Anarlan

Anarlan

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6 - 10 von 27
Anarlan vor 4 Jahren 33 13
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Duft
Veilchen, römisch.
Ende September war ich beruflich bedingt als Teilnehmer einer Fachtagung in Rom. Tagsüber saß ich in einem überklimatisierten und dauerverdunkelten Vortragssaal, aus dem ich spätnachmittags mit den anderen Kongressteilnehmern auf das noch hochsommerlich heiße Pflaster zwischen Petersdom und Engelsburg gespuckt wurde. An einem dieser Nachmittage ließ ich mich, statt vor dem Abendprogramm in die Ruhe und Zurückgezogenheit meines Hotelzimmers zu fliehen, mit dem Strom der Touristen über den Ponte Sant´ Angelo über den Tiber Richtung Innenstadt treiben, vorbei an Straßenverkäufern, die versuchten, mit gefälschten Gucci-Taschen und Modeschmuck ihr Geschäft zu machen.

Ich bin gegenüber Souvenirkauf-Impulsen resistent, es sei denn, es geht -und das verstehen ausserhalb dieses Forums relativ wenig Leute - um Parfüm. Ich hatte mir auf meiner Sightseeingtour dem gemäß also einen Besuch des Pro Fvmvm Roma-Geschäfts nahe der Piazza del Popolo vorgenommen, wo ich schließlich, des spätsommerlichen Hitzestaus und der Menschenmassen überdrüssig, ein puristisches Refugium der wohl geordneten Ruhe vorfand.

Viel warmer Stein und Holz, indirektes Licht, Stille, eine Atmosphäre wie geschaffen für ein ausgiebiges Düfte-Testen. Neu war mir - darüber setzte mich die Verkäuferin wortreich und charmant in Kenntnis - die Existenz der seit 2016 erhältlichen neuen Parfümlinie „Note Di Profvmvm“ der Familie Durante, der Gründer des Dufthauses. Ich liebe und besitze aus der klassischen Pro Fvmvm-Linie „Victrix“, ein kühner, pfeffrig grüner, Lorbeer-umkränzter, statuarischer Duft, der seinem Namen, übersetzt „Siegerin“, alle Ehre macht, und den ich gerne -wenn auch nicht of- im Frühjahr trage.

Die neue Duftlinie möchte Geschichten erzählen, die jeweils mit Aquarellen, Kreidezeichnung und Grafiken illustriert werden, und die man in einem kleinen Portofolio als Beigabe erhält, wenn man einen Duft dieser Linie ersteht. Die Bildsprache ist dem italienischen Futurismus entlehnt: Es geht um Technik, Geschwindigkeit, Dynamik, das Logo der Marke erinnert an eine konstruktivistische Typografie, die Referenzen zur Aufbruchstimmung der Moderne in der Kunst sind relativ unmißverständlich. In den Düften habe ich diese verlassene Utopie des angehenden 20. Jahrhunderts allerdings nicht gefunden, höchstens im knallfrischen Vetiver-Kracher „Vet-G16“, den ich mir gut an einem Berufspiloten des Futurismus vorstellen könnte, bereit, die alte Welt nieder zu reissen und eine neue auf den Trümmern zu gründen ….

Mir gefiel aus dieser Reihe „Lvci dell´Est“ besonders gut. Der Duft startet mit einer frischen, grünen, pudrigen, säuerlichen Veilchen-Note, die mit Kardamom einen ungewöhnlichen Klang bildet. Kardamom hat hier die zweite Stimme, steuert holzige Würze bei, ohne dominat und zu pfeffrig zu werden, schattiert die hellen floralen und pudrigen Tupfer des Veilchens und bettet sie in den Duft ein. Veilchen gehört per se nicht zu meinen floralen Lieblingsnoten. Sobald sich die kleinen violetten Blüten in einem Duft in den Vordergrund drängen, winke ich dankend ab. Hier werden sie aber harmonisch und passend von würzigen, holzigen Noten in Szene gesetzt, ohne dominant zu werden, so daß ich von Anfang an von dieser Balance fasziniert war.

