8
Flakon
4
Sillage
6
Haltbarkeit
8
Duft
Aus der Orangenbranche I (gesprüht und nicht getupft)
Vor kurzem spazierte ich durch Maastricht (ohne spezielle Duft-Kaufabsicht), als ich im kleinen Schaufenster eines sympathischen Eckladens am Sint Amorsplein eine ganze Batterie schlichter Parfumflakons erblickte, die allesamt schlichte Namen wie "Classiv Vetiver" und "Classic Patchouli" trugen. Die Marke "von Eusersdorff", deren Komplettsortiment hier ausgebreitet war (der Laden führt auch nur diese Marke, soweit ich das sah, ansonsten nur Schmuck) kannte ich bis dahin noch nicht; dieses New Yorker Label ist wohl auch noch unter 10 Jahre jung.

Neugierig geworden trat ich ein und ließ mir von dem ausgesprochen freundlichen, sich Zeit nehmenden und kenntnisreichen Verkäufer (anscheinend der Eigentümer, seine Kundenfreundlichkeit stellte er noch später, als hier nicht weiter belangvolle Komplikationen auftauchten, unter Beweis) einige Düfte vorstellen, wobei mich von Anfang an "Classic Orange" am meisten interessierte, mag ich doch zitrische Noten im Allgemeinen und Apfelsiniges im Besonderen sehr gern (ein alter Freund von mir würde dazu sagen, ich sei "aus der Orangenbranche", die Nasale dabei übertrieben betonen und sich köstlich amüsieren).

Beim Aufsprühen wirbelt sofort ein extrafrischer Mandarinenschauer um die Geruchsnerven herum; im Anschluss entfaltet und entwickelt der Duft sich langsamer und stetiger. Natürlich steht im Vordergrund und im Zentrum die Orange, und die ist auch schön orangenrund gelungen. Gegen das sommerlich-frisch-kühl-orangige spielt aber immer wieder, und auch gar nicht so ganz bescheiden und zurückhaltend, etwas helles, warmes oder gar wärmendes an; vermutlich ist es das, was einige Parfumos an Vanilleeis oder Sonnencreme erinnert, mir kamen auch Mandeln in den Sinn. Wenn ich eine feinere Nase hätte, hätte ich sicher auch mehr als die bloße herbale und florale Ahnung wahrnehmen können, die ich so leider nur vermelden kann.

Vor die Alternative des 100 ml-Flakons für doch recht stolze 125 Euro und der 10-ml-Miniflasche für 25,50 Euro gestellt, entschied ich mich erst mal für die kleine Ausgabe, die allerdings über keinen Sprühmechanismus verfügt. Leichtsinnig sagte ich mir, dann mache ich eben analog zu 007 einen auf "getupft, nicht gesprüht" und trug "Classic Orange" zwei Tage lang mit der Fingerspitze aufs Gesicht und den Unterarm getupft. Dies führte allerdings nicht nur zum völligen Verschwinden des witzigen Mandarinenschocks zu Beginn, sondern auch zu einem massiv veränderten, aus meiner Sicht deutlich nachteiligen Gesamt-Dufteindruck. Die Orange ertrinkt bei dieser Anwendungsform wenig in der dann zu sehr dominierenden, nenne wir es mal, Vanillesauce.

Zurück im heimatlichen Berlin also zu Harry Lehmann und einen 10-ml-Leer-Sprühflakon gekauft (und bei der Gelegenheit noch eine HL-"Orange" zum Vergleich erstanden; die werde ich dann vielleicht später mal kommentieren), den "von Eu" in die "HL"-Flasche umgefüllt (sogar das kleine Etikett kann man ablösen und übertragen) und schön ist das sehr viel schönere Sprüherlebnis (incl. Mandarine) wieder da.

