MonsieurTest

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MonsieurTest vor 3 Jahren 45 33
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Duft
Der weiche Duft der Diktaturen
1933 war ein gutes Jahr. Einen so irrsinnigen Satz kann nur ein Parfumo denken, schreiben und publizieren. Und er kann dies, so er moralisch zurechnungsfähig ist, nur aus parfumhistorischer Sicht meinen. 1933 erschien nicht nur dieser wunderbar weiche, mild würzige Lederduft. In dem Jahr, in dessen Januar die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen, erblickten in Paris Guerlains ‚Sous le Vent‘ und ‚Vol de Nuit‘, Carons ‚Fleur de Rocaille‘, Houbigants ‚Présence‘, Lanvins ‚Scandal‘ zudem 'Divine Folie' von Patou und ‚Secret de Venus‘ von Weil das düstere Licht oder näherhin: die Nasen der Welt; in Spanien zudem Myrurgias ‚Embrujo de Sevilla‘ und das immer noch erhältliche, herrlich erfrischende, sanfte Billig-Cologne ‚Gotas de Ora‘.

In Deutschland erschienen im Jahr, in dem die Weimarer Republik starb und der Nazi-Terror die Macht übernahm, ‚Mousons Lavendel‘ und Sir Cologne von 4711. Und in allen genannten Ländern darüber hinaus noch einige weniger bekannte, früher ausgestorbene Düfte, wie unsere vortreffliche Parfumo-Datenbank der geschichtsbewussten Parfuma auf einige Klicks hin offenbart. Das Geschichtsjahr des Schreckens war also die Geburtsstunde zahlreicher Duft-Klassiker, von denen mittlerweile ein großer Teil – von Guerlains ‚Sous le Vent‘ bis zum hier zu würdigenden Borsari Leder-Feinduft – leider ausgestorben ist.

Was damals sonst noch geschah, und was weit wichtiger war als das Erscheinen dieser außergewöhnlichen Vielzahl großartiger Düfte, die sich lange halten konnten, zeichnet Uwe Wittstocks jüngst erschienenes Buch ‚Februar 1933‘ nach vor allem an den Lebensläufen bedeutender Schriftsteller in jenen Wochen des massiven Umbruchs und des politischen Schreckens.

In Italien freilich waren Mussolinis Faschisten schon seit 1922 erst als Teil einer Mitte-Rechts Koalition, dann ab 1925 mittels immer weiterer Aufhebung parlamentarischer Spielregeln mit diktatorischen Vollmachten am Ruder. Das Leben für viele Menschen, insbesondere für die jüdische Bevölkerung Italiens wurde jedoch erst im Laufe der 1930er Jahre auch befördert durch die faschistischen Machtergreifungen in Deutschland, später auch noch im Franco-Spanien immer schlimmer und unerträglicher.

Inmitten dieser hässlichen und für viele Betroffene grässlichen Zeiten gedieh gleichwohl auch manches Luxusgut. Wie erwähnt, entstanden damals europaweit einige der schönsten klassisch modernen Düfte. Und zu denen darf man ‚Cuio‘ von Borsari durchaus zählen. Es ist wirklich beeindruckend, wie hier auf Basis von Vetiver und Sandelholz ein Akkord von weichem, ganz leicht menschlich müffelndem Leder nachgebildet wird, welches ein Herz aus Sandelholz warm umhüllt. Eine Verwandtschaft zum 8 Jahre älteren Knize Ten ist nicht von der Hand zu weisen; wobei das Borsari-Leder weicher und feiner daher kommt.

Vermutlich wird hier auch Birkenteeraroma als klassische Ledernote verarbeitet sein. Und das Ganze wird mit den traditionell männlichen Noten von Tabak, Patchouli und minimal animalischem Moschus abgerundet. Trotz der üblichen Wucht so ziemlich aller beteiligten Duftkomponenten wirkt das Konzert dieser Schwergewichte hier eher leicht und schwebend, eher buttrig als aggressiv ausstrahlend.

