Jumi

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11 - 15 von 41
Jumi vor 6 Jahren 30 20
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Flakon
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Haltbarkeit
8.5
Duft
Sind wir nicht alle ein bisschen Hula?!
Das Weiss blendet. Der pfeiffende, peitschende Wind jagt den Schneestaub, der kriechend über die Fahrbahn wandert, eine bizzare Illusion einer Mondlandschaft bildend.

Die Sonne hängt tief, strahlt täuschend hell, wärmt jedoch nicht wirklich bzw. nur den klitzekleinen zu ihr gedrehten und nicht mit dicker Kleidungsschicht bedeckten Körperteil – die Augenlider.

In den letzten Wochen (gefühlt Monaten) erschien die Sonne mehrmals in Begleitung: Sundogs (Nebensonnen) sind in unseren Breitengraden bei derzeitigen Temperaturen eine häufige Erscheinung am Himmel. Und sind leider keine Frühligsvorboten.

In kurzen Sprint-Marathons (Haus-Auto-Arbeit, Arbeit-Auto-Einkaufszentrum, Eikaufszentrum-Auto-Haus) bewegt sich die Mehrheit der vermummten Bevölkerung durch den Tag. Die Autos an den Zwischenstops natürlich laufend, da sie sonst innerhalb 30 Minuten auf ein Gefrierfachniveau sinken.

Was käme jetzt wohl auf die Haut? Die ganzen Gewürz- und Weihrauchkracher, die Amberharzigen, die Fuseligen, die Kaminholzigen, kurzum – die Wärmenden, richtig? Richtig. Aber nicht ausschliesslich. Wenn mir der Winter aus dem Hals heraus hängt (dauert nicht lange, ab dem 1. Januar fängt es schon an), kommt Virgin Island Water überraschend gut. Ja, dieser Sommerduft. Ja, die Pina Colada im Flakon, genau die. Der säuerliche Frischekick der Limette am Start, gefolgt von leichtem cremigem Kokosschaum und Frucht (ob nun Mandarine aus der Pyramide oder Ananassaft aus dem Cocktail-Rezept, ist mir wurscht). Bald kommt der Zucker. Ja, Zucker – das weisse Zeug, dass ich in Düften meist nicht schätze. Ich sehe ihn quasi vor mir – den Zuckerglasrand. Man hat mich aber beschummelt – mein Drink...ähm... Duft enthält keinen Rum (auch keine Blumen). Trinken mochte ich Pina Colada noch nie (zu klebrig, zu cremig, einfach zu süss). Eher lasse ich mich mit einem Mojito, Margarita oder gar Bloody Mary ein. Aber wenn es um den Geruch geht, ist Pina Colada für mich der ungekrönte König des Südseefeelings. So war es auch mit VIW – im Sommer war mir der Duft oft einen Tick zu süss. Ich wünschte mir die Limette grösser, lauter, saurer. Ein herber Drüber-Spritzer Bergamote Soleil von Atelier Cologne schaffte Abhilfe und ein herrliches Gefühl der Duftvollkommenheit und Zufriedenheit mit dem ersten erfolgreichen Layer-Versuch (bin sonst eine Layer-Niete).

Jetzt im Winter habe ich die “Verunsüssung” nicht mehr nötig und, sollte der Wind mir das Gesicht wieder einmal glaswollescharf streicheln, stecke ich die Nase einfach tiefer in den Kragen, in die Pina Colada. Sofort strömen entspannte Hula-Töne nach oben (auch wenn diese kulturell nach Hawaii gehören – ist mir wurscht). Unwillkürlich beginnen meine Hüften seitwärts hin und her zu schwingen. Dann bin ich weit, weit weg und hoffe bloss, dass die Hüftbewegungen unter meiner dicken Kleidungsschicht für Aussenstehende entweder gar nicht zu sehen sind oder zumindest aussehen als ob ich mir die eingefrorenen Füsse vertrete. Und falls nicht, denken sie sich bestimmt “Die ist doch ein bisschen Hula”. Ist mir auch wurscht, denn sind wir es nicht alle? :)
20 Antworten
Jumi vor 6 Jahren 28 19
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8
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9
Duft
Ich glaub mich küsst ein Pferd – das Tagebuch einer Parfuma
*September 2016*
Habe diverse Proben von Sonoma Scent Studio erhalten. Sehr nette Parfumeurin/Inhaberin Laurie Erickson, sehr schöne naturverbundene (Erlebnis)Düfte... Equestrian, der Pferdeduft, hat es mir besonders angetan. Sofortiges Kopfkino (wie es sich gehört :)) - Holzstall voller Heu mit stehendwarmer Spätsommerluft, ein umgeworfener Apfelkorb, Lederstiefel und ein sich ausruhendes (sauberes) Pferd. Ein fast chyprig anmutender, subtil animalischer Duft. Toll. Könnte ein Kaufkandidat werden...

