ScentBubble

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ScentBubble vor 3 Jahren 8
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Immer diese Immergeher...
wird sich der eine oder andere Duftliebhaber denken, wenn er aus seiner Nische heraus auf das breite Angebot der Düfte schaut, die einfach zu jedem Anlass, zu jeder Jahreszeit und idealerweise auch durch jede Altersgruppe getragen werden können. Ob Kritiker oder nicht: Man muss Chanels Allure Homme Sport Eau Extrême zugestehen, dass er zu eben diesen flexiblen Düften gehört. „Gehasst, Verdammt, Vergöttert“ heißt es beim gleichnamigen Song der Onkelz. In gewisser Weise trifft diese Bewertung auch auf AHSEE – wie man ihn zumeist abkürzt – zu. Ich möchte im Folgenden den Versuch unternehmen, den interessierten Duftfreund etwas vertrauter mit ihm zu machen und hoffe sehr, dass mir dies auch gelingt.

Schon mit einem Blick auf die lancierte Duftpyramide wird deutlich, dass es sich um einen variablen und gemeinhin gefälligen Duft handeln muss. Mehr zum Lesen und Beurteilen eines Duftes nach seiner Pyramide findet ihr im Übrigen im „Liest sich gut.“-Blog der bezaubernden Mari(ellaMmmh) sowie in der dazugehörigen Antwortsektion.

Da hätten wir also zunächst Mandarine und auch Minze. Beide Duftnoten sorgen vor allem im Opening für ein gerüttelt Maß an Erfrischung und Durchhaltevermögen bei hohen, auch höchstsommerlichen Temperaturen. Der Duft kann sogar im Gym getragen werden, ohne in irgendeiner Weise negativ aufzufallen, ganz im Gegenteil. Im weiteren Duftverlauf verabschiedet sich die Mandarine. Spätestens in der Basis bleibt lediglich die Minze erhalten und sorgt für ein sehr angenehmes Frischegefühl.

Die zweite Schlüsselnote von AHSEE ist der Pfeffer. Dieser sorgt ebenfalls für eine würzige Frische, jedoch auch für etwas Kante, und bildet den olfaktorischen Gegenpol zu den frischen Noten, vor allem aber zur dritten wichtigen Duftnote, die bis in die Basis hinein erhalten bleibt: Die Tonkabohne.

Vanillig, süß und bei diesem Duft ausgesprochen cremig kommt sie daher. Sie ist für den einladenden, einschmeichelnden und gefälligen Grundcharakter des Duftes verantwortlich. Darüber hinaus bietet sie auch dem anderen Extrem der Lufttemperaturskala die Stirn, nämlich strenger winterlicher Kälte. Ohne sie wäre dem Duft das gleiche Schicksal beschieden wie den allermeisten anderen Freshies, die von extremer Kälte schlichtweg gefressen werden.

Das Ergebnis der vier Hauptprotagonisten ist ein sportlicher, frischer, sauberer, leicht süßer und im Drydown sehr weicher und cremiger Duft – ein klassischer Immergeher.

Etwas Wichtiges zur Performance: AHSEE strahlt in den ersten ein bis zwei Stunden stark ab, nahezu opulent. Danach wird er zurückhaltender und ist auf halbe Armlänge wahrnehmbar. Jedoch: Der Pfeffer sorgt bei dem einen oder anderen Träger dafür, dass die Nase duftblind wird. Seid euch gewiss: Eure Mitmenschen können den Duft locker, wirklich ganz locker acht Stunden nach dem Auftragen wahrnehmen, vor allem den Duftschleier. Diese Aussage basiert auf einem validen Testergebnis!

Der Flakon – nun ja. Einfach und irgendwie doch edel, würde ich sagen – dies ist sicher Geschmackssache. Ich persönlich hätte auch gut mit einer massiven Magnetkappe leben können, wie man sie bei anderen Chanel-Düften vorfinden kann, aber die mit einem Klick schließende Plastikkappe tut es auch. Darüber hinaus halte ich es für vorteilhaft, wenn man sich ohne besondere Maßnahmen ein schnelles Bild vom Füllzustand machen kann. Transparente Flakons sind hier meines Erachtens von Vorteil – aber dies ist gewiss Jammern auf hohem Niveau.

Wer also einen äußerst flexiblen Duft sucht, den er beispielsweise im Gym und nach dem Training auflegen kann, um sofort im Anschluss zu einem Date mit der Person seines Herzens fahren zu können, und zwar das gesamte Jahr über, ist hier sehr gut aufgehoben. Ach ja, dies richtet sich an alle Geschlechter; ich halte AHSEE für unisex.

