20.05.2020 - 13:00 Uhr

FvSpee
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FvSpee
Top Rezension
57
Pantoffelhengst
In der Welt der Politik stehen sich Marxisten und Leninisten nahe. In der Welt der Düfte ist das bei Marlyisten und Guerlinisten weniger der Fall. Die Guerlinisten präferieren klassische Parfüms, die Marlyisten sind von modernen, auf ein jüngeres und prestigebewusstes Publikum zugeschnittenen Düften begeistert. Die beiden Fraktionen stehen sich in diesem Forum nicht immer freundlich gesonnen gegenüber; im schlimmsten Fall hält man sich wechselseitig pauschal für eine Bande arroganter alter Männer respektive kulturloser Duftproleten.
Obwohl an meiner eigenen Verortung in diesem (natürlich grob vereinfachten) Schema keine Zweifel bestehen, meine ich, dass man hier nicht nur menschlich über die Fraktionsgrenzen hinweg nett miteinander umgehen, sondern sich auch vorurteilsfrei und ergebnisoffen mit den Lieblingsmarken des jeweils anderen Lagers befassen sollte. Bemerkenswert, dass sich zu diesem sehr populären Duft (205 Besitzer, unter den Top 100 Herrendüften im Parfumo-Ranking) kaum ein Kommentar oder Statement aus der Feder eines ausgewiesenen Guerlinisten befindet!
Die Marke "Parfums de Marly" wurde 2009 gegründet. Der Name ist frei erfunden und soll anspielen an Schloss Marly in der Nähe von Paris, Lustschloss der späten französischen Könige und kleine Schwester von Schloss Versailles. Anders als Versailles wurde Marly in der Französischen Revolution weitgehend zerstört. Schloss Marly hatte niemals einen besonderen Bezug zu Parfüms, obwohl die Höflinge und ihre Favoritinnen sich bestimmt kräftig mit Wohlgerüchen eingedieselt haben. Der Name der Marke soll also allgemein eine Idee von Luxus und Verschwendung wachrufen. In Schloss Marly befanden sich auch keine Rennställe oder dergleiche, aber eine berühmte, 1743 geschaffene Pferdeskulptur, welche die Niederlegung des Schlosses überlebte und später als Ausstellungsstück in den Louvre gelangte. Die Rösser auf den Flakons sind optisch an dieses Meisterwerk der Bildhauerei angelehnt.
Ich denke, dass darin schon ein gewisser Grund liegt, warum die Guerlinisten diese Marke nicht so mögen. Ich zum Beispiel habe nicht nur eine Vorliebe für die großen alten Marken wie Dior, Caron oder vor allem Guerlain, sondern auch für ganz moderne Häuser wie (in unterschiedlichem Grade) Urban Scents, Byredo, Le Labo, A Lab on Fire oder Etat Libre d'Orange. Die Produkte dieser modernen Marken sind dann aber auch alle modern gestylt, grob gesprochen irgendwo zwischen Art Déco, Bauhaus (die Kunstrichtung, nicht der Baumarkt) und Ikea (jetzt aber das Möbelhaus). Der typische Guerlinist empfindet wahrscheinlich eine moderne Marke, die einen auf französischer Hochadel macht, als Gelsenkirchener Barock, Talmi und Junker Prahlhans. Also als kitschig-geschmacklos und angeberisch. Viele Marlyisten scheinen das Flair von Luxus, einschließlich goldener Flakons, aber gerade anziehend zu finden. Mich würde interessieren, wie das junge französische Duftfreunde sehen, die an "Marly" ja näher dran sind, vielleicht coole Typen aus den Banlieus mit arabischem Migrationshintergrund. Gefällt denen das Ludwig-der-Fünfzehnte-mäßige Image einfach so straight, finden sie es ironisch gebrochen witzig (so wie ein Hamburger Club-Besucher vielleicht ein Parfüm mit "Neuschwanstein-Image"), oder einfach peinlich? Oder nehmen sie es als Symbolik einer verhassten, reichen, mächtigen arroganten Elite wahr?
