3lbows

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6 - 10 von 66
3lbows vor 1 Jahr 14 3
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Duft
One does not simply wear Nische – oder doch?
Unser Gehirn neigt ja dazu, Dinge (hier: Parfums) zu kategorisieren, einzuordnen, in eine Schublade zu stecken. Bei mir ist das schon fast ein zwanghafter Automatismus: Rieche ich was Neues, stelle ich mir sofort vor, mit welchem Klamotten, oder zu welchem Anlass ich das tragen, oder wem das gefallen könnte, bzw. bei wem das eher aneckt. Ob ich damit frisch und gepflegt rüberkomme, oder eher als verschwurbelter Sonderling wahrgenommen werde, ob das zu meinem Alter passt oder nicht. Machen wir uns nichts vor: Düfte sind nun einmal etwas sehr Soziales. Auch wenn wir uns nicht diktieren lassen (sollen), was uns gefällt, so ist die Wirkung eines Parfums auf unser Gegenüber doch ein nicht unwesentlicher Faktor unserer Wahrnehmung und Bewertung desselben – im positiven, wie auch im negativen Sinne. Anders kann ich mir das Verreissen an sich gewandt komponierter, aber von der „falschen“ Klientel überbeanspruchter Odeurs à la "Sauvage (Eau de Toilette) | Dior" , "1 Million (Eau de Toilette) | Paco Rabanne" und Konsorten zumindest nicht erklären.
Für mich gibt es praktische, kleidende Parfums, und dabei eher begleitende, wie beispielsweise "Colonia Essenza (Eau de Cologne) | Acqua di Parma" und ähnliche Rasierwasser- und Seifendüfte (Achtung: Etikett!), oder Statement-setzende, z.b. Clubbing-Keulen (Achtung: englisches Wortspiel!) vom Schlage eines "Eros (Eau de Toilette) | Versace" , "Emporio Armani - Stronger With You Intensely | Giorgio Armani" , "Baccarat Rouge 540 (Eau de Parfum) | Maison Francis Kurkdjian" oder "Invictus (Eau de Toilette) | Paco Rabanne" . Die Grenzen sind dabei, nicht zuletzt dosierungsabhängig, fließend.

Auf der anderen Seite stehen da Kunstdüfte, die man nicht einfach so mal auflegt, wie z.B. einige Vertreter der Zoologist Reihe, vieles von Lush (unbedingt mal "Rentless (Perfume) | Lush / Cosmetics To Go" schnuppern!), oder einige echt gemeine Oud-Kracher (mir reicht schon "Ambré Oud | Baldessarini" ). Ein Weltraum voller unendlicher Duft-Weiten, die nie ein Drogeriekunde zuvor gerochen hat, und vermutlich auch nicht riechen, oder überhaupt als Parfum bezeichnen wollte, wartet da auf seine Erkundung. Hier gibt es viel Interessantes, Überraschendes, oft auch Anstößiges, das entdeckt, aber vielleicht nicht unbedingt getragen werden will. Oder doch? Die Grenzen sind auch hier wieder fließend. Ich muss zugeben, dass sich mir in der sogenannten Nische beileibe nicht alles – oder besser vieles – nicht erschließt oder gar gezwungen verschroben auf mich wirkt. Macht aber nix – solche Dufterfahrungen verstaue ich einfach in der entsprechenden Schublade und schnüffle weiter.