Ja, doch, dieses Parfum riecht ein wenig altmodisch; aber im besten Sinne, das heißt: elegant, edel, natürlich. Sowie: ganz und gar rundgeschliffen. Man möchte sich lieber nicht vorstellen, wie es zu braunen oder schwarzen Uniformen und Lederstiefeln im Einsatz höherer Kader bei den verbrecherischen Attacken und Staatsaktionen 1933 und in den folgenden Jahren getragen wurde.

Heute ist dieses vorzügliche ‚Cuio‘ offenbar nicht mehr erhältlich. Was für Freunde wohl komponierter Düfte aus gänzlich klassischen Zutaten allemal einen Verlust bedeutet. ‚Cuio‘ von Borsari erlaubt einem, durch die Zeit zu schweifen. Es evoziert Gedankensprünge und Gedenkreisen in die Vergangenheit.

Seinen Ursprung hatte es in den fatalsten und finstersten Zeiten dieses Landes – sowie seines Ursprungslandes Italien. Doch auch in solchen widrigen, üblen Zeiten konnte wundersamerweise Schönheit gedeihen.

Mein herzlicher Dank geht an den lieben Parfumo Kollegen Mörderbiene für seine Abfüllung von diesem und vielen weiteren klassischen Düften!
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MonsieurTest vor 3 Jahren 36 33
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Duft
Ode an Apfelsine. Lied auf den Lehmann
Apfelsine. Allmächtige komm vom Äther herab …
Zu deinem Tempel. Einst von Harry erbaut.
Hinten auf der Kantstrasse im Westen Berlins.
Wo sie Duft-Opfer bringen für die Parfumos.
Brauen heut noch die kühlenden Colognes selbst
Ganz ohne Weihrauch.
Saftig tropft hier Orange. Mit Grünzeug verschattet.
Den Baum ganz hinein und gar noch ein wenig an Erde.
Dass ich voll Seligkeit, sobald ich mich forsch besplashe, Frische erhasche.
Drüben. Dort auf der Wiese tummeln sich Freunde.
Fummeln im Klee und in den reifenden Ähren.
Süßer Geruch ohn Blumen weht von der Wiese
Hierher zu mir.
Göttin der Zitrik! Empfange mein Blumengebinde.
Komm und erscheine uns. Fülle die orangen Schalen.
Misch Deine Frische mit Grünholz und schenk uns eine
Himmlische Freude.
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Was mir die Sappho hier als Muse einhauchte, will sagen:
Harry (oder: Lutz) Lehmann hat mit 'Boston' ein wunderbar orangig frisches Cologne gebraut; unterlegt mit grünen, holzigen und erdigen Noten. Es fühlt sich tatsächlich aufgrund seiner tendenziell unveredelten Rohheit an, als würde hier einfach (und das Einfache ist in der Kunst bekanntlich das Schwerste…) ein Orangenhain mit Ästen, Stiel und Stumpf verarbeitet. Mit Stil!
Sillage und Haltbarkeit bleiben colognetypisch moderat: wenige Handbreit strahlt es ab und erfreut uns wenige Stunden.
Das Ganze passt eher in den ländlichen oder heimisch gartenhaften Bereich. Es wirkt nicht überpoliert. Dabei scheint es mir durchaus heutig, urban und understatementhaft cool. Eher Berlin als München, denk ich.
Es wirkt ein wenig retro, aber das ist gut so.

(Mein Dank für Inspiration und Versmaß geht an die olle Sappho und ihre „Ode an Aphrodite“!)
33 Antworten
MonsieurTest vor 3 Jahren 46 39
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Duft
Der ersehnte Moment – die gefürchtete Stunde. Stele für Patou
Niemand pflückt, destilliert und komponiert so schöne Blumensträuße wie Patou. Das ist mein Eindruck als – leider spät, zu spät! – auf einige Patou-Parfums gestoßener Guerlainist. Sanfte, buttrig gerahmte, zarte Blüten. Rosen, Jasmin, Osmanthussis weit entfernt von Kopfweh-Anklängen. Wunderbare Blümlein, eingebunden in cremige Basen.
Nichts Stechendes.
Weiches, rundes Wohlgefallen.
Schierer Genuss.
So die Impressionen meiner Vernasungen von SUBLIME, JOY, MILLE etc. sowie dem hier zu rühmenden & beklagenden ‚L’Heure attendue‘.

