Salander

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Salander vor 4 Jahren 74 30
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Duft
Im Zweifel für den Zweifel
Was haben Roja Dove, Sylvaine Delacourte und Gilles Thévenin gemeinsam? Wer kennt die Antwort? Richtig, Guerlain. Das Traditionshaus beschäftigt die talentiertesten Parfümeure und Kaufleute, von denen einige später den Weg in die Selbständigkeit einschlagen. Roja Dove und Sylvaine Delacourte bringen unter ihren eigenen Namen heute Parfüm auf den Markt, nicht so Gilles Thévenin. Zu ihm aber gleich noch mehr, lasst uns zunächst eine kleine Zeitreise unternehmen.

Wir befinden uns im 18. Jahrhundert in Frankreich. Pierre-François Lubin ist erst 10 Jahre alt und wohnt mit seinen Eltern unweit des Pariser Atelier von Jean-Louis Fargeon, bei dem er gerade eine Lehre beginnt. Der berühmte Parfümeur weckt die Liebe von Pierre-François bereits im Kindesalter für Duftessenzen. Der Junge Lubin ist 18, als er seinen Patron und damit auch die von der Revolution aufgewühlte Hauptstadt verlässt. In Grasse bildet er sich weiter, bei Tombarelli lernt er die „italienische Methode“ kennen. Als sich langsam die politischen Wogen glätten, kehrt er nach Paris zurück und vervollständigt sein Wissen bei seinem alten Mäzen. Lubin wird nicht nur zu einem hervorragenden Parfümeur, sondern auch zu einem äußerst geschickten Geschäftsmann. Er eröffnet seinen ersten Maison namens "Au Bouquet de Roses" in Paris. Lubin expandiert und exportiert seine Kreationen - als erstes Dufthaus überhaupt - nach Amerika. Zu seiner Klientel gehören unter anderem Kaiserin Joséphine, - die Gemahlin von Napoleon - der englische König George IV. und Zar Alexander I. Ruhm, Ehre und Vermögen pflasterten seinen Lebensweg. Nur eines wird ihm nicht vergönnt, es gibt keinen männlichen Erben, niemanden, der aus der Familie seine Manufaktur übernimmt.

Felix Prot, sein ehemaliger Lehrling und treuer Mitarbeiter, führt die Geschäfte weiter. Lubin wird zu einem erfolgreichen und unter mehreren Generationen von Familie Plot professionell geführten Unternehmen. Was dann Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts folgt, klingt zunächst einmal äußerst verheißungsvoll. Große Konzerne kaufen die Duftmanufaktur, aber weder bei Henkel, noch beim 4711 Fabrikanten Muehlens oder bei Wella wird Lubin ein Hit. Die Marke führt ein Schattendasein, geht zwischen den vielen Beautyprodukten kläglich unter.

Die Rettung naht 2004, als Gilles Thévenin, der bis dato der Kreativdirektor bei Guerlain und Marketingchef von Rochas war, einen folgenreichen Entschluss fasst. Er geht dabei im wortwörtlichen Sinne bis an die äußerste Grenze seiner Komfortzone und sogar darüber hinaus. Er verkauft sein gesamtes Hab und Gut. Über sein repräsentatives Haus, über seine Autos, seine Antiquitäten freuen sich bald neue Besitzer. Mit seinen eigenen Worten beschreibt er diese Zeit wie folgt: „Meine Großmutter hat geweint. Mit 45 war ich dann allein in einem Zimmer, einem ehemaligen Dienstbotenquartier. Aber ich war glücklich. Es war fast wie Heiraten. Ich wusste, ich werde mich dieser Firma widmen. Ich will die Qualitätsparfümerie am Leben halten".

Zu Beginn arbeitet er hauptsächlich mit zwei bekannten „Nasen“ zusammen, mit Delphine Thierry und mit Thomas Fontaine. Thomas ist der Architekt und auch der Indiana Jones der Düfte. Er baut seine Kreationen systematisch zusammen, Duftbaustein um Duftbaustein und errichtet so „Kathedralen“. Er ist auch der Meister der Reformulierungen. Delphine Thierry geht ganz anders vor, sie ist die Poetin unter den Parfümeuren, vermittelt Gefühle, Stimmungen, erzählt Geschichten. Sie ist auch die Schöpferin von Akkad.

