13.11.2020 - 07:18 Uhr
Cravache
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Cravache
Top Rezension
Abenteuer, Freiheit, Bomberpiloten und Eau Sauvage
Badertscher Jürg (in der Schweiz wird der Nachname vorangestellt – Klaus Kinski nennt man Kinski Klaus) steht am Fenster. Er ist mit sich zufrieden. CFO eines mittelständischen Unternehmens, die Zahlen sind gut. Von seinem geräumigen Büro (oberstes Stockwerk, an den Wänden Kunstdrucke von Bildern von Miró Joan und ein Bild von Tell Wilhelm) kann Badertscher Jürg die Pisten und Hangars des nahegelegenen Flughafens überblicken. Und im getönten Glas sein Spiegelbild betrachten. Weisses Hemd von Dior Christian, dunkelblauer Slim Fit-Anzug von Ford Tom. Badertscher Jürg ist auch damit zufrieden. Auch wenn der Anzug nicht so eng sitzt wie bei Kern Christian. Doch teigig wie Trump Donald, das ist er nicht, Badertscher Jürg.
Wenn Badertscher Jürg durch den einsamen Flur des obersten Stockwerks wandelt (zu Führende mit Arbeitsplatz in tieferen Etagen haben keinen Zutritt zur obersten Etage), hinterlässt er eine feine Duftspur. Eau Sauvage von Dior Christian, das ihm seine Frau, Badertscher-Kummer Vreni, jeden Morgen neben das weisse Hemd legt. Badertscher Jürg ist zufrieden. Mit seinen Zahlen, mit seinem Anzug im Spiegelbild, mit Badertscher-Kummer Vreni. Und natürlich auch mit seinem Duft von Dior Christian. Doch an diesem strahlend schönen Freitag im November bleibt Badertscher Jürg etwas länger am Fenster stehen. Sein Blick schweift nicht über die angezuckerten Gipfel der Voralpen, er blickt aufs nahe Flugfeld.
Auch wenn Badertscher Jürg schon lange nicht mehr mit Personen, die keinen Direktionsrang bekleiden, gesprochen hat, so fühlt er sich als Freund des Blue Collar-Workers – zumindest wenn er welche kennen würde. Manchmal bedauert er es, in seinem Golfclub am Zürichsee oder während seines Skiurlaubs in St. Moritz nicht auf sie zu treffen. Die Chypre-Aura seines Duftes von Dior Christian macht Badertscher Jürg heute melancholisch. Zur Verwunderung seiner Assistentin Kneubühler Livia verlässt Badertscher Jürg kurze Zeit später wortlos sein Büro (selbst der tägliche Prüfblick auf den Hintern seiner Assistentin ist zu ihrer Irritation heute ausgeblieben) und besteigt seine Limousine.
In einem Luxuskaufhaus an der Zürcher Bahnhofstrasse sucht er Zerstreuung, als er von einer sonoren Stimme mit französischem Akzent aus seinen Gedanken gerissen wird. "Sie möschten eine Parfum testen?" fragt ihn die junge Parfumverkäuferin, auf deren Namensschild Martineau Sophie zu lesen ist, und strahlt Badertscher Jürg an. Nach kurzem Prüfblick beschliesst Badertscher Jürg, sich auf das Testangebot einzulassen. "Isch riesche Eau Sauvage. Das ischt ausch der Parfum de mon père! Isch seige Ihnen andere Parfum aus dem Parfum-Ünivers von Eau Sauvage!" Badertscher Jürg ist zufrieden. Mit der Zerstreuung, mit dem Anblick der Zerstreuung, mit sich, und dem Testvorschlag. Und so zaubert Martineau Sophie drei Flacons auf den Tresen neben der Kasse: Aéroplane von Detaille, Aigues Vives (Parfum) von Galimard und Eau d' Aviateur von Flou Atelier.
Badertscher Jürg erkennt sofort eine Verwandtschaft aller drei Düfte zu seinem Eau Sauvage. Aéroplane erinnert ihn an seinen Vintage Flakon Eau Sauvage aus dem Jahr 1994. Tiefer, würziger, krautiger als sein aktuelles Eau Sauvage – und benziniger. Genauer: Flugbenzin. Badertscher Jürg schüttelt den Kopf. Flugbenzin? Damit kann er bei Badertscher-Kummer Vreni, Vize-Obfrau der Grünen seiner Wohngemeinde, nicht punkten. "Das ganze fliegende Mallorca-Party-Volk zerstört die Umwelt. Fliegen muss wieder teurer werden!", erinnert sich Badertscher Jürg an das Geraunze seiner Frau in der First Class-Lounge, als er mit ihr letztes Jahr in der Weihnachtszeit zum Shopping nach New York flog.