Man nimmt bereits innerhalb der ersten Minuten den holzigen Mittelbau und die Basis des Duftes wahr: Flirrend-sonniges, strahlendes Zedernholz und die mandelige Wärme von Sandelholz. Nach etwa einer Stunde hat der Duft eine erdige, trockene, holzige Würze erreicht, das Veilchen auf wunderbare Weise immer noch in zarter Balance wahrnehmbar, was sich tatsächlich über einige Stunden hält. Das Dufthaus liefert zum "Lvci dell´Est" das Bild eines rasenden Motorrades, was ich als unpassend empfinde, vielmehr strahlt der Duft eine große Harmonie, Introvertiertheit und Stille aus. Ich könnte schwören, dass in der Basis Patchouli mitmischt. Patchouli von der schönsten, papierenen, pergamentenen Sorte, hell, dabei erdverbunden. Lichtjahre entfernt von Altherren-Hippie-Patch, gammeliger Blumentopf-Gruftigkeit oder stählerner Mafia-Nadelstreifigkeit, die mir Patchouli gerne mal verleidet.

Alleine, die Pyramide gibt kein Patchouli her. Glatte Fehlanzeige. Auch wenn hier auf Parfumo Patchouli gelistet wird und einige Kommentatoren bzw. Statement-Verfasser Patchouli referenzieren, so ist in den Angaben des Herstellers davon nichts zu finden. Ich glaube mittlerweile, dass tatsächlich kein Patchouli verwendet wurde, auch wenn ein ähnlicher Eindruck entsteht, sondern dass die Noten, die in der Basis zusamenfließen, etwas Patchouli-artiges vermitteln. Das fast bis zum Ende wahrnehmbare Veilchen dürfte daran möglicherweise mitschuldig sein. Faszinierend. Ich sagte es bereits. Und daß ich nicht ohne diesen schönen Duft meine Rückreise am nächsten Tag antreten mochte, das erwähne ich hier nur noch der Form halber.
13 Antworten
Anarlan vor 5 Jahren 33 13
8
Flakon
7
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8
Haltbarkeit
9.5
Duft
Ikigai in a bottle
Ganz kurz ist es so, als würde eine noch regenfeuchte Hanfmatte mit Schwung vor Dir ausgerollt, damit Du darüber schreitend die Stände mit grünen und gelben Früchten und Kräutern betrachten kannst, während Du über den Markt der Obst- und Kräuterverkäufer mitten in Tokyo schlenderst. Die unzähligen kastenförmigen Auslagen der Stände aus Bambusrohr bilden enge Gassen, fein säuberlich zu kubistischen Kulissen aufgetürmt, an ihren Enden den Blick auf die dunstigen Umrisse der Hochhäuser einer endlosen Stadt freigebend. Die Strassen brüten unter der schwülen Hitze der Regenzeit, überall scheint ein Feuchtigkeitsfilm auf den Oberflächen zu liegen. Sobald Du über die entblösste Haut Deiner Unterarme streichst, möchtest Du die Hände am nächsten bunt blinkenden, piependen und sprechenden Automaten trocknen, kühlen und desinfizieren lassen.
Du bist Dir sicher, dass es hier auch dafür Automaten gibt, aber erfolglos in Deiner Suche, natürlich, weil nichts von der Bestimmung und dem Zweck der bunt beschrifteten Kästen, die an jeder Ecke zu stehen scheinen, für Dich verständlich wäre. Wie durch eine biologische Besonderheit scheint es den Einheimischen vergönnt, dass keinerlei Feuchtigkeit auf ihren Gesichtern haftet, die Hausfrauen, Geschäftsleute, Teenager in ihren Babyklamotten und gefärbten Haaren, die durch die engen Gässchen eilen, alle scheinen wie auf Verabredung die Schweissproduktion eingestellt zu haben.