Wenn ich doch keine absoluten Bestnoten gebe, dann aus zwei Gründen: Erstens bin ich mit diesem Mit- oder Gegeneinander von Orange einerseits und der mandelig-vanillig-cremigen Unterlage dann doch nicht 100% glücklich. Es ist schön, aber keine perfekte Harmonie. Zweitens, und für mich gravierender: Die Haltbarkeit und insbesondere die Sillage ist jedenfalls auf meiner Haut ein absoluter Tiefschlag. Mein Schal hat zwar noch nach 24 Stunden danach gerochen und meine Frau meinte, sie nehme das Parfum durchaus noch nach 10 Stunden an mir, aber für mich selbst wird es auch bei großzügiger Dosierung schon nach 2 Stunden sehr leise und nach allerhöchstens 5 Stunden ist's aus mit der Apfelsine.

Um aber nicht mit Genöle zu schließen: Trotz allem - ein schöner Orangenduft!
4 Antworten
FvSpee vor 7 Jahren 14 6
8
Flakon
4
Sillage
5
Haltbarkeit
7
Duft
Der Etikettenschwindler
Zuerst mal muss ich klarstellen: "Gentlemen only" ist aus meiner Sicht durchaus kein übler Duft. Ein Totalverriss wäre meinerseits auch ziemlich gewagt, immerhin hab ich ihn mir, ohne dass es ein Blindkauf war, freiwillig zugelegt, und immerhin benutze ich ihn relativ häufig. Am Ende des Kommentars werde ich auf diese Punkte noch einmal zurückkommen.

Der Duft wird in einer Zeit, in der unisex-Düfte von der Ausnahme zur Regel werden, als (reiner) Herrenduft vermarktet, und dies wird durch den Namen noch unterstrichen, es soll also ein Duft für Männer (men) sein, und zwar nicht für alle, sondern nur für Gentlemen, und auch ganz dezidiert nur für diese (only). Dazu noch heißt es, Givenchy wolle mit dem Duft eher jüngere Kunden ansprechen. Ich meine allerdings, dass der Name und das damit verbundene olfaktorische Versprechen rein gar nichts mit dem Duft zu tun haben.

Es beginnt mit dem optischen Eindruck: Im schlichten, durchaus ansprechenden transparenten Glasflakon zeigt sich das Duftwasser in einem äußerst blassen Fliederton. Der Duft selbst wird für meine Nase dominiert von einer Grund-Süße, die auf dem Patchouli beruhen mag, das in der Herznote vorhanden sein soll (ich kenn mich mit Patchouli nicht aus, pardon), die aber auch etwas gar nicht per se unangenehm Synthetisches hat. Um diese Süße herum spielen diverse andere Noten, die für mich zwischen herbal und mild-seifig spielen, bei einer insgesamt eher deutlichen Duftentwicklung; auch für eine wenig geschulte Nase wie meine riecht GO zwei Stunden nach dem Auftragen schon sehr signifikant anders als frisch aus dem Sprüher. Außer in der ersten halben, dreiviertel Stunde ist die Sillage sehr dünn, nach etwa 5-6 Stunden bricht trotz recht großzügiger Dosierung beim Auftragen und obwohl bei mir viele Düfte 12 Stunden und mehr halten, der letzte Rest von Wohlgeruch zusammen. Mandarine und Weihrauch, die in der Kopf-, respektive Basisnote vorhanden sein sollen, zwei Duftrichtungen, die ich beide sehr mag, erschnuppere ich leider gar nicht, was aber an mir liegen mag.

Der Duft erweist sich aus meiner Sicht damit als eher dezent-süßlicher, vielseitiger Allzweckduft, mit dem man niemandem weh tut. Er ist gefällig und freundlich, aber etwas blass und kraftlos; wenn man ihm böse wollte, könnte man ihn gar als etwas leisetreterisch bezeichnen.

Damit aber handelt es sich, wie ich meine, dezidiert nicht um einen "jungen" Duft; er verbreitet nichts von der Lebenskraft und Frische, dem Mut und vielleicht einer gewissen Bereitschaft zur Provokation, die ich mit "Jugend" verbinde. Auch empfinde ich diesen Duft als ganz und gar nicht spezifisch männlich, sondern als absoluten Unisex-Duft; dies in viel höherem Maße als viele als "unisex" angepriesene Düfte (vielleicht könnte man ihn gar "androgyn" nennen).

