Ronin

Ronin

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6 - 10 von 50
Ronin vor 7 Jahren 7
8
Flakon
8
Sillage
6
Haltbarkeit
8
Duft
Kein Sonntagsbraten. Kein Gin. Wacholder.
Wacholder ist ein spannendes Gewürz:
Fruchtig in die Zitrusrichtung gehend.
Bitzelig-frisch wie Nadelholz, nur nicht holzig.
Eine kühle Würze, ohne krautig zu wirken.
Warme Facetten, die im Kontrast zu den genannten kühlen Aspekten stehen.

Also komplex, damit auch sperrig und beim Kochen gar nicht so einfach einzusetzen. Passt gut zu Sauerkraut. Die wahre Bestimmung scheint allerdings der klassische Sonntagsbraten zu sein, egal ob vom Schwein oder Wild. Hier ist die Komplexität hochwillkommen, die Schmoraromen dämpfen die Sperrigkeit.
Mengenmäßig bedeutender ist vermutlich die Aromatisierung von Spirituosen mit Wacholder, nicht erst seit dem Gin-Tonic-Revival der letzten Jahre.

Es gibt einige Parfums, die mit Wacholder als Note solch einen Gineindruck erzeugen, ob nun Oliver Cresps "Juniper Sling" oder gefühlt jeder zweite Geza-Schön-Duft. Ich mag das sehr, habe nur immer Bedenken, ob mich dieser Spirituoseneindruck vom Tragen bei der Arbeit abhalten sollte.

"Onde Sensuelle" nun ist fraglos ein Wacholderduft. Mit der Neugier, ob uns auch Bertrand Duchaufour einen Gincocktail kredenzt, näherte ich mich dem Duft an. Und roch zunächst vor allem Rhabarber. Schnell wird aber Wacholder dominant mit all den oben beschriebenen Aspekten, die noch jeweils mit anderen Noten verstärkt werden: das Bitzelig-Frische mit dem erwähnten Rhabarber, das Fruchtige mit einer saftigsüßen, bis in die Basis zu riechenden Mandarine, die kühle Würze mit Kardamom. Bereits früh im Verlauf wird der Duft wärmer durch Safran ohne dessen manchmal präsente Staubigkeit. Das ganze ruht auf einer warmen, fluffigen Moschusbasis, die gerade so unsauber ist (animalisch wäre übertrieben), dass sie nicht zu klinisch wirkt. Weiterhin ist die Basis gleichzeitig warm und frisch, so dass ich auf eine kräftige Ambroxandosis tippe, die diese eher widersprüchlichen Charakteristika miteinander vereinen kann.
Diese Kombination des Wacholders mit Noten, die sich mit dessen Geruchseindruck überlappen, führt zu einem spannenden Effekt: wenn ich "Onde Sensuelle" beiläufig rieche, bemerke ich als einzige Note Wacholder. Konzentriere ich mich hingegen auf das Parfum, nehme ich die Wacholderaspekte getrennt voneinander wahr – ein fruchtiger Mix mit Mandarine, ein frischer mit Rhabarber, ein kühlwürziger mit Kardamom und ein warmer mit Safran-Moschus – und durch dieses Auffächern erkenne ich den Wacholder gar nicht mehr als solchen. Ein wenig wie Heisenbergs Unschärferelation. Das mag jetzt anstrengend klingen, ist es aber gar nicht. Ganz im Gegenteil: dadurch bleibt "Onde Sensuelle" abwechslungsreich und ich scheine mich auch nicht so schnell an den Duft zu gewöhnen.
Eine weitere, nicht zu unterschätzende Folge dieser Kompositionsart: ich habe nie den Eindruck, eine Ginfahne zu haben. Oder ein Sonntagsbraten zu sein.