Die kurze Aufruhr, welche Dir der erdige Geruch des feuchten Hanfs bereitet, als Du den Markt betrittst, ist schon nach einigen Sekunden verflogen, und die herbe, saure, umwerfende Lebendigkeit des Duftes der Bitterorangen, die hier allgegenwärtig zu sein scheinen, trifft Dich wie ein Schlag. Sauer duften sie, ähnlich dem Duft frisch geriebener Zitronenschalen, dabei komplexer, tiefer, an Grapefruit und Limetten erinnert ihr Aroma, ohne die schwefelige Mattheit der Grapefruit oder die eindringliche Exotik der Limetten zu verbreiten. Kühl duftet es, eine Wohltat an diesem regenfeuchten heissen Tag.

Gleich daneben die Buden der Kräuterhändler, die Bündel stehen in vasenartig geflochtenen Behältern aus Bambus oder liegen, einer Dir unbekannten Geometrie folgend, geordnet in kleinen hölzernen Kästchen. Minze, Du zerreibst ein paar Blättchen zwischen Deinen Fingern: Keine Kaugummiminze, wie erwartet, sie würde übrigens gut in dieses unverständliche Umfeld passen, sondern ein krautiges, dunkles, stängelig-holziges Minzearoma, die Pflanzen wie im warmen Wind getrocknet und durch geheime Magie wieder zum Leben erweckt. Darunter ein weiteres Bündel einer kleinen Duftexplosion: Aromatische, grüne, zitrische Zitronenverbene, mit ihrem metallischen herben Duft, den Du fast schmecken kannst, ein dunkler, krautiger Ton, der sich ganz delikat unter die Spritzigkeit der Bitterorangen legt.

Du meinst immer noch den erdigen Geruch der regenfeuchten Hanfmatte wahrzunehmen, der gelegentlich in dieser exquisiten sauer-bitteren Stimmung aufsteigt, aber schon bald vermählen sich die herben Eindrücke mit der flirrenden Holzigkeit der Zedern und warmem, tiefen, angenehm trockenem und leicht reibendem Moschus. Etwas erinnert Dich an die mineralische Dunkelheit von Eichenmoos, aber es ist nur eine Illusion, die Hitze spielt Dir einen Streich, die Herbheit und Exzentrik des Duftes erzeugt diesen Eindruck. Dennoch, und das überrascht Dich am meisten, liegt der Duft Deiner feuchten Haut an wie ein kühlender, trockener, ideal temperierter, pudriger Seidenkokon, alles passt, Du bist bei Dir selbst angekommen, und die Hitze und die Stadt um Dich herum, sie können Dir nichts mehr anhaben.

...

Der Korse Marc-Antoine Corticchiato, die Nase hinter Parfum d´Empire, hat mit Yuzu Fou eine Hommage an das moderne Japan schaffen wollen, so die Marketingsaga, und seine Sichtweise darauf ist, ohne dass ich das konkretisieren oder erklären könnte, französisch, so wie die exquisiten Düfte, die er schafft, französisch sind. Ob es daran liegen mag, dass seine Düfte stets eine gewisse Sperrigkeit und Exzentrik haben, mit Duftkomponenten, die zunächst oft gewöhnungsbedürftig sind, dann aber in der Gesamtkomposition eine raffinierte Verwendung finden und einen starken Reiz ausüben, oder er sich offenbar gerne historischer Duft-Vorbilder oder historischer Figuren bedient, um Düften eine Geschichte zu geben, oder weil er das Thema Chypre (der schönste mir bekannte Orangen-Chypre stammt von ihm) auf spannende Weise immer wieder bedient (womit er bei mir sowieso in´s Schwarze trifft), seine Düfte haben oft eine eigene Eleganz und Feinheit, die ich mit „französisch“ assoziiere. Das mag als Charakteristikum so klischeehaft sein wie es will, Parfum d´Empire war und ist eine meiner persönlichen Markenentdeckungen des vergangenen Jahres und Yuzu Fou momentan mein Sommerliebling, hier auf Parfumo leider auf haarsträubende Weise unterbewertet.