Godolphin ist ein moderner Lederduft im Stil von "Tuscan Leather" (in Abgrenzung von den ganz anders aufgebauten Lederdüften uralten Stils und solchen der mittleren Generation wie Knize Ten), wobei der (allerdings unglaublich realistische) Ledereindruck durch pflanzliche und gewiss auch chemische Inhaltsstoffe konstruiert wird. Insbesondere die in der Pyramide angegebenen Noten Safran, Iris und Vanille kann ich hier herausriechen, allerdings nur, wenn ich es weiß. Sonst nicht: Alles ist so gut verbaut, dass es eben nur eins ergibt: Leder. Sonst nix. Denn Godolphin ist ein absolut monothematischer Duft. Da sind keine Himbeeren oder andere Früchte, keine Hölzer (allenfalls weiches Kork), keine Blumen, keine Gewürze. Nur Leder, Leder, Leder. Und zwar ein unglaublich weiches, edles, eher helles Leder. Mir fällt dazu spontan, obwohl ich solches noch nie bewusst in der Hand hatte, spontan der Begriff des Saffianleders (alias Maroquin-Leders) ein: Aus der Literatur der Inbegriff des extrem weichen, oft für teure Pantoffeln und Geldbörsen verwendeten edlen Leders (arabischen Ursprungs). Im Zauberberg gibt es eine Szene, in der Hans Castorp nur "in Fil-d'Ecosse-Unterwäsche und mit roten Saffianpantoffeln" auf den Balkon des Schweizer Sanatoriums tritt. Übrigens ist da nicht nur rechts und links nichts außer Leder, auch nicht auf der Zeitschiene. Godolphin steht so entwicklungsfrei auf der Haut wie ein Helikopter, der exakt auf derselben Position und Höhe feststehend navigiert. Nur dass bei Godolphin auch noch die Rotorblätter stillstehen und das Ding trotzdem nicht abstürzt.
Da weiß man nun nicht, ob man die Kunstfertigkeit bewundern soll, mit solchen Zutaten einen so perfekt linearen Lederduft zu schaffen, oder ob man eher sagen soll, für 210 Euro den 125-ml-Flakon (übrigens genau ausreichend teuer, um das Image von exklusiver Nische zu generieren, aber noch nicht so teuer, dass eine breite Käuferschicht dann doch desinteressiert abwinkt, wie bei den 500-Euro-Oberbonzen-Marken) ein bisschen wenig Tiefe und Spannung. Ich lasse das an dieser Stelle offen. Ich finde den Duft jedenfalls sehr interessant, sehr gut gemacht und sehr gut tragbar von vielen Persönlichkeitstypen in vielen Situationen. Ich halte ihn aber nicht für einen Ausnahmeduft, der mich begeistert. Allerdings bin ich auch allgemein kein Fan moderner Lederdüfte. Ich rieche immer mal wieder welche gerne (wie z.B. Cuir Blanche von Givenchy oder das absurd teure Cuir Celeste von Ex Nihilo), bin aber nicht der Typ, der sich einen kaufen und regelmäßig tragen würde. Insoweit sind meine 7,5 Punkte sicher subjektiv geprägt. Die Performanz dieses Duftes ist von mittlerer Art und Güte. Er hält bei (durchaus begrüßenswert) gemäßigter Projektion etwa fünf bis sechs Stunden durch, immerhin wahrscheinlich länger, als der historische Godolphin (siehe dazu unten) am einem Stück galoppieren (oder decken) konnte.
Für den Namen "Godolphin" gebe ich 7 Punkte. Mir gefällt gut daran, dass er kurz, markant und unverwechselbar ist. Er klingt sehr schön und eröffnet ein weites Feld von Assoziationen. So war Godolphin der Name einer uralten englischen Adelsfamilie aus der Zeit der normannischen Eroberung. Benannt ist der Duft aber nach dem Araberhengst Godolphin, der einmal einem französischen König vom Herrscher von Tunis geschenkt wurde. Dies folgt der Linie von "Parfums de Marly", alle ihre Düfte nach berühmten Pferden der Weltgeschichte zu benennen. Ich kann mit dieser Idee nichts anfangen, da ich kein Pferd und nicht mal ein Reiter bin. Und dies ist zwar ein Lederduft, aber der gute Goldolphin ist, als er ausgewiehert hatte, ja hoffentlich nicht zu Pantoffeln verarbeitet worden.
