Robbenbingo
Robbenbingos Blog
vor 11 Monaten - 07.09.2024
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Aus dem Leben eines blinden Blindtesters

Ich kann nicht sehen.  Es ist also nicht nur ein mittelguter sprachlicher Joke, sondern auch eine handfeste Tatsache, das jeder Sprüher aus einer Duftprobe ein Blindtest für mich ist. Ich habe meine Mittel und Wege, die Beschriftung von Duftproben zu erfahren (Leute fragen, bestimmte Smartphone apps), aber oft mache ich das ganz bewusst nicht und schaue, was passiert.
Ich bestelle meine Proben oft bei ALZD oder essenza nobile, weiß daher immer, was kommt. Nur nicht, was was ist. Und so passiert es wirklich oft, dass ich auf den Sprüher einer Probe drücke und felsenfest zu erkennen glaube, dass es sich hier um den wunderschönen, grünlich feigenfruchtigen Duft handeln muss, von dem ich so lange so viel gelesen und den ich mit Spannung erwartet habe. Und dann stellt sich bei der Gegenprüfung raus: Ja, ich habe den lange gespannt erwartet, aber es ist der dunkelrauchige Whiskeyfassknarzer. Und in meiner Wahrnehmung macht beides Sinn.
Auf diese, manchmal unfreiwillige Art, lerne ich immer wieder, wieviel Wahrnehmung mit Erwartung zu tun hat, wie sehr einzelne Noten oft Schall und Rauch sind. Der schönste Schall und Rauch der Welt, aber doch ganz schön wandelbar. Keine bahnbrechende Erkenntnis, ich weiß, aber ich finde es immer aufs Neue erstaunlich. Mich macht das bescheiden. Am Ende stelle ich auch nach vielen Jahren der Beschäftigung mit Düften immer wieder fest: Ich bin kein Experte, ich bin ein Begeisterter. Gibts Schlimmeres, finde ich.

23 Antworten
OlfarteOlfarte vor 7 Monaten
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Ich finde den sprachlichen Joke nicht nur mittelgut und habe gerade beim Lesen deines Blogbeitrages über den grünlich feigenfruchtigen dunkelrauchigen Whiskeyfassknarzers herzlich gelacht :-) Und ja, es gibt allerdings VIEL Schlimmeres als Begeisterung und das mit den (nur allzu oft selbst ernannten) Experten ist doch eh so eine Sache... Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Freude beim Wahrnehmen und Schärfen deines Geruchssinnes :-)
Sashka2211Sashka2211 vor 11 Monaten
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Sehr gut auf den Punkt gebracht, auch wenn Du die Erfahrung unfreiwillig machst. Eigentlich der einzig richtige Weg, die Düfte zu testen. Danke!
HannahHannah vor 11 Monaten
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Bei Probenbestellungen sprühe ich meist ohne vorher auf den Namen zu schauen und auch ich bin nach jahrzehntelanger Duftbegeisterung nicht selten überrascht, irritiert und verunsichert. Insofern habe ich Deinen Bericht „mitfühlend“ und gern gelesen. Noten, die ich gar nicht mag, wie bsw. Tuberose, erkenne ich dagegen auch in kleinster Dosis sicher und immer. 😅
TradescantiaTradescantia vor 11 Monaten
Du hast mit wenigen Worten viel gesagt. Wahrnehmung und Erwartung beeinflussen sich gegenseitig. Manchmal mag ich es auch ohne Erwartungen mal spontan in die Parfümerie zu gehen und mir einfach was zeigen zu lassen.
ElAttarineElAttarine vor 11 Monaten
Das tut sehr gut zu lesen. Danke dafür! Wenn wir alle Begeisterte wären und uns das klarmachten... Ja, Wahrnehmung hat so viel mit Erwartunv zu tun!
SunShine1110SunShine1110 vor 11 Monaten
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Danke für den lesenswerten Beitrag. Ich stelle auch immer wieder fest, dass ich die Noten nicht wirklich erkenne, sondern eher interpretiere. Aber auch das bereitet mir große Freude. Dir wünsche ich noch viel Vergnügen mit unserem wunderbaren Hobby, den Düften. ☀️🌏
ExUserExUser vor 11 Monaten
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Angegebene Noten sehe ich mittlerweile auch meist eher als „Interpretationshilfe“ ;)
Schöner Blogbeitrag!
TivellonTivellon vor 11 Monaten
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Toll geschrieben. Gut, dass du mich wieder an die Macht der Interpretation erinnerst. Ich hab das mit dem Schmecken von Früchten. Wenn ich nicht weiss, was es sein soll schmecke ich ist das "Falsche". 🫣
MiniGBICMiniGBIC vor 11 Monaten
'lerne ich immer wieder, wieviel Wahrnehmung mit Erwartung zu tun hat,': Das kann ich so unterschreiben, du hast es auf den Punkt gebracht :)
BriStiBriSti vor 11 Monaten
Gerne gelesen und zum Nachdenken inspiriert. Auch die verstärkten Sinne gaukeln etwas vor, wenn Erwartungen vorhanden sind. Interessant 🌸
TurbobeanTurbobean vor 11 Monaten
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Denke mal, dass man sich den Zustand des Begeisterten so lange wie möglich erhalten sollte, bevor man zum Experten mutiert. Oder noch besser: Obwohl man zum Experten mutiert.
Meine Blindproben gestalten sich oft so, dass ich mir in der Dunkelheit meine Abfüllungskiste vornehme und versuche, die Düfte wiederzuerkennen. Selbst das gelingt nicht immer und manchmal rätsele ich eine lange Zeit, bevor ich dann doch aufgeben muss.
Jedenfalls cool, dass Du dabei bist.