Schafft es dann aber ein Duftwasser mich – und im besten Fall auch das Publikum – mit einem „Aha!“ aufriechen zu lassen, und gleichzeitig als angenehm und vielseitig tragbar empfunden zu werden, dann hat es sich schon ein paar Zeilen verdient.
Beim Erstkontakt über das Beschnüffeln des Zerstäubers der heiss herbeigesehnten "Enigma Parfum Cologne | Roja Parfums" -Abfüllung rasten mir Gedanken wie „Uh, was´n das für´n versautes Zeugs“ und „OK – wieder so ein mit Noten überfrachteter Nischenorientale“ durch den Kopf. Umso verblüffter war ich dann nach dem Aufsprühen: Ein wohl arrangiertes Blumenbouquet auf Tabak- und anderen würzigen Noten angerichtet ergibt in der Gesamtschau doch tatsächlich die vielzitierte Coca-Cola-Note. Vanille, Zimt- und Nelkenöl sowie Zitrone, die zusammen mit der Kolanuss und Zucker den aromatischen Grundstein der US-amerikanischen Brausespezialität bilden, sind bis auf erstere zwar nicht Teil der Ingedienzen des hier besprochenen Duftwässerchens, beschreiben aber schon ganz gut einen wesentlichen Teil dessen Duftprofils: Spritzig, frisch, würzig auch süß, aber im Gegensatz zur braunen Brause nie plump und schon gar nicht eindimensional. Der Drydown wabert immer wieder vom Erfrischungsgetränk über das Holzschränkchen mit den Wintergewürzen zum Vanillepotpourri und wieder zurück, stets unterlegt mit einer hauchzarten Animalik. Ein wahres Duftchamäleon, facettenreich und dennoch unauffällig genug komponiert, um nicht anzustoßen und praktisch zu allen Gelegenheiten und Jahreszeiten zu passen. Lediglich ganz am Ende überwiegt eine leicht vanillig-würzige Süße, mit der Enigma dann eher linear ausklingt.
Die Umstehend*innen nehmen aber wohl in Erster Linie das aromatische Erfrischungsgetränk wahr. „Bist du das etwa? Das duftet ja lecker“, darf man da sicher öfter hören, ob man möchte oder nicht. Die Komplimente kommen dabei aus jeglicher Richtung, ist Enigma doch weder klassisch blumig-süß, noch dominant holzig geerdet, und damit nicht eindeutig einer Geschlechterüberzeugung zuzuordnen. Eine Kreation ganz auf Höhe der Zeit also. Bleibt die Frage, ob man so duften möchte, denn Enigma ist weit vom angesagten Herbst/Winter-Mainstream in Haselnuss, Kastanie und weiß der Geier welchem Naschwerk entfernt.
Von mir zumindest gibt´s eine eindeutige Test-, wenn nicht sogar Kaufempfehlung. Weil er ungezwungen und universell tragbar ist, genau richtig peformt und angenehm auffällt.
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3lbows vor 2 Jahren 18 3
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
SWYI's wohl bester Flanker
Wie konnte es diesem Trend-Designer gelingen, sich dem Parfum-Influencer-Hype praktisch gänzlich zu entziehen, und unbehelligt unter dem Radar der Sauvage EdT-Rezensentenarmee durchzutauchen?
Hab ich da was verpasst? Ist Hilfiger denn kein angesagtes Label mehr? Ist der zu teuer, oder muss ich mich in der Drogerie zu weit bücken? Liegt´s an der Abwesenheit eines bekannten Models und der eher unauffälligen Vermarktung?
OK, der Flakon mit der wackelig einrastenden, T-förmigen Kappe – wohl einem Poller zum Überhaken der Bootsleine nachempfunden um zusammen mit dem Farbspiel ein nautisches Flair zu vermitteln – spaltet wohl die Gemüter, sollte aber kein Grund für das Mauerblümchendasein dieses Duftwassers darstellen, zumal dessen Glasteil durchaus schwer und geschmeidig in der Hand liegt.

Also liegt´s am Duft selbst?