Obwohl an meiner eigenen Verortung in diesem (natürlich grob vereinfachten) Schema keine Zweifel bestehen, meine ich, dass man hier nicht nur menschlich über die Fraktionsgrenzen hinweg nett miteinander umgehen, sondern sich auch vorurteilsfrei und ergebnisoffen mit den Lieblingsmarken des jeweils anderen Lagers befassen sollte. Bemerkenswert, dass sich zu diesem sehr populären Duft (205 Besitzer, unter den Top 100 Herrendüften im Parfumo-Ranking) kaum ein Kommentar oder Statement aus der Feder eines ausgewiesenen Guerlinisten befindet!
Die Marke "Parfums de Marly" wurde 2009 gegründet. Der Name ist frei erfunden und soll anspielen an Schloss Marly in der Nähe von Paris, Lustschloss der späten französischen Könige und kleine Schwester von Schloss Versailles. Anders als Versailles wurde Marly in der Französischen Revolution weitgehend zerstört. Schloss Marly hatte niemals einen besonderen Bezug zu Parfüms, obwohl die Höflinge und ihre Favoritinnen sich bestimmt kräftig mit Wohlgerüchen eingedieselt haben. Der Name der Marke soll also allgemein eine Idee von Luxus und Verschwendung wachrufen. In Schloss Marly befanden sich auch keine Rennställe oder dergleiche, aber eine berühmte, 1743 geschaffene Pferdeskulptur, welche die Niederlegung des Schlosses überlebte und später als Ausstellungsstück in den Louvre gelangte. Die Rösser auf den Flakons sind optisch an dieses Meisterwerk der Bildhauerei angelehnt.
Ich denke, dass darin schon ein gewisser Grund liegt, warum die Guerlinisten diese Marke nicht so mögen. Ich zum Beispiel habe nicht nur eine Vorliebe für die großen alten Marken wie Dior, Caron oder vor allem Guerlain, sondern auch für ganz moderne Häuser wie (in unterschiedlichem Grade) Urban Scents, Byredo, Le Labo, A Lab on Fire oder Etat Libre d'Orange. Die Produkte dieser modernen Marken sind dann aber auch alle modern gestylt, grob gesprochen irgendwo zwischen Art Déco, Bauhaus (die Kunstrichtung, nicht der Baumarkt) und Ikea (jetzt aber das Möbelhaus). Der typische Guerlinist empfindet wahrscheinlich eine moderne Marke, die einen auf französischer Hochadel macht, als Gelsenkirchener Barock, Talmi und Junker Prahlhans. Also als kitschig-geschmacklos und angeberisch. Viele Marlyisten scheinen das Flair von Luxus, einschließlich goldener Flakons, aber gerade anziehend zu finden. Mich würde interessieren, wie das junge französische Duftfreunde sehen, die an "Marly" ja näher dran sind, vielleicht coole Typen aus den Banlieus mit arabischem Migrationshintergrund. Gefällt denen das Ludwig-der-Fünfzehnte-mäßige Image einfach so straight, finden sie es ironisch gebrochen witzig (so wie ein Hamburger Club-Besucher vielleicht ein Parfüm mit "Neuschwanstein-Image"), oder einfach peinlich? Oder nehmen sie es als Symbolik einer verhassten, reichen, mächtigen arroganten Elite wahr?