AbscheBoAbscheBo vor 11 Monaten
Blindproben sind super. Ähnlich spannend wie beim Wein ist ja die Frage, in wieweit der geneigte Laie überhaupt das geruchliche Vermögen/Training hat Parfüme der Preiskategorie 20 ct pro ml von Parfümen der Kategorie 200 ct pro ml verlässlich zu unterscheiden. Und können das die anderen, einen umgebenden Laien, bei denen man ja unter Umständen Eindruck hinterlassen will.
SaGaSaGa vor 11 Monaten
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Ich finde es immer spannend, Düfte ohne Info zu testen. Keine Pyramiden, keine Bewertungen, Marken, Preisangaben usw...
Wir lassen uns unbewusst sicherlich irgendwie lenken und wenn dies ausgeblendet wird, so empfindet man manch wunderbar angepriesenen Duft furchtbar oder anders herum.
Wer die Begeisterung verliert und einfach nur testet, um zu testen, ist nicht glücklich dabei.
Düfte transportieren Emotionen, Erinnerungen.
Es gibt noch viel zu entdecken und das mit Herz und Spaß!
Viel Freude bei deiner weiteren Schnüffelreise.
Lenka85Lenka85 vor 11 Monaten
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So ist es, und die Werbung spielt natürlich gekonnt damit. Ich freue mich immer besonders, wenn auch eine Erwartung auch (für mich) erfüllt, bin aber umso begeisterter, wenn ich Schönes finde, wo ich es nicht vermutet habe.
GenovevaGenoveva vor 11 Monaten
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Begeistert zu sein ist das Beste, bewahre dir das unbedingt!
Meine Neugier ist auch nach anderthalb Jahren (ja, ich weiß, ich bin quasi ein Baby) Duftreise ungebrochen. Immer wieder gibt es Überraschungen und ab und zu hebt man gar einen Schatz 😊
StulleStulle vor 11 Monaten
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Du hast so recht, wir riechen was wir zu riechen glauben. So ist das mit den vorfabrizierten Wahrheiten, auch im richtigen Leben. Und ich habe bereits viele Duftpyramiden hier bei ein und demselben Duft sich ändern sehen - ich benutze sie als Idee und Vorschlag, aber nicht als Wahrheit.
FloydFloyd vor 11 Monaten
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Das tut so gut, das zu lesen. Mir geht es auch immer wieder so, dass ich feststelle, dass mir Erfahrung zwar hilft, Spuren aufzunehmen, ich letzten Endes aber auch nach Jahren noch Laie bin, manchmal eher hinein- denn herausrieche?! Auch ich bin ein neugieriger, begeisterter Laie. Bescheidenheit und Demut sind da gute Tugenden.
XyzXyzXyzXyz vor 11 Monaten
Ja, herrlich. Ging mir dieses Jahr zum Beispiel mit Perseus wieder so. Ausgerechnet! Wo der doch literally kinderleicht zu bestimmen ist! Ich dachte nur: „Schockverliebt UND irgend eine wichtige Suche beendet, kann nicht mehr ohne, der Hammer, geil.“ Dass das was mit Mandarine, Orangenschale und Zitrone zu tun hatte, hat mein dämliches Unterbewusstsein nichtmal anhand der Flakonfarbe vorausgesehen. Keine Ahnung. Flakon irgendwie eher mit Eigelb und Sand assoziiert XD
XyzXyzXyzXyz vor 11 Monaten
Also, ich rede nicht von den ersten Momenten, sondern von STUNDEN des Probetragens XD XD
AmazonaAmazona vor 11 Monaten
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Wie wahr, wenn auch unfreiwillig. Seit einiger Zeit mache ich mir mit einer Freundin (die extrem picky ist mit Düften) den Spass, Discovery-Sets, Abfüllungen, Proben blind zu testen. Herzhafter kann man nicht lachen, wenn 2 Personen desgleichen Geschlechts komplett unterschiedliche Sinneseindrücke haben. Wie man mit den Augen ißt, riecht man auch mit den Augen, wenn die Möglichkeit besteht. Weil es der Gewohnheit entspricht. Ich kann dennoch nicht auf Flacons verzichten, weil mir die Taschenzerstäuber sämtlichen Spass am Hobby nehmen würden. Vor meinem inneren Ich taucht der Wunschduft auf, den es zu finden gilt. Die Einheit Flacon-Duft macht die Suche einfach. Ich hoffe, Deine Begeisterung hält noch lange an.
ErgoproxyErgoproxy vor 11 Monaten
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Ich bin bei Cora. Ich teste alles ohne Erwartungen und jeden Duft für sich. Pyramiden lese ich immer erst im Nachhinein und nicht immer erschließen sich mir die beabsichtigen Noten. Auch ist es mir egal was Düfte kosten um sie für mich als gut und angenehm zu empfinden. Die eigene Nase irrt sich nie, nur die Meinung der anderen. 😁
CoraKirschCoraKirsch vor 11 Monaten
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Oh, das bist nicht nur Du! Für Wein gilt dasselbe: Wenn Leute den Preis eines Probeschlucks nicht kennen, sind sie völlig unbefangen. Viele können nichtmal rot und weiß unterscheiden, wenn beides dieselbe Temperatur hat 😇
Ich hab mir (bei Parfum) die Erwartung abgewöhnt, meine Vorstellung stimmt eigentlich nie. Die Neugier ist geblieben.
PollitaPollita vor 11 Monaten
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Spannend. Ist mir bei Wein tatsächlich auch mal passiert, dass ich einen Roten für einen Weißen gehalten habe. Und bei Parfum ist mir auch ein erster Eindruck ohne Vorbelastung, sprich Lesen der Duftnoten, lieber. Wie Ergo so schön sagt: Die Nase entscheidet, was gut ist.