Midnights

Midnights

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11 - 15 von 30
Midnights vor 2 Jahren 17 18
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9.5
Duft
Out of the woods
"She's addicted to nicotine patches
She's addicted to nicotine patches
She's afraid of the light in the dark
6:58, are you sure where my spark is?
Here, here, here..."
("Spark", Tori Amos)

Wann genau war es dunkel geworden?
Sie sass gerade noch auf dem alten Holzstuhl in ihrer Küche, die Sitzfläche auf geflochtener Papierkordel, und hatte sich einen Kamillentee gekocht. Halbwegs zufrieden betrachtete sie ihr Tageswerk. Allerlei Wurzeln, zermahlene Blüten, getrocknete Tabakblätter, Gefässe gefüllt mit allem, was die Flora hergibt, Hydrolate, Mörser, Stabmixer... Zu jedem Zeitpunkt hatte sie den Überblick, welche Rohstoffe wofür bestimmt waren, sie brauchte keine Gedächtnisstützen. Meistens arbeitete sie an allem gleichzeitig: hier ein ätherisches Öl, da ein Blütenbalsam, dort eine Teemischung... Heute wollte sich aber keine Ruhe nach getaner Arbeit einstellen. Sie dachte an die Schwertlilien am unweit entfernten Waldrand. Der Zeitpunkt war gut, um die Wurzeln auszugraben. Daraus würde irgendwann mal ein Iris-Absolue oder Irisbutter entstehen, viellecht ein ätherisches Öl. Vorrat für die eine oder andere verlorene Seele, die wie zufällig zu ihr finden würde.
Sie hatte das kleine Steinhaus noch vor Sonnenuntergang verlassen. In einer Stunde würde sie spätestens wieder da sein. Es würde kühl, sobald die Herbstsonne hinter dem Gebirgszug verschwinden würde, aber eine Strickjacke aus Wolle sollte reichen, dachte sie. Normalerweise hätte sie den Weg mit verbundenen Augen ablaufen können. War es der sich anbahnende Leermond? Waren es ihre Gedanken, die heute einfach nicht aufhören wollten, Achterbahn zu fahren? Sie wusste es nicht. Sie hatte den Eindruck, durch einen Tunnel gelaufen zu sein, und als sie am anderen Ende herauskam und die Augen öffnete, war es um sie herum dunkel geworden. Sie zog die Strickjacke etwas enger an den Körper, um Fassung und Orientierung ringend. Sie klaubte am Nikotinpflaster am rechten Oberarm, daran zweifelnd, ob mit dem Rauchen aufzuhören wirklich eine gute Entscheidung war. Was hätte sie für den Duft verbrannter Tabakblätter gegeben. Ihr kleiner Zeh zuckte, sowie er es immer tat, wenn sich Unruhe den Weg durch ihren Körper bahnen wollte. Sie kannte die Reihenfolge: aus Unruhe würde Angst. Und Angst war ein mieser Berater, im Leben wie in der Dunkelheit. Sie zwang sich die Augen zu schliessen und kurz innezuhalten, innerlich stehen zu bleiben. Es dauerte eine Weile, aber langsam spürte sie, wie sich die Spannung in ihren Schultern löste. Sie neigte den Kopf nach links und nach rechts, auf der rechten Seite knackte es leise in die stille Dunkelheit. Mit jedem Herzschlag wurde sie ruhiger, ihre Sinne schärfer. Wäre sie sich dabei nicht lächerlich vorgekommen, hätte sie gerne das innere Selbstbild einer Wölfin gezeichnet. Sie verwarf den Gedanken, sowie wie sie ihre Schwäche für Zigaretten vor einiger Zeit verworfen hatte. Sie hielt die Nase in den Wind. Der Geruch einer unlängst erloschenen Feuerstelle war förmlich auf ihrer Zunge zu schmecken. Das ist die Richtung, die alte Feuerstelle, sie nahm die Witterung auf. Sie hatte sich in den letzten Jahren immer wieder über die Stadt-Hipster geärgert, welche an Wochenenden in ihr Territorium eindrangen. Mit bedruckten Emaille-Tassen sassen sie in ihren Patagonia-Fleecejacken um das Feuer, grillierten Würste aus Fleischersatzprodukten und spielten Wildnis. Heute war sie dankbar dafür, dass sie da waren und Feuer gemacht hatten. Sie folgte dem Duft erloschener Flammen für eine Weile und dachte leise schmunzelnd erneut an das Bild der Wölfin. In ihrer Entschlossenheit, mit flinken Bewegungen sich durch Gebüsch schlängelnd und Hänge hinabgleitend, verlor sie jedes Zeitgefühl. Wie lange war sie schon unterwegs? Erst als sie den Duft von Vanilleschoten, die sie am Nachmittag auf dem Küchentisch aufgeschnitten hatte, und eine leise Brise verbrannten Oudholzes vernahm, wusste sie: sie war zu Hause. Sie ging ins Haus, zog die Strickjacke nicht aus, sie musste ein Feuer machen. Zuerst jedoch legte sie eine Handvoll Iriswurzeln auf den Küchentisch.