Und das ist nicht das Schlechteste für einen Wacholderduft.
7 Antworten
Ronin vor 8 Jahren 16
6
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft
Den inneren Resetknopf drücken.
Meinem liebsten Weinversandhändler halte ich nun schon über 15 Jahre die Treue. Dadurch habe ich Weine kennen gelernt, die ich sonst nie und nimmer entdeckt hätte. Die besonders ungewöhnlichen Weine werden von ihm gerne mit dem Kommentar versehen “Bitte drücken Sie Ihren inneren Resetknopf, wenn Sie diesen Wein probieren.” Und tatsächlich: Weine, die nicht gängigen Konventionen oder Geschmackserfahrungen entsprechen und deswegen als schwierig, kompliziert, unnahbar gelten, müssen überhaupt nicht schwierig, kompliziert, unnahbar sein. Wenn man sich komplett offen, ohne ein krampfhaftes Vergleichen- oder Einsortierenwollen auf sie einlässt. Es gibt natürlich auch Weine, bei denen der Genuss noch größer sein kann, wenn gerade nicht auf den Resetknopf gedrückt wurde - ein “Reintrinken” kann bei roten Bordeaux z.B. nicht schaden.
Das gleiche gilt auch für Parfum: Düfte von Divine, Oriza L. Legrand, Roja Dove oder Patricia de Nicolaï erschließen sich leichter (und gefallen im Zweifelsfall besser), wenn die großen Guerlains, Cotys, Chanels oder Carons mal gerochen wurden. Bei Geza Schöns Parfums hingegen ist das Betätigen des Resetknopf angebracht - bevor Verzweiflung einsetzt, weil partout das Raster Chypre/Fougère/Oriental/etc. nicht passt. Noch nicht mal einen gescheiten Verlauf haben die meisten seiner Düfte.
Man sollte auch lieber ausblenden, was Teile des Fachhandels (“Mephisto”) oder seiner Kolleginnen und Kollegen (“unglaublich talentiert”, “Inspirationsquelle”) so von sich geben. Bei der Dramaerwartungshaltung kann sich ja nur Enttäuschung bei Geza Schöns grundentspannten Kreationen einstellen. Nicht nur bei “Pussy Deluxe”.

Ich habe beim ersten Test versucht, den Resetknopf zu drücken. Ganz konsequent hätte ich auch die (wohl die tatsächlich enthaltenen Duftstoffe nennende) Duftpyramide ignorieren sollen. Hat nicht ganz geklappt.
Das Parfum startet mit rosa Pfeffer und viel Zitrus, v.a. Limette. Wacholder sorgt dafür, dass - typisch für Geza Schöns Parfums - der Eindruck eines Gincocktails entsteht. Limette, rosa Pfeffer, Wacholder - genau wie der Start des "Escentric 01". Wirkt hier aber deutlich anders.
Weicher. Viel, viel weicher.
Fruchtiger, belebender rosa Pfeffer, aber nicht prickelnd scharf.
Saftige, frische Limette, aber nicht beißend sauer.
Recht schnell ist der pflanzliche Moschus (Ambrettesamen) der Basis zu riechen. Unter allen Moschusarten ist dieser mein liebster: eher cremig als pudrig und mit Aspekten vollreifer, fast schrumpeliger Äpfel. Castoreum sorgt dafür, dass die Moschusbasis nicht zu klinisch sauber wirkt. Es ist nur eine Spur Castoreum, die nicht heraus zu riechen ist und "Geza Schön" ist weit davon entfernt, animalisch zu duften.

Die bisher skizzierten Duftnoten setzen aber nur den Rahmen. Das Zentrum dieses Parfum ist frisches, strahlendes und cremiges Wohlgefallen. Ich kann es nicht besser beschreiben; denn das, was ich vor Nase habe, ist ein vollkommen abstrakter Duft:
Fruchtig, aber nicht aufzudröseln, aus welchen Früchten außer der Limette dieser Eindruck zusammengesetzt ist.
Frisch ohne Morgentau, Meeresbrise oder kalter Stein.
Warm ohne Süße oder Weihnachtsgewürze.
Cremig ohne Nivea, Penaten oder Sonnencreme.
Hell und strahlend ohne erklären zu können, was ich damit eigentlich meine.

