Sequoia

Hochsommer, 30 Grad Außentemperatur und ich komme auf die Idee ein EdP von Rammstein zu testen…

Schlechte Idee? Nein, überhaupt nicht. Wobei mir das vorher allerdings nicht klar war. Die neugierige Nase hat mal wieder gesiegt.

3 Spritzer später wurde ich von einer zitrisch-krautigen Duftwolke umhüllt, die mich an Barbershop-Düfte erinnert hat. Frisch, kühl und herb. Das hätte ich so eher nicht bei einem Damenduft erwartet, aber gestört hat es mich nicht. Ich klaue ja auch sonst ganz gern mal in der Sammlung von meinem Mann.

Die intensive Frische wurde allerdings innerhalb der nächsten Stunde zurückhaltender und wärmer. Die Barbershop-Note wurde verdrängt und es wurde erst sauer-fruchtig, dann holziger und hautwarm. Dabei wurde der Diamant immer zurückhaltender, aber noch immer deutlich wahrnehmbar.

Ich finde den Namen jedenfalls gut umgesetzt. Diamant erinnert mich an eine Kette, die sich erst kühl auf der Haut anfühlt, aber dann die Hautwärme annimmt bis nur noch durch das Gewicht spürbar ist.

Aus weiblicher Sicht finde ich das Parfum auch unkonventionell, besonders für einen Drogerieduft. Das Spiel mit den geschlechtertypischen Duftmustern gefällt mir sowieso.

Mich hat der Diamant positiv überrascht. Ist auch gut so, denn bei der Hitze hätte sonst wohl nur der Sprung ins Wasser die Nase gerettet.

Kann sich von euch noch jemand an den Reversed-Trend erinnern? Ich fand das total originell und hatte auch ein reversed Sweatshirt, dass ich echt geliebt habe. Gut, die kuschelige Seite war halt draußen und der Pulli fühlte sich dadurch eher kühl an. Und meine Eltern fanden das Teil auch nicht so originell wie ich. Wie kann man auch nur auf die Idee kommen, ein Sweatshirt zu tragen mit den Nähten außen!

Der Pulli ist Geschichte, statt reversed kam deconstructed... ab und an finde ich die Ideen, mit "normalen" Schnitten zu brechen, noch immer spannend. Die Idee von Boss, den Schriftzug umgekehrt auf Sweater zu setzen, fand ich dann auch originell. Erinnert mich ein wenig an den Frontschriftzug von Rettungsfahrzeugen. Vielleicht kann mal jemand im Rückspiegel das Logo auf dem Sweater richtig rum lesen.

Deswegen war ich zumindest interessiert, wie das Reversed-Thema in diesem Duft umgesetzt wird. Und teilweise passen meine Assoziationen hier tatsächlich...

"Reversed" ist kühl und glatt - so wie die Innenseite eines Reversed-Sweaters. Die zitrischen Noten dominieren und die Grapefruit bringt eine angenehme Bittere mit sich. Der Rosmarin macht das Ganze lecker, ein bisschen küchenwürzig. Dann ist da noch eine unterschwellig holzig-erdige Note, die den Duft aus der Dressing-Ecke herausholt. Es bleibt aber kalt.

"Reversed" ist unkompliziert und könnte tatsächlich mit reversed-Sweatern getragen werden. Frisch, gepflegt, Mainstream, ganz nett. Nichts für einen großen Auftritt, stört aber nicht.

Ich kann dem Duft leider nichts Neues oder Originelles abgewinnen: frische, kühle Düfte mit Grapefruit und/oder Rosmarin hab ich gefühlt schon 1000x gerochen. Aber höchstwahrscheinlich ist ja auch vor Boss schon jemand auf die Idee gekommen, das Logo in Spiegelschrift aufzudrucken.

"Midnight Oud" wurde mir vor einigen Jahren als die Verführerin unter den "Juliettes" vorgestellt. Damals entschied ich mich allerdings für "Calamity J."

Etwas später wurde ich trotzdem neugierig auf diese Verführerin... und machte das erste Mal Bekanntschaft mit einem Oud-Duft. Das lief so gar nicht wie erwartet: meine Mainstream-Nase war erschrocken. Diese medizinische Note im Auftakt... uh, welcher Parfumeur hatte denn da Krankenschwestern-Fantasien? Und dann diese Mischung aus verbranntem Holz und Rose! Das Patchouli hat mich allerdings besänftigt und irgendwie mochte ich dann auch die warme-weiche Ausstrahlung. Ich beschloss, es ab und an abends zu verwenden. Schließlich brauch ich tagsüber eh keinen Verführer, eher einen Feierabend-Hippie!