Und auch mit "Gentleman" (und gar "Gentlemen ONLY") hat "G.O." nichts zu tun. Einen Gentleman macht in meinen Augen gerade auch seine Distinguiertheit aus, nicht nur im Sinne von "vornehm-aristokratisch" (das würde zur Not noch zu dem Duft passen), sondern eben auch im Sinne von "a man of distinction" (hallo Shirley Bessey!). "Ein Mann von Distinktion" ist aber einer, der scharf und treffend zu unterscheiden vermag, und ebenso einer, der sich von anderen ganz natürlich abhebt und unterscheidet, und zwar weniger im Sinne eines Klassenvorurteils, als im Sinne einer selbstbewussten, wenngleich unaufdringlichen Individualität. Demgegenüber ist "G.O." viel zu unauffällig und ohne Ecken und Kanten.

Den Duft habe ich mir zugelegt, als ich vor etwa einem Jahr beschloss, endlich mal etwas gründlicher in die Welt der Düfte einzusteigen. Die beiden ersten Düfte, die ich mir näher ansehen wollte, waren "Caron pour un homme" (habe ich dann auch gekauft und ist immer noch ein Lieblingsduft von mir) und "Gentleman" von Givenchy. Zu letzterem bot mir die Beraterin als Alternative auch "G.O." an, und auf dem Papierstreifen (damals wusste ich noch nicht, dass das nicht viel sagt) gefiel mir "G.O." auch nach 1 Stunde Karenzzeit besser, sodass ich mich für diese Alternative entschied. Aus heutiger Sicht kein klarer Fehlkauf, aber empfehlen würde ich den Duft nicht, da es hunderte und tausende wirklich fantastische Düfte gibt.

Warum benutze ich den Duft trotzdem ziemlich häufig? Erstens, weil meine Frau, die sich leider für 2/3 meiner absoluten Lieblingsdüfte nicht besonders erwärmen kann, ihn recht gern mag, zweitens, weil es eben ein Duft ist, mit dem man garantiert niemand auf die Füße tritt (so eignet er sich für berufliche Gelegenheiten, bei denen man niedriges Profil zeigen will, bestens), und drittens, weil es mein Ausweichduft ist, wenn ich auf keinen meiner Lieblingsdüfte so richtig Lust habe, ich aber auch nicht duftlos in den Tag gehen will. Daher eine gute Auffüllung meiner (kleinen) Sammlung, aber wahrscheinlich kein Grund, G.O. erneut zu kaufen, wenn der Flakon mal leer ist.
6 Antworten
FvSpee vor 7 Jahren 22 6
10
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Einzigartiger Duft - klar, kühl, wach, konzentriert
Über "Kyoto" ist in diesem Forum bereits viel geschrieben worden, auch viel wunderbar Treffendes; und das von feineren Nasen und größeren Stilisten als ich es bin. Natürlich zögere ich unter diesen Umständen, noch Worte hinzuzufügen. Nachdem ich den Duft in den letzten 2 Wochen wieder mehrfach getragen habe und ihn jedesmal wieder unglaublich faszinierend fand, habe ich mich dann doch dazu entschlossen. Immerhin ist der letzte Kommentar auch schon fast ein Jahr alt; und Neulinge hier im Forum sollten ja nicht denken, dass "Kyoto" keine frischen Liebhaber mehr findet.

Ich beginne mit einem Punkt, bei dem ich mich von der Mehrheit der Kommentatoren unterscheide: Die Haltbarkeit. Ich dosiere "Kyoto" eher großzügig (4-5 Sprühstöße an verschiedene Stellen des Kopfes verteilt), was bei diesem kühlen Duft auch ganz zu Beginn durchaus nicht zu Ohnmachtsanfällen in der Umgebung führt. Jedenfalls bei dieser Dosierung ist "Kyoto" bei mir extrem haltbar. Heute habe ich den Duft um 8 Uhr morgens aufgelegt. Nach 6 Stunden habe ich ihn noch sehr deutlich wahrgenommen, nach 11 Stunden bin ich (allerdings bei einer Umarmung) darauf angesprochen worden und jetzt nach 14 Stunden nehme ich ihn immer noch (dezent aber spürbar) selbst wahr. Und ich halte meinen Geruchssinn für eher unterdurchschnittlich entwickelt. Für mich also ein Haltbarkeitswunder und kein in dieser Hinsicht etwas mittelmäßiger Duft, wie einige meinten.

