03.08.2020 - 09:50 Uhr
Konsalik
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Konsalik
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23
Moderner Barbershop mit Formfehler
Es war eine jener kleinen Veränderungen alltäglicher Abläufe, die der Lebensführung, rückblickend betrachtet, doch einen nicht unerheblichen Schubs gegeben haben und deren Zurücknahme nunmehr umso unmöglicher erscheint, als sich an jene eine Veränderung eine ganze Reihe anderer – für sich genommen ebenfalls kleiner, kleinster – Veränderungen der Daseinsbewältigung angeschlossen haben, die nun, wie gekoppelte Güterwaggons, doch ein Ganzes von nicht unerheblicher Gravität und wechselseitiger Abhängigkeit bilden. Kurz: Vor etwa zweieinhalb Jahren habe ich mich zum ersten Mal rasiert.
Das heißt, meine Gesichtsbehaarung habe ich mir freilich schon früher regelmäßig entfernt. Zunächst mit einem elektrischen Rasierapparat (von Braun, zum sechzehnten Geburtstag bekommen, initiatische Erfahrung), danach über mehr als zehn Jahre mit wechselnden „Cartridge“-Systemrasierern (Gilette Mach 3, 4, 5; Wilkinson Sword 3D, 4D, 5D etc.) - und damit dachte ich, dass es das gewesen sei. So rasiert man sich nun einmal. Aus nachträglich rekonstruierbaren, hier aber nicht hin gehörenden, externen Gründen und einem, in seiner Genese etwas obskureren, plötzlich raumgreifenden Formwillen heraus stand ich nun allerdings eines Tages mit einem Rasierhobel alter Schule, einem Tiegel mit Rasierseife und einem Rasierpinsel aus synthetischer Borste vor dem Badezimmerspiegel. Und es war wunderbar! Ein ungekannt gründliches, befriedigendes Rasurergebnis! Nicht vergleichbar mit dem enervierenden Gezuppel und Gezippel vergangener Jahrzehnte! Ich war zum ersten Mal rasiert. Doch nicht nur das Ergebnis, auch das Erlebnis war es, was begeisterte: Die fast schon meditative, ruhig vor- und nachbereitende Reihenfolge der nötigen Handgriffe kostete nur auf dem Ziffernblatt der Uhr Zeit, denn in Wahrheit formierte sie einen Zeitraum, gab ihm Qualität und „Geschmack“, der zuvor nur halbherzig bis widerwillig mit der regelmäßigen Duschroutine verknüpft worden war: Dosenschaum auf‘s Gesicht, schab, schab, schab, Schaumreste flott abgeduscht. „Convenient“, aber im Grunde nervig. So jedoch hatte ich mir mit einem Mal an drei Wochentagen fünfzehn Minuten tatsächlich für mich (!) erobert, was in einer bürgerlichen Gesellschaft, bittesehr, als mittelgroßer Triumph zu gelten hat. Blumen und Glückwunschnoten bitte an mein Postfach.
