Unterholz

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Unterholz vor 4 Jahren 12
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Haltbarkeit
8.5
Duft
Le Roi est mort, vive le Roi!
Dieser König ist nicht mehr. Apicius hat vor 9 Jahren prophezeit, dass man diesen Mittelfeld-Penhaligon’s einst einstellen würde. Esprit du Roi war 2011 eine Neuauflage eines Parfums mit gleichem Namen aus dem Jahr 1983. Zur 83er-Version kann ich nichts sagen, ich beziehe mich hier nur auf die Neuveröffentlichung.

Nun sehe ich das royale Abdanken nicht in seiner angeblichen Mittelklassigkeit begründet, sondern darin, dass die Effekte-gewohnten Konsumenten schlicht „griffigere Konzepte“ verlangen, als man in so einem etwas verschrobenen kräuterigen Herrenchypre erkennen könnte.
Dieser Duchaufour ist sicher handwerklich ein gelungenes Kunstwerk, bei genauerer Betrachtung aber weder Fisch noch Fleisch. Und wenig daran mutet königlich an. Er stammt aus einer Zeit, wo sich klassische grosse und laute Herrendüfte eine breite Fanbasis erwarben, die auch heute oft noch immer besteht. Warum das in den frühen 80ern diesem eher leisen Penhaligon‘s nicht gelingen mochte, kann ich nicht beurteilen, so meilenweit neben den Schuhen kann er allerdings mit seinem bisschen Tomaten-Extravaganz auch nicht gestanden haben.

Doch warum musste nun das königliche Haupt rollen? An der Qualität mag es ja kaum liegen, denn dieser Duft ist wirklich hochwertig gemacht. Entspricht die royalistische Betitelung zuwenig dem Zeitgeist?
Wenn man die neuesten Penhaligon’s Outputs anschaut, dann ist es ja gerade der Noblesse-Faktor, worauf die Marke setzt… allerdings nun auch mit einem Fünkchen britischem Humor ausgestattet, welcher dem armen Tomatenkönig wohl stets abging. Damit sähen wir das Scheitern also beim freudlosen Marketing, das in dieser langweiligen weissen Etikette ihren Konsens findet?

Sei’s drum, ich möchte hier nicht lange philosophieren, warum sich ein Produkt auf dem Markt bewähren kann und ein anderes nicht. Interessant ist aber schon, dass es am Duftkonzept allein nicht liegen kann, haben doch allerlei „altbackene“ Rezepturen in den letzten Jahren eine fast übertrieben gefeierte Renaissance erlebt. Etwa „Chypre Palatin“, „Sartorial“ (beide von Duchaufour), „Invasion Barbare“, „Masculin Pluriel“ (Kurkdjian) etc etc die alle besagen, dass Totgeglaubte oft länger leben.

Bei Esprit du Roi macht sich eine gewisse Ratlosigkeit breit. Dieser Duft kann sich nicht recht entscheiden. Der König regiert, aber er herrscht nicht.
In den Jahren, in denen ich mich mit Düften beschäftigte, hat sich mein Geschmack teilweise stark verändert, teilweise derart erweitert, dass ich heute Parfums zu meiner Sammlung zähle, die ich früher nie und nimmer gemocht hätte.
Sagten mir zu Beginn beispielsweise nur zitrische, relativ naturnahe Düfte ohne jede Süsse zu, so habe ich mich mit ambrierten, süsslicheren oder gar gourmandigen Düften auseinandergesetzt und oft auch angefreundet. Ähnlich ging es mit floralen Düften, die ich zu Beginn überhaupt nicht schätzte.

Und ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch gut an meinen ersten Test dieses Penhaligon’s . Ich hatte ein Pröbchen zusammen mit Endymion erhalten, wobei mir letzterer sofort gefiel.
An der royalen Kopfnote fand ich durchaus gefallen, kräuterig-minzig, dann folgt eine frische nicht zu extreme florale Seifigkeit im Herzen, wie ich es mag.
Die ganz leicht süsslich ambrierte Vetiver-Moos-Basis fand ich eher unpassend und sie liess mich etwas hilflos zurück. Ich habe ihn damals mit lediglich 6.5 Punkten bewertet und es dabei belassen. Mein Urteil muss meiner damaligen Alles-oder-nichts-Maxime unterworfen worden sein: gewürzig-exotisch oder zitrus-frisch. Dass dieser Ansatz nicht endlose Gültigkeit besass, merkte ich, seit ich anfing, die Klassiker von Guerlain & Co. zu testen, wo Zitrus-Komplexe und florale Herzen im Zusammenspiel mit einer wohltemperierten Vanille-Holz-Basis wunderbar funktionieren. Einige Kompositionen dieser Art halte ich für die grössten (und komplettesten) Parfums aller Zeiten.