Ich hoffe sehr, dass die Düfte der Marke bald wieder verfügbar sind, in Deutschland sind sie seit Jahresbeginn offenbar nur noch aus Lagerbeständen erhältlich, wer Näheres weiß, möge sich bitte gerne mitteilen.
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Update Juli 2019: Offenbar sind die PdE-Düfte ab September dieses Jahres im deutschen Handel erhältlich.
13 Antworten
Anarlan vor 5 Jahren 79 28
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9
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9
Haltbarkeit
10
Duft
Gestundete Zeit
„Es kommen härtere Tage.
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont.“

Es sind zwei Werke des großen Jaques Guerlain, die mir eine Beschäftigung mit Zeitlichkeit geradezu aufnötigen:
L´Heure Bleu und Mitsouko. L´Heure Bleu ist das grausamere der beiden, denn es lässt mich spüren, was Zeit bedeutet, während sie vergeht. Es ist ganz auf die Gegenwart ausgerichtet, weiß aber, dass die Uhr tickt.
Mitsouko hat das Leiden an der Vergänglichkeit hinter sich. Mitsouko hat fertig. Legt sich spröde und unsterblich schön auf ihr bitteres, moosiges Bett, eine Handvoll überreif trockener Aprikosen im Arm und läßt die Jugend rasen.

Auch wenn Physiker und Philospohen sich gleichermaßen die Zähne daran ausbeißen, Zeit zu erklären, so kennt Sprache Zeit in all ihren schönen und schrecklichen Eigenschaften: Wenn Zeit im Fluge vergehen, sie zwischen den Fingern zerrinnt oder still zu stehen scheint, dann bildet Sprache Zeit ab. Sogar die größte aller Ungeheuerlichkeiten vermag sie kurz und treffend zu bebildern: Dass meine Zeit eines Tages abgelaufen sein wird. Ticktack.

Schon in der Kindheit gab es diese Anflüge von in sich gekehrter, verträumter Schwermut, wenn die letzten Sonnenstrahlen des lichterfüllten Tages durch das Küchenfenster fielen, während die Nacht am Horizont heraufzog und die Uhr an der Wand mit ihrem unerbittlichen ticktack Veränderung verkündete. Die dämmerige blaugetönte Passage der Heure Bleu, dieser Übergang zwischen dem Gewesenen und der im Werden begriffenen Zukunft war immer eine Stunde des bittersüßen Innehaltens, des Festhaltenwollens an der Gegenwart.

„Es gibt eine süße Melancholie, die nichts anderes ist als eine angenehme Träumerei, eine liebliche Schwermut. Sie ist die Befindlichkeit einer Seele, die sich den lebhaften Versuchungen verschließt, die sie erschöpfen würden und sich vielmehr den Illusionen der Sinne hingibt und ihr Behagen im Nachdenken darüber findet, was ihr Schmerzen bereitet.“ (Dictionnaire de Trévoux, 1771)

Als Jaques Guerlain L´Heure Bleu schuf, erlebte die Stadt Paris ihre melancholisch blaue Stunde. Die Welt stand an der Schwelle zu einer radikalen Veränderung, die Vorbereitungen zu einem Weltkrieg waren überall in Europa in vollem Gang. Ich sehe den in sich gekehrten Meister auf den alten Fotografien vor mir, die schlohweißen Haare streng nach hinten frisiert, weiß bekittelt, eher ein Wissenschaftler denn ein Künstler, ernst. Er scheint die Kamera zu scheuen, den verletzlich wirkenden Blick dem Betrachter abgewandt. Mir fällt ein Zitat in die Hände, das von seinem Enkel Jean-Paul Guerlain stammt, als man ihn einmal zur Entstehungsgeschichte von L´Heure Bleu an der Schwelle zum ersten Weltkrieg befragte:

"Jacques Guerlain hat einmal gesagt, er habe eine Ahnung von dem Unglück, das gerade geschehen würde. „Ich konnte es nicht in Worte fassen ", sagte er mir. „Ich fühlte etwas so intensives, ich konnte es nur in einem Parfüm ausdrücken.“"