‚Die erwartete Stunde‘, so lautet der Name dieses bezaubernden Parfums. Etwas pathetischer und mit Schmelz übersetzt: der ersehnte Moment. Das Parfum wurde erstmals komponiert nach Ende des 2.Weltkriges von Henri Alméras, dem Hausparfumeur Jean Patous während dreier Jahrzehnte. 1946 wurde es auf den Markt gebracht. Der ersehnte Augenblick, der hier gefeiert wurde, war die Befreiung Frankreichs: das Ende von Krieg, Besatzung, Nazi-Terror. Und das wurde, wenn die mir einzig bekannte Rekomposition des wundervollen, Blumen-Patch-Ambers durch Thomas Fontaine dem Original nahekommt, in diesem köstlichen Parfum auf denkbar feine, weiche, keineswegs laut triumphierende Weise gefeiert.

Dieser ersehnte Augenblick beginnt mit einem entzückenden, ganz leicht herben Auftakt. Den verbinde ich (falls Aufdröselungen bei Fontaines genialer Abmischungskunst überhaupt sinnvoll und möglich sind) mit Blumen unter einer braunen Aldehyde-Neroli Butter, durchzogen von Anklängen sanft würzigen Patchoulis.
Der ersehnte Moment setzt sich sonnig lächelnd fort, wenn sich im Herz die traumhaft abgetönten, nie grellen Patou-Blumen verströmen; hier ein gedämpft jubilierendes Trio von Rose, Jasmin und Ylang-Ylang.

Und die erwartete Stunde klingt stundenlang aus in einem herrlichen Akkord aus zivil eingehegtem Patchouli nebst Sandelholz und Spuren würzigen Ambers. Als Guerlain-Fan hält man ja große Stücke auf die Guerlinade: jenen weich-würzigen, traumhaft oszillierenden, perlmuttern schillernden Basisakkord mit seinen tollen Nachhall-Sequenzen. L’Heure attendue von Patou bietet ganz ähnliches – und somit womöglich nicht nur im Namen einen Gruß an das alte Mutterschiff französischer Parfumkunst, Guerlain. Dessen Duft zum Ende des ersten Weltkriegs Mitsouko (1919) war, und dessen faszinierender – dem hier zu besprechenden eher wesenverwandter – Duft ‚L‘Heure bleue‘ 1912, vor der Grande Guerre, das Abendlicht Paris und der Welt erblickte.

‚L’Heure attendue‘, zumindest in Thomas Fontaines schöner Fassung von 2015 ist – wie das von mir geschätzte ‚L’Heure bleue‘– ein leiser Duft: trotz seiner Blüten höchstens eine gestopfte Trompete. Gewissermaßen ein Anti-Shalimar.
In der ersten Stunde, bevor alles wunderbar weich, cremig zart und unglaublich rund wird, verspüre ich eine ganz sanft animalische, schmutzige Mittelstimme, die dem feinen Blumen-Concerto einen würzigen, gleichwohl harmonischen Beiklang gibt. Ich vermute, sie beruht auf einer kunstvollen Mischung von Aldehyden mit Amber und Patchoulinoten. Sie ist jedoch meilenweit entfernt von dem kraftvoll animalischen Zibet eines Jicky oder der wuchtigen Rauch-Balsam-Vanille Shalimars.

Dieser Duft fliegt, wie sein Vorgänger, das Original von 1946, bei Parfumo seltsamerweise tief unterm Radar. Es existiert zum Original ‚L‘Heure attendue‘ kein Kommentar und gerade mal ein Statement; zur Rekonstruktion von Thomas Fontaine ist dies der erste Kommentar, nach einigen Statements von kenntnisreichen Parfumo-Mitstreiter/innen.
Das lässt mich vermuten, dass der Duft schon früher nicht gerade weit verbreitet war, und dass leider auch die Erbe-Belebungs-Aktion Patous 2015 keine große Aufmerksamkeit fand. Die unlängst erfolgte, höchst bedauerliche Einstellung der Marke Patou weist gewiss auch auf den heute fehlenden kommerziellen Erfolg dieser Düfte hin. Was für Parfum- und Geschichtsfreunde sehr traurig ist.

