Anarlan

Anarlan

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21 - 25 von 27
Anarlan vor 6 Jahren 27 7
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Flakon
9
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9
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Duft
These precious days I'll spend with you.
Obwohl ich weit mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens in großen Städten im In- und Ausland verbracht habe, kann ich mich von der merkwürdig irrationalen, zwiespältigen, mystischen Sehnsucht der Deutschen nach „ihrem“ Wald nicht frei sprechen. Auch bei Düften gerate ich bei waldigen Anklängen regelmäßig in Verzückung, und ich vermute, dass dieses Thema noch umfänglicher auf mich zukommen könnte. Dass mir das bei Bracken Man mit der Verzückung ebenso gehen würde, war eine echte Überraschung in zweierlei Hinsicht.

Amouage gehört bis auf wenige Ausnahmen nicht zu meinen Marken, was daran liegt, dass mich orientalische Opulenz bei Düften unter dem Aspekt des „Selbertragens“ eher kalt lässt. Amouage wäre allerdings mittlerweile auch nicht mehr zu den authentischen Orientalen zu zählen, daneben sind es auch eher die untypischen, sprich unorientalischen Amouages, die mir liegen, zu nennen wären everybody´s darling Reflection Man und -Achtung, Fougère, wenn auch nicht klassisch- Sunshine Man. Ob ich damit ein klischeehafter Vertreter westlicher Duft-Prägung bin oder einfach noch nicht reif für die olfakto-kulturelle Appropriation von animalischen, schweren Ouds und Balsam- und Gewürzbomben, überlasse ich mal dem weiten Feld der Zukunft.

Daneben gehören - zweites unerreichtes Klassenziel - klassische Fougères auch nicht unbedingt zu meinen Identitätsstiftern. Dies liegt am Classy-Fougère-typischen festen Nackengriff, der mir oft zu unvermittelt, zu Y-chromosomal, zu seifig-süßlich-moosig-ruppig und uncharmant auf die Pelle rückt. Ein klassischer Fougère lächelt nicht liebreizend und schlitzohrig, sondern packt auch mal mit zusammengebissenen Zähnen zu und tut ein bisschen weh. Aber alles hat ja bekanntlich seine Zeit.

Bracken Man gehört eigentlich zu dieser Art Fougère. Eigentlich. Aber.

Aber der Reihe nach.

Im vergangenen ausklingenden September war ich zu einem Kurzbesuch in der Gegend, in der ich geboren bin. Dort gibt es weitläufige Misch- und Nadelwälder fernab von den Hintergrundgeräuschen der Zivilisation, und ich hatte mir in den Kopf gesetzt, meine Stadtgewächse mit der Magie des Waldes, wie ich sie noch aus Kindertagen vom Heidelbeerenpflücken in Erinnerung hatte, bekannt zu machen. Also die Kinder und den Mann ins Auto gepackt und hinein ins spätsommerliche Goldgrün, in der Hoffnung, vor romantischer Moos- und Flechten-Mystik triefende Unberührtheit vorzufinden.

Das Wetter war herbstlich kühl, morgens gab es Droste-Hülshoff-mäßig dichten Nebel, aber die Nachmittage waren glasklar und sonnig. Durch die Baumwipfel fiel das Septembersonnenlicht wie im Märchen.

Goldene Tage.

Während wir über morsches, zerfallendes Holz steigend in dicken grünen Polstern versanken und immer tiefer in den Wald meiner Kindheit gerieten, verstummte irgendwann das übliche Gejammer und Gezeter der Brut, die schon einige Zeit maulend hinter mir her trödelte, und es wurde zunehmend stiller. In den kostbaren Momenten des kollektiven Klappehaltens konnte man jedes Astknacken, dass man beim Gehen über den Moosboden erzeugt, merkwürdig verstärkt und vom sprichwörtliche Waldecho reflektiert wahrnehmen. Und ehe wir uns versahen, wurden wir von der eigenartigen Physik des Waldes verschluckt.

The magic was happening.