Ist der Duft holzig? Nicht wirklich, wobei in der allerletzten Phase, beim Verblassen, eine feine Sandelholznote zu erkennen ist. Rieche ich Iso E Super? Fluch des Pyramidelesens, ich bin unsicher. Manchmal meine ich es zu erkennen, manchmal nicht. Wenn, dann ist es sicher das, was Geza Schön exklusiv bekommt, also das im Vergleich zu sonstigen Iso-Qualitäten weichere und weniger holzige Iso gamma Super. Egal, ob ich es nun wahrnehme oder nicht: "Geza Schön" ist nicht "Escentric 01", also kein Duft, der Iso E Super als selbständige Note prominent betont. Hier ist dieser Duftstoff Teil besagten Wohlgefallen-Akkords. Hedion in hoher Konzentration hat etwas Strahlendes und kann Fruchtnoten weit in einen Duft hineinragen. Helional kenne ich eigentlich nur in Kombination mit Calone in aquatischen Düften. Alleine soll es nach frischem Heu riechen, auch grün und harsch. Wenn ich mir vorstelle, Hedion, Helional und Iso E (oder gamma) Super miteinander zu kombinieren, dürfte etwas ganz schön Hartes dabei herauskommen. Das ist der Wohlgefallen-Akkord aber ganz und gar nicht, sondern cremig. Die Cremigkeit steuern dann wohl die restlichen Ingredienzien bei. Geza Schön sagte in einem Interview, der Anteil natürlicher Duftstoffe der Project-Renegades-Parfums sei ca. 35 %. Das wäre das Doppelte dessen, was in modernen Parfums typischerweise zu finden ist. Zu riechen in naturalistischem Sinne ist das nicht. Ich kann weder Osmanthus, Irisbutter (in der Parfumopyramide verklausuliert zu "bleiche Schwertlilie-Absolue"), Myrrhe noch Moos erkennen. Aber alle sind sehr cremig und liefern eine Opazität, um den Wohlgefallen-Akkord nicht gläsern wirken zu lassen.
Für meine Nase ändert sich dieser Akkord über viele Stunden gar nicht, weder Duftprofil noch Intensität. Der Rahmen um den Akkord herum schon - Limette und rosa Pfeffer halten für Kopfnoten erstaunlich lange durch, verblassen aber natürlich irgendwann und Moschus wird prominenter.

Die Haltbarkeit ist sehr gut, jenseits 12 Stunden. Das überrascht, denn "Geza Schön" ist von Beginn an dezent. Seltsamerweise ändert sich für mich überhaupt nichts daran, wenn ich 8 statt 2 Sprühstöße nehme. Der Duft bleibt dezent. Kräftig Nachlegen bringt also nichts, im Gegenteil: zum einen ist das Parfum nicht gerade billig, zum anderen ist Projektion und Sillage kräftig und es droht Großraumbüro- und U-Bahn-Verbot. Denn: Wohlgefallen ist subjektiv, und wenn sich alles um nur einen Akkord dreht, über Stunden, gibt es immer eine Person, der das nicht gefällt. Selbst nach Drücken des Resetknopfs. Objektiv betrachtet ist das Parfum sehr gut: eine parfumistische Idee wurde sorgfältig, konsequent und (so weit ich das beurteilen kann) ohne handwerkliche Fehler umgesetzt. Selten genug, dass ich so etwas riechen darf.

Ich habe jetzt sehr oft den Resetknopf gedrückt, aber der Flakon gefällt mir immer noch nicht. Immerhin macht sich der Cowboy-Geza-Magnetkopf gut an der Notizwand neben den Souvenirmagneten der letzten Urlaube.
16 Antworten
Ronin vor 8 Jahren 17
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
Der scharlachrote Buchstabe R
Rhabarber ist unter parfumistischen Gesichtspunkten eine paradoxe Note: je natürlicher der Duft - nicht des Kompotts, nicht des Kuchens - des frischen, saftigen, sauren Rhabarbers eingefangen wird, desto synthetischer wirkt er in Parfums: metallisch, hart, stumpf. Der große Spaßvogel unter den Parfumeuren, Mark Buxton, mag genau solche Paradoxien und hat riechbar Freude daran, in seinen Parfums oft Rhabarber einzusetzen und das Harte, Metallische noch heraus zu kitzeln.

