November 2020: Sag mir, wo die Monster sind!
Eigentlich bin ich gar nicht oft nostalgisch. Klar, als Kind der 80er ertappe ich mich dabei, bei den entsprechenden Songs im Radio Wort für Wort mitsingen zu können und bin leicht peinlich berührt, wenn irgendwo Fotos von mir als Teenager mit Schulterpolstern und Stufenhaarschnitt auftauchen.
Erinnerte mich immer mit Grauen an die Sillage-Monster der 80er/90er, die alle ohne Rücksicht auf Verluste sprühten – egal, ob unsere Mitmenschen Atemnot bekamen.
Konnte noch eine halbe Stunde danach treffsicher raten, welche Kollegin vor mir im Kopierraum war, da ihr Angel immer noch in der Luft flatterte – und fand das alles schrecklich.
Meine empfindliche Nase litt unter dem Angriff der Monster und wollte sich manchmal nur verkriechen.
Danach lösten blütenreiche, zarte Düfte diese Monster ab und vertrieben sie mit elfengleichen rosa Zauberstäben – meine Duft-Odysee hatte ein Ende, und ich fand das alles wunderbar und hatte wieder Freude an den Neuschöpfungen.
Bis jetzt.
Jetzt sehnt sich meine Nase danach, nicht nur meinen eigenen Duft zu erschnuppern, sondern auch das Parfum anderer Menschen wahrzunehmen.
Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass die meisten Designerdüfte heutzutage sehr schnell "körpernah" werden, die Formulierungen mir teilweise verdünnt erscheinen oder die Masken, die wir gerade alle zu Corona-Zeiten tragen, auch uns empfindliche Nasen stark beeinträchtigen – das Abstandhalten kommt natürlich auch noch hinzu.
Ich vermisse es, durch die Straßen zu laufen, Düfte aufzuschnappen und fast unbewusst ein gedankliches Häkchen hinter einen Parfumnamen zu setzen, wenn ich den Duft erkenne, oder tagelang zu grübeln, um welchen Duft es sich handeln könnte.
Ich vermisse es, mich über die schwere Duftwolke einer Kollegin aufzuregen, die meinen Parfumgeschmack nicht trifft.
Ich vermisse es sogar, zum zehnten Mal an einem Tag das gleiche Parfum an Teenagern auf der Straße zu riechen, die Parfum mit Deospray verwechseln.
Kaum zu glauben, aber ich vermisse diese Sillage-Monster, die ein bisschen Wumms in unseren Alltag brachten.
Gerade sitze ich zwischen den wenigen mir verbliebenen Dinosauriern und mein Zeigefinger schwebt über dem Sprühkopf – soll ich das Alien-Ungeheuer tatsächlich schon tagsüber rauslassen?