Yharnam79
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vor 6 Jahren - 02.12.2019
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Das Spiel mit der Angst - Teil 2

Ich beginne den zweiten Tei dieses Blogentrages damit, mich dafür zu bedanken, dass erstaunlich viel Resonanz zu diesem - nicht ganz typischen Parfumblog-Thema erfolgte. Das alles, während ich mich noch gefragt habe, ob es richtig war, diesen Blog an dieser Stelle überhaupt zu verfassen: "gehört sowas hierher?".

Den zweiten Teil schreibe ich aus mehreren Gründen. Der Hauptgrund ist, dass sowohl die Kommentare als auch die privaten Nachrichten auf teil 1 hin in mir das Gefühl hervorgerufen haben, dass es Menschen gibt, denen es ganz ähnlich geht, die sich jedoch scheuen, das Thema offen zu machen bzw. sich damit jemanem anzuvertrauen. Aber das Lesen darüber scheint ihnen in irgendeiner Form etwas gegeben zu haben.

Und - und darum geht es auf parfumo ja vorrangig - ich erlebte auch interessanten Austausch und las interessante Kommentare zu dem Thema "postive und negative Auswirkung von Düften auf die Psyche".

Der zweite Teil wird wesentlich weniger Bezüge zu Parfums aufweisen, was man mir an dieser Stelle verzeihen möge.

Ein weiterer Grund - und mit dem möchte ich starten - ist, dass heute ein Tag war bzw. ist, an dem die Störung sich laut und deutlich bemerkbar macht. Warum sie das tut kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Das kann ich allerdings in den seltensten Fällen. Aber da sich meine Störung extrem von Krankheit und Tod antriggern lässt und die letzten Monate begleitet waren von schwerer Krankheit in der Familie, Todesfall in der Familie und überraschendem Tod meines Katers, ist die Herleitung in diesem Fall doch recht eindeutig.

Vor ein paar Stunden sah die Welt noch völlig in Ordnung aus: Aufgestanden, Morgenprogramm, Lieblingsduft und los zur Arbeit...

Ich bin nun wieder zu Hause. Den Duft musste ich inzwischen abwaschen, da Squid mich mit seinen gefühlten hundert Krakenarmen fast erwürgt hätte. Um die abgefahrenen Wege, die die Psyche manchmal geht noch einmal zu verdeutlichen: Squid ist eigentlich mein Lieblings- und Signaturduft!

Auch der Trick, die Panik mit einem "Ohrfeigenduft" kurzzeitig auszustellen ist bislang heute nicht geglückt. Ich kann dafür aber sagen, dass der Blick zum Regal schon als Übelkeitsmacher ausgereicht hat. Aber selbst das kann sich ratzfatz ändern und irgendwas anderes schiebt sich als "gerade unerträglich" nach vorne.

Ich hatte bereits im ersten Teil des Blogs erwähnt, dass die Sache mit der Beruhigung oder der kurzen Verschnaufpause mit Hilfe von Düften auch nicht immer funktioniert (wie geil wäre es, wenn sie das täte?!) und das Ganze letztlich auch ein Glücksspiel darstellt. Glücksspiel auch deswegen, weil ich mich nicht darauf verlassen kann, dass meine Wahrnehmung funktioniert wie immer.

Während Kamille und Kamillentee im Normalzustand toll sind und toll riechen, riechen sie im Ausnahmezustand nach Krankheit und Depression. Nahezu jegliche Art von Blumen schnüren mir fast die Kehle zu oder mir wird übel, wobei Jasmin da ganz vorne mit dabei ist. Auch Lavendel, dessen beruhigende und angstlösende Wirkung tausendfach belegt und nachgewiesen ist, ist während einer Panikattacke oder Angstattacke einer meiner größten Feinde. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass ich mich dann noch unwohler und eingeengter fühle. Was andere - und ich selbst im Normalfall auch - als beruhigend empfinden, empfinde ich dann als deprimierend, hoffnungslos und (er-)drückend. Zitrone und Zitrusfrüchte assoziiere ich, nein, assoziiert meine Störung dann sofort mit Unwohl- und Kranksein.

Das ätzendste allerdings ist, dass das Tragen eines Duftes bevor ich weiß, dass die Störung an dem Tag noch frei dreht dazu führen kann, dass ich den betreffenden Duft danach dann nicht mehr tragen kann. Er erinnert mich ab dem Zeitpunkt sofort daran, dass es mir mal beschissen ging, als ich ihn getragen habe. Und dann geht es mir auch gleich ein bißchen beschissen.

Im Gegenzug dazu hatte ich schon öfter das Gefühl, gäbe es das stärkste Minzkaugummi der Welt in *extreme und inklusive der Kälte beim Kauen zum Sprühen, wäre das genau das Richtige. Oder auch der Geruch von richtig, riiiiichtiiiig kalter Cola mit sauviel Kohlensäure. Kaugummi habe ich seit Beginn der Störung immer und überall dabei...

