SebastianM
Top Rezension
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Entspannt frühstücken
Meine erste Assoziation, besonders aus der Ferne: Tagescreme. Eine sehr gute, feine mit was Frischem und Würzigem drin. Vor mir sehe ich ein Frühstück auf einer Hotelterrasse mit Blick in den Garten an einem heiteren Morgen nach einer erholsamen Nacht. Perfekte Stimmung.
Die cremige Irisbutter dominiert auf Dauer die Vetiver-Zeder-Kombination. Die Zeder wirkt gar nicht stechend synthetisch oder unangenehm woody-ambery (ein Problem, das ich häufig mit Parfüms habe, für die "Zeder" als Note aufgeführt wird), sondern wie die trockenen Zedernhölzer für den Kleiderschrank. Wenn die Frische aus der Kopfnote verflogen ist, dann bleibt alles die ganze Zeit weich und rund. Wirklich nett. Der Tag verläuft nach dem Frühstück unaufgeregt entspannt. Sehr warm ist es aber nicht, eine angenehme, jedoch keineswegs mehr frische Kühle durchzieht den Duft. Der Vetiver hat hier nichts Grünes, das ist eine Dimension, die mir fehlt. Dafür entwickelt sich in der Mitte des Verlaufs eine äußerst dezente, nur ganz hautnah wahrnehmbare Rauchnote, die den Duft der Beliebigkeit enthebt. Im Dry-down ist davon dann nichts mehr zu spüren. Zum Glück wirft man auch nicht mit Vanille und Moschus um sich. So wird Bois Dormant nie süßlich oder fluffig, sondern behält trotz aller Weichheit eine gewisse sachliche Gradlinigkeit.
Bois Dormant ist für mich ein der stereotypisch femininen Seite zuneigendes, pudrig-weiches, holziges Parfüm mit maskulinen Zugaben aus Würze und Spuren von Rauch, ohne Süße. Ich finde es freundlich, vornehm und elegant. Was den Stil angeht, passt Bois Dormant, wie im Marketing-Text angedeutet, besser zu einem Flanell-Blazer oder Leinenkleid als zu Abendkleidung oder Jeans. Es ist chic, subtil hochwertig (diese Irisbutter ist wirklich großartig), aber nicht Haute Couture. Die Sillage ist unaufdringlich, die Haltbarkeit mäßig: Von zwei Sprühstößen auf das Handgelenk war nach sechs Stunden fast nichts mehr zu riechen. So kann man abends problemlos einen anderen Duft auflegen.
Worauf der Name des Parfüms anspielt, ist mir ein Rätsel: La belle au bois dormant ist Dornröschen. Das könnte auf die fast einschläfernd ruhigen Aspekte dieses Duftes hindeuten, oder vielleicht auf seine winterlichen. Man findet als Übersetzung für "bois dormant" allerdings auch "Blendholz" (wobei "bois d’éblouissement" üblicher wäre), was mir recht banal erschiene, aber immerhin den Umstand träfe, dass das hierin enthaltene Holz überhaupt nicht waldig ist. Qui sait.
Ich frage mich, warum es bisher so wenige Statements und Rezensionen zu Bois Dormant gibt, obwohl es sich gerade einer hohen Aufmerksamkeit erfreut: Immerhin sind im Laufe des letzten Monats gleich vier Sharings davon voll geworden. Vermutlich fühlt man sich einfach wohl damit, ohne dass man es stark beachtet. So geht es jedenfalls mir. Solche Parfüms kenne ich wenige.
Meine relativ zurückhaltende Bewertung erklärt sich dadurch, dass ich markantere Düfte bevorzuge. In seiner Art ist Bois Dormant trotzdem sehr gelungen. Es wird denjenigen gefallen, die Freude an sanften, holzigen Düften mit einer stimmigen Gesamtkomposition haben.