Als nächstes wendet er sich Aigues Vives (Parfüm) zu. Seine Melancholie ist verflogen. Was zum einen dem Charme von Demoiselle Martineau zuzuschreiben ist, andererseits aber auch dem Duft. "Das ist Eau Sauvage mit der Sonne Südfrankreichs. Dreitagebart. Und korsischer Lebensfreude! Das ist das wirkliche Eau Sauvage Parfum, nicht das, welches Dior Christian unter diesem Namen verkauft", denkt Badertscher Jürg bei sich und erinnert sich an den ersten Urlaub in Avignon mit Badertscher-Kummer Vreni, die damals noch Kummer Vreni hiess - und aus primär karrieretechnischen Gründen 7 Monate später von Badertscher Jürg geehelicht wurde. "Badertscher, das kannst Du im Büro nicht tragen! Das ist ein Duft für unbekümmerte Vizedirektoren oder traumwandelnde Geisteswissenschaftler." Und so verwirft Badertscher Jürg auch Aigues Vives, wenngleich er so etwas wie Wehmut bei sich ausmacht.
Nach einem weiteren Prüfblick wendet sich Badertscher Jürg dem letzten Testkandidaten zu. Eau d'Aviateur. Badertscher Jürg macht auch hier eine Verwandtschaft zu Eau Sauvage aus, wenngleich ihn Eau d'Aviateur etwas mehr an Aéroplane erinnert.
In der Kopfnote macht Badertscher Jürg sein Eau Sauvage aus. Mit etwas Orange garniert und beseelt von der anmutigen, sonnenprallen Zitrone von Monsieur Balmain (un-reformulierte Version von 1990 von Becker Calice). Petitgrain projektiert das zitrische Duftbild in ein Kaleidoskop, verleiht Eau d'Aviateur eine Textur von weichzitrischen Wölkchen in südfranzösischen Gelb- und Grüntönen.
Das blumige Herz von Eau d'Aviateur ist krautig und grün hinterlegt, etwas weniger muffig als bei Aéroplane. Das Herz ist eingerahmt in sanftes Hellholz, natürlich, weich, in Dezenz tragend.
Badertscher Jürg gefällt, was er riecht: sein Eau Sauvage, eine erdölfreie Variante von Aéroplane und die zitrische Lebensfreude von Aigues Vives, wenngleich nicht so überschwänglich. Badertscher Jürg zückt seine Firmenkreditkarte und lässt sich den Duft leisten.
Badertscher Jürg ist wieder zurück in seinem Büro. Kurz vor seinem Lunch im Golfclub macht er den weiteren Duftverlauf von Eau d'Aviateur aus. Ein wenig vermisst er die Eichenmoosnote von Eau Sauvage, die in der aktuellen Formulierung wieder deutlich satter, knarziger und dunkelgrüner ist. Die grüne, leicht rauchige Blattnote (wohl Maté) in Eau d'Aviateur ist kein vollwertiger Ersatz.
Badertscher Jürg bleibt eine Weile am Fenster stehen und beobachtet die Flugzeugmechaniker am nahen Flugfeld. Plötzlich glaubt er, die graublauen Overalls der Mechaniker zu riechen. Overalls, die menscheln, ein Hauch frischer, metallischer Schweiss, etwas Öl an den Händen. Ein Duft von Abenteuer, Freiheit, Befriedigung ob des erledigten Tageswerkes. Zibet und weisser Moschus. Zibet, wie ein Tiger, der unter milchigem Himmel im nasskalten Schnee über eine einsame Ebene wandelt. Moschus, der wie weiche Wolkenschlösser am Himmel über der Südsee steht.
Als Badertscher Jürg am Abend zuhause eintrifft, wird er von Badertscher-Kummer Vreni erwartet. "Du riechst vertraut. Wie damals in Avignon", strahlt Badertscher-Kummer Vreni ihren Badertscher Jürg an.
Und wenn Badertscher Jürg manchmal am Fenster seines Büros steht, in die Wolken blickt, Eau d'Aviateur trägt, wähnt er sich in lederner Lammfelljacke der abenteuerlustigen Piloten der 1930er-Jahre, irgendwo über dem Atlantik, durch Wolkenschlösser fliegend, ohne bestimmtes Ziel.
