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												 Top Rezension
					Der Zeitgeist will es so
					Zunächst eine wichtige Info vorweg: ich habe letzten Sommer meinen 30. Geburtstag gefeiert. 
Ist deshalb relevant, da der folgende Kommentar vermutlich den Eindruck erweckt, ich wäre mindestens doppelt so alt. Oder dreifach. Wollte ich nochmal schnell loswerden.
Und nun gleich zum Outing: Ja, ich gehöre zu den Heulsusen, dich sich von Dior ans Bein gepisst fühlen, jetzt da die Franzosen einen ihrer modernen Meilensteine der Herrenparfumerie völlig entkernen und als quasi komplett neuen Duft auf den Markt bringen. Dass es die ursprüngliche Version zumindest noch vorläufig als "Dior Homme Original" gibt und die Intense und Parfum-Version des Duftes allen Anschein nach unangetastet bleiben, lässt darauf schließen, dass die Entscheidung auch im eigenen Hause umstritten gewesen sein könnte. Das letztere beiden Versionen (EdP und Parfum) früher oder später auch umgebaut werden halte ich nur für eine Frage der Zeit - eine Linie, in der das Eau de Toilette und Eau de Parfum überhaupt nicht zusammenpassen, wird auf Dauer schwer zu vermarkten sein. Scheint ja in einigen Parfumerien angesichts Diors Geschäftpolitik jetzt schon ein heilloses Durcheinander zu geben.
Der originale "Dior Homme" ist eine von mir nach wie vor heißgeliebte Parfum-Großtat: edel, opulent, etwas dandyhaft, und durch den von Iris gertragenen, legendär-pudrigen "Lippenstift-Akkord" auch immer ein Statement, vielleicht sogar eine kleine Provokation: gegen starre Definitionen, wie Männlichkeit auszusehen (und zu riechen) hat, gegen die Durchschnittlichkeit. Hier wurde kein verschämtes Versteckspiel mit Duschgel-, Deo-, oder Rasierschaum-Assoziationen gespielt - hier bekannte man sich als Mann eindeutig zum "Parfümiert-Sein". Bis heute finde ich das Konzept unglaublich cool und progressiv.
Wäre der neue "Homme" nun unter komplett neuem Namen erschienen, hätte ich über den Duft gar nicht viele Worte verloren. Aber auch so fällt die Zusammenfassung meines Dufteindrucks recht knapp aus: zitrisch-gepfeffert im Auftakt, ein paar sparsam maskulin-holzige Noten im Herz, umspielt mit etwas Iso E Super und Veitver, recht gute Haltbarkeit, sehr schnell abflachende Sillage.
Nicht schlecht gemacht, nicht zum Davonlaufen, sondern viel schlimmer: belanglos. Unscheinbar. Einfach nicht der Rede wert.
Es ärgert mich schon immer etwas, wie so eine Langeweile dann als "Immergeher", "Crowdpleaser" oder "versatile" (schlimmer Ausdruck) schöngeredet wird. (Oder besonders schlimm: "Büroduft" - als müsse man im Büro immer aalglatt sein und das Stromlinienförmig-Devote olfaktorisch auch noch unterstreichen.)
Das soll jetzt grundsätzlich nicht gegen diese Art von Düften gehen, die ja auch ihre Daseinberechtigung haben. Aber: möchte ich so ein Parfum haben, suche ich mich etwas in der Drogerie aus oder lege einen Zwanziger für einen Jil Sander oder Joop auf den Tisch. Für den Preis, den ein Premium-Hersteller wie Dior aufruft - 100ml von "Dior Homme" bekommt man auf der Dior-Website für 96 Euro - finde ich das Gebotene schlichtweg eine Unverschämtheit. Da hilft auch kein "Crowdpleaser" und kein "Immergeher" mehr. (Monsieur Demachy trifft unfreiwillig ins Schwarze, wenn er diese fade Banalität als "offene, absolute Einfachheit" beschönigt.)
Aber was rede ich - den meisten Leuten scheint es ohnehin entweder wurscht zu sein oder sogar gelegen zu kommen. Jedes Parfum ist auch ein Kind seiner Zeit. Dass Dior-Kreationen wie "Fahrenheit" oder eben das Ur-"Dior Homme" trotz aller Extravaganz Kassenschlager wurden, ist ja auch dem damaligen Zeitgeist geschuldet. "Dior Homme 2020" passt sehr gut in eine Zeit, in der jeder sein Leben "performen" will/muss, aber ja bitte im vorgegebenen Rahmen. Bloß nicht zu sehr aus der Reihe tanzen. Geht man durch die Einkaufsmeilen der Großstädte, sieht man superindividuelle Menschen die wie ein Ei dem Anderen gleichen. Markenklamotten sind wichtig, aber bitte nicht Unkonventionelles oder Ausgefallenes. Unscheinbare Sweatshirts, Basic-T-Shirts, Hosen im Jogging-Look, alles schluffig sitzend und ohne jeden Pfiff geschnitten, aber Hauptsache eines der Brand-Logos von Calvin Klein bis Gucci ist drauf.
Also Schluss mit dem Metro-Fummel und der ganzen neumodischen Exhaltiertheit! Das 2020er-Remake von "Dior Homme" fängt den aktuellen, politisch-gesellschaftlich wieder eher konventionell konnotierten Zeitgeist gekonnt ein und wird sich daher sehr sehr gut verkaufen. Riecht okay, fällt nicht unangenehm auf, ist von Dior - Safe, Bro.
Das kann man jetzt doof finden (wie ich), muss aber so zur Kenntnis genommen werden.
Dazu fällt mir als Musikinteressierter noch eine Dokumentation über Hi-NRG ein, die ich kürzlich im Fernsehen gesehen habe - jener synthiegetriebene Dance-Sound, der in den 80ern aus den Trümmern der irrelevant gewordenen Disco-Musik auferstand und zu Ende des gleichnamigen Jahrzehnts wieder in der Versenkung verschwand: plötzlich wollten alle Acid und House und die alten Epigonen verstanden die neue Sprache der Clubs und Diskotheken nicht mehr.
Peter Watermann (von Stock Aitken Watermann), der mit seinen Fließbandproduktionen zum kommerziellen Ausverkauf der Hi-NRG beitrug, dazu etwas ratlos im Interview über den damals neuen Sound: "Die haben nur noch einen Beat - keine Songs mehr, keine guten Melodien! Aber die treffen sich zu Zehntausenden auf einer Wiese und haben einen Riesenspaß. Die machen es richtig - und ich liege falsch."
Und auch ich liege vermutlich falsch. Der Zeitgeist will es so.
										