In vielen Kommentaren und auf der Internetseite von Lubin steht, dass Akkad in Anlehnung an den mesopotamischen Herrscher von Akkad - Sargon - entstanden ist. „Die Essenz von Akkad ist das Geschenk der schönen Ischtar, die mich liebte und beschützte. Sie enthält die wertvollsten Salben von Pound und der Inseln des großen Meeres und derer, die noch viel weiter entfernt liegen. Dieses Ambra ist wie das Licht, das mein Königreich erhellt, der wertvollste Schatz meines Reiches“. (Zitat www.lubin.eu). Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die erste Inspiration für Akkad stammt aus der Provance, wo Delphine Thierry seit ein paar Jahren mit ihrer Familie lebt. Von ihrem Haus in einem kleinen Dorf führt ein Steinweg zum Fluss. Als sie an einem Sommertag auf genauso diesem Pfad entlang lief, dachte sie darüber nach, dass Steine durchaus einen subtilen Geruch haben. Sie genoss den Duft der Gewürze wie Thymian, Oregano und auch den der Zistrosen. Diese „leuchtende Gegend“, die verschwitzte Haut, ein Bad im Fluss am Ende eines heißen Augusttages, das ausgelassene und glückliche Gefühl, Sinnlichkeit, die heruntergehende Sonne waren die wahren emotionalen Quellen für Akkad. Die Fantasiewelten um den späteren Duft herum ließ Gilles Thévenin entstehen. Er begleitet jede Duftentwicklung, die gut und gerne ein Jahr dauert, bis die Kreation ausbalanciert ist und mit Namen, Flakon und Geschichte harmoniert.

Bitte verzeiht mir die lange Einführung. Mich faszinieren die Menschen hinter den Kulissen häufig genauso, wie ihre Kompositionen und ich finde deren Inspirationen anregend.

Thévenin gefiel schon die erste Duftkreation von Delphine Thierry sehr. Die Verbindung zwischen Sonne, Natur, Stein und Sinnlichkeit sprach ihn an. Und in der Tat, die flüchtige Schönheit der Kopfnote trägt die Sonne im Herzen. Diese leichtfüßige, zugewandte Art, die minimale Zitrik, die frischen Kräuter und das warme, sinnliche, leicht menschelnde Labdanum erobern auch mich im Sturm.

Das Mineralische erahnt man direkt. Diese Richtung assoziiert Gilles Thévenin mit einem Tempel. Auf seiner Anregung hin wurde im Duft der Weihrauch-Anteil erhöht, damit der heilige Aspekt ebenfalls betont wird. Durch balsamische Noten wie Harze, Styrax und Benzoe und auch durch Amber wird Akkad später „körperlich fühlbar“.

Die Pyramide lässt einen Dunklen Duft vermuten und spricht mich ehrlich gesagt überhaupt nicht an. Ich war völlig überrascht, dass obwohl Akkad „Noire“ daher kommt, der Duft erstaunlich hell glänzt. Diese Ambivalenz kommt nah an die Quadratur des Kreises heran und lässt erahnen, welch ein außergewöhnliches Talent Delphine Thierry besitzt.

An dieser Stelle würde ich in anderen Kommentaren darüber schreiben, dass Liebhaber von Weihrauchdüften unbedingt testen müssen. Dass alle, die NU von Yves Saint Laurent und Coco oder Coco Noire lieben, sich direkt in den Souk begeben und sich schnellstmöglich eine Abfüllung anschaffen sollten. Das tue ich aber nicht. Denn Akkad ist Nischenparfüm im besten Sinne des Wortes, Handwerk der großen Emotionen. Jeder sollte irgendwann in den Genuss von ihm kommen, denn nur wenige Düfte besitzen so viel Persönlichkeit und solch eine natürliche Aura wie dieses Parfüm. Dass Akkad nicht jeder tragen kann, ist dabei nicht ausschlaggebend.

Mein Fazit: Erforsche gelegentlich die Grenzen deiner Komfortzone, denn dort fängt das Abenteuer an. Und teste auch gegen deine Vorlieben. Im Zweifel für den Zweifel.