Gebt ihm eine Chance und probiert ihn aus!

Danke für’s Lesen!
8 Antworten
ScentBubble vor 3 Jahren 8
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Fernweh
Mexikanische Karibikküste. Baden im türkisblauen Meer, bei etwa 26° Celsius Wassertemperatur. Vereinzelt umspielt etwas Seetang die Beine. Große Steine gibt es auf dem Grund nicht, alles ist eben und fühlt sich angenehm an. Schneeweißer Sandstrand. Palmwedel wiegen sich im Wind. Treibholz hier und da. Je nach dem, wie der Wind steht, wehen ein paar Takte Merengue-Musik über die Uferzone bis auf das Meer hinaus…

Dieses oder ein ähnliches Bild aus seinem Heimatland dürfte es gewesen sein, das den Parfümeur Rodrigo Flores-Roux inspiriert hat, Artisan Pure zu kreieren – den Duft, den ich heute vorstellen möchte.

Schon der Flakon umreißt ganz klar, was für eine Art Duft sich darin verbirgt. Der Behälter selbst ist aus weißem Milchglas, umschlossen von weißem Rattan. Der Boden ist aus Holz, der Deckel wird in Kork-Optik gehalten. Insgesamt wirkt der Flakon hochwertig und besonders und fängt also schon für sich genommen einen beachtlichen Teil Strandgefühl ein.

John-Varvatos-Düfte sind – das ist hinlänglich bekannt – nicht unumstritten. Als größter Kritikpunkt gilt deren Haltbarkeit. Ist es also dem Parfümeur gelungen, auch mit dem Duft selbst das erwünschte Gefühl von Sonnenschein und sommerlicher Haute Couture zu vermitteln? Und falls ja, wie ist es um die bei Sommerdüften ohnehin zumeist weniger gute Haltbarkeit bestellt?

Nun, Artisan Pure startet mit einem sauren, fast schon bitter-sauren Auftakt. Geschickt ineinander verwobene Noten von Orange, Bergamotte und Limone ergeben eine zwar leicht synthetische, aber angenehm herbale Zitrik, jedoch keinesfalls die – leider als inflationär vorgetragenes Totschlagargument missbrauchte – charakteristische Geruchsrichtung von Luftauffrischern im Sanitärbereich. Das bitter-saure Erscheinungsbild des Duftes wird geschickt aufgefangen und abgefedert durch die holzige Note und auch die leichte Blumigkeit der Iris.

Das Ergebnis ist ein Sommerduft, welcher durch den sauer-zitrischen Grundcharakter trotz des bei hohen Temperaturen oft zu verzeichnenden Nachsüßens eines Duftes immer eines bleibt: Erfrischend besonders, nahezu einzigartig. Er verläuft dabei grundsätzlich linear, wird aber später noch etwas cremiger, was ich persönlich gerade bei einem Sommerduft durchaus angenehm finde.

Artisan Pure legt in den ersten ein bis zwei Stunden – je nach Hauttyp – gut los und wird dann deutlich leiser. Jedoch ist der Duft für Außenstehende insgesamt etwa sieben Stunden gut wahrzunehmen – für einen Sommerduft und insbesondere einen John Varvatos überaus akzeptabel, wie ich finde. Getragen werden kann er von allen, die ihn mögen, und zwar ganztags. Sein hauptsächlicher Einsatzzeitraum dürften warme Frühlings- und natürlich Sommertage sein – auch die ganz heißen, an denen selbst andere Freshies die Segel streichen. Artisan Pure steht sie durch und packt sie alle – vielleicht auch dich, wenn du ihm eine Chance gibst!

Vielen Dank für dein Interesse!
8 Antworten
ScentBubble vor 3 Jahren 6
9
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft
WYSIWYG
Nachdem ich mich kürzlich mit dem extrem schwarzen Duft des Designerhauses Mandarina Duck befasst habe, soll dieser sachlich geprägte Kommentar sich nun mit „Tobacco & Tonka Bean“ der Marke Banana Republic auseinandersetzen – ein Modeunternehmen, das seinen Ursprung in Mill Valley (Kalifornien, USA) hat und mittlerweile weltweit Bekleidungsartikel feilbietet.

Bei „Tobacco & Tonka Bean“ handelt es sich um einen – ja, nennen wir es: Cheapie, der für unter 30 Euro angeboten wird. Man erhält dabei stets einen 75 ml – Flakon.