Nun ist Christine Nagel nicht Mark Buxton und Hermès - ist halt Hermès. Deswegen werden ähnlich einer Erdbeer-Rhabarber-Marmelade im vorliegenden Duft dem Rhabarber andere Früchte an die Seite gestellt, um das Harte etwas weicher zu zeichnen und den synthetischen Eindruck zurück zu drängen. Ich nehme kurz etwas Grapefruit war, dann Himbeere und schwanke zwischen Apfel und Birne. Bevor ich mich für eine der beiden Kernobstarten entscheiden kann, fügen sich die bisherigen Eindrücke zu einem neuen Bild zusammen: Champagner. Fruchtig, frisch, prickelnd. Jetzt muss fast unweigerlich ein Rosenakkord erscheinen (wer sich fragt warum: Geduld, mein Kommentar ist ja noch lang). Und genau so ist es. Eine eher wässrige Rose, taufrisch und fröhlich. Etwas synthetisch wirkend, aber nicht unangenehm, sondern reizvoll. Ich muss an eine rote Rose denken, nicht an eine rosafarbene. Ob dies der Einfluss der Farbe des ausgesprochen schönen Flakons ist oder nicht sei dahingestellt. Jedenfalls legt "Eau de Rhubarbe Écarlate" den Weg von Frucht zu Rose nicht vollständig zurück, sondern verbleibt zwischen den Polen. Manchmal nehme ich stärker die Rose war, ein anderes Mal die Frucht. Dann, so als hypothetische Frucht-Rosen-Mischung, Hagebutte. Wiederum Champagner. Dieses flirrende Changieren zwischen den Eindrücken hat etwas sehr Animierendes, Fröhliches, Unverkrampftes. Der Duft spielt damit, sich nicht festzulegen. Und nicht festlegbar zu sein. Die fröhliche Phase des sich nicht entscheiden Wollens zwischen Frucht und Rose prägt das Cologne bis in die Basis. Dort gesellt sich ein Moschus hinzu, zum Glück ein eher cremiger (vermutlich aus der Ambrettolidecke) und kein pudriger. Zum einen mag ich die cremigen Moschusarten viel lieber, zum anderen hat guter Blanc-de-Blancs-Champagner eine wunderschöne cremige Textur und es wäre schade, wenn das Champagnerthema nicht auch so wieder aufgegriffen worden wäre. Des Weiteren hat zumindest Ambrettolid fruchtige Facetten, die an schrumpelige Äpfel erinnern, womit die Frucht bis in die Basis getragen werden kann.
Und so klingt der Duft auch aus: eine fruchtige Rose bzw. eine rosige Frucht bzw. Champagner auf einem Bett aus cremigem Moschus.

Es fällt mir gar nicht so leicht zu beurteilen, WANN "Eau de Rhubarbe Écarlate" denn ausklingt. Trage ich ihn nachmittags oder abends auf, kann ich morgens nach dem Aufwachen noch den kompletten Duft, also nicht nur Basisfragmente, wahrnehmen. Obwohl hautnah also eine beachtliche Haltbarkeit, für ein Cologne geradezu herausragend. Andererseits verspüre ich nach so ca. 2 Stunden Tragens in einem duftgeschwängerten Alltag das dringende Bedürfnis nachzulegen, weil ich zu wenig vom Parfum rieche. Vermutlich gewöhne ich mich einfach sehr schnell an dieses Cologne und nehme ihn an mir nicht mehr wahr. Selbstverständlich qualifiziert sich "Eau de Rhubarbe Écarlate" damit als Sommerurlaubsduft: wann immer ein Frischekick gewünscht wird, kann fröhlich nachgesprüht oder gesplasht werden, ohne Gefahr zu laufen, im eigenen Parfumdampf zu ersticken. Die Cologneprüfung ist somit bestanden.