Vor uns lag eine kaum überschaubar weite Lichtung, die mit einer mannshohen Kolonie aus grünen, in sich gefiederten Blattfedern bewachsen war, die aus dünnen, gelbgoldenen überhängenden Stielen sprossen. Das Nachmittagslicht fiel durch das Dach aus Farnwedeln auf den Boden, der bedeckt war mit einem dichten Teppich aus hohem, sternförmigen Moos in den unwahrscheinlichsten Grüntönen. Man konnte, wenn man sich bückte, teilweise unter den Wedeln hindurchsehen, und ich hätte mich nicht gewundert, irgendwo weiter vorne die sieben Zwerge auf Wanderschaft zu erspähen. Was hier in so stattlicher Weise wuchs war Adlerfarn, auf Englisch „Bracken“.

Der Flakon von Bracken Man ist mit sich entrollenden goldenen Farnwedeln des Adlerfarns verziert. Als ich den Duft vor einigen Monaten zum ersten Mal bewußt gerochen und den Flakon aus der Nähe inspiziert habe, erinnerte ich mich sofort wieder an diesen speziellen Tag und unsere Begegnung mit dem vegetabilen „Bracken“ tief im Wald.

Bracken Man vermittelt diese goldene herbstliche Waldatmosphäre. Der Duft wird maßgeblich geprägt durch eine Fougère-typische seifige Würze, die mit einem erdig-waldboden-artigen Eindruck und einer kristallinen Süße oszilliert, ohne jemals muffig oder kompostig zu wirken. Wie das dufttechnisch funktioniert, ist faszinierend zu beobachten und mir ein Rätsel.

Die zentrale Note, die den Duft aus meiner Sicht prägt, ist Gewürznelke, die - Achtung, Fougère-Nackengriff - nach einem sehr kurzen und etwas schrillen Auftakt sofort zupackt. Diese Nelke erweckt hier aber keineswegs die zu befürchtenden Sauerbraten- oder Weihnachts-Anmutung, sonder präsentiert sich in einer mit Lavendel dicht verflochtenen Markigkeit. Dazu gelangt eine leichte Schärfe, ich denke vom Muskat - für mich sehr schwer auszumachen, ich interpretiere eine leichtes Ziehen in der Nase als Muskat-typisch. All das schafft einen erstaunlich seifig-krautigen Eindruck, durch den aber immer wieder Erdiges, Waldboden und morsches Holz durchschimmert. Patchouli steuert hier unaufdringliche holzig-moosige Bodenhaftung bei, während man das Gefühl hat, sauerstoffreiche würzige Waldluft einzusaugen.

Darüber liegt goldene, sonnig wirkende Süße, die, nachdem sich die anfängliche Dominanz von Gewürznelke und Lavendel dann irgendwann - und damit lässt das Duo sich Zeit - in gentlemanhafter Noblesse zurückgenommen hat, aufgefangen wird von einer warmen, milden, fast fruchtigen Würze. Ich vermute, dass Zimt hier eine tragende Rolle spielen dürfte. Laut Duftpyramide wäre noch Rosengeranie mit im Spiel, die ja auch eine nicht unwesentliche Seifigkeit besitzt. Im Ausklang, in der Basis, verschmelzen diese Eindrücke zu einem warmen Gesamtbild, der Farnwald im goldenen Licht von Weitem sozusagen, werden unschärfer, behalten ihren Charakter aber im Wesentlichen bei.

Der Duft ist als klassischer Fougère ausgesprochen wohlerzogen, edel, modern, maskulin im schönsten Sinne und für die golden september days wie gemacht. Für den Herbst vorgemerkt...
7 Antworten
Anarlan vor 6 Jahren 40 13
8
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
8.5
Duft
Kalifornischer Longdrink, zum Trinken zu schade
Das Thermometer zeigt in diesem Jahr erstmalig 28 Grad an, und das mitten im April. Um mich herum flippen erwartungsgemäß alle aus und das Hochsommerprogramm läuft, kaum sind sie vom Skiurlaub zurück, auf voller Umdrehung. LSF50 und Spaghettieis allenthalben. Endlich werden Träger von Shorts über milchreisfarbenen Herrenbeinen nicht mehr verhaftet und Groß und Klein darf ungestraft und des eigenen Pedikürestatus ungeachtet Zehentrenner-Birkis anziehen.

Sogar meine Kinder haben irgendwo im Keller das aufblasbare XXL-Planschbecken vom letzten Jahr aufgetrieben und in leicht vorwurfsvoller Beiläufigkeit am Rande der Terasse platziert. Ist ja gut, herrgottnochmal. Ich spiele ja bereits mit. Yeah! Sommer! Gin & Tonic! Grillorgien! Ja doch.

