Maurice913

Kalabrien.
Bereits morgens blitzt die Sonne hell durch die Vorhänge unseres kleinen Hotelzimmers. Der Sommer im Süden ist herrlich trocken und erinnert an Kindertage, an denen man von früh bis spät am Strand Sandburgen bauen konnte, Zitroneneis geschlürft hat und sich maximal über den Sand zwischen den Zehen Sorgen gemacht hat. Nicht über irgendwas sonst.
Uns geht's gut. Wir gehen viel zu Fuß, in Sandalen. Anders hälste das nicht aus, hier.
An jeder Ecke Cafés, Menschentrauben, Nonnas, die mit heißem Wasser die Treppenstufen ihres Hauses feudeln, Zitronenbäume. Oregano, getrocknet. Tartufo, Panini und salzige Seeluft.
Das alles schießt mir wie ein Blitz in den Kopf, wenn ich dich auftrage. Meine Erinnerung an diesen einen Urlaub. In dem wir so gut gegessen, so viel gesehen haben. Jetzt wo ich hier sitze und diese Zeilen schreibe, kann ich einzelne Eindrücke wieder ins Gedächtnis rufen, die ich so lang nicht hervorgeholt hab'.
Doch an kalten, grauen Tagen, wenn ich die Erinnerung auf meiner Haut rieche, bin ich für einige Stunden immer mal wieder raus und stehe wieder an der Steilklippe, rieche das Meer, höre die Menschen, die Sprache, rieche Bergamotte, Zitrone und weiß, dass ich nicht auf die Uhr gucken brauche, sondern genießen kann.
All die Details aus dem Urlaub sind mit einem Mal da.
Du bringst mich zurück dorthin, wo ich gewesen bin und die Erinnerung ist präsenter dennje.
Ich danke dir dafür. "Colonia Essenza (Eau de Cologne) | Acqua di Parma"

2007

Seit Wochen schon liegt mein Eastpack in der Ecke neben meinem Schreibtisch. Die 10. Klasse abgeschlossen, das Abschlusszeugnis in der Tasche, das Fachabi steht bevor und auf mich wartet ein Sommer voller Zeltabende, Feten mit reichlich V+, Schöfferhofer Grapefruit und der ein, oder anderen Packung Lucky Strike.

Ich bin 16 und zähle die wenigen ersten Haare in meinem Gesicht namens Pubertätspflaum, für mich aber die ersten sichtbaren Anzeichen weg vom Babyface.

Heut Abend sitzen wir wie oft gemeinsam bei oben genannten „Nahrungsergänzungsmitteln“ und Untermalungsmusik, wahlweise laut und gespickt mit Punk, Rock und Metal. Es wird gegrillt.

Ich kippe meinen Eastpack aus und packe meine besten Bandshirts und das bisschen Kulturbeutel, was ich habe ein und stolper‘ aus der Tür auf mein Holland-Rad.

Frische Batterie in den MP3-Player. 12 km Fahrt zu meinen Freunden hab‘ ich vor mir. Es hat geregnet und der Boden auf den Feldern dampft, weil es heiß ist. Erdiger Geruch liegt in der Luft.
Knirschend radel‘ ich durch den noch feuchten Weg aus Kies-Sand-Gemisch. In der Nähe sind die Rapsfelder saftig und üppig bewachsen.

Aus meinen Kopfhörern schallt „Temple of Love“ von Sisters of Mercy aus dem Jahr 1992.

Mein Sommerlied in diesem Jahr.
Hauptsache ich bin Weg von zu Hause - bin das Radeln gewohnt, so wie alle meine Freunde.
Ich erhöhe das Tempo und die Lautstärke der Musik. Rückenwind, zwischen den Wolken blitzt die Sonne durch. Die Zeit ist perfekt, wenn man nicht mehr auf die Uhr guckt.

Mein letzter Sommer ohne nach vorn zu sehen. Nur auf heute.

Tempo - Temple Of Love - Tagtraum.

"I′m moving, I'm coming - Can you hear what I hear?
It's calling you, my dear - Out of reach (reach)
(Take me to my beach) - I can hear it, calling you I′m coming, not drowning
Swimming closer to you."

(All Saints - Pure Shores - OST)

Würde ich die Rolle des Richard Fischer in dem vielen von uns bekannten Film "The Beach" spielen, würde ich diesen Duft tragen wollen. Egal, ob ich von einem Felsen mehrere Meter ins Wasser springe, oder am Lagerfeuer Sand zwischen den Zehen spüre.
Er verkörpert für mich das, was ich in einen Duft packen würde, wenn er zu diesem Film passen soll. Meer, Salz, Rauch, leicht dunkle Aquatik, verbranntes Holz vom Vorabend.

Für mich ein starker Begleiter an Sommerabenden mit Freunden, wenn wir unsere Zelte eingepackt haben und gemeinsame Stunden verbringen.