Das Nachkriegs Werbeplakat Patous – mit in blau gehaltener Sonnenaufgangs-Ikonografie – feierte 1946 den ersehnten Moment des zivilen, des guten, des verfeinert luxuriösen Lebens nach den Schrecken von Krieg, Besatzung und Verfolgung. Implizit wies es auch auf die üblen vorangegangenen Jahre hin: „Das erste neue Parfum Jean Patous nach 12 Jahren“.

Die gefürchtete Stunde der erst 2014 begründeten, wundervollen Collection Héritage Patous kam 2019: das Ende der ruhmreichen Parfumgeschichte des Modehauses, das der 1936 jung verstorbene Jean Patou seit 1919 führte. Die gefürchtete Stunde, wenn ein geschichtsreiches, großes Parfum eingestellt wird, betraf hier nicht nur einen einzelnen Duft sondern gleich ein gutes Dutzend großer Düfte, die von Henri Alméras sowie von Jean Kerléo, der von 1967-1998 der Parfumdirektor des Maison Patou war, geschöpft wurden.

Kerléo war 1988 Mitgründer, dann langjähriger Direktor des Parfum-Archives Osmothèque in Versailles. Deren Hauptaufgabe gemäß Kerléo die Bewahrung der Duftschöpfungen, der Bücher, Formeln und Düfte für die Nachwelt ist. Auch die Neu- oder Nachschöpfung verloren gegangener Düfte. Zweifellos werden er und seine Nachfolger die fantastischen Duftformeln und Parfums des Hauses Patous archiviert, bewahrt und erforscht haben. So dass eine Wiederkehr dieser jüngst untergegangen Düfte in irgendeiner (nostalgischen, sentimentalen oder luxuriösen) Zukunft möglich sein sollte. Das wäre dann für Parfum-Freunde wieder eine ersehnte Stunde.

Das Schicksal der Marke Patou ist vermutlich nicht ganz untypisch für den Handel oder letztlich Untergang großer Duftmarken. Das Luxus-Lizenz Konglomerat ‚Designer Parfums‘ (im Besitz der indischen Milliardärsfamilie Mehta) übernahm die Marke 2011 von Procter and Gamble, welche sie 2001 den Erben Jean Patous abgekauft hatten. Bei Designer Parfumes rangierte das edle Patou nun in kurioser Parfum-Markengesellschaft zwischen einer verehrten Adresse wie Scherrer, solid-sympathischen Designer-Duftmarken wie Cerrutti 1881 oder Aigner sowie Promidüften von Jennifer Lopez, Naomi Campbell, Ariana Grande und schließlich Testosteron-Marken wie Porsche Design und Playboy.

Man hätte meinen mögen, die finale Übernahme der Markenrechte Patous durch LVMH (zu dem feinste Parfumhäuser wie Guerlain, Dior, Bulgari, Givenchy und einige weitere gehören) bedeute Gutes, mithin eine Sicherung des Patou-Dufterbes. Es kam anders. Überraschenderweise belebte der Luxuskonzern die lange schon eingestellte Textilmarke Patou wieder, übertrug jedoch die Markenrechte am Namen des berühmtesten Patou Dufts, JOY, an Dior. Wo nun ein ganz anders duftendes JOY unters Volk geworfen (äh: teuer verkauft) wird. Und ließ die Patou-Parfumproduktion einstellen. Gewiss gab es dafür handfeste ökonomische Gründe, niedrige Verkaufszahlen der Patou Düfte und recht aufwendige Herstellungskosten etc. Gleichwohl ist dies bitter und traurig, im Hinblick auf die Verehrer der feinen Patou Düfte wie auf das sonst so stolz gepriesene französische Parfumkulturerbe.

Mit 0,01% von B. Arnaults Vermögen (derzeit reichster Erdbewohner, LVMH Hauptaktionär) ließen sich die Patou Düfte lange weiter herstellen. Und mit ein wenig Fantasie wohl auch gewinnbringend vermarkten, so möchte man nach Paris rufen !
Falls dies irgendwie irgendwann erhört wird, und Patou und ‚L‘Heure attendue‘ dereinst auferstehen werden, dann wird das, vermuten wir, eine gute eine ersehnte Stunde für die Parfumgeschichte sein...