Godolphin ist ein moderner Lederduft im Stil von "Tuscan Leather" (in Abgrenzung von den ganz anders aufgebauten Lederdüften uralten Stils und solchen der mittleren Generation wie Knize Ten), wobei der (allerdings unglaublich realistische) Ledereindruck durch pflanzliche und gewiss auch chemische Inhaltsstoffe konstruiert wird. Insbesondere die in der Pyramide angegebenen Noten Safran, Iris und Vanille kann ich hier herausriechen, allerdings nur, wenn ich es weiß. Sonst nicht: Alles ist so gut verbaut, dass es eben nur eins ergibt: Leder. Sonst nix. Denn Godolphin ist ein absolut monothematischer Duft. Da sind keine Himbeeren oder andere Früchte, keine Hölzer (allenfalls weiches Kork), keine Blumen, keine Gewürze. Nur Leder, Leder, Leder. Und zwar ein unglaublich weiches, edles, eher helles Leder. Mir fällt dazu spontan, obwohl ich solches noch nie bewusst in der Hand hatte, spontan der Begriff des Saffianleders (alias Maroquin-Leders) ein: Aus der Literatur der Inbegriff des extrem weichen, oft für teure Pantoffeln und Geldbörsen verwendeten edlen Leders (arabischen Ursprungs). Im Zauberberg gibt es eine Szene, in der Hans Castorp nur "in Fil-d'Ecosse-Unterwäsche und mit roten Saffianpantoffeln" auf den Balkon des Schweizer Sanatoriums tritt. Übrigens ist da nicht nur rechts und links nichts außer Leder, auch nicht auf der Zeitschiene. Godolphin steht so entwicklungsfrei auf der Haut wie ein Helikopter, der exakt auf derselben Position und Höhe feststehend navigiert. Nur dass bei Godolphin auch noch die Rotorblätter stillstehen und das Ding trotzdem nicht abstürzt.
Da weiß man nun nicht, ob man die Kunstfertigkeit bewundern soll, mit solchen Zutaten einen so perfekt linearen Lederduft zu schaffen, oder ob man eher sagen soll, für 210 Euro den 125-ml-Flakon (übrigens genau ausreichend teuer, um das Image von exklusiver Nische zu generieren, aber noch nicht so teuer, dass eine breite Käuferschicht dann doch desinteressiert abwinkt, wie bei den 500-Euro-Oberbonzen-Marken) ein bisschen wenig Tiefe und Spannung. Ich lasse das an dieser Stelle offen. Ich finde den Duft jedenfalls sehr interessant, sehr gut gemacht und sehr gut tragbar von vielen Persönlichkeitstypen in vielen Situationen. Ich halte ihn aber nicht für einen Ausnahmeduft, der mich begeistert. Allerdings bin ich auch allgemein kein Fan moderner Lederdüfte. Ich rieche immer mal wieder welche gerne (wie z.B. Cuir Blanche von Givenchy oder das absurd teure Cuir Celeste von Ex Nihilo), bin aber nicht der Typ, der sich einen kaufen und regelmäßig tragen würde. Insoweit sind meine 7,5 Punkte sicher subjektiv geprägt. Die Performanz dieses Duftes ist von mittlerer Art und Güte. Er hält bei (durchaus begrüßenswert) gemäßigter Projektion etwa fünf bis sechs Stunden durch, immerhin wahrscheinlich länger, als der historische Godolphin (siehe dazu unten) am einem Stück galoppieren (oder decken) konnte.
Für den Namen "Godolphin" gebe ich 7 Punkte. Mir gefällt gut daran, dass er kurz, markant und unverwechselbar ist. Er klingt sehr schön und eröffnet ein weites Feld von Assoziationen. So war Godolphin der Name einer uralten englischen Adelsfamilie aus der Zeit der normannischen Eroberung. Benannt ist der Duft aber nach dem Araberhengst Godolphin, der einmal einem französischen König vom Herrscher von Tunis geschenkt wurde. Dies folgt der Linie von "Parfums de Marly", alle ihre Düfte nach berühmten Pferden der Weltgeschichte zu benennen. Ich kann mit dieser Idee nichts anfangen, da ich kein Pferd und nicht mal ein Reiter bin. Und dies ist zwar ein Lederduft, aber der gute Goldolphin ist, als er ausgewiehert hatte, ja hoffentlich nicht zu Pantoffeln verarbeitet worden.
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