*November 2016*
Grüble über Yatagans Kommi nach... Tja, wie komme ich eigentlich auf das Pferd? Wodurch entsteht diese Assoziation? Springt man unbewusst auf die von der Macherin vorgegebene Schiene auf? Neuer Test. Was auch immer in diesem Duft drin ist – ich will so duften! Wunschliste. Immer noch toll, immer noch Pferd. Aber woher weiss ich denn wie ein Pferd riecht? Abgesehen von dem Nachbarspferd meiner Schwiegereltern, der von uns und unseren Kindern gerne am Zaun besucht, gestreichelt und mit dem ominösen Apfel (ersatzweise Karotte) verwöhnt wird, hält sich meine Pferde(stall)erfahrung in Grenzen. To do list: möglichst von allen Seiten an einem Pferd in seinem von Menschenhand errichteten Habitat schnuppern, dabei Lederstiefel und einen Apfel in Nasenhöhe halten. Ob man deshalb für irre erklärt wird?

*Februar 2017*
Ich muss sagen, das Pferd im Schnee riecht anders. Nämlich fast gar nicht. Habe ich mit meiner Zweijährigen am schwiegerelterlichen Zaun mehrmals festgestellt. Vielleicht hat aber auch der Frost meine Nasenhärchen zusammengeklebt und Geruchszellen lahmgelegt. To do list wird vertagt...

*Mai 2017*
Winter endlich vorbei. Das Nachbarspferd freut sich immer noch über unsere Besuche. Sehr schöne Momente, wenn dich das lilaschwarze Auge unter langen Wimpern anschaut, die flatternden Nüstern die Luft einziehen und die weichen Lippen deine Handfläche “küssen” als sie das mitgebrachte Leckerli greifen... Dass sich das Tier ab und zu des Darminhaltes wieder entledigen muss, begeistert meine Kleine umso mehr.

*August 2017*
Ta-da! Ich wusste es. Heute waren wir in einem Pferdestall. Ein heisser Tag. Ich trat hinein und wusste – hier hat Laurie Erickson ihre Inspiration geschöpft. Oder gar die Luft eingefangen, mittels eines magischen alchemistischen Verfahrens in Duftflüssigkeit verwandelt und in Flaschen abgefüllt. Raues, rotes Holz der Wände, aufgewärmt durch die Mittagssonne, kontrastierte sehr schön mit den darauf aufgehängten Ledersatteln. Herbes Gras, das sich spätsommerlich langsam in süßwürziges, fast fruchtiges Heu in den Ställen verwandelt. Trockene, festgestampfte Erde. Stehende, duftgetränkte Luft. Warme Tierhaut. Geborgenheit und Gemütlichkeit... Ich saß hier lange auf der Bank, die Nüstern flatternd, breit grinsend, und wusste nun auch ohne die Äpfel, dass Equestrian definitiv nach Pferd mit Drum & Dran riecht...

*September 2017*
Beim Tee mit einigen Freundinnen/Bekannten erwähnt – weiss gar nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen – dass Pferde im Gegensatz zu Kühen gar nicht stinken. Ungläubige Blicke geerntet. Zum Glück bestätigte eine der Anwesenden (eine ehemalige Pferdebesitzerin) meine Aussage. Bevor ich mit meinem begeisterten Erlebnisbericht fortfahren konnte, meinte eine Freundin “Sag bloß, es gibt einen Duft mit Pferdegeruch und du willst ihn?!”... Bin ich in meinem Duft(wahn/fein)sinn so leicht zu durchschauen?

