28.04.2021 - 17:14 Uhr
MonsieurTest
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This is Nuts! Oder: Kopflose Sandelvanille-Moschusmilch mit schwachem Herz
Früher gab es die Zirkus- oder Revue-Nummer ‚Die Dame ohne Unterleib‘. Ist nicht mein Genre. Bin in freier Wildbahn auch nie einer begegnet. Nun aber kam mir als beigelegtes Pröbchen einer Internetbestellung ein Duft ins Haus, der gewissermaßen das Gegenteil versprach. Ein Parfum nur aus Basis, Hintern, Unterleib: Wow?! :)
Noch dazu von einer Marke, die mich wegen ihres so geistreich klingenden Namens lange schon interessierte. Zadig & Voltaire lässt einen träumen von aufklärerischen Erzählungen des spitzzüngigen französischen Großkritikers, genauer: von den bunten Abenteuern und dem Happy End seines Zadig.
Doch was erzählt nun der Duft ‚This is us‘? Der Titel könnte auf eine Art Schlüssel- oder Signaturduft der Pariser Modemarke hindeuten, weist aber wohl eher auf den Unisex-Charakter dieses Parfums - denn es gab davor schon seit einigen Jahren ‚This is her‘ und ‚This is him‘, vermarktet von Shisheido, den Lizenznehmern der französischen Modekette; beide klingen pyramidal interessant und wurden hier nicht schlecht bewertet.
Schaut man die auf die neuen Flakons gedruckten Texte noch etwas näher an (als Wortmensch gefällt mir so etwas tendenziell schon), schwant einem, dass es mit unisex hier noch nicht getan ist. Es wird Intergenerationalität verkündet: ein Duft für die ganze Famile. Wobei alle ‚forever young‘ zu sein haben. Zudem kam als zweite Neuerscheinung neben diesem transgenerationellen und universalsexuellen Us-Duft noch ein ‚This is me‘-Wässerchen auf den Markt, welches offenbar NUR die Jungen oder gar Kinder („Kids“) adressiert, und ihnen ein abgegrenztes, starkes Ich (ME) verkauft. Dessen Pyramide liest sich ganz ähnlich: Sandelvanille auf Moschus. Wobei bei den exklusiv Kleinen das (faktisch kaum wahrnehmbare) Patchouli des Familiendufts durch ‚Kaschmir‘ (vermutlich der Weichheit vorgaukelnde Synthie-Holzmoschus Cashmeran) ersetzt ist.
25 Jahre nach dem Unisex-Revival-Verkünder und Jahrzehnte-Megaseller CK One scheinen das ja erst einmal erquickende, sympathische, zu begrüßende Neu-Formatierungen von Zielgruppen. Welche hier freilich seltsam flachen Duftnoten-Pyramiden übergestülpt wurden. Ein integrativer Gesamtduft vom Kindergartenkind bis zur Urgroßmutter? Der evt. auch noch mitwohnende Hunde, Katzen und Hamster ins wohlriechende Us-Duft-Team integriert (soweit sie versprechen, forever young dufte(n) und bleiben zu wollen!)?
Das würde Platz im Bad sparen, den sich bei den Immobilien-Preissteigerungen bald eh nur noch wenige werden leisten können.
Das Problem (wohlwollend formuliert: das Reizvoll-Interessante, Minimalistische…) ist nun: dieser Wir-Duft will oder kann nicht recht erzählen. Nach dem Aufsprühen zeigt er sich leider eher als ein Wirr-Duft. 'This is Us' hat keinen Plot und kommt kaum von der Stelle. Dafür hälts auch nur mittellang und projiziert mittelschwach, wogegen nichts zu sagen ist.
Schon die Notenabfolge, wie sie hier angegeben ist, ließ mich die Brauen lüpfen: Eine Pyramide ohne Kopf- und Herznoten? Lauter klassische, schwere und lang durchhaltende Basisnoten kombiniert? Ohne etwas drüber oder drum rum? Die Pyramide als Bungalow oder als Tiefgarage? Als Tiefbunker einer sich wohlig einmummelnden Großfamilie gar??
Nun ja, was sagt die Nase: Denn auch wenn nichts Zitrisches, Fruchtiges oder Blumiges angegeben ist, mit irgendwas muss so ein Duft ja wohl anfangen. Tut er auch, er kann nicht anders: Süßlich, vanillig und mit einer typisch sandelholzigen Cremenote geht es los. Das riecht nicht schlecht, wirkt aber auch keineswegs frisch oder gar markant. Beim folgenden regelmäßigen Nasentiefflug überm Handgelenk möchte man meinen, in dieser ziemlich konstant (stur!) durchgehaltenen Sandelvanille ein paar Nuancen von unscharf milchigen Früchten zu erspüren: KokosFeigenPfirsich oder FeigeBirnenMandarine so ungefähr.
Und so sandelvanilliert es - in etwa so konturiert oder gleichgültig wie ein besseres Sonnenmilch- oder Hautpflegeprodukt - fort und fort. Nach hintenraus bleibt alles weitgehend gleich: ein ernsthafter Auftritt des Patchoulis, Würze oder Erdigkeit gar, ist mir nicht begegnet. Ein völlig entschärfter Wohlfühlmoschus grundiert diese Art von fluffig-flächigen Wellness Cremedüften wohl stets, also auch hier. Gegen dieses Viergenerationen-Breichen (pürriert und angerührt für zwei Generationen ohne und zwei mit Zähnen…) war das selbstverständlich auch abgerundete, weiche, all-umarmend integrative CK One eine frisch-würzige Aromakanone.
Das alles ist nicht direkt unangenehm, nicht schlecht, nicht aufregend. Irgendwie einlullend; betäubend gar?
Ich bin nicht traurig, dass die Revuenummern der Damen ohne Unterleib auszusterben scheinen. Ich wäre nicht traurig, wenn dieser Bungalow-Basisnoten-Kombi-Duft mit wenig (milchfruchtigem) Herz und ohne Köpfchen, irgendwann wieder ausstirbt.
Voltaire wird bleiben. Und Zadig auch. Geschichten werden erzählt werden, solange es Menschen geben wird: in Erzählungen, Romanen, Contes philosophiques; oder hier in Kommentaren, die jetzt Rezensionen heißen. Oder in Düften, Musiken, Bildern, welche zu erzählen vermögen.
Ob Zadig & Voltaire bleiben werden - oder näherhin dieser milchig mittelmäßige Flächenduft ‚This is us‘ – das weiß ich nicht. Ist wohl auch egal. Hier haben sie mir jedenfalls, bei meinen drei Probeläufen, nichts Spannendes, Anregendes oder Hinreißendes erzählt. Jedenfalls gewiss: zu wenig.
Und ein poppig bedruckter Flacon nebst einem bedenkenswerten, universalintegrativen Wir-Konzept löst auch bei einem dafür empfänglichen Wortmenschen und Sammler noch keinen Besitz- und Tragewunsch aus.
Minimalistische Launen lebe ich weiterhin lieber mit frischen Chevrefeuille- oder Verveine-Soliflors aus, mit erdigen Patchouli- oder Vetiver-Soli oder mit Lavendel-Solosonaten, etwa des Monastère de Ganagobie. Die allesamt mehr Wandlungen durchmachen und mehr zu erzählen haben als ‚This is Nuts‘.
Oder, warum nicht, wieder mal mit CK One. Die gehen alle doch eigentlich auch transgenerationell?!
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