Das Zitat beschreibt das Gewahrwerden von der Vergänglichkeit der Gegenwart, welches für mich in diesem schrecklich schönen Duft wohnt. Die Kopfnote, Anis und Bergamotte, erzählt vom letzten sommerlich-hellen Ausklingen des vergehenden Tages. Veilchen, Iris und Nelken tauchen den Duft schon bald in ein florales, blaugetöntes Funkeln im Dämmerlicht, so vielschichtig glanzvoll und melancholisch. Lange umfängt es einen, bevor man mit der tröstenden Samtwärme von Vanille, Benzoe und Tonka in die Nacht entlassen wird. Alles nicht so schlimm. Ticktack.

Ich besitze eine Probe, die eine Version des Duftes enthält, die offenbar wenig mit der aktuellen Reformulierung zu tun hat, da die Vanille lange auf sich warten lässt und auch nicht zu laut wird. Aber es spielt wohl auch keine Rolle für mich, Spitzfindigkeiten über Reformulierungen nachzuhängen, den L´Heure Bleu gibt die Geschichte von der Vergänglichkeit der Gegenwart von Generation zu Generation weiter, ganz gleich, ob sie von Schellack oder binären Codes transportiert wird. L´Heure Bleu sagt mir, in der blauen Stunde innezuhalten, während das Reißen des Flusses leiser wird, der die Gegenwart mit sich nimmt, sie als Vergangenheit für immer von mir weg treibt, während die Zukunft noch im Werden begriffen ist.

„Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.“
28 Antworten
Anarlan vor 5 Jahren 24 11
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft
Black Denim
Auf der Suche nach neuen Dufterfahrungen ist es so wie mit schwarzen Jeans: Sie sind meine erste Wahl bei Freizeithosen, passen stylingtechnisch fast immer, der Schrank ist voll davon, und man kauft sie immer wieder, weil man meint, man hätte noch immer nicht genug. Dem zufolge sollte man auf der Suche nach einem neuen Sommerduft, wenn man keine weitere schwarze Jeans in Parfümform möchte, im Laden auch nicht nach einer solchen fragen. Meine schwarzen Jeans in Parfümform sind meine zitrischen Sommerfrischler, ich liebe sie, aber es reicht mir gerade damit. Also wurde eine kurze Ansage beim Fachpersonal meines Vertrauens gemacht, mit der einen Bitte, mir keine schwarze Jeans raus zu suchen. Gesagt, getan.

Vor mir stehen ein paar modern aussehende, nicht wirklich scharfkantige, dennoch ziemlich markante Flakons, die aussehen, als seien sie mit Motoröl gefüllt. Schwarz. Düfte von Pierre Guillaume, französisches Duft-Wunderkind, Chemiker, Parfümeur und Freigeist, ein moderner, urbaner Typ seiner Zunft, der seit etwas mehr als 15 Jahren Parfüms kreiert, in der Wissenschaft ebenso zuhause wie in seinem Handwerk. Spannender Typ.

Einer der Kandidaten, die mir präsentiert werden, sticht besonders heraus. Der Start ist alkoholisch, medizinisch, herb, der Vergleich mit Voltaren-Salbe von DaveGahan passt ganz hervorragend, die Nase bleibt gleich daran hängen, weil es überraschenderweise anziehend riecht, aber schon mischt sich herbe, dunkle Zitrik in das Bild. Limette. Keine tropische Cocktail-Limette, sondern eine herbe, bittere Limette, die mich eher an Grapefruit und Bergamotte erinnert, auch wenn davon nichts unter den Bestandteilen gelistet wird. Der Eindruck ist fest, matt, ein dunkler, definierter Ton, der von Koriander zusätzlich abgetönt wird. Koriander kann ich nicht isoliert herausriechen, keine Kontrast also, er liegt der Limette eher wie eine zusätzliche Schicht Firnis auf, die ihr noch mehr Festigkeit und Kante verleiht.

