29.05.2013 - 14:59 Uhr
Yatagan
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Yatagan
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Hinter dem dunklen Spiegel
Ich muss es wohl zugeben: Ausnahmsweise war es nicht der Duft selbst, der mein Interesse weckte. Ich wurde von seinem Schatten angezogen.
Sag mir: warum?
Von einem Schneider des italienischen Königshauses las ich, sah einen Flakon aus dunklem Glas mit einer Schneiderschere wie gekreuzte Schwerter in der Mitte und zwei Wappen rechts und links, hörte von der Tradition des Hauses seit 1913. In meinem Kopf entstand ein Bild eines außergewöhnlichen Duftes, weiter genährt durch die Kommentare zu Caracenis 1913. Eine Erwartung, so groß, dass sie nur zernichtet werden konnte, dass man abstürzen hätte müssen, von ganz oben nach ganz unten, ins Dunkel des dunklen Glases dieses offenbar eigenartig einzigartigen Duftes, - zerschmettert die Erwartung.
Unmittelbar bevor ich den Duft kennen lernte, musste ich an die englischen Gothic Novels des 17. und 18. Jahrhunderts denken, an Percy Bysshe Shelleys und an Mary Shelleys Schauerliteratur, an einen dunklen Spiegel, der nur die schattigen Facetten des Lichts, die dunkle Seite des Lebens reflektiert und meine Erwartungen stiegen abermals.
Von einem Parfum las ich, das die morbide Seite der Rose in einen Herrenduft mit Weihrauch, Tabak und Styrax einzubinden vermöge, das also tatsächlich die düstere Seite der Romantik, den Schauer betone: welke Rosen vor einem dunklen Spiegel? Romantik an der Oberfläche - oder wirklich ein Blick in schwarzes Wasser?
Dann traf der Duft bei mir ein, lang gesucht, schwer erhältlich, vom Traditionshaus Caraceni vielleicht gar nicht mehr hergestellt, wohl eher nur noch gebraucht zu finden, versteckt: wirklich ein Grund mehr, von diesem Duft fasziniert zu sein?
Der erste Eindruck: Ein Déjà-vu! Ein Dufterlebnis, das ich vor Kurzem so und doch nur ähnlich schon einmal hatte, tatsächlich ungewöhnlich, da in einem Herrenduft selten die Rose dominiert. Und dann sah ich im dunklen Spiegel tatsächlich den Duft, der mich an Caracenis 1913 erinnert, der zwar kein Zwilling, wohl aber der hellere, lichtere Bruder sein könnte, der Bruder auf dieser Seite des Spiegels: Touaregh von Il Profvmo, ein Duft, der mich gerade erst vor einigen Tagen so sehr fasziniert hatte wie selten in den letzten Jahren zuvor, ein Duft, zu dem ich bisher noch nichts schreiben konnte oder wollte, weil ich immer noch am Suchen bin, nach den Worten, nach Beschreibungen, nach der Frage, ob mir der Duft wirklich gefällt, ob ich ihn wirklich liebe oder einfach nur interessant finde, anders, irgendwie neu.
Und nun wieder dieses Erleben: Noch einmal ein Duft, der anders und ja: neu ist, der wirklich Interesse voraussetzt, der mir offenbar zu gefallen scheint, da ich nicht mehr von ihm lassen kann, den ich lieben könnte, vielleicht schon bald, morgen sicherlich, der aber kein einfacher Freund ist, sei gewarnt, sondern einer, der hinter dem schwarzen Spiegel zu suchen ist, zwischen den Blättern der welken, unansehnlichen Rose, keine Romantik im eigentlichen Sinne, an den man nur schwer unmittelbar heran treten kann, weil er zu viele und sich scheinbar auch widerstrebende Komponenten enthält, die sich entziehen, weil sie Distanz zum Träger aufbauen.
Sag mir: was willst Du mir sagen?
Was tut Bitterorange, Neroli und Petitgrain beim Weihrauch, wie bindet sich Tabak an Rose? Offenbar hat da jemand einen kühnen Wurf versucht, ist ein Risiko eingegangen, das bei Düften so oft in eine Sackgasse führt, hier aber zu einem starken und gleichzeitig morbiden Resultat führte, ein Duft für manche also. Für manche.
Sag mir: für wen?
Ein Duft für Männer, ein Duft auch für Frauen, die anders riechen wollen, nicht einfach nur originell, sondern sich trauen, ein Experiment mit der Rose einzugehen, die dennoch hier nicht feminin duftet, die durch den Weihrauch einen morbid-düsteren Zug erhält, ein Duft für manche, die nach etwas suchen, das neu denken lässt, das die vertrauten Räume ver-lässt.