Quellen: "Das Duftkontor für aufregende Herren" - Die Zeit // "Düfte wie Kathedralen" - Handelszeitung // "Die Duft-Renaissance" - Manager Magazin // "Der Exzentriker der Düfte" - GEO // www.lubin.eu // Wikipedia
30 Antworten
Salander vor 5 Jahren 69 25
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Duft
"Ich möchte ein Parfum für Frauen, das wie eine Frau riecht!" - Coco Chanel
Als Karl Lagerfeld „der Große“ in die Einfahrt des Kosmetik-Hauptquartiers abbog, hatte er schon die fixe Idee im Kopf. Die Renovierung der New Yorker Boutique in der 57. Straße stand vor der Finalisierung, die Wiedereröffnung rückte immer näher. Zudem hat er gerade seine Métiers-d’art-Kollektion ins Metropolitan Museum verlegt. Diese Ereignisse sollte man doch neben der aktuellen Modekollektion auch mit einem neuen Parfüm feiern. Der Duft könnte 1957 heißen. Damals bekam doch Coco den Mode Oscar, den „Neiman Marcus Award for Distinguished Service in the Field of Fashion“ in Amerika verliehen. Es war das Jahr ihres Comebacks nach dem Krieg und in Übersee war sie danach noch lange Zeit sehr erfolgreich. Das wäre doch eine schöne Huldigung an Gabriele Chanel und an die Amerikaner. Oliver (Polge) wird sicher einverstanden sein. Und ihm fällt bestimmt auch etwas Großartiges ein, wie er seine Vorstellung mit einem Duft verbinden würde.

So oder so ähnlich wurde das 17. Parfüm der Serie „Les Exclusives“ von Chanel geboren.

Und jetzt, bevor ich an dieser Stelle mit der Parfümbeschreibung fortfahre, möchte ich gerne einen kurzen Umweg nehmen.

Im vergangenen Jahr wurde mit Parfüm weltweit ca. 40 Milliarden Dollar umgesetzt. Marken, Manufakturen, Maisons und Hersteller soweit das Auge reicht. Der Versuch, alle Neuerscheinungen zeitnah zu testen lässt erahnen, wie sinnlos sich Sisyphos bemüht haben musste, seine Aufgabe zu erfüllen.

Irgendwann, als ich das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in die Hand nahm, ging mir ein Lichtlein auf. Früher oder später werden die gleichen Themen in allen Zeitungen besprochen, lediglich mit einem anderen Schwerpunkt und meist nach der eigenen politischen Überzeugung differenziert dargestellt. Das was für diverse Magazine und Fachblätter gilt, bestimmt auch die Duftlandschaft. Trends werden auf dem ganzen Markt nach und nach von verschiedenen Herstellern aufgegriffen und unterschiedlich interpretiert. Heute laufe ich nicht mehr jeder Marke hinterher. Etat Libre d'Orange kann mir schon lange gestohlen bleiben. Wenn jemand Spaß daran hat, seine olfaktorischen Geisterbahnrunden zu fahren und gleichzeitig seine Synapsen zu teeren, kann er das gerne tun. Ich warte solange draußen.

Dagegen mag ich die meisten Kreationen von Guerlain und Chanel sehr. Meine Erwartungen werden von den beiden Traditionshäusern überproportional häufig erfüllt. Unter der Leitung von Thierry Wasser oder Olivier Polge ersinnt man keine "toxischen" Verbindungen, sondern Gedichte aus Molekülen, eine Duftaura, die die Trägerin umschmeichelt. Für mich sind die schönsten olfaktorischen Begegnungen weiblich, cremig, pudrig, floral und rein. 1957 ist in meinen Augen ein Volltreffer.

In der ersten Linie findet man hier einen Moschusduft, der in feiner Manier das tut, was er am besten kann, nach Sauberkeit, Reinlichkeit und Sinnlichkeit duften. Oliver Polge selber beschreibt 1957 wie folgt: „Seine Essenz, seine Basis ist weißer Moschus aus acht Varianten, kommt erst auf der Haut zu voller Blüte“.

Ich möchte ehrlich sein, bei einem Blindtest hätte ich eindeutig auch nur festhalten können, dass es sich hier um einen ätherischen femininen Moschusduft handelt. Daneben ist mir lediglich die Ähnlichkeit mit zwei anderen festen Größen aufgefallen. Die Duftrichtung, die Cacharel mit Noa erfolgreich gemacht und White Suede mit Leder veredelt hat, variiert der Parfümeur mit sanften Tönen von Jacques Polges Beige.