Bleibt noch Frage, warum Parfums mit einer Champagnernote fast immer auch nach Rose riechen. Hier hilft zur Erläuterung, sich etwas tiefer mit der chemischen Zusammensetzung einer Rosennote auseinander zu setzen. Vielleicht ist es der geruchliche Reichtum der Rose, die sie zur Königin der Blütennoten macht: eine Rose riecht nicht einfach nur nach Blüte. Immer ist auch etwas Grünes, wie Blattgrün, zu riechen. Viel Fruchtiges, vielleicht ist die Rose die fruchtigste alle Blütenoten. Honig.
Analysiert man die Duftstoffe einer Rose, so sind die am häufigsten vorkommenden die gleichen wie bei z.B. Geranie, Maiglöckchen oder Hyazinthe. Für die Unterschiede zu diesen Blumen sind Verbindungen verantwortlich, die weniger als 1 % der Rosenessenz ausmachen. Zum einen Rosenoxid mit einem floral-grünen Duftprofil, zum anderen eine Klasse von Verbindungen, die Damascone und Damascenone genannt werden. Diese sind für den ausgeprägt fruchtigen Charakter der Rose verantwortlich. Pur erinnern diese als "narkotisch fruchtig-floral" beschriebenen Damasc(en)on-Duftstoffe neben Rose an Traube, schwarze Johannisbeere und Trockenpflaume.
Das Wissen, wie der Duft der Rose "funktioniert", und die synthetische Nachstellung der duftbestimmenden Bestandteile erlaubt nicht nur, Rosendüfte naturgetreu nachzubauen, sondern gibt auch die Möglichkeit, einen Rosenakkord zu verändern – z.B. wenn man versucht, mit so wenigen Einzelsubstanzen wie möglich einen dennoch als Rose zu erkennenden Akkord zusammen zu stellen, wird es eine transparente Rose sein. Sollen hingegen bestimmte Aspekte (fruchtig, grün, Honig) betont, in den Vordergrund gestellt werden, so kann dies durch Veränderung der Duftstoffverhältnisse im Vergleich zur natürlichen Rose realisiert werden: Das erste Beispiel, indem die fruchtigen Damascone bzw. Damascenone massiv überdosiert wurden, ist E. Fléchiers "Poison" mit einer zehnfach erhöhten Konzentration im Vergleich zum Vorkommen in natürlichen Rosenölen. So riecht man zuerst nur die fruchtigen Aspekte der Rose, die nach und nach erst komplettiert wird. Bei noch höherer Konzentration, in einem Kontext frischer Noten, bekommen solche damascongeprägten Rosenakkorde etwas Prickelndes und erinnern sehr an den Geruch eines Champagners. A. Goutals "Ce Soir ou Jamais" und S. Constants "Dom Rosa - Eau Sanguine" sind Beispiele dafür, und gerade der Start von letzterem finde ich ganz zauberhaft und er ist für mich sehr ähnlich dem von "Eau de Rhubarbe Écarlate"; ähnlich in Bezug auf den fröhlichfruchtigen Start, den bitzeligen Übergang, der den Champagnereindruck evoziert, und die Andeutung einer wässrigen Rose, die immer nur eine Andeutung bleibt und nie voll erblüht. Später werden Unterschiede deutlicher: während "Eau Sanguine" rauchiger wird, bleibt der scharlachrote Rhabarber fruchtbetonter.

Wenn ich abschließend versuche, den Charakter dieses Parfums in einem Wort zusammenzufassen, muss ich einfach nur die Adjektive in obigem Text zählen: „fröhlich“ kommt am häufigsten vor. Womit sich "Eau de Rhubarbe Écarlate" hervorragend in die Hermès-Eau de Cologne-Serie einreiht. Santé, Christine Nagel!
17 Antworten
Ronin vor 8 Jahren 11
6
Flakon
5
Sillage
6
Haltbarkeit
8.5
Duft
Adagio Lavambra
In den Duftpyramiden der Essenzialmente-Laura-Parfums sind jeweils nur ein bis zwei Noten angegeben. Das ist Programm dieser neuen Marke: natürlich enthalten die Düfte mehr Komponenten, riechbar herausgestellt sind es aber immer nur wenige. Bei "Lavambra" sind es – kaum überraschend – Lavendel und Amber.