*November 2017*
“Schatz...” Ich bin heute in Stimmung :) “Schatz, du hast doch gefragt, was ich mir zu Weihnachten wünsche... Ich habe es mir nicht lange überlegt. Ich möchte einen neuen Duft. Er riecht toll, nach Pferd und Stall und Heu...” Er schaut mich an, um zu sehen, ob es nicht doch (hoffentlich) ein Scherz ist. Ich bin todernst (und ehrlich gesagt, liebe ich seinen hilflosen Blick :)). Er sagt nichts, doch seine Augen sprechen Bände, spiegeln eine kleine, freche Göre wieder, die sich gerade ein Pony gewünscht hat. Warum denn nicht gleich einen Elefanten, fragt er. “Das kommt noch. An die Proben von Elephant und Camel bin ich noch nicht gekommen. Die anderen Zoologist-Düfte habe ich schon alle durch. Aber dieser Pferdeduft ist von einer ganz anderen tollen Marke und...” Ein lauter Seufzer unterbricht mich. Er dreht sich um und geht und brummt dabei so etwas wie: ich hätte doch echt ne Macke und warum könnte ich nicht einfach nach schönen “normalen” Düften riechen. Und hätte er damals an mir ein Pferd gerochen, könnte er nicht für unsere gemeinsame Zukunft garantieren... Ich lächle. Sein gutmütiges Brummen bedeutet, dass der Duft bald einziehen wird :)
19 Antworten
Jumi vor 7 Jahren 36 21
10
Flakon
7
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8
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9
Duft
Life is...
“Life is a bitch... In einem Moment gibt es dir fünf, im nächsten nur noch den Mittelfinger. Unfair game, sag ich dir. Es spielt so kompliziert, da brauchst du ewig, um die Spielregeln zu verstehen. Denkst du einmal: du hast es drauf, denkst du: du hast endlich die besten Karten auf der Hand – zack – packt es mit nem Pokerface das Schachbrett aus... Da kannste wütend Steine gegen den Himmel oder gegen dein Spiegelbild werfen - in beiden Fällen landen sie auf deinem Kopf.

Life is (un)predictable... In Schablonen denken, in Floskeln reden, in Geldscheinen lieben, in der sinnfreien Suche nach dem Sinn leben... Auf ein gestreiftes Zebra warten, das gar das Schwarze und das Weisse präzise abgemessen mit sich bringt. Pustekuchen. Ein freakin' irreguläres Polka-Dot-Minenfeld ist es, ein jeder Fleck mit der Saugkraft eines Schwarzen Lochs.

Die Träume, fragst du? Sie verfolgen mich immer noch. Hirngespinste, verdreht-verwirrte Bilder... So auf dem Trödelmarkt gar nicht so lange her. Das Flügelpaar, geschwärzt mit Staub und Asche, völlig deplatziert im aphatischen Tagesgrau. Es brachte mich zum Stehen, faszinierte, piekste am Bewusstsein. Ich nahm sie mit. Für ein Paar Groschen nur. Und dann? Sie waren mir zu gross (drei ganze Nummern) und rieben mir den Rücken wund. Sie flatterten, ich hörte ihren Weihrauchduft, pieksig nelkig, auch durch die Truhe, in die ich sie verbannte. Selbst nach dem Aufwachen konnte ich sie noch hören.

Ich sehe schwarzes, glattes Holz in dunkler Erde gebettet. Es schneit Muskat und Ascheflocken... Düster, still, verstörend schön. “Erde zu Erde...” Schweissgebadet wache ich auf. Mein kalter nächtlicher Schweiss mit saurem Beigeschmack im Mund löscht nicht die dunkle Glut im allertiefsten Inneren...

Das schwarz lackierte Holz erscheint mir jede Nacht – Gewürzpartikel schwirren in der Luft und lassen sich auf seiner (des Klaviers) Oberfläche nieder. Es tönt die Melodie und sachte steigt geweihter, dunkler Rauch empor. Spielt Schattenspiele, bildet Blumensilhouetten – die Lilie... oder doch...? Husch – und weg wie eine Fata Morgana, bevor die Blüten greifbar werden, bevor Musik den Raum satt füllt. Mansell's “Lux Aeterna” - banal, fatal, genial - den Streichpart fühle ich mir dazu.

Life is full of choices... Das abgedroschene “halbvoll/halbleer” scheint immer noch zu funktionieren. So scheint inzwischen auch in dieses Haus ein einsam ambriger Sonnenstrahl hinein. So baue ich mir gerade aus dem Flügelpaar ein Floss. Es lassen sich darauf die Schwarzen Löcher ganz geschickt umschwimmen, auf deiner, meiner sinnfreien (wirklich?) Suche nach dem Sinn. Das Flattern ist ansteckend. Life is beautiful after all...”
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Jumi vor 7 Jahren 34 17
Das Leben mit Hugo
Man kann sich vieles im Leben aussuchen. Lebensphilosophien, Berufe, Partner, Freunde... Von Konsumgütern wie Düften ganz zu schweigen. Was man sich nicht aussuchen kann, ist die Verwandschaft. Ja, man hat sie nicht alle gleichermassen gern, einige Stellvertreter versucht man nach Möglichkeit zu meiden, die Verwandschaft zu anderen wird nicht an die grosse Glocke gehängt. Und doch weiss man, dass sie zur Familie gehören, egal, ob man sie nun ins Familienalbum aufnehmen oder deren peinliche Fotos am liebsten irgendwo in der untersten Schublade verstecken will. Und ganz sicher, mindestens für eine Dutzend Anlässe im Leben, kommt die ganze (meine) “My big fat greek wedding”-ähnliche Schar zusammen. Laut, crazy und liebenswürdig. Größtenteils zumindest.