Mehr möchte ich zu dem Duft nicht schreiben, weniger ist manchmal Meer.

2011 - Spätsommer

Zwischen Flecktarn, Befehl & Gehorsam und dem, was komprimiert in einen Freitag Abend und Sonntag Mittag passt, sitze noch ich - gerade 20 und diene diesem Land hier. 23 Monate. Freiwillig.

16:30 - Dienstschluss. Donnerstag Abend. Die Sonne, die in mein Fenster scheint tut ihr Übriges, um auf der Stube zu bleiben und statt mit den Kameraden feiern zu gehen, den Rucksack packen vorzuziehen. Wir nennen ihn auch Vize-Freitag. Vielkeicht später noch ins Mannschaftsheim, ein, zwei Stubis trinken.

Dieser Sommer lässt den Winter von 2010 schnell vergessen.

Die Fernbeziehung, die zu Hause wartet, führen hier viele - was hier passiert bleibt unter den Kameraden und wird mit einem anerkennenden Nicken zwischen Schweiß und Zigarettenrauch mit Tequila runtergespült.

Gefreiter Daniel stolpert in die Stube und ist das, was ich in meinem Alter ohne Bartwuchs und mit wenig Muskeln, bewundere. Das Gegenteil. Groß, muskolös, selbstbewusst. Magnetisch für die Welt der Damen.
Dazu hat der Typ sich zu seinem Colgategrinsen jetzt auch noch DEN Duft vom Wehrsold gegönnt und dirket mit Pump in den Armen über sämtliche Gliedmaßen gesprüht.
Da ist die Traube Girls um den Boy ja wohl nicht weit und wir stehen solang an der Garderobe und passen auf die Jacken auf. Für‘n Arsch. Irhendwas macht der Kerl richtig. Aber weißte was? Ich hol‘ mir das Wässerchen auch - und siehe da. Funktioniert auch bei meiner Fernbeziehung. Ganz fantastisch sogar. Hält und wird zu jedem erdenklichen Anlass aufgetragen. So oft, dass er, abgesehen von der Performance, die berauschend, aber kurz ist, dann trotzdem an Bedeutung verliert.
So wie, wenn ich jeden Tag „ich liebe dich“ sage. Der Duft ersetzt das Gesagte eigentlich. Und erscheint selten, aber dann von denen, die man nicht kommen sieht. Die ohne Colgategrinsen, die mit blauen Augen und schüchternem Lächeln.

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2023 - Frühling

Wenn ich heute an Orte fahre, an denen ich als Kind gespielt habe, fühlt es sich nicht so an, wie damals. Obwohl es immer noch die Orte sind.
Aber die Perspektive ist nicht dieselbe.
So ist es mit dem Duft meines Kameraden auch - möge er doch wunderbar sein, aber ich sehe ihn heute anders. Und dich auch.

2010. - Frühjar.

„Geschafft“.

Schnaufend, aber erleichtert packe ich den letzten Karton auf den Stapel voll Kram, der sonst in meinem häuslichen Jugendzimmer stand. Nun nicht mehr.
Der Abgang war ernüchternd genug - aber das zählt jetzt nicht. Heut wird gefeiert.
Selten so glücklich gewesen.
Zwischen Gerümpel und dem gerade auf Pump ergatterten Esszimmertisch schmeckt die „Ristorante“, die meine Vormieterin mir aus Nettigkeit übrig gelassen hat, aus dem Froster so gut, wie pure Freiheit. Es ist Freitag.

Draußen riecht es nach dem ersten gemähtem Gras dieses Jahr und die Fledermäuse flattern wild um das Haus herum. Hauptsache mein Bett ist bezogen, wenn ich später betrunken rein falle. Den Rest mach‘ ich morgen. Oder danach. Meine Jungs warten in unserer Version des „MacLaren‘s“ aus meiner Lieblings-Sitcom mit einem Pitcher Bier und Zigaretten.
Duschen. Anziehen. Raus!

Mein Jahrespraktikum bringt lausiges Geld im Monat, aber Geld.
Über seine Verhältnisse leben bedeutet für mich mit 19, am Anfang des Monats Bleu de Chanel zu kaufen und es mit meinem 20€ Filzmantel und gestriegeltem Haar zu kombinieren und die restlichen drei Wochen zu priorisieren, ob ich rauchen oder essen will.
Es riecht zu gut, als vernünftig zu sein und drauf zu sparen.
Mit 19 ist man vieles - aber vernünftig?

Egal - es funktioniert.
Die paar Plörren, die ich habe, stützen mich und verdrängen den faden Beigeschmack der vergangenen Monate - da kommt der 50 ml schwere, dunkelblaue Edelstein mir fast absurd vor - ich fühle mich reich damit. - bis hier hab‘ ich‘s geschafft. Jacke zu, Kragen hoch. Zigarette an, erster Zug.
Jetzt muss ich nur noch auspacken.