Ein 2015 erschienenes Parfum mit Lavendel als prägender Komponente kann eigentlich nur schwerlich Interesse hervorrufen. "Lavambra" gelingt dies aber mit einer ausgesucht prächtigen Lavendelqualität: alles, was Lavendel zeigen kann – Zitrisches, Krautiges, Blütiges, Harziges – ist hier zu riechen. Laut der Parfumeurin Laura Bosetti Tonatto ist Hauptaugenmerk ihrer Arbeit die Rohstoffwahl. Das behaupten alle. Der Lavendel der Essenzialmente-Laura-Parfums (z.B. auch verwendet in "Lavanda" und "La Lavanda di Leonardo") jedoch riecht tatsächlich so, als stimmte diese Aussage. Oft finde ich Lavendel in Parfums langweilig –zu oft in zu konservativen Düften gerochen. In "Lavambra" aber schafft es der aromatische Strauch mit den kleinen violetten Blüten, mich neu zu begeistern – und das ganz ohne dramatische Kontraste wie z.B. in "Brin de Réglisse", sondern einfach aus der Qualität des Rohstoffs heraus.
Zu diesem Lavendel gesellt sich sacht und gemächlich Amber: Nach und nach wird das Krautige des Lavendels gedämpft. Die zimtartige Facette, die häufig in Amberakkorden zu riechen ist, wird zuerst erkennbar. Das Helle des Lavendels bleibt, aber die Kälte nicht. "Lavambra" ist ein warmer Duft und würde ich eine Farbe zuordnen, so wäre es ein warmer, schimmernder Bronzeton – und nicht violett, obwohl Lavendel über den gesamten Duftverlauf erkennbar bleibt.
In der Phase des Hervortretens des Ambers nehme ich eine angenehm synthetische Note war, die mich entfernt an Ölfarbe und Knetgummi erinnert. Das kenne ich aus anderen Parfums. Mittlerweile weiß ich, dass dies Anisaldehyd kombiniert mit Heliotropin ist. Erstmals bewusst gerochen habe ich dies in "L'Eau d'Hiver", J.-C. Ellenas Hommage an Jacques Guerlains "Après L'Ondée", das wiederum auf François Cotys "L’Origan" basiert. In allen dreien ist diese Anisaldehyd-Heliotropin-Kombination charakteristisch. Gut möglich, dass Laura Bosetti Tonatto mit ihrer Verwendung hier in "Lavambra" diese Diskurslinie zitiert. Diese Verbeugung vor der Parfumgeschichte wäre aber mitnichten Selbstzweck. Das Anisige des Anisaldehyds bereitet das Zimtartige des Ambers vor, das Pulvrig-Pudrige des Heliotropins ist ein Vorbote der Ambertextur. Noch wichtiger erscheint mir, dass durch synthetisch anmutende Duftstoffe ein charmanter, vielleicht sogar für die Spannung im Parfum notwendiger, Kontrast zu den beiden natürlich riechenden Hauptnoten erzielt wird.
Diese Spannung ist aber keineswegs dramatisch. Das ganz allmähliche Verschieben der Proportionen von Lavendel zu Amber gibt einen langsamen Takt vor. Und so ist "Lavambra" in Summe ein in sich ruhendes Parfum.
Und ein beruhigendes.
11 Antworten
Ronin vor 9 Jahren 33
7.5
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
2.5
Duft
Eine Ansammlung von Fragmenten ist nicht automatisch eine Collage
Die Spannung oder auch Vorfreude auf Parfumo war groß, als im Mai 2015 bekannt wurde, dass François Demachy für Dior einen neuen Herrenduft herausbringen würde. Manche erwarteten nicht weniger als einen Meilenstein, einen neuen Fixstern im Parfumkosmos. Kulturpessimistisch Veranlagte wiederum äußerten ihre Bedenken, dass das Parfum bestimmt ganz schlimm sei, und wenn es schon nicht den Untergang des Abendlandes einläute, so doch zumindest den des Hauses Dior. Als Bestätigung dienten erste Flakonbilder: die Form der Collection Privée, einen Farbverlauf ähnlich „Fahrenheit“ und der Name dem ersten Herrenduft „Eau Sauvage“ entliehen. Wie einfallslos das denn sei.