									
				
				
			Ist deshalb relevant, da der folgende Kommentar vermutlich den Eindruck erweckt, ich wäre mindestens doppelt so alt. Oder dreifach. Wollte ich nochmal schnell loswerden.
Und nun gleich zum Outing: Ja, ich gehöre zu den Heulsusen, dich sich von Dior ans Bein gepisst fühlen, jetzt da die Franzosen einen ihrer modernen Meilensteine der Herrenparfumerie völlig entkernen und als quasi komplett neuen Duft auf den Markt bringen. Dass es die ursprüngliche Version zumindest noch vorläufig als "Dior Homme Original" gibt und die Intense und Parfum-Version des Duftes allen Anschein nach unangetastet bleiben, lässt darauf schließen, dass die Entscheidung auch im eigenen Hause umstritten gewesen sein könnte. Das letztere beiden Versionen (EdP und Parfum) früher oder später auch umgebaut werden halte ich nur für eine Frage der Zeit - eine Linie, in der das Eau de Toilette und Eau de Parfum überhaupt nicht zusammenpassen, wird auf Dauer schwer zu vermarkten sein. Scheint ja in einigen Parfumerien angesichts Diors Geschäftpolitik jetzt schon ein heilloses Durcheinander zu geben.
Der originale "Dior Homme" ist eine von mir nach wie vor heißgeliebte Parfum-Großtat: edel, opulent, etwas dandyhaft, und durch den von Iris gertragenen, legendär-pudrigen "Lippenstift-Akkord" auch immer ein Statement, vielleicht sogar eine kleine Provokation: gegen starre Definitionen, wie Männlichkeit auszusehen (und zu riechen) hat, gegen die Durchschnittlichkeit. Hier wurde kein verschämtes Versteckspiel mit Duschgel-, Deo-, oder Rasierschaum-Assoziationen gespielt - hier bekannte man sich als Mann eindeutig zum "Parfümiert-Sein". Bis heute finde ich das Konzept unglaublich cool und progressiv.
Wäre der neue "Homme" nun unter komplett neuem Namen erschienen, hätte ich über den Duft gar nicht viele Worte verloren. Aber auch so fällt die Zusammenfassung meines Dufteindrucks recht knapp aus: zitrisch-gepfeffert im Auftakt, ein paar sparsam maskulin-holzige Noten im Herz, umspielt mit etwas Iso E Super und Veitver, recht gute Haltbarkeit, sehr schnell abflachende Sillage.
Nicht schlecht gemacht, nicht zum Davonlaufen, sondern viel schlimmer: belanglos. Unscheinbar. Einfach nicht der Rede wert.
Es ärgert mich schon immer etwas, wie so eine Langeweile dann als "Immergeher", "Crowdpleaser" oder "versatile" (schlimmer Ausdruck) schöngeredet wird. (Oder besonders schlimm: "Büroduft" - als müsse man im Büro immer aalglatt sein und das Stromlinienförmig-Devote olfaktorisch auch noch unterstreichen.)
Das soll jetzt grundsätzlich nicht gegen diese Art von Düften gehen, die ja auch ihre Daseinberechtigung haben. Aber: möchte ich so ein Parfum haben, suche ich mich etwas in der Drogerie aus oder lege einen Zwanziger für einen Jil Sander oder Joop auf den Tisch. Für den Preis, den ein Premium-Hersteller wie Dior aufruft - 100ml von "Dior Homme" bekommt man auf der Dior-Website für 96 Euro - finde ich das Gebotene schlichtweg eine Unverschämtheit. Da hilft auch kein "Crowdpleaser" und kein "Immergeher" mehr. (Monsieur Demachy trifft unfreiwillig ins Schwarze, wenn er diese fade Banalität als "offene, absolute Einfachheit" beschönigt.)