Anteil an diesem oasenhaften Behagen hatten von Anfang an die vorzüglich duftenden Rasierseifen von Proraso, einer alten italienischen Firma für Barbierprodukte aller Art, deren Produktgestaltung bis heute ewige 50er Jahre-Italo-Sommer evoziert; man möchte jauchzen. Nachdem ich in den Folgemonaten auch noch meines seit Schulzeiten unangetasteten 30cm-Bartes (Modell „Nordmann rustikal“) verlustig gegangen war, da ich ihn beim Innenstadtbarbier gegen 5cm des Modells „Kardinal Richelieu“ eintauschte, wuchs der Bedarf an Bartpflegeprodukten. Und auch bei Ölen und Balsam tat sich erneut die rührige Marke aus dem florentinischen Fiesole hervor: Gute Pflegeeigenschaften bei geschmackvoller olfaktorischer Abstimmung und gleichzeitig sehr humaner Preisgestaltung! Besonders „Wood and Spice“ gefiel mir von Anfang an ausgezeichnet: Ein recht kräftig abgestimmter, aber sehr ausgewogener Dreiklang aus mentholiger Frische, kerliger Holzigkeit und wärmender Süße. Und auch wenn mein Bild einer Barbershop-Duftsignatur sich seit meinem Eintritt in den Parfumo-Orden deutlich gewandelt und vertieft hat, halte ich „Wood and Spice“ auch heute noch für eine gelungene Aktualisierung des alten Barbershop-Themas. Zumindest, solange es nicht um das Cologne aus der Reihe geht…
Ich weiß nicht, ob Proraso bei der Komposition der Parfumversion von „Wood and Spice“ kräftig an der Zusammensetzung der Duftnoten gedreht hat, oder ob schlicht die ölige bzw. balsamische „Trägermasse“ fehlt, die für den ausgewogenen und hochwertigen Dufteindruck der anderen Produkte aus dieser Reihe verantwortlich ist, aber irgendwie ist das oben angesprochene Gleichgewicht bei diesem Cologne ein wenig aus den Fugen geraten: Die Süße nimmt schon kurz nach dem Aufsprühen überhand und raubt der sehr mentholigen Minze des Bartöls die pflegende Frische, was den Gesamteindruck eher in Richtung Wrigley‘s Spearmint verschiebt (die Duftnoten sprechen von „Veilchenblatt“ - mag sein, dass es das ist; „Veilchenbonbon“ träfe es eher). Daneben wirkt das eigentlich so sauber eingebundene Holz mit einem Mal vergleichsweise trocken, pieksig und deutlich synthetisch. Auch der fehlende Duftverlauf (bei Kosmetikprodukten ja weiß Gott kein Malus) ärgert hier plötzlich ein wenig, auch wenn dieser Befund objektiv unfair sein mag.
„Wood and Spice Cologne“ ist für sich genommen sicher kein Fehlgriff, jedoch wirkt es im Vergleich zu seinen Kollegen ein wenig wie Bückware. Daher meine Empfehlung für die Bartträger unter euch: Versucht es stattdessen entweder mit dem gleichnamigen Bartöl oder (wenn ihr einen Drei-Tage-Bart bevorzugt) dem „Balsamo cura barba“. Beide vermitteln deutlich mehr Wertigkeit und strahlen fast genauso lang und intensiv ab wie das Cologne – zum kleineren Kurs. Habe ich eigentlich schon genug Werbung für Proraso-Produkte gemacht?
Das heißt, meine Gesichtsbehaarung habe ich mir freilich schon früher regelmäßig entfernt. Zunächst mit einem elektrischen Rasierapparat (von Braun, zum sechzehnten Geburtstag bekommen, initiatische Erfahrung), danach über mehr als zehn Jahre mit wechselnden „Cartridge“-Systemrasierern (Gilette Mach 3, 4, 5; Wilkinson Sword 3D, 4D, 5D etc.) - und damit dachte ich, dass es das gewesen sei. So rasiert man sich nun einmal. Aus nachträglich rekonstruierbaren, hier aber nicht hin gehörenden, externen Gründen und einem, in seiner Genese etwas obskureren, plötzlich raumgreifenden Formwillen heraus stand ich nun allerdings eines Tages mit einem Rasierhobel alter Schule, einem Tiegel mit Rasierseife und einem Rasierpinsel aus synthetischer Borste vor dem Badezimmerspiegel. Und es war wunderbar! Ein ungekannt gründliches, befriedigendes Rasurergebnis! Nicht vergleichbar mit dem enervierenden Gezuppel und Gezippel vergangener Jahrzehnte! Ich war zum ersten Mal rasiert. Doch nicht nur das Ergebnis, auch das Erlebnis war es, was begeisterte: Die fast schon meditative, ruhig vor- und nachbereitende Reihenfolge der nötigen Handgriffe kostete nur auf dem Ziffernblatt der Uhr Zeit, denn in Wahrheit formierte sie einen Zeitraum, gab ihm Qualität und „Geschmack“, der zuvor nur halbherzig bis widerwillig mit der regelmäßigen Duschroutine verknüpft worden war: Dosenschaum auf‘s Gesicht, schab, schab, schab, Schaumreste flott abgeduscht. „Convenient“, aber im Grunde nervig. So jedoch hatte ich mir mit einem Mal an drei Wochentagen fünfzehn Minuten tatsächlich für mich (!) erobert, was in einer bürgerlichen Gesellschaft, bittesehr, als mittelgroßer Triumph zu gelten hat. Blumen und Glückwunschnoten bitte an mein Postfach.