Oliver Polge hat mit 1957 einen wunderbaren Understatement-Duft in der Tradition seines Vaters und nach Coco Chanels Leitsatz geschaffen: "Ich möchte ein Parfum für Frauen, das wie eine Frau riecht!" Hand aufs Herz, wollen wir das nicht alle?

(Quelle: WELT - „Nicht Paris, sondern Amerika feierte Coco Chanel damals“)
25 Antworten
Salander vor 6 Jahren 31 14
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Duft
Legends never die
Es war einmal ein kleines Mädchen namens Heidemarie Jiline Sander, das an einem kalten Novembertag in 1943 in Hedwigenkoog an der Nordsee das Licht der Welt erblickte. Niemand ahnte, dass dieses niedliche zarte blonde Geschöpf irgendwann die Modewelt auf den Kopf stellen würde.

Schon als Kleinkind hatte sie eine große Affinität zu Hosen, wohlgemerkt in einer Zeit, in der Mädchen "obligatorisch" Kleidchen trugen. Ästhetik spielte in ihrem Leben eine immer größer werdende Rolle. Nach ihren beruflichen Anfängen bei verschiedenen Modezeitschriften fiel jemandem auf, dass sie bei Fotoshootings den Herstellern erklärte, wie sie sich die Kleidung vorstellte, damit sie diese für Magazine besser fotografieren lassen kann. Daraufhin hat die Faserfirma Trevira gefragt, ob sie Lust hätte, eine Kollektion zu entwerfen. Dies war der Beginn ihrer Karriere als Modedesignerin. Sie machte sich bald selbständig und eröffnete in 1968 ihre inzwischen legendäre Modeboutique in der Hamburger Milchstraße. Sie war äußerst kreativ, genau, veränderte Strukturen, experimentierte mit Hightech-Stoffen, die nicht knitterten, nicht kratzten, leichter waren. In 1975 gab es dann die erste Jil-Sander-Schau in Paris. Die coolen Teile definierten eine neue "clean chic"-Linine, irritierten das Publikum, wurden aber gleichzeitig von vielen bejubelt. Innovation setzt sich gewöhnlich nicht über Nacht durch. Die architektonische Ästhetik von Jil Sander war einfach viele Jahre ihrer Zeit voraus.1976 schaffte sie dann mit dem sogenannten Zwiebel-Look, der aus vielen miteinander kombinierbaren Einzelteilen und aus hochwertigen Materialien bestand, den internationalen Durchbruch.

Drei Jahre später erweiterte Jil Sander mit Lancaster ihre Produktpalette um die Duft- und Pflegeserie Jil Sander Woman Pure. Es folgten einige Düfte, die Parfümgeschichte schrieben und viele Liebhaberinnen fanden, so wie Sun, No. 4 aber auch Bad & Beauty.

Bad & Beauty war eigentlich eine Serie, die unter anderem Cream Bath, Shower Balm, Beauty Soap und Body Milk beinhaltete. Nichts davon habe ich damals gekauft oder getestet. Ich war viel zu jung, fühlte mich weder von ihrem zarten blonden Konterfei in der Werbung angesprochen, noch gehörte ich zu Ihrer Zielgruppe von wohlhabenden Frauen, souverän und mitten im Leben, häufig geschäftlich unterwegs. Ich lernte aber irgendwann Sun kennen und lieben, Scent 79, Sensations, Jil und Style. Die Welt von Jil Sander erschien mir interessant und ich kaufte mir im vergangenen Jahr blind einen Vintage-Flakon Bath & Beauty Eau de Toilette.

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, ein Duft ebenso. All die Beschreibungen, die Duftnoten haben mir nur wage vermittelt, was mich erwarten würde. Denn diese Duft ist für mich eine Studie zu No. 4, der Jahre später lanciert wurde, bzw. eine deutlich leichtere, verspieltere Variante. Die beiden "Schwestern" sind keine Zwillinge aber wo - obwohl absolut Präsent - ein Bad & Beauty aufschäumende Reinheit und Badespaß ins Spiel bringt, ist No. 4 eine selbstbewusste Frau im Hosenanzug. Im Auftakt lässt Jil Sander die Aldehyde tanzen, wodurch Bath & Beauty im ersten Moment androgyn erscheint. Ich kann danach Ingwer (nicht gelistet) erkennen, Koriander, moderaten Honig, einige herbe und angenehme Blüten die von Ylang-Ylang "versüßt", von Iris gezähmt werden. Ein klassischer Sauberduft ist B&B nicht, trotzdem umhüllt mich ein frisch gebadet Gefühl, das Stunden bleibt.