Mein Dank gilt Barbara R3mt9 für ihre großzügigen Abfüllungen von diesem und einigen anderen Patou Düften!
39 Antworten
MonsieurTest vor 3 Jahren 54 42
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8.5
Duft
Some Day my Prince Will Come. ZigZag, Live
Jetzt war Pause zwischen den Sets. Ihre Stimmung war beschwingt, der Laden sympathisch. Die ersten 6 Stücke waren ihnen gut gelungen. Das Publikum ging mit. Ihre Musikerkumpels hingen an Nikas Lippen und auch ein wenig an ihrem Hals. Denn sie KONNTE erzählen. Und sie duftete gut. Der Drummer und der Bassmann wollten von Nika, ihrer Saxofonistin, wissen, welches Parfum sie heute trage. Denn nur zu gerne wollten sie ihre Freundinnen auch bald so lecker schnuppern können, wenn sie nach der Tour wieder zuhause wären.

Im quirligen Gesprächsgedröhn des charmant möblierten Wohnzimmerclubs, dem ZigZag, ja, an Kurven dachten auch hier viele, ständig…, verstanden sie den seltsamen Duftnamen der nie gehörten Marke nicht. Irgendwas mit Nixe, was in seltsamen Läden zu kaufen wäre.
Also springt Nika auf, kurvt an den übernächsten Tisch, wo ihr vorhin schon ein feiner Kerl, mal sympathisch strahlend, mal melancholisch dreinschauend, aufgefallen war. Sie fragt ihn nach einem Stift, um ihren Band-Boys ‚Prodischiööh‘ auf ihre Realbooks zu kritzeln.

Und so schnappt sie beim Runterbeugen auch einen Hauch Obsession am Hals des charmanten Typen auf. Und dieser leger gekleidete Mann um die 50 trug keineswegs das etwas harmlosere Obsession for Men, vielmehr den Real Stuff: das waffenscheinpflichtige EdP.

Groß und schlank war er, der mit seinem Kumpel so lebendig quatschte. Sein jungenhaftes Lachen war ihr schon ins Auge gefallen, als sie während der Soli der Kollegen vom Rande der Bühne aus das Publikum beobachtete. Wenn er erzählte, gestikulierte er dabei fast südländisch mit seinen schmalen Händen. Das passte eigentlich nicht unbedingt zu so nem grazilen graublond Gelockten; so wenig wie dieses schwere Obsession. Doch solche Schrägheiten hatten sie immer schon fasziniert: die Blue Notes des Lebens.

Seine optischen Vibes hatte sie vom Musikertisch aus weiter aufgesogen, mit den Kollegen quatschend, aus ihren Augenwinkeln schielend. Seinen aparten Duft nun auch, jetzt! Kuriose Erscheinung der Typ, fast hibbelig lebendig, außergewöhnlich irgendwie, alterslos. So was mochte sie, die im Kopf so schnell war, dass manche nicht recht mitkamen, und die auch mit ihrem Körper kaum je still sitzen mochte. Irgendwas trieb sie immer um. Ihn offenbar auch.
Ihr Puls beschleunigte, ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch aus. Warum bloß hatte er sie während ihres Konzerts hier so schnell in den Bann gezogen?

Seine lebendigen, gewitzt funkelnden Augen lächeln sie nun direkt an. Er nickt, gibt ihr seinen Stift (oh je, einen 707er, Geschmack hat er auch noch), macht ihr ein witziges Kompliment für ihre fantasievollen Saxofonsoli, lobt ihren kraftvoll rauchigen Ton - und wendet sich wieder seinem Freund zu.

Sein Obsession tut, was es muss, und gibt ihr den Rest: seine sinnlichen, ambrierten Vanilleschattierungen, seine tiefe, minim-animalische Würzigkeit lassen sie kurz erschauern. Hoffentlich merkt der Mann das nicht. Es war ein wenig (oder mehr?) um sie geschehen: so ein aparter Kerl…– war ihr lange nicht in die Quere gekommen.