Für mich ist der Duft wie ein Strudel, der mich in ein dunkles Wasser zieht, mich auf die düstere Seite des dunklen Spiegels zieht, die Faszination des Dunklen, des Undurchsichtigen und Unberechenbaren: Styrax etwa ist ein Harz, das schwer süßlich riecht und dem man nachsagt, es wirke entspannend und beruhigend, habe sogar Heilwirkung. Ist es das, was diesen Duft in der alchymischen Hochzeit mit der Rose so faszinierend macht? Vielleicht: Ich wenigstens brauche Düfte, die mir Ganzheit, Heilung und Einssein mit mir selbst versprechen, es vielleicht sogar halten, wer weiß. Styrax und Rose können es. Weihrauch kann es. So wie Styrax das Versprechen des Heilseins ist, ist Weihrauch das Versprechen des Heiligen, der Andacht, des Zu-sich-Kommens, der Konzentration auf das Numinose. Orange und Neroli können es. Die Orange ist das Versprechen von Lebenskraft, das Versprechen der Rückkehr, das Verspechen von der dunklen Seite der Tür wieder zurück gelangen zu können: Orpheus.
Und so verbinden sich in diesem Duft widersprüchliche und scheinbar doch zusammen gehörende Aspekte vom Ersten und Letzten zu einem Duft, der Ganzheit verspricht, der also etwas verspricht, das wir vermutlich alle in Düften suchen: Einssein mit sich selbst, vielleicht sogar mit der Schöpfung: im idealen Duft, - die Sehnsucht endlich das zu finden, was uns heilt, heil macht, uns vollkommen und absolut zufrieden zurück lassen könnte, die Suche nach dem letzten Duft, der jede weitere Suche unnötig machen möge.
Sag mir: ist dies der ideale Duft?
Wer weiß denn schon, was ein idealer Duft ist. Das habe ich dir nie versprochen. Ich sage nur, dass dieser Duft „etwas“ verspricht. Versprechen aber werden doch immer gebrochen, wenn nicht heute, dann morgen oder irgendwann. Und dann: ist die Enttäuschung umso größer.
Wenn Du also nach diesem Duft suchen solltest - und ich sage dir: Du wirst lange suchen -, dann sei ent-täuscht, denn dann wirst Du hinter dem dunklen Spiegel etwas finden: eine Scherbe vom Heil, ein kleines Stück von dir. Nicht mehr.
(Kommentar 100 von Yatagan)
Sag mir: warum?
Von einem Schneider des italienischen Königshauses las ich, sah einen Flakon aus dunklem Glas mit einer Schneiderschere wie gekreuzte Schwerter in der Mitte und zwei Wappen rechts und links, hörte von der Tradition des Hauses seit 1913. In meinem Kopf entstand ein Bild eines außergewöhnlichen Duftes, weiter genährt durch die Kommentare zu Caracenis 1913. Eine Erwartung, so groß, dass sie nur zernichtet werden konnte, dass man abstürzen hätte müssen, von ganz oben nach ganz unten, ins Dunkel des dunklen Glases dieses offenbar eigenartig einzigartigen Duftes, - zerschmettert die Erwartung.
Unmittelbar bevor ich den Duft kennen lernte, musste ich an die englischen Gothic Novels des 17. und 18. Jahrhunderts denken, an Percy Bysshe Shelleys und an Mary Shelleys Schauerliteratur, an einen dunklen Spiegel, der nur die schattigen Facetten des Lichts, die dunkle Seite des Lebens reflektiert und meine Erwartungen stiegen abermals.
Von einem Parfum las ich, das die morbide Seite der Rose in einen Herrenduft mit Weihrauch, Tabak und Styrax einzubinden vermöge, das also tatsächlich die düstere Seite der Romantik, den Schauer betone: welke Rosen vor einem dunklen Spiegel? Romantik an der Oberfläche - oder wirklich ein Blick in schwarzes Wasser?
Dann traf der Duft bei mir ein, lang gesucht, schwer erhältlich, vom Traditionshaus Caraceni vielleicht gar nicht mehr hergestellt, wohl eher nur noch gebraucht zu finden, versteckt: wirklich ein Grund mehr, von diesem Duft fasziniert zu sein?