18 Antworten
Midnights vor 2 Jahren 14 16
7
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7
Haltbarkeit
8.5
Duft
50 Shades of Citrus Medica
"Wanna get dirrrrty?" schnurrt mir die Zitrone ins Ohr.
Huch, was ist auch mit den Zitronen diese Tage los? Gibt es eine sexuelle Revolution unter Zitrusfrüchten? Ist die Übersexualisierung in den Medien nun auch in der Früchteabteilung angekommen? Oder haben sich die Zitronen bloss daran erinnert, dass ihre Vorfahren nicht nur frisch, sondern, in Kombination mit anderen Ingredienzien, auch mal ihre animalische Seite ausleben durften?
Dieses Zitrönchen hier ist aus der ätherisch-kühlen Welt des Terre d'Hermès Eau Givrée ausgebüxt. Genau genommen handelt es sich um eine Cedrat resp. Zironatszitrone. Der Einfachheit halber sei sie im weiteren Verauf dennoch Zitrone genannt. Hier darf sie ihre bitterere, würzigere Seite ausleben. Und diese Zitrone hat einiges nachzuholen. Von Miley bis Britney haben es zahlreiche Stars vorgemacht, wie man sich sexuell befreit, da hat sie gut aufgepasst. Auf der Abrissbirne in Richtung Strand. Nach einem ausgiebigen Bad im Meer, hat sie sich mit einem würzigen Duschgel eingeseift, abgeduscht, trockengerubbelt und mit einer Galbanum-Lotion eingecremt. Outfit für den Aufriss: nur ein Lederjäckchen. Grrrrrrrr! Machen heisse Zitronen so, too sexy for this world, 50 Shades of Citrus Medica. Hinter das Ohr hat sie sich keine Blüte, sondern einen ganzen Blumenstrauss gesteckt. Weniger ist mehr, sowas sagen nur Anfänger. Blumen der Wahl? Natürlich der Jasmin, was kann sexier sein?! Für den lasziven 90's R&B-Groove sorgt die smoothe Iris, für den angedeuteten Abgrund ein klitzekleines Veilchen, kaum sichtbar. Die Zähne geputzt und den Mund mit Rosenwasser gespült. Und da liegt sie nun vor mir, auf der Patchouli-Decke im Eichenmoos, die Beine übereinander geschlagen, ein Vetiver-Halm im Mundwinkel, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sie mustert mich von oben bis unten, aufreizender Blick, chauvinistisches Grinsen. Ich habe nicht gerade das Bedürfnis mich auszuziehen, aber zumindest ein, zwei Knöpfe am Hemd zu öffnen. Und da dämmert es mir im Hormonrausch: wir kennen uns.
Meine Begeisterung gilt nicht dieser inszenierten Zitronen-Schmuddelei, sondern der Sicherheit des Vertrauten. Wie die Begegnung mit einer verflossenen Liebschaft: jeder Handgriff sitzt, jede Bewegung ergänzt gut choreographiert diejenige des Gegenübers. Du Früchtchen, Du! Wir hatten schon mal ein längeres Techtelmechtel miteinander, damals Mitte bis Ende der Neunzigerjahre. Schon damals warst Du wesentlich älter als ich, nur hiessest Du anders: Eau Sauvage Eau de Toilette, Pour Monsieur Eau de Toilette, Monsieur Balmain (1990), Moustache Original 1949 oder wahlweise auch Pour Homme (1971) Eau de Toilette. Du hast Dich durch vergangene Jahrzehnte gewildert und Dir das genommen, was Dir gefällt. Ja, ja, ich mag Dich sehr und fühle mich gleichzeitig hinter's Licht geführt. Vor allem bei dem Tarif, den Du für Deine Dienstleistungen verlangst.
I don't wanna get dirrrrty, zumindest nicht mit Dir. Ich knöpfe mir die zwei Knöpfe am Hemd und die Geldbörse wieder zu und beschäftige mich jetzt mit anderen olfaktorischen Sauereien. Und ich melde mich bei genannten Liebschaften aus der Jugend, mal schauen, was sie heute so treiben.
16 Antworten
Midnights vor 2 Jahren 15 21
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Der Neurosenswing
"In New York werd' ich Magnolien holen
In Oslo kauf' ich ein Seil
Auf dem Hochsitz, irgendwo bei St. Moritz
Schnitze ich einen giftigen Pfeil
In Rom kauf' ich Schiffe und eiserne Griffe
In Rotterdam Kerosin
In Odessa sind sie besser, die Messer
Den Rest gibt es sicher in Wien
Das alles schnüre ich zu einem Paket
Und schick' es noch heute zu Dir
Und auch wenn Du lachst
Es geht mir erst besser, wenn Du alles hast
Ich kann nichts dafür
Denn das Böse lauert überall
Du musst bereit sein für den Fall..."
("Take Care", Kitty Hoff & Forêt-Noire)