In einem anderen Punkt stimme ich mit vielen anderen Rezensenten wohl eher überein: Der Duft aus meiner Sicht ganz einzigartig. Ich würde ihn, denke ich, aus 1000 Düften sofort wiedererkennen (behaupte ich mal so kühn, ich kenne allerdings keine 1000 Parfums). Aus meiner Sicht eine geniale, kühne, wirklich neue Komposition.

"Kyoto" ist, auch das haben andere schon mit anderen Worten ausgedrückt, ein sehr unkonventionelles Parfum. Es riecht nicht so, wie man es von einem Duftwasser üblicherweise erwartet. Es wird daher gewiss auch Menschen geben, die ihn gar nicht mögen. Ich halte ihn aber dennoch - sofern man ihn selbst liebt und die Menschen der näheren Umgebung ihn jedenfalls nicht hassen - für einen Duft, den man überall und jederzeit tragen kann. Für mich persönlich ist "Kyoto" trotz seines Andersseins eindeutig ein Wohlgeruch. Wenn ich "Kyoto" liebe, dann nicht (vorwiegend) aus intellektueller Freude an der ungewöhnlichen Komposition, sondern (ganz entschieden auch) aus sinnlichem Vergnügen. Andere neuartige gewagte Düfte, die oft im selben Atemzug mit Kyoto genannt werden, überschreiten dagegen meine Belastungsgrenze bereits. "Encre Noir" finde ich etwa fast ebenso gruselig wie das vielleicht ebenfalls ganz entfernt verwandte "Breath of God".

Die einzelnen Duftkomponenten zu beschreiben, übersteigt meine Fähigkeiten bei weitem. Natürlich ist der für die Serie namensgebende Weihrauch deutlich spürbar, allerdings erinnert hier nichts an Kirchenweihrauch; höchst passend zum Namen "Kyoto" wird eher das Bild eines abgebrannten Räucherstäbchens in der metallenen Ascheschale auf einem buddhistischen Altar evoziert. Ein dunkler, kühler Holzgeruch ist zweifellos vorhanden, sogar recht stark; den angeblich vorhandenen Kaffee rieche ich nur, wenn ich nach der Duftnote aktiv mit der Nase suche. Ich meine zudem eine durchaus kräftige (angenehme) metallische Note zu spüren und etwas, was ich spontan als "herbe, wilde, in roher Form wegen der Bitterkeit kaum genießbare Beere / Frucht" beschreiben würde.

Insgesamt entsteht für mich ein ganz einzigartiger, wunderbar ausgewogener, sich über die Zeit leicht wandelnder, aber insgesamt recht linearer Duft, der durch seine Kühle, Klarheit, Frische (aber weder zitrisch, noch seifig, noch aquatisch, noch krautig-waldig) besticht. Auch wenn ich noch nie in Kyoto war: Ein Duft, der zu der Klarheit, Wachheit und Präsenz passt, die man nach empfindet, wenn man im Morgengrauen von einer Nachtmeditation in einem japanischen Zen-Tempel nach Hause zurückkehrt.

Über meine Freude am Flakon und über die Schwierigkeiten, die Düfte der Serie zu erwerben, habe ich in meinem Kommentar zu "Avignon" bereits alles geschrieben.

Möge dieser bescheidene Kommentar dazu beitragen, "Kyoto" neue gute Freunde zu gewinnen und dem einen oder anderen Parfumneuling neue Duftdimensionen zu erschließen, so wie es bei mir der Fall war!
6 Antworten
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