Dezent definiere ich gewöhnlich ganz andere Düfte, trotzdem hat Bath & Beauty etwas Zurückhaltendes. Ich nehme häufig einige Sprühstöße, wenn ich mich einfach nur für mich parfümieren möchte. Er ist stark, nicht im Sinne der Sillage, vielmehr hat der Duft eine gewisse Haltung. Feminin muss schließlich nicht immer sexy sein. Ausstrahlung, Charakter und Erscheinungsbild machen viel mehr von unserer Weiblichkeit aus. Eine selbstbewusste, unabhängige, moderne Frau kann, bzw. konnte Bad & Beauty perfekt in Szene setzen. Und umgekehrt. Dies wird auch der Grund sein, weshalb viele der Kundinnen von Jil Sander diese Aura heute noch herbeisehnen.

Aber wie sagte es Konfuzius 500 Jahre vor Christus in einem ganz anderen Zusammenhang schon sehr treffend: "Leuchtende Tage. Nicht weinen, dass sie vorüber. Lächeln, dass sie gewesen".

(Quellenangaben: Welt – Iconist: „Mode hat nicht denselben Stellenwert wie früher“// Wikipedia - Jil Sander // BR Fernsehen – „Mein Leben" // Ausstellung „Präsens“ - Frankfurt)
14 Antworten
Salander vor 6 Jahren 25 8
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
8.5
Duft
Neugier ist Mephisto, der Teufel Armani oder wie mich ein Frustkauf nach New York geführt hat
New York, die Stadt, die niemals schläft. Eine Metropole mit tausend Facetten, unzähligen Kulturen, einer Vielzahl weltberühmter Sehenswürdigkeiten. Armanis Huldigung an „Big Apple“ mit fast 20 Millionen Einwohnern ist ein Privé-Duft in einem schlichten weißen Flakon mit einem lilafarbenen Schild verziert, wie eine Marmor-Gedenktafel. Klingt nach einem Monument, vielleicht nach einer symbolischen Freiheitsstatue. Und ich könnte noch einiges in Optik und Habtik hineininterpretieren, wäre nicht jedes Privé-Flakon nach dem gleichen Schema designt.

Armanis Marketingabteilung ist mit allen (Weih)-Wassern gewaschen. Vielleicht ist der Auftakt von "Armani Privé - New York" deshalb sakral? Die Herrschaften führen uns ganz schön an der Nase herum. Das Team macht uns Konsumenten mit einem utopischen Preis glaubhaft, dass wir den luxuriösesten und begehrenswertesten Flakon in den Händen halten. Mit Limitierungen und künstlicher Verknappung gaukeln sie uns vor, dass die olfaktorische Gelegenheit nie wieder kommen wird, sollten wir nicht sofort zugreifen und die sowohl exklusive wie auch restriktive Auflage kaufen. Wir wissen es und trotzdem tappen wir immer wieder in die gleiche wohl-duftende Falle. Wir Menschen sind einfach so gestrickt, begehren das am meisten, was schwer zu bekommen ist.

Die Abfüllung von New York war ein Frustkauf. Ich liebe Iris und wollte unbedingt das hochgelobte Armani-Duftwasser "Nuances" testen. "Charm" hätte mich auch zufrieden gestellt. Wochenlang habe ich gelauert, stündlich in den Souk geschaut. Meine Neugierde wuchs und wuchs, mein Jagdtrieb wurde immer stärker. Es war aber nichts zu machen, niemand bot die Unikate an. Irgendwann entdeckte ich eine andere Schönheit aus der Privé-Serie, wurde kurzerhand abgelenkt, las die Bewertungen, klickte und kaufte. Nur eine kleine Abfüllung zum Testen, sonst würde ich vermutlich ein weiteres Weltwunder verpassen. : )

Gestern war ich dann soweit, der Test stand an. New York durfte mit mir nach Köln reisen. Wir fuhren gemeinsam ins Büro und ich war zuversichtlich, ein Armani beherrscht die Etikette und wird sich auch unter ehrenwerten Kaufleuten gut benehmen. Das tat er auch, nur gelegentlich lenkte er mich von der Arbeit ab, denn meine Phantasie lief auf Hochtouren. Ungefähr acht bis zehn Stunden verbrachte ich in zwei Paralleluniversen.