Nach diesem gefühlt jahrelang dauernden und wie stets schlimmsten aller trüben Winter bin ich allerdings auch wieder so windelweich geklopft und sommerbedürftig, dass ich, bevor diese Woche zum dritten Mal gegrillt wird, heute quasi ferngesteuert beim Parfümhändler meines Vertrauens vorbeischaue. Schliesslich fehlt mir noch dieser eine, der irgendwie doch anders ist als die anderen. Zitrisch soll er sein (totale Überraschung), bitte dieses Mal keine Limette, aber auch gerne holzig (wie immer), was grünes-kräuteriges soll er haben (auch nicht neu), etwas fruchtig darf er sein (verrückt), aber nicht zu süß, gern leicht herb im Verlauf, und keinesfalls darf er auch nur im Entferntesten an Eichenmoos erinnern, nicht vorne, nicht in der Mitte, nicht hinten raus. Wenigstens das ist mal eine kleine Herausforderung.

Blabla.

Wie überaus originell. Ich komplett hoffnungsloses Opfer meiner ewig gleichen Duftvorlieben. Sei´s drum, also auf in´s Reich der Hesperidien.

Kaum dass ich den Laden betrete, sprühe ich mir als erstes zum gefühlt 200sten Mal im Sommerduftselbstversuch Allure Homme Édition Blanche auf dem Unterarm, irgendwann muss das doch mal klappen mit uns beiden, heute wäre ein guter Tag. Ein Mainstreamer, was für jeden Tag, ganz unaufgeregt, tut keinem weh, schöner Duft, solide und zuverlässig hitzetauglich und augenblicklich höre ich mich selber „WC-Erfrischer-Zitrone“ murmeln. Kopfnoten können einem guten Duft den Garaus machen, und die weisse Ausgabe der männlichen Verlockung schafft es auch dieses Mal nicht über´s Ziel. Ich beginne also in meiner Verzweiflung zur Tom Ford-Ecke zu schielen, die kleinen grellblauen Dinger da unten, das sieht schon so mediterran sommerlich aus, Amalfiküste, Caprifischer, hach, Zitronensorbet mit Grappa, yippieh, da muss doch diesmal endlich irgendwas Brauchbares dabei sein?

Fehlanzeige. Zu fruchtsaftig, zu eindimensional, zu synthetisch, zu eckig, zu blau, zu extravagant, zu prätentiös, zu teuer, zu Tom Ford. So wird das heute nichts, der Sommer wird an mir vorbeiziehen ohne dass mich die Pampelmuse küsst. Und da steht auch schon meine Rettung vor mir, eine reizende junge Dame vom hiesigen Fachpersonal, und ich höre mich benommen etwas von „Sommerduft“ und „dreissig Grad“ und „zitrisch“ faseln, fest entschlossen, mich diese eine Mal nicht Richtung Nische verleiten zu lassen.

„Ohhhh, da hätte ich einige tolle Sachen für sie, ich sehe sie aber eher hier drüben bei diiiiiesen Düften!“, und ehe ich auch nur der Form halber protestieren kann, stehe ich schon wieder vor der gut sortierten Nischenecke. Na prima. Mich fragend, was genau an meiner Erscheinung sie zu dieser steilen These verleitet oder ob es ihr nur darum geht, die hochpreisigen Register an den Mann zu bringen, das durchtriebene Biest, spiele ich das Spielchen mit. Dann mal los, Frollein, wir haben hier nichts zu verlieren, die Sonne brennt, mein Hirn verdampft, die Bratwurst verkohlt, zeigense mal vor.

Sommerdüfte kommen und gehen. Nichts haut mich vom Hocker. Ein Trauerspiel. Ich möchte zurück zu 7 Grad Celsius und Sprühregen.