Wer nun aber zu dem voreiligen Schluss kommt, dieses Eau de Parfum käme dem Preis entsprechend günstig und unprätentiös daher, irrt gewaltig – und zwar, was die Präsentation, als auch den Duft selbst betrifft. Vielmehr kann sich schon die Verpackung mühelos an gehobenen – meines Erachtens sogar nischigen – Ansprüchen messen lassen. Der Flakon ruht in einer stabilen Schublade aus Hartpappe, die sich an einer Lasche aus einem perfekt angepassten Karton ziehen lässt. Er selbst macht im Übrigen mit seinem margentafarbenen, transparenten Glas und der mit einem deutlichen Klick schließenden, aus massivem Metall gefertigten Kappe einen wirklich hochwertigen Eindruck. Das habe ich bei Düften dieses Preissegments schon deutlich schlechter erlebt.

Was den Duft selbst anbelangt, reflektiere ich schon an dieser Stelle auf meine Überschrift: What You See Is What You Get. Punkt.

In der Basis bekommen wir es nämlich mit diesen Noten zu tun: Tabak und Tonkabohne. Aber da ein Duft grundsätzlich nicht nur aus der Basis besteht und zudem idealerweise die eine oder andere kleine Besonderheit aufzuweisen hat, möchte ich an dieser Stelle nicht die Abkürzung nehmen und den Duftverlauf etwas dezidierter skizzieren.

Das Opening wird entscheidend durch Vanille und Kokosnuss geprägt – aber keine Sorge, es fällt nicht so süß aus, wie dieser Teil der Pyramide vermuten lässt. Hierfür können wir der fruchtigen, fast säuerlichen Mirabelle dankbar sein. Sie bietet den süßen Noten des Duftes ebenso mutig wie erfolgreich die Stirn und sorgt stets für einen sehr angenehmen Ausgleich. Warum die Birne in der hier ersichtlichen Duftpyramide hervorgehoben ist, erschließt sich mir offen gestanden nicht – ich kann sie beim besten Willen nicht wahrnehmen, aber diese Feststellung basiert selbstverständlich auf (m)einem subjektiven Eindruck.

Später dann zieht sich die Kokosnuss zurück und lässt Tonkabohne und Tabakblatt ans Mikro. Die Mirabelle scheint jedoch zu wissen, wozu die ebenfalls verbleibende Vanille und auch die Tonkabohne in punkto Süße in der Lage sind und bleibt sicherheitshalber auf der Bühne. Und das ist auch gut so, denn sie hat auch weiterhin die Kraft, stets für einen effektiven Ausgleich zu sorgen. Zudem geht es von nun an cremiger und schmeichelhafter zu Werke.

„Tobacco & Tonka Bean“ ist ein mittelmäßig projizierender Duft, der nach etwa sieben Stunden hautnah wird. Er eignet sich für den ganzjährigen Einsatz bei Tag und Nacht, ob im Büro oder beim Date. Am liebsten wird er jedoch in den Übergangsmonaten ausgeführt, und zwar von allen Geschlechtern gleichermaßen. Er kommt trotz des günstigen Preises für mein Empfinden jedoch nie synthetisch daher.

Auf eine eventuell vorhandene Vergleichbarkeit angesprochen, würde ich mit Bestimmtheit an „Vanilla & Leather“ von S. T. Dupont (an dieser Stelle nochmal ein fettes Dankeschön an Basti für seinen Kommentar als Empfehlung) denken, welcher vor allem im Drydown eine große Ähnlichkeit aufweist. Hinsichtlich der nachhaltig kolportierten Ähnlichkeit zu Initios „Side Effect“ kann ich leider nichts ausführen, da mein Geldbeutel mich bislang daran gehindert hat, diesen Duft kennenzulernen.

Ich persönlich mag „Tobacco & Tonka Bean“ und denke, dass Liebhaber der hauptsächlich vorhandenen Duftnoten sich nicht scheuen sollten, ihm eine Chance zu geben und einmal an ihm zu schnuppern.

Danke für’s Lesen, as always!
6 Antworten
ScentBubble vor 3 Jahren 6
6
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Extrem schwarz ist das neue Schwarz
Jo, das ist sie, die Eau-de-Parfum-Version des Duftes „Pure Black“ aus dem italienischen Designerhaus „Mandarina Duck“!

Das ist der schwarze Flakon mit der goldenen Schrift, der goldfarbenen Plastikkappe, die im Ansatz tatsächlich ein wenig an einen Entenschnabel erinnert und – ganz wichtig – der für Mandarina Duck typischen runden Delle auf der Rückseite. Der Flakon wirkt insgesamt – seien wir ehrlich – nicht besonders hochwertig. Gleiches gilt für den Sprühkopf, der seinen Dienst bei mir stets mit einem leichten Quietschgeräusch begleitet. Nicht cool, aber innerhalb meines Toleranzbereiches. Beim Klang des doch sehr plakativen Namens kommen bei mir umgehend Assoziationen zu anderen „schwarzen“ Düften auf: Trussardis „Black Extreme“, „Lapidus pour Homme Black Extreme“, oder auch umgedreht „Extreme Black“ von Red Logo, um mal einige zu nennen.

