Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Hypes nur deshalb kritisch gegenüberstehen, weil sie Hypes sind. Ganz im Gegenteil. Ein Duft, der von vielen hochgejubelt wird, weckt mein Interesse. Nicht, weil ich meine, so viele können einfach nicht irren, sondern weil ich wissen möchte: Wie hat ein Duft zu sein, der so gefällt? Dabei erlebe ich natürlich meine Überraschungen – teils positiv wie bei manchen Kurkdjians, aber auch negativ wie bei Montale Mukhallat.
Kürzlich weckte ein ebenfalls sehr gehypter Duft meine Neugierde: Delina von Parfums de Marly, das es als Eau de Parfum, Exclusif und La Rosée gibt. Nach der Zusammensetzung erschien mir das EdP am besten für mich geeignet zu sein. Ich war gespannt auf die Kombination der fruchtig-säuerlichen Noten Litschi, Rhabarber und Bergamotte mit Rose. Rosig-fruchtig stellte ich mir diesen Duft vor, also sehr reizvoll für mich. Bei den Guerlain Aqua Allegorias spricht mich diese Zusammenstellung auch immer an, wobei es dort aber meist um Schwarze Johannisbeere geht. La Rosée passt wegen seiner aquatischen Noten nicht so sehr in mein Beuteschema.
Da Fehlkäufe bei Parfums über der 200-Euro-Grenze doch eher schmerzen, bestelle ich mir erstmal zwei Proben im Souk (vielen Dank, NatRocks!) – eine vom EdP, die andere vom Exclusif, das mir aber, so dachte ich, zu elegant und pompös sein würde mit Amber, Oud und Moschus. Dazu auch noch die süße Birne …
In den Rezensionen wird Delina mit Frühlingsgefühlen, Sommergarten, Lebensfreude, Optimismus und Luxus assoziiert. Das macht Lust auf diesen Duft. Aber irgendwo findet sich auch, ganz versteckt unter der vielen Euphorie, ein Statement, das mich aufhorchen lässt:
„Wer eine Rose erwartet, die alle Sinne umhaut, wird enttäuscht sein.“
Eine Warnung, die mir zu denken gibt. Denn ich erwarte tatsächlich einen wunderbaren Rosenduft. Nichts Nostalgisches, Seifiges, etwas Neues, Frisches, Faszinierendes, eine zeitgemäße Interpretation von Rose, die verzaubert.
Doch was entdecke ich nach dem Aufsprühen? Einen sehr weiblichen, blumigen Duft, der kurzfristig fruchtig und grün aufblitzt, dann aber gourmandig wird und ein wenig an Karamell erinnert. Ich bin etwas irritiert: Will Delina jetzt blumig sein, gourmandig oder grün? Einzelne Blüten wie Maiglöckchen oder Pfingstrose – beide normalerweise nicht zu überriechen – kann ich nicht erkennen. Der Duft wird für mich rasch zu einer Kombination von Düften, die als solche ihren eigenen Charakter entwickelt und behält. Delina duftet elegant, sehr elegant, süß, sanft, harmonisch. Das Rosendufterlebnis stellt sich bei mir jedoch nicht ein. Mir erscheint der Duft eher gourmandig, cremig wie ein süßer Brei.
Parfums de Marly lässt sich bei ihren Parfums vom 18. Jahrhundert inspirieren. Spätbarock, höfischer, üppiger Prunk, Luxus, verspielte Ornamente, Rüschen, Spitzen, aufwendige Perücken, auf dem Reißbrett konstruierte Gärten, die kaum noch etwas mit Natur zu tun haben, Prestigeschlösser wie der Königspalast von Versailles. Besonders Louis XV. und seine höfische Welt hat es ihnen angetan: die verschwenderische Pracht von seinem Refugium Schloss Marly und seiner Märchenwelt aus Pastellfarben, Blumenornamenten und adeligen Damen, die ganze Landschaften in ihren hochaufgetürmten Haaren trugen.
Louis XV. ist bekannt für seine Liebe zu edlen Rössern und seine Verschwendungssucht bei Düften. Er beduftet seine Zimmerfluchten in Versailles mit kostbaren Parfums aus Blumen, Tieren und Früchten. Allein seine berühmten Duftbrunnen verschlingen Unsummen, während große Teile der Bevölkerung darben.
Ich brachte nie viel Sympathie auf für den barocken Lebensstil der französischen Könige, der mir immer auf unverständlich menschenverachtende Weise dekadent erschien. Aber ich würde diese Antipathie nie auf einen Duft übertragen.
Kurz erinnert mich Delina an eine Mischung aus Un Jardin Sur Le Toit und Baccarat Rouge 540. Beide Düfte schätze ich sehr. Doch ich würde sie nie layern. Das ist aber für mich das Problem von Delina. Nicht das Layern, sondern die Verbindung der beiden unvereinbaren Gegensätze fruchtig-grün und gourmandig. Solche Experimente können funktionieren, wenn man mutig genug und innovativ ist. Hier wollte man offenbar einen Designerduft schaffen, der aber auch vom Mainstream akzeptiert wird. Kann das gelingen? Jein. Von der Beliebtheit her und dem Verkaufserfolg ist der Versuch eindeutig geglückt. Der Duft ist gefällig, aber für mich zu sehr bemühtes Konstrukt, das als solches sogar synthetisch wirkt.
Ich hatte mir einen Duft mit einer schönen Rosennote erwartet. Von Rose nehme ich aber nichts wahr. Auch nichts von Maiglöckchen, Litschi, Rhabarber und Vanille. In diesem Orchester gibt es keine Solisten. Ich finde nur ein synthetisches Konglomerat, das so gut wie keinen nennenswerten Duftverlauf zeigt. Am stärksten spüre ich das Gourmandige, das aber nicht so idyllische Empfindungen auslöst wie Baccarat Rouge 540.
Sehr inspirierend finde ich Delina nicht. Je länger ich das EdP trage, desto mehr reduziert sich der Duft auf eine diffuse, synthetische Süße. Ich versuche immer wieder, noch etwas Sensationelles, Besonderes an Delina zu finden, aber es gelingt mir nicht. Ich bin enttäuscht. Hab ich zu viel erwartet? Rose statt undefinierbarer Süße?
Die Haltbarkeit ist wenigstens gut. Dass die Intensität im Lauf der Zeit abnimmt, stört mich nicht. Delina ist kein Duft für mich. Das Marketing mit der Hommage an Louis XV. und die Zeit des Spätbarocks ist überzeugend und professionell – vom Quastenflakon bis zur dominanten Süße des Parfums. Aber ich bin kein verschwendungssüchtiger Barockmensch am Hof von Versailles, das zum Glück jetzt ein Museum ist.
Der Duft will elegant sein. Mir ist er dafür jedoch zu süß. Aufgrund des Hypes hätte ich mehr Genialität und Kreativität erwartet.