Mein Tag begann zur selben Zeit in den heiligen Hallen meines Arbeitgebers und in St. Patrick’s Cathedral, in der größten neugotischen Stil erbauten Kathedrale in den Vereinigten Staaten. Leider klemmte die Kirchentür und ich saß drei bis vier Stunden lang in diesem wunderschönen Bauwerk fest. Anfangs dominiert nämlich Weihrauch das olfaktorische Gesamtbild, die sakrale Präsenz ist allerdings sehr fein mit einem Sauberduft verwoben. Ehrlich gesagt erinnert mich die helle Ausstrahlung des Parfüms anfangs an Boadiceas "Exotic", nur ohne Lavendel.

Gegen Mittag durfte ich dann Richtung 5th Avenue weiterschlendern. Statt einer Armain-Boutique anzusteuern ging ich zielstrebig auf einen Tom Ford Store zu. Denn der Duft ist in der mittleren Phase "White Suede" ähnlich. Anteile von Leder sucht man vergeblich, stattdessen mischt eine leichte Cremigkeit mit. Langsam wird diese Note immer stärker. Fans von „Lilac Love“ oder „Cruel Gardénia“ kommen hier sicher auf Ihre Kosten. An dieser Stelle wurde mir die Reise fast zu anstrengend. Aber nur fast, weil der Duft auch einen kuscheligen, leicht pudrigen Twist bekommt. Wahrscheinlich lenkt hier Chasmeran ein, der holzig-moschusartige Duftnoten hat. Ein komplexes Zusammenspiel entsteht, geprägt von würzigen, fruchtigen, balsamischen und vanilleartigen Irgendizien.

Und somit endet meine Tour am Times Square, am Herzstück Manhattans. Hier pulsiert das Leben, die LED-Werbeflächen glühen, ein Taxi folgt dem nächsten, man kann sich aber auch in der Fußgängerzone entspannt hinsetzen und mit „People Watching“ die Zeit vertreiben. Der Duft fühlt sich so an, wie das bunte Treiben im Zentrum, spannend, aufgeweckt, angenehm und fröhlich.

Was ich an diesem Parfüm bemerkenswert finde ist, dass die Entwicklung ständig eine neue Richtung einschlägt. Sobald du meinst, du wärst ihm auf die Schliche gekommen, du weißt jetzt, wohin die Reise geht, stellst du erstaunt fest, dass du dich geirrt hast. Das macht den Duft ausgefallen, abwechslungsreich, ein bisschen unruhig aber absolut vielseitig und auch trendy. Eine künstlich verkappte Rarität, die durchaus eine Begegnung wert ist und wahrscheinlich in wenigen Tagen bei Bergdorf Goodman ausverkauft sein wird.

Neugier ist Mephisto und der eleganteste Teufel des hiesigen Mode-Planeten heißt Armani. Und New York? Auch außerhalb des Stadtteils Manhattan immer wieder eine Reise wert.
8 Antworten
Salander vor 6 Jahren 32 19
What is Your Impossible?
Wo beginnt für dich das Unmögliche? Wann gibst du auf? Was ist die Grenze? Wie weit würdest du für dein Ziel gehen?

Immer wieder nehme ich Düfte auf meine Merkliste, weil sie mich aufhorchen lassen, weil einige Beschreibungen meine Herzfrequenz erhöhen. Und dann, wenn ich selbige wieder bereinige, verschwinden die Wünsche, die mir auf den zweiten Blick doch nicht zusagen oder welche, die ich unerreichbar einstufe. Einige Träume lasse ich los, bevor sie begonnen haben. Bei "Fall Flowers" sah ich mich auch nur als Zaungast, obwohl ich Gurlain bevorzugt teste. Wer kann sich schon diese limited Edition in einem extra dafür designten handbemalten Porzellanflakon leisten? Und dabei habe ich erst nur über den Preis und nicht über die erschwerten Beschaffungsbedingungen nachgedacht.