Und zack, auf einmal habe ich eine fruchtsaftspritzende Mandarine samt Blattwerk und Stängeln auf dem Arm, vollreif und halbgrün zugleich, direkt in vollem Sonnenschein vom Ast gepflückt. Keine deutsche Adventsmandarine aus dem roten Netzbeutel, sondern eine kalifornische Zitrusfrucht, die viel voller gewachsen ist und eher orangenartig an ihrem Baum hängt und aaaah, wie herrlich, diese komplett unweihnachtliche Pazifikküstenfrische verströmt. Jetzt bitte im Duftverlauf kein Blödsinn, denke ich, nach so einem umwerfenden Start. Und enttäuscht werde ich weissgott nicht, und als hätte ich´s geahnt, kommt eine wunderschöne, Gin-spritzige unalkoholische Wacholdernote hinzu, krautig untermalt von Basilikum, man sieht die Blätter in diesem fantastisch kühl-fruchtigen Erfrischungsgetränk quasi vor sich, wie sie an den Eiswürfeln vorbei gleiten, wenn man nachschenkt. Alles sehr naturnah, feinherb, fliessend. Und dann, als hätte ich´s bestellt, kommt eine trockene Holzigkeit dazu, schwer zu beschreiben in ihrer ungesüßt herben Süße. Laut Duftpyramide sind es Sandelholz (rieche ich), Sternanis (nope), Pfeffer (ich meine Pfeffer zu erkennen) und Vetiver (danke, dass in diesem Duft Vetiver seinen Platz findet, allein ich nehme nichts davon wahr), die dem Duft eine feste und solide Mitte verpassen, die aus dem fruchtig-spritzigen Überschwang der jugendlichen Zitrusfrucht eine erwachsene Angelegenheit macht. Keine Sensation, nichts, wovon die Welt noch nichts gehört hätte, aber eine fruchtig feine, edle, unaufgeregte, wohltemperierte Erfrischung genau nach meinem Geschmack und Beuteschema.

Ich brauche da eigentlich nicht mehr lange so zu tun, als würde der Duft nicht wie die Faust auf´s innere Parfumoauge passen, und natürlich wandert ein Flakon der Köstlichkeit unter den glänzenden Augen der erfolgreichen Nachwuchsverkäuferin in meine Tasche.

Im Praxistest am Folgetag hält der Duft volle 12 Stunden trotz seiner vordergründigen Leichtigkeit, und selbst abends erschnüffele ich noch eine kalifornische Zitrusbrise unter der warm-trockenen Holzigkeit. So darf der Sommer gerne weitergehen.

Dass der Duft hier nicht mehr Fans findet, ist schade, schmälert aber seine Qualität in meinen Augen nicht.

Ach ja. Bevor ich´s vergesse: Weit und breit kein Eichenmoos....
13 Antworten
Anarlan vor 6 Jahren 29 8
6
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
7
Duft
Konzentrieren Sie sich auf das Pendel
Tief einatmen. Und ausatmen. Lassen Sie los. Lassen sie alle Ihre Ängste los. Sie fühlen Sich warm, geborgen und behaglich.

Entspannen Sie Ihre Muskulatur. Sie sind nun ganz frei von Ängsten und konzentrieren sich auf das Hier und Jetzt. Sie nehmen nun ganz und gar angstfrei den Duft „Tom of Finland“ wahr.

Atmen Sie ruhig und entspannt weiter. Haben Sie keine Angst. Entspannen Sie sich vollkommen.

Gut machen Sie das.

Sie bemerken nun den Duft. Es riecht kurz ein wenig frisch und zitrisch. Keine Angst. Das ist keine lusttrunkene Kopfnote. Die gibt es nämlich gar nicht. Atmen. Gut so. Fast augenblicklich bemerken Sie den Duft eines ladenneuen, frisch imprägnierten Wildlederblousons. Das werden Sie nun fast bis zum Ende wahrnehmen.

Richtig, das ist ein wenig langweilig. Und normal. Geradezu heteronormativ normal. Schön, dass mal nicht viel passiert, oder?

Und schön weiteratmen. Sie bemerken daneben etwas dezenten Blütenduft, leicht süßlich. Blüten der Rosengeranie, heisst es. Aha. Neinnein, keine Kastanienblüten, um Gottes Willen, keine Sorge! Schön atmen. Und nun etwas dumpfes, ein wenig wie Teergeruch. Ganz ruhig, und atmen. Gut. Sie machen das wirklich gut. Alles ist normal.

Sie bleiben weiter entspannt im Hier und Jetzt. Konzentrieren Sie sich auf das Pendel. Ganz angstfrei bemerken Sie, dass der Duft angenehm ist. Recht dezent. Ein wenig langweilig. Alle Ihre Muskeln bleiben locker, es ist alles gut, so wie es ist. Schön, wie Sie das machen, weiter schön entspannt bleiben.

Sie riechen möglicherweise etwas, das Sie ein klein wenig an industrielle Fertigung von Autoinventar erinnert, ein bisschen gummiartig. Nicht schlimm. Das ist modern. Das gehört zum Duft. Wenn ich's doch sage! Weiteratmen.