Das zweite Set begann, sie steigen auf die Bühne und setzen ihre Miles Davis Hommage fort. Jetzt ist ‚Some day my Prince will come‘ dran. Die Trompeterin spielt ihr Intro, dann sie gemeinsam unisono die Melodie und darauf folgt, wie stets, das Klaviersolo. Fred ist auch gut drauf heute. Sie lauscht ihm versunken, und ihre Blicke schweifen übers Publikum. Gleich ist sie dran mit ihren 12 Takten über den Klassiker, den Chet Baker und natürlich Miles immer wieder, unvergesslich - melancholisch und zugleich hoffnungsvoll vorwärtstreibend -moduliert hatten. Sie fängt an, sie kommt in Fahrt. Sie bläst sich in einen Rausch, dehnt ihr Solo auf 36, schließlich 48 Takte aus und erzählt und erzählt auf ihrem Saxofon - im Zeitlupentempo.

Die gedämpften Gespräche im ZigZag-Club werden leiser. Sie verstummen schließlich ganz, als eine nach dem anderen im Publikum merkt, dass hier etwas Besonderes vorgeht. Dionysos, der kernige Grieche hinter der Theke, der nicht nur den Club betreibt, sondern ein leidenschaftlicher Schlagzeuger ist, staunt immer gebannter, bis ihm Tränen der Ergriffenheit aus seinen dunklen Augen kullern.
Der Kerl hat ein großes Herz und kapiert, was hier gerade erinnert, gehofft und geträumt wird, aus dem Saxofon dieser umwerfend vitalen, großen Frau. Deren Kurven so gut zu denen ihres Saxofons passen, und deren Blick abwechselnd nach innen, in die Erinnerungen, und verträumt ins Publikum geht. Während sie spielt und spielt.

Natürlich merken auch die Bandkollegen, was für ein besonderer Abend dies gerade wird, und machen mit: nach ihren eigenen Soli, in die immer wieder seufzende Interjektionen aus Nikas Saxofon einfließen dürfen, machen sie es auch beim anschließenden Screw Ball, dem dialogischen Trading Fours anders als üblich: Drums, Bass, Klavier und Trompete spielen ihre vier Takte immer abwechselnd zu den immer neuen, immer anderen, das Tempo frech variierenden vier Takten Nikas, die offenbar gerade ihr Leben erzählt.

Die Band scheint zu fliegen, der Saal wegzuschweben; so viele versonnen (oder: schmerzlich?) lächelnde Gesichter. Sie spielen das Stück - oder eher: mit dem Stück und mit ihren Gefühlen - nun schon 20 Minuten. Absolut außergewöhnlich war das. Mit zunehmender Dauer hatte wohl einer nach dem anderen in der Band und dann auch im Publikum begriffen, dass das nicht ihre allabendliche 10 Minuten Version des ‚Kommenden Prinzen‘ wird, sondern dass heute, hier der famosen dreiviertel Stunde von Coltranes ‚A Love Supreme‘ entgegen fantasiert und geschmachtet, gebetet und ums Leben improvisiert wird.

……………… ………………. ....................

'Obsession' ist ein Duft, der auch nach gut 30 Jahren und einigen Reformulierungen immer noch einiges seiner verführerisch sinnlichen Qualitäten auf die Haut und ins Leben zu zaubern vermag. Wie in den 1980er üblich, ist hier so ziemlich alles an Früchten und Gewürzen, an Hölzern und Harzen drin, was einen orientalisch inspirierten Erotiker ausmacht. Und dabei wurde zwar aus vollen Hörnern gehupt, doch durchaus fein komponiert.

Vanille steht im Zentrum. Doch wird sie hier, wie die simplen Broadway Melodien von den großen Jazz-Improvisatoren, in alle möglichen Tonarten moduliert und durchgespielt. Sie singt ihre sanft süße Melodie mal mild fruchtig (im Auftakt), mal schwül blumig oder trocken zedern- und sandelholzig im Herznotenbereich und schließlich moosig, patchoulig und vetiverig bassig zum Ende hin. Nuancen von Weihrauch, Moschus und eine vorbeihuschende Zibetkatze fügen dieser groß orchestrierten Vanillenorgie noch den einen oder anderen weiteren reizvollen Chorus hinzu und verleihen Obsession eine animalische Lebendigkeit, der man sich kaum entziehen kann.