Dieser Penhaligon’s ist im Grunde ziemlich klassisch arrangiert und man könnte ihn glatt übersehen, weil es doch nichts wirklich Neues darstellt. Die viel zitierte Tomaten-Note katapultiert ihn dann aber doch etwas aus dem Gewohnheitsmässigen heraus und ist vielleicht gerade der Stein des Anstosses für manche.
Esprit du Roi ist dennoch einen Test wert, falls man generell mit britischer Duftschmiedekunst was anfangen kann. Im Netz findet man hie und da noch günstige Restposten, auch ich habe bei einem solchen bedenkenlos zugegriffen.
Und musste den König überraschenderweise rehabilitieren.

Es lebe der tote König!
12 Antworten
Unterholz vor 4 Jahren 8
4
Flakon
5
Sillage
6
Haltbarkeit
9.5
Duft
Nichts ist gefährlicher in der Welt als Größe
Der Titel ist ein Zitat von Voltaire. Es thematisiert losgelöst vom Kontext, das Problem, dass man etwas Grosses nur definieren kann, indem man es über etwas „Geringeres“ hinwegsetzt.
Man könnte Grösse aber auch als Mass/Gefäss verstehen. Somit ist es problematisch, zu vergleichen, wo nicht verglichen werden kann oder gemessen, wo nicht gemessen werden soll, weil es um subjektive oder ethische Werte geht. Dennoch ist Messen und Denken in Grössen (im wissenschaftlichen Sinn) auch stets ein Antrieb für Fortschritt und Erkenntnis. Eine durchaus zweischneidige Sache also.

Nach guten 4 Jahren Parfumo-Abstinenz fällt mir auf, dass viele user hier den Fokus auf Performance ("S/H") haben. Ich bin der Ansicht, in der Kunst (zumindest sehe ich Parfum als Handwerkskunst) sollten auch stillere „Gewächse“ ihre Berechtigung haben. Und als heimlicher Revoluzzer ;-) möchte ich meinen ersten Kommentar deshalb einem Performance-Schwächling widmen, der mir dennoch ans Herz gewachsen ist und den ich für absolut daseinsberechtigt halte. Alle, die von jedem Duft Mördersillage und Haltbarkeit bis ewig abverlangen, dürfen an dieser Stelle getrost auschecken.

Ich kenne (noch) nicht das ganze Portfolio des Florenzer Parfumeurs, aber ich halte Villoresis schlicht nach/mit „Mann“ betiteltes Werk für (s)einen grossen Wurf. Von der Projektion her (um das Schandwort zu benutzen) ist es fast ein Cologne, ein vermeintlich leichter Herrenduft mit klassischen Elementen und doch hat er genug Eigenständigkeit (und Tiefe!) um stets wiedererkannt zu werden. Es macht hier auch nur wenig Sinn einzelne Noten herunterzubeten, das ganze ist ein Kunstwerk und gleichzeitig ein Stück gepflegter Toilettenkultur ohne Schwulst und Eitelkeit. Uomo hat dennoch genügend Selbstbewusstsein, hinter seiner sympathischen Bescheidenheit steckt charakterliche Beständigkeit. Ausdauer sind wichtiger als ständiges Inszenieren und Auffallen. Dieser Uomo ist der stille Schaffer im Hintergrund, einer, der nicht nur seine persönlichen Interessen verfolgt, sondern ein Menschenfreund ist, ohne diese Einstellung an die grosse Glocke zu hängen. Dieser Mann sieht Parfum als Gebrauchsgegenstand, wofür es kein Nach- und Bedenken braucht. Er drückt höfliche Zurückhaltung gleichermassen aus, wie ein gesundes Bewusstsein für (Psycho-)Hygiene.