Sie hatte diesen Moment lange antizipiert. Was wäre wenn. Jede Bewegung, jeden Handgriff, jeden Atemzug mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks einstudiert. Hätte sie jemandem davon erzählt, hätte man ihr eine Diagnose zugeschrieben. Sie selbst nannte es „liebenswürdig neurotisch“. Sie wusste nur zu genau, dass niemand da war, um irgendwas zu lieben. Sie selbst war nur in die Nähe dieses Liebens gekommen, nur zugegeben hätte sie das nie. An diesem Abend sass sie alleine auf der dunkelbraunen Couch. Die Haare akkurat hochgesteckt, mit dünnem cognacfarbenem Rollkragenpullover, erschwingliches Modell aus Wolle und Cashmere. Der leicht ausgestellte, beige Tweed-Rock, der genau eine handbreit unter dem Knie endete, liess die braunen Mary Janes an ihren Füssen gut zur Geltung kommen. Auf den Blockabsätzen, 5 cm hoch, hatte sie guten Halt, im Gehen wie im Leben. Hätte sie eine Schreibmaschine vor sich gehabt, hätte man sie ohne Frage für eine gewissenhafte Sekretärin gehalten. Das Weinglas vor ihr, exakt bis zur 1 dl-Markierung gefüllt, weichte das Szenario mühevoll auf, unklar, ob für heute Abend das erste oder das letzte. Die Zitrusfrüchte auf dem Salontisch, sorgfältig drapiert, hatten am Vortag ihren Höhepunkt der Frische erreicht und lieferten den einzigen Beweis eines Kontrollverlustes.