Dann trug ich "Midnight Oud" und mein Mann stellte die uncharmante Frage, ob ich verschwitzt wäre. Streiche Verführerin - setze Bibergeil-Müffler. Danke, Schatz!

Seitdem kommt "Midnight Oud" bei mir nur selten raus. Egal ob Verführerin, Feierabend-Hippie oder müffelnder Biber: solche Schwankungen in der Fremdwahrnehmung brauch ich nicht.

... auch wenn das hier vielleicht klingt wie der Kampfschrei weiblicher Musketiere.

"Delina" ist kein Duft, der nach Krawall schreit. Sie ist für mich eine Enablerin, die mich in vielen Situationen positiv begleiten kann.

Kuschellaune? "Delina" rollt sich mit mir auf dem Sofa ein und umschmeichelt mich mit warmer Vanille-Basis im Zweifelsfall bis zum nächsten Morgen.

Treffen mit Freunden? "Delina" kommt mit und stellt sich dezent aber wahrnehmbar in den Hintergrund. Sie wird nicht zu laut oder schrill. In ihrer Gegenwart kann ich mich sicher fühlen.

Businesstermin? "Delinas" Stärke, denn sie ist sophisticated, aber trotzdem offen und freundlich. Ihr eleganter Blütenduft zeigt sich distanziert und konzentriert mich auf's Wesentliche.

Ausgehen? Sofern ich nicht beim Betreten des Raums an der Duftwolke erkannt werden möchte, darf "Delina" mich auch hier gern begleiten.

Zeit zu zweit? Mein Liebster mag "Delina", auch wenn sie für ihn keinen "Wow"-Effekt hat.

Doch mal in Krawallstimmung? "Delina" erdet mich - wenn schon Krawall, dann bitte nicht kopflos.

Sie passt sich einfach an, fördert das Selbstbewusstsein auf eine weiche und feminine Art... und hebt die Laune. Eine Lady für jede Gelegenheit.

Genauso gut, wie ich "Delina" an mir mag, kann ich sie mir auch bei vielen anderen Frauen vorstellen. Alter ist ihr egal, sie hat keinen besonderen Typ, dem sie am Besten steht. Ob Abiturientin oder Oma, ob Pfarrerin oder Bordsteinschwalbe... mich würde sie an keiner überraschen.

Vielleicht ist genau diese Vielseitigkeit ihre einzige Schwäche: Sie polarisiert nicht.

Heute ist MMMM... bei mir eingezogen.

Und dass, obwohl der Duft mich volle Kanne anbrüllt: "Sag mal, spinnst du? Nicht dein Beuteschema! Viel zu fruchtig, viel zu süß!" Und mein innerer Teenager schreit zurück: "Ich bin nicht süß!"

Mein innerer Teenager hat recht: Eigentlich bin ich für MMMM... die falsche Zielgruppe. Ich empfinde mich selbst nicht als süß und möchte auch von niemandem als süß wahrgenommen werden. So! Arme verschränkt, Hüfte zur Seite geschoben.

Aber mein innerer Teenager hat sich verführen lassen. Himbeeren! Zwar nicht die Sorte aus dem Garten meiner Mutter, aber trotzdem lecker. Warum hab ich auf einmal Lust auf Maoam? Gab's die nicht auch als Himbeer-Geschmack?

Und mein (fast) vernünftiges Erwachsenen-Ich besänftigt: "Ist doch gar nicht so schlimm! Warte eine halbe Stunde und dann ist es auch nicht mehr so süß. Dann wird's kuschelig und mit dem Patchouli wirst du es lieben. Du bist lange genug drum herum geschlichen."

Während ich mich am ersten Tag als glücklicher Besitzer von MMMM... von allen Seiten so volltexten lasse, schnüffel ich immer wieder verzückt. Ich überlege, zu welchem Anlass und welchem Outfit der Duft passt... aber so richtig fällt mir dazu nichts ein. Nicht, dass dieser leckere Duft doch ein Fehlkauf war!

Da dreht mein innerer Teenager nochmal richtig auf, verdreht die Augen und streckt mir die Zunge raus: "Ist doch egal, wann und wozu! Ist doch deine Sache! Trag's einfach!"