Aber was rede ich - den meisten Leuten scheint es ohnehin entweder wurscht zu sein oder sogar gelegen zu kommen. Jedes Parfum ist auch ein Kind seiner Zeit. Dass Dior-Kreationen wie "Fahrenheit" oder eben das Ur-"Dior Homme" trotz aller Extravaganz Kassenschlager wurden, ist ja auch dem damaligen Zeitgeist geschuldet. "Dior Homme 2020" passt sehr gut in eine Zeit, in der jeder sein Leben "performen" will/muss, aber ja bitte im vorgegebenen Rahmen. Bloß nicht zu sehr aus der Reihe tanzen. Geht man durch die Einkaufsmeilen der Großstädte, sieht man superindividuelle Menschen die wie ein Ei dem Anderen gleichen. Markenklamotten sind wichtig, aber bitte nicht Unkonventionelles oder Ausgefallenes. Unscheinbare Sweatshirts, Basic-T-Shirts, Hosen im Jogging-Look, alles schluffig sitzend und ohne jeden Pfiff geschnitten, aber Hauptsache eines der Brand-Logos von Calvin Klein bis Gucci ist drauf.
Also Schluss mit dem Metro-Fummel und der ganzen neumodischen Exhaltiertheit! Das 2020er-Remake von "Dior Homme" fängt den aktuellen, politisch-gesellschaftlich wieder eher konventionell konnotierten Zeitgeist gekonnt ein und wird sich daher sehr sehr gut verkaufen. Riecht okay, fällt nicht unangenehm auf, ist von Dior - Safe, Bro.
Das kann man jetzt doof finden (wie ich), muss aber so zur Kenntnis genommen werden.
Dazu fällt mir als Musikinteressierter noch eine Dokumentation über Hi-NRG ein, die ich kürzlich im Fernsehen gesehen habe - jener synthiegetriebene Dance-Sound, der in den 80ern aus den Trümmern der irrelevant gewordenen Disco-Musik auferstand und zu Ende des gleichnamigen Jahrzehnts wieder in der Versenkung verschwand: plötzlich wollten alle Acid und House und die alten Epigonen verstanden die neue Sprache der Clubs und Diskotheken nicht mehr.
Peter Watermann (von Stock Aitken Watermann), der mit seinen Fließbandproduktionen zum kommerziellen Ausverkauf der Hi-NRG beitrug, dazu etwas ratlos im Interview über den damals neuen Sound: "Die haben nur noch einen Beat - keine Songs mehr, keine guten Melodien! Aber die treffen sich zu Zehntausenden auf einer Wiese und haben einen Riesenspaß. Die machen es richtig - und ich liege falsch."
Und auch ich liege vermutlich falsch. Der Zeitgeist will es so.
		22 Antworten 
	
	

 
					
Basic-Pokal?
Bis dahin werden sie wohl den neuen Homme wie geschnitten Brot verkaufen. Sie holen nämlich mit diesem Duft die paar Standard Käufer ab, denen Sauvage zu scharfkantig/einnehmend ist.
Mit Fahrenheit, Dior Homme (Original) und ja, auch mit Sauvage hat Dior dicke Haufen gesetzt. Mal sehen wie fett der Haufen des neuen Homme in der Rückschau erscheinen wird.
Wie sehr Du mir aus der Seele schreibst in der Passage mit den Einkaufsmeilen!!!