Es erstaunt, dass Eau d'Aviateur auf Parfumo nicht verbreiteter ist. Es wäre eigentlich ein Parfumo-Duft. Eau Sauvage-Universum, Nische, ein Hauch Zibet, preislich moderat – und ein fantastischer Flacon. Schwer wie ein voller Benzinkanister aus Stahl, mit viel Liebe zum Detail wertig gearbeitet. Hätte Eau Sauvage diese Zibetnote resp. Eau d'Aviateur die Eichenmoosnote von Eau Sauvage, dann wäre dies mein perfekter Duft.
Wenn Badertscher Jürg durch den einsamen Flur des obersten Stockwerks wandelt (zu Führende mit Arbeitsplatz in tieferen Etagen haben keinen Zutritt zur obersten Etage), hinterlässt er eine feine Duftspur. Eau Sauvage von Dior Christian, das ihm seine Frau, Badertscher-Kummer Vreni, jeden Morgen neben das weisse Hemd legt. Badertscher Jürg ist zufrieden. Mit seinen Zahlen, mit seinem Anzug im Spiegelbild, mit Badertscher-Kummer Vreni. Und natürlich auch mit seinem Duft von Dior Christian. Doch an diesem strahlend schönen Freitag im November bleibt Badertscher Jürg etwas länger am Fenster stehen. Sein Blick schweift nicht über die angezuckerten Gipfel der Voralpen, er blickt aufs nahe Flugfeld.
Auch wenn Badertscher Jürg schon lange nicht mehr mit Personen, die keinen Direktionsrang bekleiden, gesprochen hat, so fühlt er sich als Freund des Blue Collar-Workers – zumindest wenn er welche kennen würde. Manchmal bedauert er es, in seinem Golfclub am Zürichsee oder während seines Skiurlaubs in St. Moritz nicht auf sie zu treffen. Die Chypre-Aura seines Duftes von Dior Christian macht Badertscher Jürg heute melancholisch. Zur Verwunderung seiner Assistentin Kneubühler Livia verlässt Badertscher Jürg kurze Zeit später wortlos sein Büro (selbst der tägliche Prüfblick auf den Hintern seiner Assistentin ist zu ihrer Irritation heute ausgeblieben) und besteigt seine Limousine.
In einem Luxuskaufhaus an der Zürcher Bahnhofstrasse sucht er Zerstreuung, als er von einer sonoren Stimme mit französischem Akzent aus seinen Gedanken gerissen wird. "Sie möschten eine Parfum testen?" fragt ihn die junge Parfumverkäuferin, auf deren Namensschild Martineau Sophie zu lesen ist, und strahlt Badertscher Jürg an. Nach kurzem Prüfblick beschliesst Badertscher Jürg, sich auf das Testangebot einzulassen. "Isch riesche Eau Sauvage. Das ischt ausch der Parfum de mon père! Isch seige Ihnen andere Parfum aus dem Parfum-Ünivers von Eau Sauvage!" Badertscher Jürg ist zufrieden. Mit der Zerstreuung, mit dem Anblick der Zerstreuung, mit sich, und dem Testvorschlag. Und so zaubert Martineau Sophie drei Flacons auf den Tresen neben der Kasse: Aéroplane von Detaille, Aigues Vives (Parfum) von Galimard und Eau d' Aviateur von Flou Atelier.
Badertscher Jürg erkennt sofort eine Verwandtschaft aller drei Düfte zu seinem Eau Sauvage. Aéroplane erinnert ihn an seinen Vintage Flakon Eau Sauvage aus dem Jahr 1994. Tiefer, würziger, krautiger als sein aktuelles Eau Sauvage – und benziniger. Genauer: Flugbenzin. Badertscher Jürg schüttelt den Kopf. Flugbenzin? Damit kann er bei Badertscher-Kummer Vreni, Vize-Obfrau der Grünen seiner Wohngemeinde, nicht punkten. "Das ganze fliegende Mallorca-Party-Volk zerstört die Umwelt. Fliegen muss wieder teurer werden!", erinnert sich Badertscher Jürg an das Geraunze seiner Frau in der First Class-Lounge, als er mit ihr letztes Jahr in der Weihnachtszeit zum Shopping nach New York flog.