Ich muss gestehen, ich fand mich nicht in diesen beiden Extrempositionen wieder: Namensgebung und Design sind nicht unbedingt einfallslos, sondern hätten andeuten können, dass „Sauvage“ eine Brücke schlägt zwischen den verschiedenen Dior-Düften. Wenn der Flakoninhalt auch diese Brücke geschlagen hätte – warum nicht?

Hoch war meine Erwartungshaltung freilich erst recht nicht. Da reichte mir schon die Information zum Parfumeur, den ich aus Versehen manchmal Demonchy schreibe. Er ist derjenige, …
… der auf die Idee kam, eine ganze Tüte Campino Fruchtbonbons in „Fahrenheit“ aufzulösen und als „Fahrenheit Parfum“ auf den Markt zu bringen.
… der eine scheibchenweise Degeneration der brillanten „Bois d’Argent“-Idee hin zu „Dior Homme Parfum“ zu verantworten hat.
… in dessen Zeit als Dior-Hausparfumeur der Preis eines Flakons der Collection-Privée-Linie verdoppelt, die Konzeption jedoch stark verwässert wurde. Nach dem fulminanten Start aus der Zeit vor Demachy mit den drei Colognes „Bois d’Argent“, „Eau Noire“ und „Cologne Blanche“ wechseln sich ausdrucksvolle Parfums ab mit braven Sicherheitsdüften, die wohl vor allem kaufkraftstarke Kunden im Nahen Osten überzeugen sollen.

Ein großes Aber. Wenn ich eines in den letzten Jahres über das Parfumbusiness gelernt habe, dann Folgendes: das Können einer Parfumeurin oder eines Parfumeurs lässt sich nicht an deren schlechten Düften festmachen, sondern den guten. Wer weiß schon, welcher Kosten- oder Zeitdruck hinter der Entwicklung steckte, wie eng die Vorgaben zum Nachhecheln irgendwelcher Trends waren? Man darf nicht vergessen, dass Parfums Christian Dior zu LVMH gehört - dem Konzern, der berüchtigt dafür ist, prestigeträchtige Weingüter (oftmals feindlich) zu übernehmen. Anschließend fällt dann die Weinqualität, der Verkaufspreis hingegen steigt.
Trotz dieses Umfelds gelang es François Demachy durchaus, wunderschöne Düfte für Dior zu kreieren; zumindest immer dann, wenn er sich aus seiner Gourmand Comfort Zone hervorgewagt hat und es sich nach unserem Zuruf "Alkohol ist keine Lösung!" verkneifen konnte, Noten von Kirsch- oder Birnenlikör zu verwenden: „Eau Sauvage Parfum“ ist so schlecht nicht, wenn der Name auch irreführend sein mag, „Fahrenheit Absolute“ hätte mit einer inspirierten Basis gar richtig gut sein können. In der Privée-Serie zeigt Demachy schließlich mit „Vétiver“, „Granville“ oder „Gris Montaigne“, was er kann – wenn man ihn lässt und wenn er will. Da „Sauvage“ nach allem, was man vor Lancierung lesen konnte, frisch sein sollte, hatte ich doch eine zarte Hoffnung.

Bis zum ersten Test.