"Impact Intense | Tommy Hilfiger" startet holzig, süß und harzig, mit einer nur angedeuteten Weihrauchnote. Letzterer ist in der Pyramide ohnehin nicht aufgeführt. Kastanie mit einer toffeeartigen Süße ist ebenso eine Note, die sich mir aufdrängt. Der von der Community beschworene Apfel hingegen entzieht sich – abgesehen von einer hauchzarten Fruchtigkeit – wie kandiertes Obst - praktisch komplett meiner Wahrnehmung. Für mich daher keine Spur von "Layton | Parfums de Marly" , dafür aber volle Kanne "Emporio Armani - Stronger With You Intensely | Giorgio Armani" . Und das im besten Sinne, denn was mir an SWYI nicht zusagt, macht Hilfiger richtig. Obst- und Weihrauch schaffen einen kontrastierenden Rahmen für SWYIs Karamellsüße und machen den Duft damit tiefer, facettenreicher und interessanter. Projektion und Sillage spielen immer noch in der ersten Liga, im Gegensatz zu SWYI muss ich mir Impact Intense aber nicht vom Dermatologen operativ entfernen lassen, um einen anderen Duft auflegen zu können. Und um noch einmal auf Layton zurück zu kommen (obwohl ich hier – wie gesagt – kaum Parallelen sehe): Impact Intense kolportiert auch nicht diese aufsässig-narzistische Andrew-Tate-Aura des PdM-Zugpferdes. Zurückhaltung ist in Zeiten der Inszenierung in sozialen Netzwerken nicht mehr gefragt und ich stelle jetzt mal in den Raum, dass das der Grund ist, warum Hilfiger mit seiner Kreation bei der Layton/Sauvage-Kundschaft nicht ankommt. Und nicht zuletzt darum gefällt er mir außerordentlich gut. Mit ihm fühle ich mich sowohl zu Hause vor dem Kamin, als auch im Büro wohl. Süße Kastanie, kandiertes Obst und etwas Weihrauch erzeugen eine wunderbar spätherbstliche Atmosphäre. Die gourmandige Seite erdet Hilfiger dennoch ausreichend mit männlich holzigen Noten, um, wem das wichtig ist, mit dem Duft auch ein paar Komplimente abzugreifen zu können. Nicht wirklich ähnlich, weil weniger süß, aber in ihrer holzig-harzigen Würzigkeit ein ähnliches Konzept verfolgend, fallen mir sofort die von mir ebenfalls geschätzten "Au Coeur du Désert | Tauer Perfumes" und "№ 02 - L'Air du Désert Marocain (Eau de Toilette Intense) | Tauer Perfumes" als Alternativen ein. Oder besser gesagt "Impact Intense | Tommy Hilfiger" als Alternative zu den Tauers. Denn wo letztere schwer tragbar sind und ich mich auch schnell wieder an ihnen satt rieche, lässt sich der Hilfiger praktisch überall hin ausführen und geht mir auch nach längerem Tragen nicht auf die Nerven.
Handwerklich zwar bestenfalls solide, finde ich mich in dieser Komposition so dermaßen wieder, dass ich eine 9 zücke, auch auf die Gefahr hin, mich unter den kritischen Augen meiner Mit-Parfumaficionados hier wegducken zu müssen.
Meine bedingungslose Kaufempfehlung für alle, denen SWYI gefällt, diesen aber gerne in etwas reifer und tragbarer hätten. Definitiv dessen bester Flanker, auch wenn er nicht von Armani kommt.
3 Antworten
3lbows vor 2 Jahren 14 3
8
Flakon
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Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft
Muss ich den jetzt auch haben?
Eine Frage, die wir Parfumos uns oft stellen, nicht nur in Hinblick auf diesen Duft. Man kommt ja als Dufft-Aficionádo nicht umhin, die Best-of-Fall/Winter/Summer/Spring diverser Influencer auf der Suche nach Inspiration (wenn man noch einen Neuzugang für die Rotation braucht), oder Bestätigung (wenn man diesen gerade erstanden hat, insbesondere, wenn der Flakon noch unterwegs ist) zu durchforsten.
"Missoni Wave | Missoni" war 2022 in den Sommer-Listen praktisch aller Youtuber zu finden, eine richtige Klette, wie die B-Prominenz der 90er, die von Talk-Show zu Talk-Show gereicht wurde, und letztlich erst dadurch Bekanntheit erlangte. Kurzum: Ein Hype-Beast, wie es im Buche steht.
Aufgrund seines niedrigen Preises dürfte er dann wohl seinen Weg in die Blindbuy-Liste so manch eines Forumgesellen hier gefunden haben, so auch bei mir.
Meine durch den Herdenzwang zusätzlich angefachte, hohe Erwartungshaltung konnte er dann allerdings nur teilweise erfüllen.

Klar – Der Duft ist nicht schlecht, qualitativ und auch was seine in dieser Preisklasse ansprechende Präsentation mit massivem Glasflakon, Magnetkappe und gleichmäßig dosierendem Sprühknopf betrifft.

Und ja – da sind klare Parallelen sowohl zu "Versace pour Homme (Eau de Toilette) | Versace" , als auch zu "Allure Homme Sport (Eau de Toilette) | Chanel" . Sein Duftschweif geht locker als Zwilling, insbesondere zu letzterem durch. Zu VpH fehlt ihm noch ein Quäntchen blumiger Seifigkeit, zu Chanel lediglich etwas an Qualität der Ingredienzen.