Hugo wäre der etwas schräge Cousin, über dessen Witze man früher noch lachte und über dieselben man heute meist nur die Augen rollt und weghört. Dessen Anwesenheit unheimlich nerven kann, aber dessen “weisst du noch”-Geschichten dich immer zum Schmunzeln bringen. Der, den man oft aus den Bildern herausschneidet, über das eigene Verhalten dann unheimlich beschämt ist und zur Wiedergutmachung etwas zusammen unternimmt, nur um es später wieder zu bereuen... Dabei war ich es selbst, die Hugo einem Freund von mir - dem groessten Duftmuffel und meinem zukünftigen Ehemann - zu seinem 18. Geburtstag “vorgestellt” hatte. Das waren Zeiten... Im Radio - La Bouche's You won't forget me und Music Instructor's Super Sonic, Falco's Out of the dark und Rammstein's Du hast, Dario G's Carnaval de Paris und Madonna's Frozen. Sound of Frankfurt in der Innenstadt und Titanic in den Kinos. Damals war Hugo noch jung, knackig, frisch, anders. Gefiel mir mit all seinen Kräutern und saurer Fruchtigkeit und kam beim Beschenkten sehr gut an. Fand bei ihm für immer sein Zuhause, ist später mit uns in unsere erste gemeinsame Wohnung gezogen. Das Leben bei einem Duftmuffel war für Hugo kein Zuckerschlecken - nur zu grossen Festlichkeiten wurde er ans Licht geholt und durfte uns begleiten.

Apropos Festlichkeiten... Der Morgen unserer Hochzeit... Wir haben verschlafen. Nix läuft wie geplant. Filmreifer Sprint vom Haarsalon zum Elternhaus (Jeans, Sneakers, Schleier, Diadem, Regenschirm, Frisur sitzt – yeah!), hektisches Ankleiden zwischen X-zig schnatternden Tanten, Cousinen und... wer bist du denn?... Heftiges Zittern am Rande des Nervenkollapses. Dann kamen sie, der Duftmuffel und – tiefer Atemzug – Hugo :) In dem Moment tat er mir mit seiner Vertrautheit sehr gut. An meinen eigenen Hochzeitsduft kann ich mich nicht erinnern, sprühte ich doch in der Hektik irgendetwas, was mir gereicht wurde, auf. An Hugo erinnere ich mich aber genau...

Bis heute bleibt Hugo der einzige (sic!) Duft meines Mannes, wenn er denn überhaupt welchen trägt. Seine ungeplante, von mir vor langer Zeit ausgesuchte Signatur. Meine Versuche, etwas Neues in sein Duftleben zu bringen, scheiterten... Hugo ist einer, den ich binnen Sekunden an der aromatischen “Fahne” erkenne. Die kühle sauerzitrische, krautig-koniferige Kopfnote mit dem grünen, künstlich anmutenden Granny-Smith-Apfel, das frische, von Lavendel und Zeder dominierte Herz, die unsüße, nassholzige Basis mit einem Hauch Leder. Aus heutiger Sicht unspektakulär-synthetisch, Schnee von gestern, den jeder über hat. Aber bei all seiner Künstlichkeit und dem anhaftenden Klischee gehört Hugo zur “Familie”, auch wenn ich ihn manchmal am liebsten vor die Tür setzen würde. Wird auch nicht aus meinem Familienalbum (aka Sammlung) herausgeschnitten. Ihn zu bewerten wäre, als würde ich mein Leben einer Bewertung auf der Skala von 1 bis 10 unterziehen – einfach nicht richtig.