Geht es hier nur um eine Komfortzone? Um geringes Vorstellungsvermögen? Um in eine zu enge Kiste gezwängte Phantasie? Um den konditionierten Alltag? Um mangelnde Leidenschaft für die Sache? Um zu wenig Zeit? Um langsam einsetzende Gleichgültigkeit für Neuerscheinungen aus der Retorte? Um das durchschnittliche Parfüm-Budget? Ich bin mir sicher, niemand hat diese Fragen ausschließlich mit „Ja“ beantwortet, die meisten aber zumindest ein-zwei.

Wie auch immer, es gibt Community-Mitglieder unter uns, die einen langen Atem haben und dadurch einiges möglich machen. Hier "Fall Flowers" im Sharing anzubieten würde ich natürlich nicht mit dem Bezwingen der Eiger-Nordwand vergleichen aber das geht schon in die Richtung das maximal erreichbaren des Parfumo-Wirkungsgrades. So hat mir ein "Big Player" zu meinem „Impossible“ verholfen. Nochmals vielen Dank dafür!

Als ich die Phiole aus dem Briefkasten herausholte, war es spät, bereits dunkel und ich war ziemlich müde. Trotzdem habe ich versucht, direkt nachdem ich in der Wohnung meinen Mantel abgelegt und die Sendung gierig geöffnet habe, einen ersten Eindruck am Sprühkopf zu erhaschen. Ich fragte mich, ob ich eine zukünftige Legende in den Händen halte. Es ging hier schließlich um einen streng limitierten und äußerst kostspieligen Guerlain. Ich konnte das erste laue Duftnebel nicht so richtig einordnen und verschob den Test auf den folgenden Tag.

Mit großer Spannung erwartete ich einen in das Orientalische abdriftenden, mit würzigen Akzenten durchwobenen Blumenstrauß. Das Thema ist schließlich Herbst, den ich mit einem Füllhorn, mit kuscheligen Noten, mit goldenem Licht assozieren würde. Ich, aber nicht Thierry Wasser und Delphine Jelk. Der Duft ist belebend aber auch ausgleichend. Eine fröhliche Stimmung verbreitet sich, eine leicht zitrische und eher grüne als liebliche Impression aus Sommer- und Herbstblumen. Die Süße, die Säure und die grünen Ingredienzien sind gut ausbalanciert. Auch wenn Gardenia nicht in der Pyramide gelistet ist, würde ich wetten, dass sie zum Bouquet gehört, Tuberose und Chrysanthemen vielleicht auch, Jasmin definitiv. Rose oder Ylang-Ylang habe ich gesucht, immer wieder am Handgelenk, im Gesamteindruck. Ihr erscheinen ist zögerlich, von Dominanz keine Spur. Sie treten nur im Chor auf, ihre Melodie wird aber von anderen Noten übertönt oder verhallt in der Mehrstimmigkeit.

Turandot hat Recht, wenn Sie die Kreation mit den typischen Signatureigenschaften von Chanel vergleicht. Denn: „She's got style, she's got grace, she's a winner - She's a lady“. (Tom Jones). Ein bisschen üppig ist sie auch aber zu jeder Jahreszeit und Stimmung tragbar und dezent dosiert wirklich schön. Eine leidenschaftliche Duftliebe ist trotzdem nicht aus uns geworden.

Der Flakon von Arita Porcelain ist traditionsbewusst und wird wohl niemanden ansprechen, der den Bauhaus-Stil bevorzugt. Die Romantiker unter uns sollten für dieses Design eher ein Faible haben. Eines ist sicher, die Investition könnte sich spätestens nach ein-zwei Generationen rentieren. Sammler geben heute schon für wesentlich unattraktivere alte Bakkarat-Behälter von Guerlain Unsummen aus.

Sillage und Haltbarkeit lassen ein wenig Luft nach oben, trotzdem sollte niemand die Präsenz des Duftes unterschätzen. Die „Fall Flowers“ begleiteten mich einen Tag lang durch den Herbst.

Die Aura dieses Odeurs erinnert mich übrigens ein wenig an Hermessence „Rose Ikebana“. Die beiden sind zwar keine Duftzwillinge, der Weg, den sie bestreiten, führt aber in die gleiche Duft-Richtung.

Und "What is your next impossible?" Ich habe "für den Fall der Fälle" „Djedi“ wieder auf meine Merkliste gesetzt.
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