Am Nachmittag hatte es geregnet. Die feuchte Luft, grün und schwer, strömte durch das offene viktorianische Fenster in das Wohnzimmer. Der Duft der aufgeweichten Erde im Garten lag wie ein nasser Sack im Luftzug. Es war dunkel geworden, und ein Frösteln schüttelte ihre knochigen Schultern durch. Sie hatte nicht mitbekommen, wann es dunkel oder Herbst geworden war. Sie hatte sich erhoben, um das Fenster zu schliessen, der Gang dank der Blockabsätze sicher. Ein süsslich schweissiger Geruch steig ihr in die Nase und liess ihren Puls eine kleine Kapriole schlagen. Sie, mit allem und dem Leben auf Distanz, wusste mit Sicherheit, wann es um sie herum menschelte. Wie ein Raubtier nahm sie die Witterung auf, wusste instinktiv, wohin und sah eine verdächtige Wölbung im Nachtvorhang. Modus: Autopilot an!

Sie liess Musik laufen, und Wendy Rene sang etwas davon, dass auf Lachen Tränen folgten. Sie streifte die Mary Janes von ihren Füssen ab und zog in bester Soldatinnen-Manier die Gummistiefel an, Marke Hunter. Lange bevor Kate Moss in der Pre-Hipster-Ära auf zahlreichen Festivals diesen eine gewisse Sexyness verliehen hatte, standen sie in der Besenkammer und warteten auf diesen einen Einsatz. Mit imaginär zigfach eingeübten Handgriffen und dem Ehrgeiz einer Olympia-Teilnehmerin holte sie den Spaten, dessen metallischer Geruch seine Jungfräulichkeit verriet, aus dem Besenschrank. Im Vorbeigehen bediente sich sich am Messerblock. Ein gezielter Schlag mit dem Spaten, in etwa zwei Köpfe höher als sie, eine flinke Handbewegung, ein dumpfer Fall. Erledigt.

Sie zog den Baumwollteppich mit einer Kraft hinter sich her, die ihre Postur niemals verraten hätte. Über die Türschwelle in den Garten, unsanft über die Betontreppe holpernd, durch das noch feuchte Gras, vorbei am noch blühenden Jasmin und dem Thymian, in dem sich noch bis vorhin eine Katze gewälzt hatte. Bei der alten Zeder blieb sie stehen. Sie zog an der Plastikplane, welche sie in stundenlanger Arbeit sorgfältig mit Moos abgedeckt hatte, und gab den Blick auf das Loch in der Erde frei. Sie tat, was zu tun war, rannte ins Haus, holte die Lilien aus der Vase und legte sie auf die frische aufgeschüttete Erde.

Kurze Zeit später sah es im Wohnzimmer wieder so aus, wie an allen Abenden davor (und danach). Ein neuer Nachtvorhang hing am Fenster, das Zimmer gelüftet, ein Hauch von Rein, Grün und Erdig legte sich über die Möbel und ihre Gedanken. Sie verbrannte etwas Weihrauch und schenkte sich ein Glas des "Fathom V" ein. Die Flasche war so gut wie voll. Nur einmal hatte sie sich einen kleinen Schluck genehmigt und sofort verstanden, dass sie niemals so leicht und glücklich sein würde, um dessen Schwermut auszugleichen. Und noch schwermütiger wollte sie nicht werden. Heute aber war sie leicht und glücklich. Nie mehr Angst, nie mehr Schlaflosigkeit, nie mehr Panik, nie mehr Paranoia, welche doch keinen Grund und keine Erlösung im Aussen findet. Alles, was sie gefürchtet und sich akribisch genau darauf vorbereitet hatte, war an diesem Abend eingetroffen. Darauf trank sie noch ein zweites Glas, unklar, ob das zweite oder letzte.