Und, ebenfalls ja – dat Ding hält und hält und hält, für einen Sommerduft vielleicht sogar etwas zu penetrant.

So, what´s not to like?

Wäre da nicht eine gewisse synthetische Kratzigkeit, die den gesamten, übrigens sehr linearen Duftverlauf dieser maritimen Mandarinenmelange begleitet, wäre das für mich der Dumb-Reach für die warme Jahreszeit schlechthin. Aber eben auch nicht mehr. Und genau da liegt das Problem. Der Duft schafft es nicht, mich zu überraschen, zu berühren, mir beim Wahrnehmen seiner Sillage ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, oder ständig den Riecher ans Handgelenk zu führen und ihn immer wieder neu entdecken zu wollen. Er macht Dienst nach Vorschrift und daher ist seine hohe Wertung wohl eher unserem Herdentrieb und den sozialen Netzwerken, als seiner Bedeutung als Duftkreation geschuldet.

Muss man den nun haben?

Wer noch einen aquatisch angehauchten Frischling sucht, und die cremige, leicht süße Würzigkeit (die bei Chanel übrigens stärker ausgeprägt ist) abkann, greift bedenkenlos zu.
Ich für meinen Teil hatte allerdings die schönste Zeit mit ihm, als ich noch Reviews lesend und Gents Scents Videos schauend auf das Notino Paket wartete. Zeichen der Zeit – und unseres Daseins als Parfumos.
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3lbows vor 2 Jahren 7 4
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
8
Duft
Nett ist vielen nicht gut genug.
In Zeiten, wo das laute Exklamieren der eigenen Rechte und Bedürfnisse Hochkonjunktur hat, bleiben die leiseren Gesellen gerne ungehört oder werden als untätige Säusler verschrien, auch wenn sie durchaus etwas zu sagen hätten. Klar Farbe zu bekennen ist gesellschaftlich sicher eine legitime Forderung, zu oft geschieht das aber ohne fundierten Standpunkt.
"Isfarkand (Eau de Parfum) | Ormonde Jayne" bewegt sich vermutlich ob des fehlenden Mutes zur Polarisierung weit unter dem Radar unserer Community hier, zumindest wenn man bedenkt, welche Resonanz die anderen, markanteren Düfte aus dem Haus Ormonde Jayne hier erfahren. Vielleicht empfinde ich gerade deshalb seine Duftaura als überraschend treffliches und gleichermaßen angenehmes olfaktorisches Statement in der Aufgeregtheit des aktuellen Zeitgeistes.
Wir haben einerseits dezent Zitrisches – gänzlich unblumig, ohne Neroli oder anderswo herrührende 4711-Allüren. Den Gegenpol bildet ein Pfefferbett, keineswegs scharf oder kratzig, wie man es bei vielen Frischheimern derzeit findet, nein, eher warm umrahmend, fast cremig, getragen vom dritten, unsichtbaren Hauptakteur, nämlich Giza Schön´s Markenzeichen ISO-E-Super. Die Komposition ist bewusst einfach gehalten, ohne großartige Entwicklung, erzeugt aber in der Zusammenschau einen harmonischen, samtig-holzigen Dufteindruck, den das ISO-E Molekül schön mit der eigenen Hautchemie verschmelzen lässt: Individuell und nischig muss nicht zwingend komplex oder ausgefallen sein. Wirklich frisch ist das Ganze dadurch nicht, aber durchaus bei wärmeren Temperaturen tragbar, schon deswegen, weil ISO-E-Super im Zusammenspiel mit Körperwärme die einzelnen Duftbausteine und den eigenen Hautgeruch intensiver betont und dadurch jahreszeitlich unterschiedliche, im Sommer intensivere Dufteindrücke erschafft. Sehr schön – und mindestens genauso spannend wie ein komplexer Duftverlauf. Chaotisch wird´s nie – eher das Gegenteil ist der Fall. Isfarkand wirkt sehr aufgeräumt aber nie zu formell – ein richtiger zweite-Haut-Duft, der unaufgeregt begleitet, der Sicherheit und Kontinuität ausstrahlt, der abholt und Heimat gibt. Die synthethisch-holzige Basis projiziert verhalten aber mit der nahezu ewigen Ausdauer von Giza Schön´s Supermolekül. Nach vier Stunden bleibt ein pfeffrig-cremiger, nur noch ganz peripher zitrischer Hautgeruch, welcher problemlos beiderlei Geschlecht zugeordnet werden kann. Lediglich in der ersten, frischeren Stunde des Duftverlaufs, wo Piperin und Hesperidien noch schärfer aufspielen, sehe ich das Wässerchen noch eher an Männern.
Wem Moleküldüfte wegen deren Spiel mit der eigenen Hautchemie zusagen, diese aber in Reinform schwer wahrnimmt, wer obendrein einen veträumt-warmen, nahbaren Sommerduft sucht, bei dem zitrische Facetten nur die zweite Geige spielen, und wer Pfeffer – wenn auch gedimmt – abkann, dem lege ich Isfarkand uneingeschränkt an´s Herz.
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3lbows vor 2 Jahren 13 8
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Flakon
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Haltbarkeit
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Duft
Hart aber Herzlich.