Vom süss-schmerzlich-melancholischen Blues bis zu growlenden FreeJazz-Ausbrüchen kann man hier, wie in den Saxofon-Eruptionen Archie Shepps, fast alles erleben. So ein Parfum schärft die Sinne, macht empfänglich für Gewürze und umhüllt eine/n mit einer warm ambrierten Sexyness, die erwachsen und unbeschreiblich sinnlich wirkt.

Über Stunden projiziert dieser moderne Klassiker seine bannenden Vibes über zwei Armlängen. Früher war noch mehr Wucht und Haltbarkeit; die heutige reicht aber völlig für einen langen, beschwingten oder leidenschaftlichen Abend.
42 Antworten
MonsieurTest vor 3 Jahren 53 38
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5.5
Duft
This is Nuts! Oder: Kopflose Sandelvanille-Moschusmilch mit schwachem Herz

Früher gab es die Zirkus- oder Revue-Nummer ‚Die Dame ohne Unterleib‘. Ist nicht mein Genre. Bin in freier Wildbahn auch nie einer begegnet. Nun aber kam mir als beigelegtes Pröbchen einer Internetbestellung ein Duft ins Haus, der gewissermaßen das Gegenteil versprach. Ein Parfum nur aus Basis, Hintern, Unterleib: Wow?! :)

Noch dazu von einer Marke, die mich wegen ihres so geistreich klingenden Namens lange schon interessierte. Zadig & Voltaire lässt einen träumen von aufklärerischen Erzählungen des spitzzüngigen französischen Großkritikers, genauer: von den bunten Abenteuern und dem Happy End seines Zadig.

Doch was erzählt nun der Duft ‚This is us‘? Der Titel könnte auf eine Art Schlüssel- oder Signaturduft der Pariser Modemarke hindeuten, weist aber wohl eher auf den Unisex-Charakter dieses Parfums - denn es gab davor schon seit einigen Jahren ‚This is her‘ und ‚This is him‘, vermarktet von Shisheido, den Lizenznehmern der französischen Modekette; beide klingen pyramidal interessant und wurden hier nicht schlecht bewertet.

Schaut man die auf die neuen Flakons gedruckten Texte noch etwas näher an (als Wortmensch gefällt mir so etwas tendenziell schon), schwant einem, dass es mit unisex hier noch nicht getan ist. Es wird Intergenerationalität verkündet: ein Duft für die ganze Famile. Wobei alle ‚forever young‘ zu sein haben. Zudem kam als zweite Neuerscheinung neben diesem transgenerationellen und universalsexuellen Us-Duft noch ein ‚This is me‘-Wässerchen auf den Markt, welches offenbar NUR die Jungen oder gar Kinder („Kids“) adressiert, und ihnen ein abgegrenztes, starkes Ich (ME) verkauft. Dessen Pyramide liest sich ganz ähnlich: Sandelvanille auf Moschus. Wobei bei den exklusiv Kleinen das (faktisch kaum wahrnehmbare) Patchouli des Familiendufts durch ‚Kaschmir‘ (vermutlich der Weichheit vorgaukelnde Synthie-Holzmoschus Cashmeran) ersetzt ist.

25 Jahre nach dem Unisex-Revival-Verkünder und Jahrzehnte-Megaseller CK One scheinen das ja erst einmal erquickende, sympathische, zu begrüßende Neu-Formatierungen von Zielgruppen. Welche hier freilich seltsam flachen Duftnoten-Pyramiden übergestülpt wurden. Ein integrativer Gesamtduft vom Kindergartenkind bis zur Urgroßmutter? Der evt. auch noch mitwohnende Hunde, Katzen und Hamster ins wohlriechende Us-Duft-Team integriert (soweit sie versprechen, forever young dufte(n) und bleiben zu wollen!)?
Das würde Platz im Bad sparen, den sich bei den Immobilien-Preissteigerungen bald eh nur noch wenige werden leisten können.