"Ich wünschte, es täte einen Knall und die Psyche wäre blitzeblank
Ein Glitzern und Glänzen überall, vom Komplex bis zum Tablettenschrank
Die Depressionen sind in Hektik wegen all der Antiseptik und veziehen sich
Ich fühle diese Ordnung und entspanne mich..."
("Psychosenswing", Kitty Hoff & Forêt-Noire)
21 Antworten
Midnights vor 2 Jahren 24 13
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft
Die Lana-Chronik
Act 1: "Music to Watch Boys To", 2015
"...I know what only the girls know
Lies can buy eternity
I see you leaving
So I push record and watch you leave...
...Play 'em like guitars, only one of my toys
('Cause I like you a lot)
No holds barred, I was sent to destroy..."

Hätte Lana Del Rey 2002 gewusst, dass sie knapp ein Jahrzehnt später Lana Del Rey werden würde, hätte sie Dior Addict (2002) Eau de Parfum getragen. Jene Lana Del Ray aus den Jahren 2011 - 2015, damals noch in Szene gesetzt als "Gangster Nancy Sinatra", auf schmalem Grat zwischen infantil schmollender Lolita und Femme fatale, der feministische Albtraum, die verschwommene Skizze einer Männerphantasie, irgendwo zwischen Ekstase, Soziopathie und Lebensüberdruss.

Die morbid saftige Brombeere mit dem verhalten frischen Mandarinenblatt lockt schon lüstern. Ein Versprechen von paradiesischen Gärten? Oder ein Handel mit dem Leibhaftigen? Ist dies ein Akt von Hingabe? Oder steckt dahinter die oben Genannte, die traurig ihrem Typen hinterher sieht und seinen Weggang filmt? Warum eigentlich? Um sich später im Dauerloop im Leid zu suhlen oder an der eigenen Darbietung zu erfreuen? Beides?
Es lässt sich schon erahnen, was einen hinter dem Gartentor erwartet. Der Bass aus weissblühenden Opiaten und den Kopf vernebelnder Süsse wummert schon im Hintergrund. Will ich das? Zu spät. Der Trank ist aufgetragen, der Garten betreten, C U when U get there.

Act 2: "Ultraviolence", 2014
"He used to call me DN
That stood for Deadly Nightshade
'Cause I was filled with poison
But blessed with beauty and rage..."

Kurz hinreissen lassen, dem weissen Kaninchen gefolgt, schon im Kaninchenbau. Deadly Nightshade, Tollkirsche, es wäre keine Überraschung, würde sie hier gedeihen. Lana reicht ein Glas. Heilsam? Aus dem Giftschrank? Die Dosis wird es richten. Im Kaninchenbau ist es ohnehin egal. Weisses Kaninchen, weisse Blüten, weiss wie... Definitiv nicht wie die Unschuld. Weiss wie helle Substanzen. Wie weisser Rauch bei Bienenvölkern, wo sich die Geister scheiden, ob dieser beruhigt oder Panik vor Feuer schürt. Angeblich veranlasst der Rauch die Bienen, so viel Honigproviant in ihren Honigmagen aufzunehmen, wie nur möglich. So saugt man selbst an all den Orangenblüten, am Jasmin und nachtblühenden Kakteen, alle so betäubend wie Unruhe stiftend. Haarscharf am Gourmand vorbeirauschend, vollmundig, gerade noch so, dass alles im floralen Orient bleibt. Süss, jedoch delikat, dickflüssig und dicht, aber nicht erschlagend. Stand soeben Lana da, mit der Zigarette in der einen und dem Kopf des weissen Kaninchens in der anderen Hand? Egal, weitersaugen! Der Jasmin changiert zwischen blumigem Flüstern und vulgärem Gebärden. Im Herzen blüht es so dicht und kompakt miteinander verwoben, dass sich alles und nichts davon wirklich ausmachen lässt. Nur auf die Rose, die ewig Romantische, immer die Brautjungfer, niemals die Braut, wird herablassend geschaut. Die ist aber auch rot, und das ist ein weisses Fest.

Act 3: "Gods & Monsters", 2012
"You got that medicine I need
Dope, shoot it up, straight to the heart, please
I don't really wanna know what's good for me
God's dead, I said, "Baby, that's alright with me"...