Für alternde Machos aus der Ära Tom Selleck, die der Zahn der Zeit zu gesellschaftsverträglicherem (und dem Alter angemessenerem) Auftreten nötigt, aber auch für diejenigen, die aus ihrer in den 80ern verlebten Kindheit nicht ganz ausbrechen können oder wollen, für die findet sich bei Ted Lapidus ein richtiges Duft-Kleinod.
"Lapidus pour Homme Sport | Ted Lapidus" startet streng zitrisch-würzig, fast schon hemmungslos verwegen und auch ein klein wenig verrucht – ein Headbutt ins Antlitz der allgegenwärtigen Light-blue-intense-Wässerchen, die steril und sich hippen Retro-Trends anbiedernd die eben ihren roten Bomberwesten und zu kurzen, hautengen Jeans entwachsenen, adrett bebarteten Millenial-Alphas nach dem Workout ins Büro begleiten.
Nein, "Lapidus pour Homme Sport | Ted Lapidus" ist ein ehrlicher, ganz Einfacher, ohne Hintergedanken aus einer Zeit, in der Zibet, Eichenmoos und diffus-Florales über dezent-holziger Zurückhaltung und zuckersüßem Naschwerk standen. Er ist eine Ode an späte 80er Gemütlichkeit, an Colt Seavers, Ford Capri, SID-Musik, Familienurlaub am Balaton und Brusthaare ohne Fitnessstudio.
Damals duftete mann nicht nach Bäckerei, sondern nach Badreiniger und schlecht geputzter Toilette oder nach Tankstelle. Das war, ist heute aber nur mehr bedingt – gut so. Die Klostein-Keule ist ja ein beliebtes Totschlagargument in vielen Rezensionen und Statements zu Düften hier, und so muss man als Parfumeur schon über Augenmaß und ein wohl dosierendes Händchen verfügen, will man auf dem schmalen Grad schmutzig erotisierter, hormongesteuerter Duftassoziationen wandeln. Allzuschnell wird´s zu viel oder eben gar nicht wahrnehmbar.
Ted Lapidus greift das Thema 2015 erstaunlich unbefangen aber dennoch ausreichend feinfühlig auf, und kolportiert es in eine Zeit, in der Grooming-Foren wie Pilze aus dem Boden sprießen, und Kosmetikproduzenten den Mann und/oder dessen Bart als gewinnträchtiges Zielpublikum entdeckt haben. Pflegeprodukte für Herren haben Hochkonjunktur, und zu verhindern, dass das eigene Produkt unter den Heerschaaren von Stylingbloggern und Youtubern nicht als hoffnungslos einfältig, ewig gestrig oder gar abstoßend verrissen wird, ist schon ein schwieriges Unterfangen, welches der Bogart Gruppe, die ich an sich nicht mit filigranen Kniffen assoziiere, erstaunlich gut gelungen ist. Dass das Wässerchen IFRA-konform um jegliche potentiell anstößige Überkonzentration vieler damals üblicher Grundstoffe beschnitten ist, kommt der durchaus sinnvollen Zähmung des Dufteindrucks entgegen. So steht eine würzig-florale Fruchtigkeit im Vordergrund, die aber gleichzeitig die Animalik eines Kouros Fraicheur nicht vollends vermissen lässt. Wie dieser Eindruck erzeugt wird, ist mir allerdings schleierhaft – die Duftpyramide lässt zumindest keine Rückschlüsse auf Zibet, Bibergeil oder ähnlich wirkende Ersatzstoffe zu. Wie dem auch sei – dem Duft verleiht dies Charakter. Nähme man diese wohl dosierte, wenngleich synthetische Animalik weg, so erhielt man ein Odeur, welches eine frappierende Ähnlichkeit mit – und jetzt festhalten – "Mandarino di Amalfi (Eau de Parfum) | Tom Ford" hat. Der fruchtig-florale Kern ist beiden gemein, wobei der TF tiefer und raffinierter komponiert ist, und natürlich gänzlich auf Pipi-Allüren und Brusthaare verzichtet. Mich jedenfalls hat "Lapidus pour Homme Sport | Ted Lapidus" beim ersten Aufsprühen nach dem Blindbuy sofort an die Amalfi-Küste verzogen, was ja nichts Schlechtes ist.
Der zweite Kniff, ein 80er Powerhouse - Gott, was für eine Worthülse - 2022 tragbar zu machen liegt wohl im Verzicht auf einen allzu überfrachteten Dufteindruck. Bei "Pour Homme (Eau de Toilette) | Van Cleef & Arpels" zum Beispiel liest sich die Pyramide wie das Telefonbuch einer Kleinstadt. Bei allem Respekt – damals schien aber einfach alles rein zu müssen, was irgendwie riecht. Die Reduktion aber spart Geld und reduziert den All-out-Notenattack vieler Genrekollegen auf ein erträgliches Maß. Obendrein gibt diese Konzentration dem Duft mehr Richtung und macht ihn vielseitiger weil unauffälliger. Die Komplexität leidet allerdings darunter und Duftverlauf fällt eher linear aus. Wurscht, mir persönlch gefällt dieses Streamlining.
Und weil "Lapidus pour Homme Sport | Ted Lapidus" damit den Spagat zwischen Old-School und Moderne mit Bravur meistert, kann man ihn auch heute noch bedenkenlos auflegen. Er ist zwar bestimmt kein Komplimentmagnet, nicht zuletzt da er nur mäßig projiziert, keinesfalls aber aus der Zeit gefallen. Man kommuniziert mit ihm immer noch eindeutig, für welche Epoche sein Herz schlägt. Daher passt der Duft auch nicht unbedingt zur eingangs erwähnten Generation. Ein paar Lenze sollte man schon auf dem Buckel haben. Dann aber kann man "Lapidus pour Homme Sport | Ted Lapidus" praktisch ganzjährig ausführen – auch ins Büro. Nur für die ganz heißen Tage und den Weihnachtsmarkt steht mir der Gusto nach etwas anderem.