Sorry für das “persönliche Gesülze”, ich werde sentimental – nächste Woche ist unser Hochzeitstag. Ich weiss, wir werden ausgehen. Ich weiss, wir werden uns etwas auftackeln. Nur wir beide, der Duftmuffel und die Duftverrückte. Keine Verwandschaft. Doch einer, ich weiss ganz genau, wird mitkommen. In seiner Levi's 501, seinen schwarzen Reebok Classics und mit dem sauren Apfel in der Tasche – hello again, old Cousin Hugo! :)
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Jumi vor 7 Jahren 23 13
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7
Haltbarkeit
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Duft
La vieja loca con la caja
Jeden Abend ging sie zum Strand. Eine kleine gekrümmte Figur in ihrem alten, einst weißen und durch die Zeit vergilbten, aber stets sauberen Kleid und einem geschickt nach hinten gebundenen Kopftuch. Ihre alte Zigarren-Holzkiste mit längst verblasster Aufschrift unterm Arm. Am Strand setzte sie sich immer auf die Kiste und starrte aufs Meer. Nur selten, wenn sie etwas am Horizont entdeckt zu haben scheinte, sprang sie auf, lief dann auch mal wadentief in die spielenden Wellen hinein, die kleine, rauhe Hand über die Augen haltend. Dann kam sie zurück, um einige Falten reicher auf ihrem tabakblattbraunem Gesicht, setzte sich wieder auf ihre Kiste und verharrte so bis zum Sonnenuntergang. Alsbald die See den roten Sonnenball verschlang, ging die Alte müden Schrittes nach Hause. Am nächsten Abend würde sich alles wiederholen. Tag für Tag. Jahr für Jahr. Außer zu Regenszeiten, wenn der Sonnenuntergang hinterm Wolkenvorhang versteckt war...

Keiner wusste genau wie alt sie war, die Alte mit der Kiste. Oder wie lange schon (und warum?) sie ihrem täglichen Ritual folgte. Die Dorfältesten zuckten unwissend mit den Schultern... Sie hatte einst in der Zigarrenfabrik in der Stadt gearbeitet. Jetzt kam sie eher schlecht als gut über die Runden, indem sie sich durch ihren kleinen Garten und einige Hühner selbst versorgte. Sie beschwerte sich jedoch nie, war auch eher von der ungeselligen Sorte. Kinder hatte sie gern. Bei ihrem Anblick leuchteten ihre trüben Augen kurz auf und ein scheues Lächeln hebte ihre Mundwinkel. Die Kleinen haben die seltsame “la vieja loca con la caja” (die verrückte Alte mit der Kiste) eher gemieden...

Natürlich fiel es auf als eines Abends die Figur am Strand fehlte. Erst am nächsten Abend erkundigte man sich nach ihr. Regungslos lag sie in ihrem Bett. Davor die offene (und gar nicht leere, wie angenommen) Zigarrenkiste. Darin, in diesem bescheidenen Kofferersatz, sorgfältig gepackt und seit Jahren abreisebereit, wird man später eine Lebensgeschichte vorfinden: ein neues Kleid, eine kleine, in Zeitungspapier eingewickelte, mit einer Schleife aus grobem Garn verzierte Schachtel mit 5 Zigarren (wohl ein vom Mund abgespartes Geschenk?), die längst abgelaufenen Reisepapiere (so alt war sie gar nicht gewesen!) und ein abgeriebenes Bild mit einer jungen, rassigen Schönheit in den Armen eines uniformierten Mannes, wessen Hand wohl auch die Rückseite beschriftet hatte: “Count the sunsets. One of them will make you smile at me again”... Während man jetzt noch schnell nach dem Dorfpastor schickte, zählte die Alte ihren letzten Sonnenuntergang und folgte ihm leise. Die salzige Brise fing sanft den süßen Duft von Tabak und der alten Holzkiste auf und trug ihn sachte wiegend durch die Luft aufs Meer hinaus...

...Irgendwo im anderen Eckchen der Welt durchfuhr gerade einen mit der Enkelin im Vorgarten spielenden weißhaarigen Mann die Gänsehaut. Die sanfte, für diese Jahreszeit sehr warme Brise trug flüchtig einen längst vergessenen Duft von meersalzgewürztem Tabak und altem sonnengebleichtem Holz vorbei.
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Ein dunkles Tabakduftöl, das zwar nicht die schöne Strahlkraft und die Power des “Jeke” hat, sondern sehr sanft in seiner für Tabak typischen Säuerlichkeit daher kommt. Dem die Pappigkeit von “Tobacco Vanille” völlig fremd ist und dessen Süße eher schemenhaft, diskret erscheint. Dessen begleitende Holz weder grob noch edel ist und einer alten, sonnengebleichten, sandpolierten Kiste gleicht. Bei dem die leichte, aber deutliche Salznote buchstäblich das Salz in der Suppe ausmacht. Melancholisch-süß wie der Glaube an ein nicht eingehaltenes Versprechen. Leichtfüßig, salzgetränkt wie der Windflug über die Wellen. Ruhig, ausdauernd und schön wie das Zählen der Sonnenuntergänge.
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