Was die Herausgeber der aufgeführten Namensvettern zu deren reißerischen Bezeichnungen veranlasst haben könnte, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Bei diesem Duft hier ist es meines Erachtens eindeutig: Im Zentrum stehen die getrockneten, meist schwarzen Samen, welche in der Frucht des Tonkabohnenbaumes zu finden sind und einen süßlich-vanilligen Duft ausstrahlen.

„Black Extreme“ eröffnet (Quietsch!) mit einer sehr präsenten Tonkabohne, die jedoch durch die deutlich wahrnehmbare, synthetische Bergamotte im Zaum gehalten wird. Abgerundet wird dieser sehr angenehme erste Eindruck sowohl durch eine Orangen- als auch durch eine Gewürznote. Schon in den ersten Sekunden wird deutlich, dass der Duft mit Blick auf die breit gefächerte Tonkabohnen-Konkurrenz zwar grundsätzlich generisch ist, sich aber dennoch durch die mitwirkenden Südfrüchte auch ein Stück Individualität bewahrt.

In jedem Fall setzt sich der Grundcharakter des Openings in der Drydown-Phase fort. Der Übergang verläuft weitgehend linear, bis auf die sich stärker abzeichnende Cremigkeit und die Raum gewinnende, zarte Zedernholznote. Zudem festigt sich mein Eindruck, dass – wenngleich hier nicht gelistet – auch Leder am Rande mitmischt.

Insgesamt bleibt „Black Extreme“ ein erkennbar süßer, jedoch aus meiner Sicht nicht zu süßer Duft, der vor allem wegen seiner dezenten Fruchtigkeit ganztägig und unabhängig vom Anlass getragen werden kann. Obwohl mit Sicherheit schwerpunktmäßig als Herbst- und Winterduft konzipiert, ist er meines Erachtens bis auf die ganz heißen Sommertage ganzjährig tragbar. Er strahlt in den ersten drei Stunden gut ab, geht dann jedoch vom Gas, bis er letztlich nach sieben bis acht Stunden hautnah wird.

Gerüchte, er würde in der Basis eine große Ähnlichkeit zu „Uden“ aufweisen, kann ich in Ermangelung von Vergleichsmaterial weder bestätigen noch verwerfen. Gesicherte Erkenntnisse hierzu sind jedoch in der Antwortsektion herzlich willkommen!

Mir ganz persönlich gefällt der Duft sehr. Zudem ist er bei den derzeitigen Preisen von 20 – 25 Euro für 100 ml (obwohl discontinued) für Liebhaber von tonkabasierten Düften ein absoluter No-Brainer. Und – jawoll, der Duft ist für jeden geeignet!

Ich hoffe sehr, ich konnte mit diesem vergleichsweise kurzen Kommentar der oder dem einen oder anderen Unentschlossenen bei der Entscheidung behilflich sein und bedanke mich wie immer für’s Lesen!
6 Antworten
ScentBubble vor 3 Jahren 11
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Morgen
Ein später Nachmittag wie so viele andere im Großraumbüro. Der Kopf fühlte sich leer an, die Augen brannten, und er entschied sich, in den Feierabend überzugehen. Viele seiner Kollegen hatten diesen Entschluss bereits vor ihm gefasst. Er fuhr seinen PC herunter, nahm seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

Nach wenigen Schritten konnte er ihren Schreibtisch sehen. Sie war noch am Platz. Obwohl er sich auffällig unauffällig bemühte, möglichst zwanglos umherzusehen und sich von dem Einen oder Anderen zu verabschieden, galt seine Aufmerksamkeit allein ihr – galt ihrem langen, naturgelockten Haar, ihren klugen, freundlichen Rehaugen und ihren Gesichtszügen, die ihm schlicht und ergreifend vollkommen erschienen. Ebenso wenig überraschend war ihr perfekt aufeinander abgestimmtes Outfit, wenngleich dies für ihn kaum von Bedeutung war.