Im Regal zwischen He-Man Figuren und dem Rubikswürfel macht sich der Flakon übrigens hervorragend. Von Farbwahl und Formgebung, bis hin zum Material (Raumschiffplastik mit Kühlrippen) steht dieser retro-futuristische Tetrisklotz ausser Konkurrenz zu vielen seiner Mitbewerber. Der Sprühknopf hat die Kapazität eines Wasserwerfers. Nach 3 Sprühern ist man bereits versucht, die Nebelscheinwerfer anzuschalten – zumindest dagegen hat die IFRA keine Handhabe.

Kurz um: "Lapidus pour Homme Sport | Ted Lapidus" ist das Stranger Things der Parfumwelt – Ein liebevoll modernisierter Ausflug in die Vergangenheit, ohne Pacingprobleme, veraltete Schnitttechnik und naive Dialogregie, allerdings, und hier höre ich die Puristen schon aufschreien, auch ohne richtig Eier. Aber das ist gut so. Zumindest für mich, denn so kann ich dat Dingens auflegen, in alten Zeiten schwelgen, mein 80er Heimweh nach außen tragen und gleichzeitig gepflegt riechen ohne allzusehr anzuecken, oder in meiener eigenen Dunstwolke zu ersticken. Uneingeschränkte Testempfehlung für dieses Juwel!
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