Anteil an diesem oasenhaften Behagen hatten von Anfang an die vorzüglich duftenden Rasierseifen von Proraso, einer alten italienischen Firma für Barbierprodukte aller Art, deren Produktgestaltung bis heute ewige 50er Jahre-Italo-Sommer evoziert; man möchte jauchzen. Nachdem ich in den Folgemonaten auch noch meines seit Schulzeiten unangetasteten 30cm-Bartes (Modell „Nordmann rustikal“) verlustig gegangen war, da ich ihn beim Innenstadtbarbier gegen 5cm des Modells „Kardinal Richelieu“ eintauschte, wuchs der Bedarf an Bartpflegeprodukten. Und auch bei Ölen und Balsam tat sich erneut die rührige Marke aus dem florentinischen Fiesole hervor: Gute Pflegeeigenschaften bei geschmackvoller olfaktorischer Abstimmung und gleichzeitig sehr humaner Preisgestaltung! Besonders „Wood and Spice“ gefiel mir von Anfang an ausgezeichnet: Ein recht kräftig abgestimmter, aber sehr ausgewogener Dreiklang aus mentholiger Frische, kerliger Holzigkeit und wärmender Süße. Und auch wenn mein Bild einer Barbershop-Duftsignatur sich seit meinem Eintritt in den Parfumo-Orden deutlich gewandelt und vertieft hat, halte ich „Wood and Spice“ auch heute noch für eine gelungene Aktualisierung des alten Barbershop-Themas. Zumindest, solange es nicht um das Cologne aus der Reihe geht…
Ich weiß nicht, ob Proraso bei der Komposition der Parfumversion von „Wood and Spice“ kräftig an der Zusammensetzung der Duftnoten gedreht hat, oder ob schlicht die ölige bzw. balsamische „Trägermasse“ fehlt, die für den ausgewogenen und hochwertigen Dufteindruck der anderen Produkte aus dieser Reihe verantwortlich ist, aber irgendwie ist das oben angesprochene Gleichgewicht bei diesem Cologne ein wenig aus den Fugen geraten: Die Süße nimmt schon kurz nach dem Aufsprühen überhand und raubt der sehr mentholigen Minze des Bartöls die pflegende Frische, was den Gesamteindruck eher in Richtung Wrigley‘s Spearmint verschiebt (die Duftnoten sprechen von „Veilchenblatt“ - mag sein, dass es das ist; „Veilchenbonbon“ träfe es eher). Daneben wirkt das eigentlich so sauber eingebundene Holz mit einem Mal vergleichsweise trocken, pieksig und deutlich synthetisch. Auch der fehlende Duftverlauf (bei Kosmetikprodukten ja weiß Gott kein Malus) ärgert hier plötzlich ein wenig, auch wenn dieser Befund objektiv unfair sein mag.
„Wood and Spice Cologne“ ist für sich genommen sicher kein Fehlgriff, jedoch wirkt es im Vergleich zu seinen Kollegen ein wenig wie Bückware. Daher meine Empfehlung für die Bartträger unter euch: Versucht es stattdessen entweder mit dem gleichnamigen Bartöl oder (wenn ihr einen Drei-Tage-Bart bevorzugt) dem „Balsamo cura barba“. Beide vermitteln deutlich mehr Wertigkeit und strahlen fast genauso lang und intensiv ab wie das Cologne – zum kleineren Kurs. Habe ich eigentlich schon genug Werbung für Proraso-Produkte gemacht?
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