Wir sitzen auf dem Boden, schweissgebadet von der weissen Orgie. Lana hat Kerzen angezündet, es riecht nach Bienenwachs. Es ist schon dunkel. War es überhaupt jemals Tag? Zimt und etwas Nelke liegen zermahlen und in dünnen Linien gezogen auf dem Tisch zwischen uns. Bourbon-Vanille und Tonka. Das sind doch Gewürze, oder? Aber nur dass wir uns verstehen, Baby, ich bin nicht Dein fuckin' regular oriental Gormand-Sweetheart mit heart-shaped sunglasses und Lollipop im Mund, ich werde Dich im Winter bestimmt nicht wärmen. Moment, war das Eichenmoos? Ich bin ziemlich sicher, dass ich hier Eichenmoos rieche. Darf es da sein? Yes, es ist 2002, und es darf. Es war schon die ganze Zeit da und hat mich in der Nase gekitzelt, jetzt aber unverkennbar. Das ist auch der Grund für diese unheimliche Tiefe, darum sprach ich eingangs vom Bass, dieses Eichenmoos vibriert schon lange aus dem Keller. Ist das noch Bodenhaftung oder der Sirenengesang, der definitiv in den Abgrund zieht? Lana lächelt. Darling, bleib doch noch ein bisschen, bleib für immer. Ich kann nicht. Ich muss den Kaninchenbau verlassen, es ist nicht mehr das Jahr 2002. Lana drückt die Aufnahmetaste und sieht mir zu, wie ich gehe.

Lana Del Rey und Dior Addict (2002) Eau de Parfum sind verschiedene Wege gegangen. Während Lana's Songwriting immer mehr an Dichte, Nuancen und Komplexität gewann, wurde "Addict" immer weiter verwässert, vereinfacht, aus einem Suchttraum wurde ein blasser Daydream. Aber für einen kurzen Moment im Jahr 2002 hätte die Illusion so perfekt sein können.
13 Antworten
Midnights vor 2 Jahren 17 9
5
Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft
Ohne Filter
Die meisten von uns wollen bei Reisen das authentische .......................... (an dieser Stelle die gewünschte Destination einsetzen) kennenlernen. Sagen wir Sardinien. Ein Duft kann die Reise wieder ins unser Gedächtnis rufen, Erinnerungen herbeizaubern und uns an Orte versetzen, die wir längst vergessen haben. Parfumerie greift dabei meistens auf ...................... (an dieser Stelle die regions- oder landestypische Pflanze, Frucht oder Baumart einsetzen) zurück. Im Falle von Sardinien könnte hier Zeder oder Bergamotte stehen. Das ist in den meisten Fällen so authentisch, wie ein drapiertes Foto mit Insta-Filter. Ich bin ein grosser Anhänger von Frankreich: von der Provence, über die Atlantikküste bis in die Bretagne und Normandie. Ich kann jedoch mit Bestimmtheit sagen, dass es in der Provence nicht an jeder Ecke nach Lavendel riecht oder an der Atlantikküste ausschliesslich nach Pinien, Salinen und Algen. Aber ich verstehe, der kleinste gemeinsame Nenner. Was jedoch geschieht, wenn ein Duft mit sämtlichen Klischees bricht, die Riechgewohnheiten demontiert und die Scherben neu zusammensetzt, führt I-I Terralba eindrucksvoll vor. Be careful what you wish for.