Der erste Eindruck: Ein Déjà-vu! Ein Dufterlebnis, das ich vor Kurzem so und doch nur ähnlich schon einmal hatte, tatsächlich ungewöhnlich, da in einem Herrenduft selten die Rose dominiert. Und dann sah ich im dunklen Spiegel tatsächlich den Duft, der mich an Caracenis 1913 erinnert, der zwar kein Zwilling, wohl aber der hellere, lichtere Bruder sein könnte, der Bruder auf dieser Seite des Spiegels: Touaregh von Il Profvmo, ein Duft, der mich gerade erst vor einigen Tagen so sehr fasziniert hatte wie selten in den letzten Jahren zuvor, ein Duft, zu dem ich bisher noch nichts schreiben konnte oder wollte, weil ich immer noch am Suchen bin, nach den Worten, nach Beschreibungen, nach der Frage, ob mir der Duft wirklich gefällt, ob ich ihn wirklich liebe oder einfach nur interessant finde, anders, irgendwie neu.
Und nun wieder dieses Erleben: Noch einmal ein Duft, der anders und ja: neu ist, der wirklich Interesse voraussetzt, der mir offenbar zu gefallen scheint, da ich nicht mehr von ihm lassen kann, den ich lieben könnte, vielleicht schon bald, morgen sicherlich, der aber kein einfacher Freund ist, sei gewarnt, sondern einer, der hinter dem schwarzen Spiegel zu suchen ist, zwischen den Blättern der welken, unansehnlichen Rose, keine Romantik im eigentlichen Sinne, an den man nur schwer unmittelbar heran treten kann, weil er zu viele und sich scheinbar auch widerstrebende Komponenten enthält, die sich entziehen, weil sie Distanz zum Träger aufbauen.
Sag mir: was willst Du mir sagen?
Was tut Bitterorange, Neroli und Petitgrain beim Weihrauch, wie bindet sich Tabak an Rose? Offenbar hat da jemand einen kühnen Wurf versucht, ist ein Risiko eingegangen, das bei Düften so oft in eine Sackgasse führt, hier aber zu einem starken und gleichzeitig morbiden Resultat führte, ein Duft für manche also. Für manche.
Sag mir: für wen?
Ein Duft für Männer, ein Duft auch für Frauen, die anders riechen wollen, nicht einfach nur originell, sondern sich trauen, ein Experiment mit der Rose einzugehen, die dennoch hier nicht feminin duftet, die durch den Weihrauch einen morbid-düsteren Zug erhält, ein Duft für manche, die nach etwas suchen, das neu denken lässt, das die vertrauten Räume ver-lässt.
Für mich ist der Duft wie ein Strudel, der mich in ein dunkles Wasser zieht, mich auf die düstere Seite des dunklen Spiegels zieht, die Faszination des Dunklen, des Undurchsichtigen und Unberechenbaren: Styrax etwa ist ein Harz, das schwer süßlich riecht und dem man nachsagt, es wirke entspannend und beruhigend, habe sogar Heilwirkung. Ist es das, was diesen Duft in der alchymischen Hochzeit mit der Rose so faszinierend macht? Vielleicht: Ich wenigstens brauche Düfte, die mir Ganzheit, Heilung und Einssein mit mir selbst versprechen, es vielleicht sogar halten, wer weiß. Styrax und Rose können es. Weihrauch kann es. So wie Styrax das Versprechen des Heilseins ist, ist Weihrauch das Versprechen des Heiligen, der Andacht, des Zu-sich-Kommens, der Konzentration auf das Numinose. Orange und Neroli können es. Die Orange ist das Versprechen von Lebenskraft, das Versprechen der Rückkehr, das Verspechen von der dunklen Seite der Tür wieder zurück gelangen zu können: Orpheus.
Und so verbinden sich in diesem Duft widersprüchliche und scheinbar doch zusammen gehörende Aspekte vom Ersten und Letzten zu einem Duft, der Ganzheit verspricht, der also etwas verspricht, das wir vermutlich alle in Düften suchen: Einssein mit sich selbst, vielleicht sogar mit der Schöpfung: im idealen Duft, - die Sehnsucht endlich das zu finden, was uns heilt, heil macht, uns vollkommen und absolut zufrieden zurück lassen könnte, die Suche nach dem letzten Duft, der jede weitere Suche unnötig machen möge.
Sag mir: ist dies der ideale Duft?
Wer weiß denn schon, was ein idealer Duft ist. Das habe ich dir nie versprochen. Ich sage nur, dass dieser Duft „etwas“ verspricht. Versprechen aber werden doch immer gebrochen, wenn nicht heute, dann morgen oder irgendwann. Und dann: ist die Enttäuschung umso größer.
Wenn Du also nach diesem Duft suchen solltest - und ich sage dir: Du wirst lange suchen -, dann sei ent-täuscht, denn dann wirst Du hinter dem dunklen Spiegel etwas finden: eine Scherbe vom Heil, ein kleines Stück von dir. Nicht mehr.
(Kommentar 100 von Yatagan)
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