Eine weitere Facette erschließt sich nun, während sich der Duft entwickelt: Schwarze Johannisbeere, dazu matter, trockener heller Moschus. Sobald in einem Duft Beeren und Moschus zentrale Rollen zukommen, gerate ich gerne mal in einen inneren fight-or-flight-Zustand. Die Spannweite, mit der beides in Düften Verwendung findet, ist enorm, von animalisch-verschwitzt bis sauber-trocken ist bei Moschus alles drin, beides mag ich je nach Umfeld mal mehr, mal weniger. Beeren sind da schwieriger. In so schönen und bewährten Kontrasten wie Himbeere/Leder begeistern sie mich ausnahmsweise, in synthetisch-süßen Totschlägern mit Happy-Berry-Dauergrinsen im Gesicht rauben sie mir den letzten Nerv. Hier also Johannisbeere, diamantschwarz, völlig unsüß, aromatisch, etwas rauchig und gehörig gepfeffert, präsentiert in einer trockenen, matten Fassung aus Moschus. Hinzu kommt eine kühl-helle Holznote, die sich aber zunächst nur andeutet.

Was für eine grandiose Idee. Der Duft fühlt sich nun an als würde man nach einem heißen Tag am Strand in der Abenddämmerung in einem Cabrio (in meinem Falle würde ich mir einen Jaguar E-Type wünschen, er sollte passender Weise schwarz sein) durch einen Pinienwald fahren, vom Pazifik her eine kühle, nebelige Brise. Tagsüber hat man geschwitzt, aber nun fröstelt man leicht, während die Haut noch von der Sonne brennt. Das leicht Trocken-Angeschwitze findet sich auch dufttechnisch, ich lehne mich mal soweit aus dem Fenster, es dem animalischen Moschus-Part zuzuschreiben, was aber keineswegs unangenehm oder abstoßend wirkt, sondern quasi nur gerade wahrnehmbar mit vibriert und den Reiz des Eindrucks, und so sollte es ja sein, erhöht. In dieser Phase der Abkühlung verharrt der Duft eine ganze Weile, Beere, Moschus, Pfeffer, Zitrik, Holz, alles da und zu einem sehr stimmigen Gesamtbild geschliffen.

Der Duft kühlt zur Basis hin langsam immer mehr aus, wird heller, fast menthol-grün und harzig-holzig, die hellen, ich denke synthetischen Holztöne treten deutlicher hervor, während die dunkelgrüne Zitrik des Starts, die Schwärze von Cassis und Pfeffer noch lange nachklingen.

Aqaysos ist ein spannender, untypischer dunkler, dabei kühl-frischer Duft für den Sommer, der aus unüblichen Komponenten eine stimmiges Bild erzeugt. Er wirkt auf mich vollkommen modern, ich verorte ihn ganz im Hier und Jetzt. Er geht für einen Duft, der bestens in die heiße Jahreszeit paßt, einen eigenen Weg und wird bei meinen Sommerdüften in der kommenden Saison mit seinem kantig-kühlen Facettenreichtum einen besonderen Stellenwert einnehmen.
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Anarlan vor 5 Jahren 39 16
10
Flakon
9
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9
Haltbarkeit
7.5
Duft
Der Mensch im Tier
Mit Inbrunst zu stinken und aneinander herumzuschnüffen ist dem Tier erlaubt, der Mensch, der sich für kultiviert hält untersagt jedoch sich und seinen Zeitgenossen dieses animalische Vergnügen.
Ende der Neunziger traf ich auf einer Party an der Ostküste eine überkandidelte ältere Amerikanerin, die mir mit offensichtlich wohligem Grausen von ihren Europareisen in den Sechzigern und Siebziger erzählte. Sie fand es ungemein amüsant, mir augenrollend davon zu berichten, wie smelly und funky die Europeans aus ihrer Sicht damals gerochen hätten. Das war mir gegenüber nicht nur unsensibel, sondern traf mich irgendwie auch persönlich. In den Neunzigern waren die globalen Standards der Körperhygiene mittlerweile so vereinheitlicht, dass zumindest bei den meisten Mitmenschen körperliche Produkte ihrer Duftdrüsen - und davon hat der Mensch relativ gesehen mehr als jedes andere Säugetier - täglich zuverlässig weggeduscht und wegdesodoriert wurden, von individuellen Abweichungen mal abgesehen. Auch gehörte der Gebrauch von Parfüm zur täglichen Körperhygiene, und für mich war es eigentlich selbstverständlich, täglich - sparsam - zum Flakon zu greifen.
Aber da liegt der stinkende Hund ironischerweise begraben.
Mit der Herstellung von Parfüm hat der Mensch einen listigen und ästhetischen Weg gefunden, seine archaischen Düfte in raffiniert transformierter Form als Kulturprodukt zu präsentieren und seine Lust an körperlichen und sexuellen Gerüchen in gesellschaftlich akzeptierter Weise zu befriedigen. Nach Schweiß zu stinken ist shocking, ein Parfüm zu benutzen, das auf geschickte Weise Wohlgeruch mit schwitzigem Untenrum verbindet - und keiner merkt´s! - kann hingegen von nämlichen Sauberkeitsaposteln als totally amaaaaazing empfunden werden.