Zitrik in Düften mit italienischem Thema kennt man ja schon zu Genüge. "I-I Terralba" macht sich den bewährten Auftakt zu eigen. Nur ist die Tangerine und die Zitrone hier keine stilisierte, olfaktorische Nachahmung. Es gibt keine Wahlmöglichkeit im Sinne von "Süsses sonst gibt's Saures". "I-I Terralba kredenzt eine gehörige Prise saurer Zitrusfrüchte, dies aber so ehrfürchtig und sachte, dass man sich unangenehm ertappt fühlt. Man hat vergessen, wie Zitrik in der Parfumerie duften könnte, weil sich unsere Nasen an deren popularisierte Form gewöhnt haben - mal flüchtig zart, mal mit Anabolika hochgezüchtet, meistens süsslich und fresh.
Der Verlauf ist so wunderbar verblendet, dass man gar nicht merkt, wie die mit Muskatellersalbei gewürzte Kopfnote leise davonschleicht, einen sanften sauren Hauch hinterlassend, und in eine herrlich aromatische, grüne und bittere Trockenheit übergeht. Gerade der Übergang von sauer zu bitter ist so fein inszeniert, dass man beim ersten Schnuppern meint, die Kopfnote würde sich ewig hinziehen. Thymian ist in der Mitte sicher tonangebend, wird aber von einer anderen Note heimlich an die Wand gespielt: dem Curryblatt. Irritierend, überraschend und erfreulich, dieses in einer solchen Ausprägung in einem Duft wahrzunehmen. Hocharomatisch, würzig, für mich jedoch ohne kulinarische Assoziationen. Der Wacholder in der Basis sorgt für kristalline Klarheit, die Zeder und die Zypresse für balsamische Ruhe. Es harzt und knarzt, die Luft klar und würzig, der Morgen war kühl, aber es wird langsam sommerlich warm, und kein Dunstschleier verklärt mehr die Sicht. Ein Kontrast folgt dem anderen, und nichts schliesst einander aus. Das liest sich vielleicht ganz wunderbar, ist es tatsächlich auch. "I-I Terralba" widersetzt sich aber jeder Gefallsucht und jedem kommerziellen Gedanken, sperrt, verschliesst und stösst vor den Kopf, um im nächsten Augenblick unschuldig und zebrechlich hinter der Zypresse hervorzublinzeln. Ich will doch nur spielen... Hier findet allerdings kein Flirt mit der Italianità und der touristischen Vorstellung derer statt. "I-I Terralba" ist ein Vexierspiel: Wo in Sardinien habe ich diesen Duft wahrgenommen? Haben diese zwei Duftnoten wirklich so miteinander stattgefunden? Und mag ich sie überhaupt? Wie erinnere ich mich an den Urlaub in Sardinien? Und wie will ich mich daran erinnern? Mit einem die Vergangenheit verklärenden Filter in Sepia? Oder als eine Zeit voller Kontraste, Wiedersprüche und Ambivalenzen? Und was das alles überhaupt in Sardinien?

Ich bin hingerissen von "I-I Terralba", werde ihn aber vermutlich nicht bei mir einziehen lassen. Er ist wunderbar durchdacht und unglaublich gekonnt umgesetzt. Gleichzeitig ist "I-I Terralba" auch anstrengend. Ich kann ihn nicht mit einer Selbstverständlichkeit tragen. Sobald er an mir ist, muss ich dauernd am Handgelenk schnüffeln. Ja, weil er ein Charaktergesicht hat, nicht unbedingt klassisch schön, aber so faszinierend, dass man die Augen nicht davon lassen kann und immer wieder hinsehen muss. Gleichzeitig verspüre ich den Drang (Zwang?), ihn zu erfassen und zu verstehen. Bisher vergeblich. Er lässt mich fasziniert und ratlos zurück, verschwindet viel zu schnell und lange bevor er sich mir erschlossen hat. Ich weiss auch nicht, wo und in welchen Situationen ich "I-I Terralba" tragen könnte. Im Alltag? Zu intim. Im Urlaub? Zu melancholisch. Beim Weggehen? Zu intellektuell. Zu Hause für mich? Nicht, wenn ich entspannen möchte. So bleibt "I-I Terralba" wie eine kurze, faszinierende Bekanntschaft, Anziehung inklusive. Man freut sich, dass sie stattgefunden hat, verspürt aber keine Reue, dass nichts daraus entstanden ist. Vielleicht nur ein wenig in Sepia-Filter getauchte Melancholie.
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