Hauptthema in Uomo ist sicherlich der Lavendel, den Apicius in seinem Beschrieb mit Schwimmbad-Atmosphäre verbindet. Lavendel kann ja durchaus bissig sein, fast animalisch, herb, krautig, chlorig, gar ätzend. Einige Parfumeure stufen die Arbeit damit als schwierig ein.
Unzählige klassische/historische Mann-Kompositionen mit floralen Herznoten (von Chypres bis Fougères) verwenden diesen Baustein, so dass man Lavendel (in der traditionellen Parfumerie) gar als typisch „kerligen“ Duftbaustein bezeichnen könnte? Hier ein Fragezeichen. Während andere „Blüten“ (Rose, Jasmin etc.) in Männerparfums einst eher zaghaft eingesetzt wurden, war Lavendel stets ein Baustein, den man meist gut herausriechen konnte. Wenn ich an eigene Erfahrungen als Kind denke, dann würde ich Lavendelduft durchaus als etwas „Älteres“ sehen, nicht altbacken, aber erwachsen, im Sinn von reif. Aus dieser Perspektive begegnete man ihm etwa in Papas Rasierwässern und EdT oder in Wäsche-Duftsäcklein, ebenfalls viel bemühte Klischees, wenn es um Lavendel geht. Was mit der eigentlichen Dufterfahrung mit diesem typischen und unverwechselbaren Geruch wenig zu tun hat. Für mich ist Lavendel ein sehr vielseitiger, komplexer Duft (DEN Lavendel gibt es nicht!) der Nuancen von ätherischer Frische bis trocken-blumige Süsse abdecken und dessen Einsatz in Parfums umso vielgestaltiger ausfallen kann. Ein Lavendel-Absolue riecht komplett anders als der Extrakt der (reifen) Blüten. Dennoch scheint ein Trend in zeitgenössischen Parfums zu sein, auf den „Rausschmeisser“ Lavendel zu verzichten oder durch chemische Ersatzstoffe (Dihydromyrcenol etc.) zu ersetzen, was wiederum eine gewisse Verunsicherung im Umgang mit dieser eher naturnahen Duftnote begünstigt...? Auch hier ein grosses Theorie-Fragezeichen hinter diesem kurzen Exkurs.

Zurück zu Uomo. Der hat von allem etwas und genau so viel wie es braucht. Zitrusschalen bringen eine kühlende Cologne-Säure, Kräuter ergänzen & begrünen & beruhigen ebenfalls. Wie in einer guten Küche sind die Gewürze gewissermassen das Salz in der Suppe, sie stechen niemals heraus, aber ohne dieselben würde etwas fehlen und sie tarieren den Duft aus, der sonst eher ins Kühle geriete. Von einer Basis kann man bei Uomo fast nicht sprechen, denn durch die relativ schwache Duftkonzentration wirkt doch alles ziemlich isomorph, - aber nicht eintönig. Ich glaube dennoch einen gewissen Villoresi-Basis-Ton zu erkennen: eine dezente helle Holzigkeit (Sandelholz und Zeder), leichte trockene Seifigkeit (aber nicht Waschmittel, sondern echte Seife) gehüllt in einen samtigen pudrigen Nimbus ohne Süsse, der alles sehr elegant erscheinen lässt.

Gross ist dieser Uomo nicht. Aber, um es erneut mit Voltaire zu sagen: Mehr denn je sehe ich ein, dass man niemals etwas nach seiner scheinbaren Grösse bemessen darf!
8 Antworten
Unterholz vor 8 Jahren 17 12
6
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10
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9
Duft
Hommage à Böcklin oder ayurvedisch‘ Cojones
(Solo-)Patchoulis reizen mich normalerweise nicht so hochgradig, dass ich gleich dem Test-Reflex erliege. Und im Fall von Patchouli intense (der zuvor Patchouli homme hiess) rechnet man (nomen est omen) mindestens mit einer Bombe dieser Zunft. Zu diesem Testobjekt kam ich nun eher zufällig, als Teil eines Nicolai-Probenpakets à la surprise.
Patchouli ist ja ein wahnsinnig komplexer und je nach Herkunft und Destillationsverfahren sehr divergierender Riechstoff. Persönlich mag ich eher die soften Sorten, mit süsslichen, weichen, hautigen und nussig-schokoladig-gourmandigen Seiten (farbliche Assoziation=klarer Bernstein), nicht unbedingt die spröde-erdig-kampferigen (dickes Rot-Braun). Auf Edenbotanicals kann man sich beispielsweise ein interessantes Samplerpack mit den verschiedensten Patch-Rohstoffen zum Kennenlernen bestellen. Es ist meines Erachtens immer hilfreich, die Ausgangsstoffe zu kennen, wenn man etwas analysieren möchte. Falls man analysieren möchte. Es gibt ja das viel zitierte Gleichnis von der zerpflückten Rose, die eben – zerpflückt – keine Rose mehr ist… Mir persönlich nimmt das Zerlegen nicht die Lust an einer Kreation; im Fall dieses Nicolaïs steigt sogar meine Bewunderung für die wirklich überzeugende Arbeit der Parfumeurin.

Patchouli hab ich in zig Kreationen kennengelernt. Sowohl ziemlich pur(istisch) (Patchouly Indonesiano, Mazzolari, P. Roma usw.) als auch als unverzichtbarer Teil von Chypres oder Fougères. Dieser Nicolaï überraschte mich dann doch, denn ich hätte wohl blind nicht erkannt, dass es sich hierbei überhaupt um ein Patch handelt, obwohl selbiges nicht nur Namengeber, sondern gewiss auch Skelett oder Korsett des Duftes ausmacht, je nachdem, ob man es eher von innen her (als Chorda, Leitmotiv) oder von aussen (als Rahmen) wahrnehmen möchte.