Nachdem er sie wahrgenommen hatte, begann sein Körper ungefragt mit dem üblichen Feuerwerk an unerwünschten Stressreaktionen. Schwitzige Hände. Sein Herz verließ auf unerklärliche Weise den Brustkorb und wanderte langsam in Richtung Halsschlagader. Sein Hals begann, sich zusammenzuziehen, sodass ihm fast schwindlig wurde. Die ungefähr 50 Kunstflugzeuge im Magen hatten längst abgehoben und losgelegt. Rollen, Trudeln, Turns, Loopings – das volle beschissene Programm. Schritt für Schritt kam er ihrem Schreibtisch näher, wurde etwas langsamer, schaute in ihre Richtung. Sie hatte ihn bemerkt, lächelte ihn wie immer freundlich an und sagte: „Tschüß, bis morgen!“ Er nahm einen tiefen Atemzug, stieß die soeben eingesogene Luft wieder aus – und entgegnete den Gruß mit einem „Ciao!“. Zumindest versuchte er es, denn das Wort blieb ihm im Halse stecken. Schnell beschleunigte er seinen Gang und verließ das Gebäude.

Draußen angekommen zwang ihn sein Körper, kurz hinter der Haustür anzuhalten und zweimal kräftig durchzuatmen. Immer wieder den Kopf schüttelnd, setzte er seinen Weg fort.

Direkt an der anderen Straßenseite gab es einen künstlich angelegten Teich, der von Laubbäumen und Sitzbänken umsäumt war. Wie so oft nahm er auf einer Bank Platz und starrte auf das Wasser. Es war noch nicht wirklich kühl, wenngleich der Herbst bereits seine Farbpalette herausgeholt und die Landschaft verändert hatte. Es war spät geworden. Die rötliche Abendsonne hatte die Altstadtfassaden immer mehr in Silhouetten verwandelt und spiegelte sich auf der Oberfläche des Wassers. Schön war es hier. Eigentlich.

Er schaute hinüber zu dem unweit gelegenen Café. Hier hatte er sie auf einen Kaffee nach dem Feierabend einladen wollen. Schon viele Male. Das Ergebnis war immer dasselbe und deckte sich mit dem heutigen.

„I-DI-OT!“ stieß er leise zischend durch die geschlossenen Zähne hervor. „Du bist ein gottverdammter, beschissener Idiot!“. Schüttelte den Kopf, einmal mehr.

Gedankenverloren griff er nach dem Flakon in der Innentasche seiner Jacke. Er liebte dieses Parfum, wusste aber auch, dass er den Duft stets zum Ende der Mittagspause hin erneuern musste, denn Floriental hielt sich auf seiner Haut nur etwa sieben Stunden. Bis auf wirklich heiße Sommertage trug er es im Grunde das ganze Jahr über, tags und auch abends. Empfohlen hatte es ihm eine Arbeitskollegin, mit der er sich gut verstand – auch Frauen konnten diesen Duft tragen. Wie einen großen, formvollendeten Handschmeichler vom Strand drehte er den tiefroten Flakon in seiner rechten Hand. Fl-Oriental. Flower und Oriental. Nein, blumig war der Duft nicht. Orientalisch schon viel eher. Er brauchte diesen Duft und sein Opening. Jetzt. Brauchte seine beruhigende Wirkung, setzte zwei Sprühstöße auf seinen linken Handrücken.

Wow – überwältigend wie immer. Der vanillig geprägte Amber-Akkord des Labdanums erreichte seine Nase ebenso wie der edle Pflaumenlikör und die ausgesprochen harzige Note des Weihrauchs. Dieser opulente Einstieg wurde durch den eher frischen und sanften rosa Pfeffer erfolgreich unterstützt, der mit Leichtigkeit eine würzige Note beisteuerte.

Floriental war anders. Und kam ihm anfangs dennoch vertraut vor. Beides. Unbeschreiblich.

Anders als alle Düfte, die er kannte. „Wenn du einen Amberakkord brauchst, der anders erklingt, dann nimm Floriental!“ hatte seine Kollegin ihm geraten – und Recht behalten, absolut. Und genau diese Eröffnung erzielte – vielleicht wegen des saftigen, fruchtigen Pflaumenlikörs? – bei ihm eine beruhigende Wirkung. Er wusste – der Duft würde in einer halben Stunde deutlich ruhiger werden. Das anfänglich eher trockene Sandelholz würde eine sanfte Pudrigkeit entwickeln. Der dann deutlich geringer abstrahlende Duft würde leichter werden, fast balsamisch. Würde ihn tragen, so wie er den Duft trug.

Symbiotische Perfektion.

Er hob seinen Handrücken noch einmal an die Nase, atmete den Duft ein. Nickte. Stand auf. Ging los.

„Morgen“, sagte er zu sich selbst. „Morgen frage ich sie!“

Morgen.
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