Sehr verständlich findet sich in jedem 3. Kommentar das böse D-Wort: Duschgel. Ich mag präzisieren - ein 90er Jahre Duschgel der Richtung extra/aqua/energizing-fresh. Dieser Dufteindruck ist deswegen so passend, weil eine schrille, metallische Zitrusnote den Start Sauvages prägt. Auch wenn nicht in der Pyramide angegeben bin ich mir ziemlich sicher, dass eine gehörige Menge Dihydromyrcenol dafür verantwortlich ist. Diese Aromachemikale mit dem sperrigen Namen war in den 80ern beliebt, um die Lavendelnote der Aromatic Fougères mit Waschmittelfrische zu boosten, und im Übergang zu den 90ern, um mit Grünkrautigem und Ambroxan Meereseindrücke zu evozieren ("Cool Water"). Die Wirkung des Dihydromyrcenol kann man mit dem Verstärkungseffekt eines plärrenden Plastikbluetoothlautsprechers vergleichen: für manche Musik ist diese Verstärkung geignet, andere wird einfach kaputt gemacht (und das sagt nichts über die Qualität der Musik aus, weder in die eine noch die andere Richtung). Dihydromyrcenol ist für Lavendel und grüne Kräuter passend, für Zitrusnoten muss es mit sehr viel Feingefühl eingesetzt werden, ansonsten entspricht es dem Hören eines Streichquartetts mit besagtem Lautsprechern: schrill und blechern wird die Zitrusnote. Alles Saftige verdörrt. Egal wie hochwertig eine Bergamotte sein mag – Dihydromyrcenol wirkt qualitätsnivellierend. Das mag der Grund sein, warum die Kombination mit Zitrusnoten in Functional Fragrances wie Waschmitteln, Haushaltsreinigern und eben Duschgelen verbreiteter ist als in der Feinparfumerie. Demachy bzw. die Dior-Verantwortlichen wussten dies natürlich und entschieden sich bewusst dafür, mit diesem Parfumauftakt Leute ansprechen zu wollen, die eigentlich gar kein Parfum mögen und lieber wie ein Duschgel riechen.
Das ist aber nicht der einzige Zielmarkt: Dihydromyrcenol wird hier auch mit Ambroxan kombiniert und ergibt ein Muster, das aus “Cool Water” bekannt ist. Ich sage damit nicht, dass die beiden Düfte sehr ähnlich riechen, aber es werden Fragmente aufgegriffen, um treue “Cool Water”-Kunden anzusprechen (und zum Wechsel zu bewegen). Ich bin nicht besonders gut im Erkennen von Ambroxan. Normalerweise erkenne ich es nur mittelbar, wenn eine Parfumbasis ungewöhnlich hell, frisch und dabei weich ist. Hier ist die Konzentration aber so hoch, dass ich Ambroxan an sich erkenne, mit seinen warm-ambrierten, holzigen Facetten (immerhin: wenn ich das sehr teure Ambroxan so deutlich erkenne, muss sehr viel enthalten sein - damit dürfte "Sauvage" zu den Neuerscheinugen mit ungewöhnlich hohen Rohstoffkosten gehören).
Der frische Start wird nun in “Sauvage” kombiniert mit einer süßen Basis. Der Pyramide kann ich nicht entnehmen, was diese Süße hervorruft, was in Kombination mit Ambroxan so riechen könnte. Da ich gerade Dannyboys frisch veröffentlichten Kommentar lese – ja, es könnte tatsächlich eine Cashmeran-Myrrhe-Kombi ala Gualtieri sein. Eine ausgeprägte Süße als Basis nach fougèreartiger Frische kennen wir aus einem der erfolgreichsten Herrenparfums der letzten Jahrzehnte – “Le Mâle”.

Mit “Sauvage” haben wir also einen Duft, der streng nach Marktanalysen entwickelt wurde: zwei der erfolgreichsten Herrendüfte, bei denen darauf geachtet wurde, dass sich die Altersstruktur der Träger nicht zu sehr ähnelt. Dazu potenzielle Erstduftverwender, die bisher noch nie Parfum verwendet haben. Damit wird eine möglichst große Beliebtheit angestrebt.

Das muss ja nicht schlecht sein. Aber hier wird aus Beliebtheit Beliebigkeit. Ich gehe noch weiter: Wenn wir an “Sauvage” riechen, stellt sich die Frage: was ist ein Parfum? Ist jede Duftstoffmischung ein Parfum?
Nein, das ist sie nicht. Ein Duftstoffmischung wird zum Parfum durch den gestalterischen Willen eines Parfumeurs. Nur dafür ist in “Sauvage” kein Platz. Aus dem möglicherweise marktkonformen, in jedem Fall aus Marktbedürfnisanalysen abgeleiteten Nebeneinanderlegen der Fragmente anderer Düfte entsteht nichts gestalterisch Neues.
Keine Collage, es bleibt ein Fragmenthaufen.
Ein Duft, aber kein Parfum.
33 Antworten
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