Als nächstes wendet er sich Aigues Vives (Parfüm) zu. Seine Melancholie ist verflogen. Was zum einen dem Charme von Demoiselle Martineau zuzuschreiben ist, andererseits aber auch dem Duft. "Das ist Eau Sauvage mit der Sonne Südfrankreichs. Dreitagebart. Und korsischer Lebensfreude! Das ist das wirkliche Eau Sauvage Parfum, nicht das, welches Dior Christian unter diesem Namen verkauft", denkt Badertscher Jürg bei sich und erinnert sich an den ersten Urlaub in Avignon mit Badertscher-Kummer Vreni, die damals noch Kummer Vreni hiess - und aus primär karrieretechnischen Gründen 7 Monate später von Badertscher Jürg geehelicht wurde. "Badertscher, das kannst Du im Büro nicht tragen! Das ist ein Duft für unbekümmerte Vizedirektoren oder traumwandelnde Geisteswissenschaftler." Und so verwirft Badertscher Jürg auch Aigues Vives, wenngleich er so etwas wie Wehmut bei sich ausmacht.
Nach einem weiteren Prüfblick wendet sich Badertscher Jürg dem letzten Testkandidaten zu. Eau d'Aviateur. Badertscher Jürg macht auch hier eine Verwandtschaft zu Eau Sauvage aus, wenngleich ihn Eau d'Aviateur etwas mehr an Aéroplane erinnert.
In der Kopfnote macht Badertscher Jürg sein Eau Sauvage aus. Mit etwas Orange garniert und beseelt von der anmutigen, sonnenprallen Zitrone von Monsieur Balmain (un-reformulierte Version von 1990 von Becker Calice). Petitgrain projektiert das zitrische Duftbild in ein Kaleidoskop, verleiht Eau d'Aviateur eine Textur von weichzitrischen Wölkchen in südfranzösischen Gelb- und Grüntönen.
Das blumige Herz von Eau d'Aviateur ist krautig und grün hinterlegt, etwas weniger muffig als bei Aéroplane. Das Herz ist eingerahmt in sanftes Hellholz, natürlich, weich, in Dezenz tragend.
Badertscher Jürg gefällt, was er riecht: sein Eau Sauvage, eine erdölfreie Variante von Aéroplane und die zitrische Lebensfreude von Aigues Vives, wenngleich nicht so überschwänglich. Badertscher Jürg zückt seine Firmenkreditkarte und lässt sich den Duft leisten.
Badertscher Jürg ist wieder zurück in seinem Büro. Kurz vor seinem Lunch im Golfclub macht er den weiteren Duftverlauf von Eau d'Aviateur aus. Ein wenig vermisst er die Eichenmoosnote von Eau Sauvage, die in der aktuellen Formulierung wieder deutlich satter, knarziger und dunkelgrüner ist. Die grüne, leicht rauchige Blattnote (wohl Maté) in Eau d'Aviateur ist kein vollwertiger Ersatz.
Badertscher Jürg bleibt eine Weile am Fenster stehen und beobachtet die Flugzeugmechaniker am nahen Flugfeld. Plötzlich glaubt er, die graublauen Overalls der Mechaniker zu riechen. Overalls, die menscheln, ein Hauch frischer, metallischer Schweiss, etwas Öl an den Händen. Ein Duft von Abenteuer, Freiheit, Befriedigung ob des erledigten Tageswerkes. Zibet und weisser Moschus. Zibet, wie ein Tiger, der unter milchigem Himmel im nasskalten Schnee über eine einsame Ebene wandelt. Moschus, der wie weiche Wolkenschlösser am Himmel über der Südsee steht.
Als Badertscher Jürg am Abend zuhause eintrifft, wird er von Badertscher-Kummer Vreni erwartet. "Du riechst vertraut. Wie damals in Avignon", strahlt Badertscher-Kummer Vreni ihren Badertscher Jürg an.
Und wenn Badertscher Jürg manchmal am Fenster seines Büros steht, in die Wolken blickt, Eau d'Aviateur trägt, wähnt er sich in lederner Lammfelljacke der abenteuerlustigen Piloten der 1930er-Jahre, irgendwo über dem Atlantik, durch Wolkenschlösser fliegend, ohne bestimmtes Ziel.
Es erstaunt, dass Eau d'Aviateur auf Parfumo nicht verbreiteter ist. Es wäre eigentlich ein Parfumo-Duft. Eau Sauvage-Universum, Nische, ein Hauch Zibet, preislich moderat – und ein fantastischer Flacon. Schwer wie ein voller Benzinkanister aus Stahl, mit viel Liebe zum Detail wertig gearbeitet. Hätte Eau Sauvage diese Zibetnote resp. Eau d'Aviateur die Eichenmoosnote von Eau Sauvage, dann wäre dies mein perfekter Duft.
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