Es riecht ein bisschen wächsern und dumpf, nicht unangenehm. Kein Grund zur Sorge. Sie atmen weiterhin tief ein und aus. Nun riechen Sie Holziges, minimal Würziges, es wird sogar fast behaglich. Schön entspannt bleiben. Sie machen das ganz toll. Bleiben Sie entspannt.

Sie nehmen Wärme wahr. Ganz ruhig. Atmen. Fast ein Hautduft. Bitte nicht die Luft anhalten, es ist keine fremde Haut, sonder Ihre, die Sie da riechen, ganz ruhig bleiben.

Aaaaaatmen! Sie haben soeben die etwas pudrige, warme, naja, Basis des Duftes wahrgenommen. Vielleicht ein wenig Moschus. Das ist voll-kommen normal.

Bitte auch jetzt nicht die Luft anhalten. Schön atmen. Sie machen das ganz, ganz toll.

Gut. Sie haben es geschafft. Ganz toll, wie Sie das gemacht haben. Das war´s. Das war Tom of Finland. Mehr passiert nicht.

Na sehen Sie. Das war doch gar nicht so schlimm. Um nicht zu sagen fast ein bisschen langweilig. Sie können damit sogar in´s Büro!

Und noch etwas: Das, was sie woanders gelesen haben, das mit dem ganzen Schmuddel-Kram, dem Lederzeugs, dass es geradezu subkulturell verboten riechen soll, das beruht nur auf einem Scherz der lustigen kleinen Spassvögel bei ELDO, die manchmal mit ihren Düften so tun als ob.
Zwinkerzwinker. Sie verstehen?

Gut. Atmen.

Sie sind entspannt, fühlen sich wohl.

Ich zähle bis drei, und Sie werden wach.
8 Antworten
Anarlan vor 6 Jahren 19 11
8
Flakon
9
Sillage
10
Haltbarkeit
6.5
Duft
Der Patriarch
Das erste Mal, dass ich diesem Dinosaurier der Parfümeurskunst begegnet bin, war an einem kalten herbstlichen Abend beim selbsternannten Händler der noch existierenden guten Dinge. Das Ladenkonzept des Versandhauses setzt auf „Klassiker“ des Wohnens und des täglichen Gebrauchs, die eine Ästhetik vermitteln, welche Langlebigkeit eines Gebrauchsgegenstandes auf Grund von Technik und Material verspricht und bezogen auf das Design vermeintlich über allen Moden und Trends steht. Über das Ladenkonzept und die damit verbundenen Heilsversprechen darf man geteilter Meinung sein. An dem hübschen 15ml-Miniflakon von Knize 10, den es dort gab, wollte ich dennoch nicht vorbei gehen, zumal mir durch dieses Forum klar war, einen, wenn nicht „den“ Klassiker der Herrenparfums vor mir zu haben.

Mein erster Eindruck nach einigen Minuten in der kalten, winterlichen Luft vom Tupfer des Parfüms an meinem Handgelenk, der zu mir herauf weht, mehr beiläufig als bewußt wahr genommen, ist seifige Blumigkeit, die ich als dicht, warm und gehaltvoll wahrnehme, keineswegs unangenehm. Ich bilde mir ein, Orange, Rose, eine kräftige, kräuterige Würzigkeit zu riechen, daneben kommt unbestimmt Florales und unsüße Vanille bei mir an, neben einer dicken, cremigen Barbershop-Seifennote. Diese ist mir von meinen regelmässigen Besuchen im Barbershop meines Vertrauens geläufig, ein kleines wunderbar wohltuendes Ritual, bei dem mir der Bart in zeitaktuelle Hipsterform getrimmt wird, in einem sympathisch ironisch inszenierten Tempel der Männlichkeit. Womit wir beim Thema wären.

Kaum dass ich mich auf den Duft konzentriere, das mit Knize 10 betupfte Handgelenk nahe an meine Nase heran führend, ist da plötzlich dieser etwas untersetzte, humorlose, unbedingt zu siezende Herr gehobenen gesellschaftlichen Ranges und fortgeschrittenen Alters vor meinem inneren Auge. Den Duft direkt an meiner Nase, werde ich mit seiner ganzen patriarchalen Unerbittlichkeit konfrontiert. Die Irritation nimmt jetzt ihren Lauf.