Glaubt man gefühlten achtundachzig Prozent der Kommentare und Statements auf Parfumo, hat man in APLS ein Ausbund an sinnlicher Unerhörtheit und Animalik vor sich.
Ich nehme das nicht so wahr. Dazu sei gesagt, daß ich in letzter Zeit den Spaß hatte, ein paar extremere Vertreter der Gattung „animalische Düfte“ kennen zu lernen, die diese Bezeichnung vollumfänglich verdienen, den Spendern sei Dank. Insofern ist meine Wahrnehmung da wahrscheinlich kein geeigneter Maßstab. Fakt aber ist: In APLS gibt es keine Piselkatze, keine schmalzigen Tiersekrete, kein heisser schwitziger Moschusatem, kein feuchtes dampfendes wildes Zotteltier, keine indolischen Verdauungsprodukte jedweder Art. Es gibt hingegen Cumin aka Kreuzkümmel, staubig trocken, massiv würzig, hart, so trocken, dass es mir im Hals kratzt. Cumin wird individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen, manche erinnert es stark an Schweissgeruch, mir geht das nicht so. Ein bisschen schweissiger finde ich seinen Einsatz im hier ebenfalls hochgelobten Lumière Noire pour Homme von MFK, aber auch nicht wirklich so, dass die Bezeichnung „Schweissgeruch“ auch nur ansatzweise gerechtfertigt wäre. Bei APLS wird über diese ganze Schüssel voll staubig zermahlenem Kreuzkümmel in Unmengen Honig gegossen, waldiger, harziger, herbsüßer Honig. Dazu vanillig süßes Benzoeharz, was ich in Düften häufig gut erkenne. Die Geschichte dazu ist, dass Benzoetinktur aufgrund ihrer wundheilenden und hautpflegenden Eigenschaften früher in Südamerika bei bestimmte chirurgische Verbände verwendet wurden, was ich im Rahmen eines viele Jahre zurück liegenden beruflichen Austauschs, der fast ein Jahr dauerte kennen lernen durfte. Den Geruch der Benzoetinktur habe ich geliebt und nie wieder vergessen. In APLS veranstaltet die Verbindung von Honig mit Benzoeharz im Kontrast zum staubig trockenen Cumin ein lautstarkes Duett, das seinen Reiz hat, die übrigen Bestandteile sehe ich eher untergeordnet. Ich nehme das bestenfalls als eine abstrakte Art von Schein-Animalik wahr, die aus dem Kontrast von süß-honigartig-weich und scharf-trocken-hart entsteht. Das Endprodukt - in minimalen Mengen dosiert - ist ordentlich kuschelig und anziehend, aber mir fehlt ein wenig die Rafinesse, die womöglich das Cologne pour le Soire besitzt, ich kenne es leider noch nicht. APLS ist zweifellos attraktiv, recht laut, für mich nur bedingt animalisch, aber das ist denke ich stark von der eigenen Wahrnehmung abhängig.
Ich danke Ergoproxy für die Probe.
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