Das Problem (wohlwollend formuliert: das Reizvoll-Interessante, Minimalistische…) ist nun: dieser Wir-Duft will oder kann nicht recht erzählen. Nach dem Aufsprühen zeigt er sich leider eher als ein Wirr-Duft. 'This is Us' hat keinen Plot und kommt kaum von der Stelle. Dafür hälts auch nur mittellang und projiziert mittelschwach, wogegen nichts zu sagen ist.

Schon die Notenabfolge, wie sie hier angegeben ist, ließ mich die Brauen lüpfen: Eine Pyramide ohne Kopf- und Herznoten? Lauter klassische, schwere und lang durchhaltende Basisnoten kombiniert? Ohne etwas drüber oder drum rum? Die Pyramide als Bungalow oder als Tiefgarage? Als Tiefbunker einer sich wohlig einmummelnden Großfamilie gar??

Nun ja, was sagt die Nase: Denn auch wenn nichts Zitrisches, Fruchtiges oder Blumiges angegeben ist, mit irgendwas muss so ein Duft ja wohl anfangen. Tut er auch, er kann nicht anders: Süßlich, vanillig und mit einer typisch sandelholzigen Cremenote geht es los. Das riecht nicht schlecht, wirkt aber auch keineswegs frisch oder gar markant. Beim folgenden regelmäßigen Nasentiefflug überm Handgelenk möchte man meinen, in dieser ziemlich konstant (stur!) durchgehaltenen Sandelvanille ein paar Nuancen von unscharf milchigen Früchten zu erspüren: KokosFeigenPfirsich oder FeigeBirnenMandarine so ungefähr.

Und so sandelvanilliert es - in etwa so konturiert oder gleichgültig wie ein besseres Sonnenmilch- oder Hautpflegeprodukt - fort und fort. Nach hintenraus bleibt alles weitgehend gleich: ein ernsthafter Auftritt des Patchoulis, Würze oder Erdigkeit gar, ist mir nicht begegnet. Ein völlig entschärfter Wohlfühlmoschus grundiert diese Art von fluffig-flächigen Wellness Cremedüften wohl stets, also auch hier. Gegen dieses Viergenerationen-Breichen (pürriert und angerührt für zwei Generationen ohne und zwei mit Zähnen…) war das selbstverständlich auch abgerundete, weiche, all-umarmend integrative CK One eine frisch-würzige Aromakanone.

Das alles ist nicht direkt unangenehm, nicht schlecht, nicht aufregend. Irgendwie einlullend; betäubend gar?
Ich bin nicht traurig, dass die Revuenummern der Damen ohne Unterleib auszusterben scheinen. Ich wäre nicht traurig, wenn dieser Bungalow-Basisnoten-Kombi-Duft mit wenig (milchfruchtigem) Herz und ohne Köpfchen, irgendwann wieder ausstirbt.

Voltaire wird bleiben. Und Zadig auch. Geschichten werden erzählt werden, solange es Menschen geben wird: in Erzählungen, Romanen, Contes philosophiques; oder hier in Kommentaren, die jetzt Rezensionen heißen. Oder in Düften, Musiken, Bildern, welche zu erzählen vermögen.

Ob Zadig & Voltaire bleiben werden - oder näherhin dieser milchig mittelmäßige Flächenduft ‚This is us‘ – das weiß ich nicht. Ist wohl auch egal. Hier haben sie mir jedenfalls, bei meinen drei Probeläufen, nichts Spannendes, Anregendes oder Hinreißendes erzählt. Jedenfalls gewiss: zu wenig.
Und ein poppig bedruckter Flacon nebst einem bedenkenswerten, universalintegrativen Wir-Konzept löst auch bei einem dafür empfänglichen Wortmenschen und Sammler noch keinen Besitz- und Tragewunsch aus.

Minimalistische Launen lebe ich weiterhin lieber mit frischen Chevrefeuille- oder Verveine-Soliflors aus, mit erdigen Patchouli- oder Vetiver-Soli oder mit Lavendel-Solosonaten, etwa des Monastère de Ganagobie. Die allesamt mehr Wandlungen durchmachen und mehr zu erzählen haben als ‚This is Nuts‘.
Oder, warum nicht, wieder mal mit CK One. Die gehen alle doch eigentlich auch transgenerationell?!
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