Bezogen auf den vorrangigen Eindruck, den der Duft aus der Nähe vermittelt, ist es wohl die allenthalben als „Ledernote“ charakterisierte Mischung aus teeriger, aschiger Rauchigkeit und Schuhcreme (die in der flachen runden Blechdose), die es mir insgesamt so schwer macht, ihn dann doch irgendwie zu mögen. Zu Leder gehört für mich eine bestimmte dumpfe, unfrische Süßlichkeit, und der Ledereindruck entsteht hier wohl durch eben diese Kombination aus harschen und lieblich-dumpfen Tönen.

Die Ledernote hält einen umklammert wie ein enganliegendes Sakko mit hoch eingesetzten Ärmeln aus altem englischen Wolltuch seinen Träger, so fest und dicht gewebt und auf den kurzatmigen Leib geschmiedet, dass man das Teil ohne Weiteres in die Ecke stellen könnte, ohne dass es umfallen würde. Ich kann hier mitreden, weil ich sowas bisweilen selber trage. Sie entströmt einem alten, rissigen, Politur-getränkten Vorstandsvorsitzendensessel-Leder, auf dem eine bestimmte Gattung Mann nur Platz nimmt, um Rangniederen verbindlich und über jeglichen Zweifel erhaben den Stand der letzten Dinge der Menschheit mitzuteilen. Es versteht sich quasi von selbst, dass Selbstironie, Ambivalenz und Humor dieser Ledernote, pardon, dieser Männergattung eher fern liegt. Falls sich jemand ausser mir fragt, warum Knize 10 so vintage riecht, läge in dieser Duftnote bzw. ihrer heutigen Wahrnehmung meine Interpretation und Erklärung. Es ist ein Klischee, ganz klar, aber Klischees können ja auch dabei helfen, eine Sache irgendwie in den Griff zu bekommen.

Fast von selbst stellt sich bei mir eine weitere Assoziation ein, die etwas mit dem Herrenausstatter Knize & Comp. zu tun hat, vielmehr mit dem Architekten und Konstrukteur des Ladengeschäftes im Wien der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts: Herrn Adolf Loos himself. Einer der baugeschichtlich wichtigsten Wegbereiter und Akteure der Architektur der Moderne, welcher neben einer Vielzahl prägender Bauten in ganz Europa auch eine Reihe ätzender Schriften verfasst hat. In seiner wohl aufgrund ihrer Halsstarrigkeit populärsten Schrift „Ornament und Verbrechen“ ist es ihm bierernst mit der kulturellen Evolution der Menschheit, die seiner Meinung nach nur durch die konsequente Verdammung des Ornaments aus dem Gebrauchsgegenstand bewerkstelligt werden könne. Die Benutzung ornamentaler Formen in Kunst, Architektur und Gestaltung geißelt er als Verbrechen, die Anwender als Primitive, Kriminelle oder Degenerierte.

Sie finden das abstrus oder gar lustig? Herr Loos dreht sich soeben im Grabe um.

Was hat Adolf Loos mit Knize 10 zu tun? Natürlich gar nichts, ausser, dass der Duft in einigen Aspekten für mich zu einem vergleichbar patriarchalen Männertyp passt oder zumindest irgendwie einem Umfeld entstammt, dass weitgehend affirmativ mit diesem Typ Mann umging. Und da ich das selbstverständlich überinterpretieren: Auch recht, dann bin ich halt nur vor der muffigen Ledernote fies.

Daneben hat der Duft laut der Kommentare hier alles, was einen komplizierten, unverwechselbaren und komplexen Duft ausmacht. Einen schwer entschlüsselbaren Duftaufbau, eine Wahrnehmbarkeit, die einen Tag und eine Nacht mühelos überdauert und eine Sillage, die für einen Ballsaal ausreicht.

Nur, dass ich als Mann nicht wüsste, wie und wozu ich dieses Statement tragen könnte, ohne mich sehr unpassend gekleidet zu fühlen.