Da kann man nun ganz gut noch eine kleine Überleitung einbauen, denn alles gerade Beschriebene gilt natürlich auch für Essen jeglicher Art. Die Gerüche und/oder der Gedanke daran. Daher ist es auch immer besonders spaßig, an einem solchen Tag zu überlegen, was man mal zu Mittag oder am Abend essen könnte. Ich wähle hier bewusst das Wort "könnte".

Um zum Ende zu kommen:

Es ist für mich als Betroffenen faszinierend, dass Düfte in akuten Situationen sowohl Freund als auch Feind und sowohl Aus-Knopf als auch Trigger sein können. Noch mehr, dass Düfte innerhalb weniger Stunden eine komplett konträre Wirkung und Ausstrahlung (für mich) haben.

Ermutigt durch den ersten Beitrag zu diesem Thema bin ich nun noch ein wenig mehr in die Tiefe gegangen.

Danke fürs Lesen.

9 Antworten
FlaconesseFlaconesse vor 6 Jahren
Dazu fällt mir noch ein, dass ich in meiner ersten schlimmen Krankheitsphase viel bei Lush gekauft habe, weil ich irgendwie dachte, es würde mich beruhigen. Tat es aber nicht und als ich mich dann besser fühle, konnte ich diese ganzen intensiv duftenden Sachen garnicht mehr riechen, weil sie mich an die erste und schlimmste Krankheitsphase erinnert haben.
MokkaMokka vor 6 Jahren
2)..... extrem belastend. Voll, laut, eng, viel. Stürzt das auf eine sensible Seele ein, ist die Krise doch verständlich. Selbst relativ gesunde Seelen brauchen von diesem Zuviel an Input Auszeiten. Seelenpflege ist hier gefragt. :-)
MokkaMokka vor 6 Jahren
Gerüche können helfen, sie können aber auch belasten. Wenn man sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befindet (Panikattacken, Angststörungen, ist alles an Wahrnehmung schnell zu viel. Geräusche, Gerüche, Anforderungen von anderen, evt. auch Licht, alles flutet in einem Übermaß, dass es einem auch mal speiübel wird. Was da hilft, ist nur eine Reduktion bzw. Beseitigung sämtlicher Störungen und Rückzug in Ruhe. Jetzt mal unabhängig von deiner Problematik, die heutige Zeit ist mitunter.....
CaligariCaligari vor 6 Jahren
Tatsächlich haben mir hier schon Viele (vor allem ♀) von ihren psychischen Problemen berichtet. Zudem können Düfte sicherlich auch helfend wirken. Warum also nicht im Forum einen geschlossenen Bereich als Selbsthilfegruppe einrichten?
FirstFirst vor 6 Jahren
@Jakobolino:: Störung ist der medizinisch korrekte Begriff. Es heißt nach dem Diagnoseschema der WHO in Deutschland Angststörung oder Panikstörung.
MydarkflowerMydarkflower vor 6 Jahren
Das stimmt. Ich habe auch schlimme Tage, da kriege ich von meinen Lieblingsdüften regelrecht das Würgen. Und manche sind für immer und ewig negativ verknüpft, wenn ich sie dann trotzdem trage.
Im Moment geht es mir auch wieder schlecht, aber ich habe schon vor einiger Zeit einen (für mich völlig unerwarteten) "Trösterduft" aus meiner eigenen Sammlung entdeckt und zwar "Chant d'Arômes". Der schirmt mich ab, beruhigt, erdet und tröstet mich - den trage ich momentan sehr oft.
Yharnam79Yharnam79 vor 6 Jahren
Jakobolino: klar ist eine Erkrankung. Ich nenne es nur Störung. Ich bin schon jahrelang in Behandlung. Therapeutisch, medikamentös und ärztlich begleitet.
MethabolicaMethabolica vor 6 Jahren
Fortis triggert mich auch immer zurück in eine schlechte Zeit. Deswegen musste er weichen. Gute Besserung mein Lieber!
Helena1411Helena1411 vor 6 Jahren
Wahrscheinlich wiederhole ich mich, wenn ich sage, dass ich es wirklich bemerkenswert finde, wie offen Du damit umgehst. Und das finde ich sehr gut. Auf Düfte bezogen ist es ja tatsächlich so, dass sie sich sehr eng mit emotionalen Erfahrungen verbinden und somit eine Konditionierung erfahren. Hilft es Dir, den Duft schnellstmöglich, sobald Du die Attacke aufkommen merkst, abzuwaschen, um eine Verknüpfung zu vermeiden?-Für heute wünsche ich Dir, dass die Attacke sich schnell verzieht! ToiToiToi!

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