PS: Frauen sollten aus exorzistischen Gründen öfter Knize 10 tragen. Das entzieht dem ganzen Männlichkeitsgedöhns schlagartig den Boden und legt womöglich die Sicht auf die wirklich schönen Seiten des Duftes frei.
11 Antworten
Anarlan vor 6 Jahren 36 9
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft
Coming of Age
Kein Duft begleitet mich schon so lange und keinem anderen werde ich wohl die Treue auch in Zukunft so halten wie diesem. So viel Pathos angesichts eines eckigen, lachhaft simplen Glasflakons mit schlichtem grauem Deckel und grünlichem Inhalt. Beim genauen Nachrechnen ergibt sich, dass ich diesen Herrenduft nun schon dreissig Jahre trage, mal regelmäßig, mal mit längeren Pausen, aber nie hatte ich Ihn nicht in meinem Besitz. Pour Monsieur EDT war allerdings nicht meine erste echte Duftliebe.

Dies war vielmehr KL von Lagerfeld für Frauen aus dem Jahr 1983, eine orientalische Orangen-Zimt-Gewürz-Orgie, die so typisch für die 80er war wie Wham! und Sweater von Elesse und deren Produktionsstop ich mittlerweile immer mehr nachtrauere, je mehr ich mich mit Düften beschäftige. Es ist an dieser Stelle eigentlich vollkommen überflüssig, darauf hinzuweisen, dass ich KL niemals selbst getragen hätte, denken kann man es sich ja, schliesslich handelte es sich um ein klassisches Frauenparfüm, und olfaktorische gender diversity fand für mich in den 80ern auf vollkommen unbekannten Planeten statt.

Ausserdem war durch die pubertär bedingte zunehmend trübere Sicht auf die tatsächlichen Umrisse meiner Existenz ohnehin kein selbstbewusster Umgang mit Düften nur ansatzweise denkbar, so dass sich frühe Duft-Experimente im Rahmen von safen Allerweltsnummern wie „Zino“ (Davidoff) und „Number One“ (Boss) bewegten. KL schuf den dazu passenden, mühelos fantasierbaren Ort des Rückzugs, der Flucht, des exotischen Jenseits, wo alles größer, weiter, heller, edler war als in den engen Korridoren meiner Pubertät. Dazu passte die ganzseitige Werbeanzeige des Duftes bestens, ich kann mich irritierender Weise noch daran erinnern; das Ambiente verschwommen, palastartig edel, Marmor, polierte, reflektierende Oberflächen, indirektes warmes Sonnenlicht, im Vordergrund der wie ein Fächer sich entfaltende Flakon güldenen Inhalts, dahinter ein katzenartiges Wesen mit aus dem Gesicht frisierten, blonden, glatten Haaren, gewaltigen goldenen Ohrclips, in lässiger Anspannung verharrend und dahin gegossen, den Blick ins Unbestimmte gerichtet, und in diesem Unbestimmten schien all das zu liegen, was in meinem Hier und Jetzt fehlte. Lupenreiner Eskapismus, geboren aus Clearasil-Gesichtswasser und der Angst vor der nächsten Mathearbeit.

Es dauerte noch ein paar kurze Jahre und einige Häutungen, bis der frische Wind und das helle Licht der ersten Selbstvergewisserung - aha, das also bin ich, so funktioniert das also bei mir etc. etc. - auf mich trafen, und mit ihnen kam ein Duft in mein Leben, der all das verkörperte: Pour Monsieur EDT von Chanel.

Eine glockenklare, hautnahe Zitrone, dezente, vornehme Chypre-Würze und warme, helle Pudrigkeit. Ich muss das nicht beschreiben und auseinander analysieren, das können andere viel besser, und alles Nötige dazu ist hier nachzulesen. Alles an diesem Duft ist hiesig, jetzt, gegenwärtig, klassisch, vornehm und unbestechlich. Und genau das macht ihn aus meiner Sicht und Erfahrung zu einem Juwel.

Dazu kommt eine 1:1-Umsetzung dieses Gedankens in der Gestaltung des Flakons, der Schlichtheit der Schrift, der Proportionierung, der silbernen Banderole und der Farbgebung der Verpackung in einem Grau, das schöner und matter nicht sein könnte. Klassische Moderne in Reinkultur trotz Plastikdeckel.

Pour Monsieur wirkt bei mir wie ein sauerstoffgesättigter Spaziergang über die sonnengetränkte Sommerwiese nach der versumpften Nacht, und er hat mich seit den ersten Tagen des Erwachsenseins bis heute begleitet und passte zu Jeans und T-Shirt wie zum ersten Maßanzug, zur Studiparty wie zum 3. Staatsexamen. Ich kann nicht anders als zu sagen: It must be love.
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