Irritierend finde ich die etwas strenge, barbershop-angehauchte Eröffnungsphase, die einen mit verschiedensten Eindrücken herausfordert: Pudrig, süss, erdig, seifig-rosig, rasierwässerig, alles gleichzeitig, auch verhalten zitronig-frisch und mit der angedeuteten schönen krautigen Hintergrundstrahlung, die schon recht speziell ist. Das Patch ist stets erahnbar, wenn auch für mich schön bekleidet, quasi nackt verschleiert durch diverse andere Mitglieder des Ensembles, also kein lauter Solist. Ergänzend zur obigen Duftpyramide habe ich noch Lorbeer im Netz gefunden, der vielleicht in Kombination mit der Pelargonie (also etwas zwischen ätherischer Rosenessenz und der minzigen Frische von Geranien) für diese grüne Belebung sorgt. Ich denke auch an Artemisia oder Salbei, jedenfalls verpassen diese Krautakzente dem Ganzen Kante und Profil. Meisterlich dieses Zusammenspiel von „weichen“ und „harten“ Nuancen. Nichts tritt in den Vordergrund, jede Komponente nimmt sich im Zusammenspiel so zurück, dass alles perfekt ineinander greift. Nichts ist zuviel, nichts zuwenig - wie ein eingespieltes Kammerensemble.

Die ayurvedische Lebensphilosophie legt in Ernährungsfragen nahe, dass bei jeder Mahlzeit jede Geschmacksrichtung vorhanden sein sollte. Also: süss, sauer, bitter, salzig und von mir aus auch umami, will heissen: Essen mit "Cojones". Dieser Duft hat eindeutig alles davon.
Für mich maximal maskulin (was immer das wiederum heissen soll), dennoch zurückhaltend, mit Stil und Schneid. Es leuchtet ein, dass der Duft ursprünglich Patchouli homme hiess. Möglich, dass Patricia de Nicolaï die krautigen, rasierwasserartigen Noten des ursprünglichen EdT zugunsten der weicheren, puderigen und ambrierten Töne im EdP etwas zurückdimmte um den Duft auch der Damenwelt zu erschliessen(?) Ich bleibe allerdings dabei, dass dieser Nicolaï (eher) Männersache ist. Und für einmal genau mein Patch-Ding.

Ayurveda auf einen Duft übertragen: Ein Zitrussäurespritzer, Krautiges, Gewürziges, Blumiges, Holziges, Ambriertes, eine Ahnung Puder und sogar eine sanfte Spur (Weih-)Rauch, der die Basis wunderschön dunkel begrünt, wie die Zypressen Böcklins träumerisches Toteninsel-Gemälde.
Ernst, feierlich, und doch nicht traurig oder gar düster. Zeitlos. Es spielt Schuberts Streichquartett Der Tod und das Mädchen.
12 Antworten
Unterholz vor 8 Jahren 22 12
8
Flakon
8
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Lanze brechen
Aquaten und ich – das wird nich. Dachte ich zumindest immer. Ich kenne nur wenige aquatische Parfums, die mir gefallen und die ich auch öfter würde tragen wollen (Konjunktiv mit “!“).
Die chemischen Aspekte dieser Richtung (und das soll jetzt nicht wertend gemeint sein) sind mir zu anstrengend auf Dauer.
Nehmen wir beispielsweise Dihydromyrcenol. Ein Allerwelts-Cologne-Molekül, das an sich ganz wunderbar duftet. Leicht zitrisch, eben an Kölnischwasser erinnernd, mit sanftem Lavendel-Einschlag. Es wird gerne in männlich-frischen Kompositionen verwendet. Nicht nur in günstigen! Auch Nische mag nicht auf sowas verzichten. Recht prominent wurde DHM beispielsweise in „1828 - Jules Verne“ von Histoires de Parfums eingesetzt, was mir diesen recht schnell verleidete. Auch in Dior Homme ist ein guter Schuss davon drin! Bekannteres Beispiel aus dem Mainstream: Davidoffs „Cool Water“.
Anderes Molekül: Methylbenzodioxepinon alias Calone, in „New West“ (Aramis). Auch schön.
Oder Ambroxan, ein geniales Stöffchen, das jede mittelmässige Komposition aufzupeppen vermag und ihr Volumen und Grandeur verleiht. Nachzuriechen pur in Geza Schöns „Molecule 02“. Erinnert an gewisse Lösungsmittel und Weichmacher, aber auch an gechlorte Meerwasserpools, nur angenehmer natürlich.
Das alles sind zumindest etablierte Begriffe der Branche und ich anerkenne gerne die Lust, mit diesen Stoffen zu arbeiten und dass es Zigtausende gibt, die das dann später tragen wollen. Mich persönlich gruselt dabei eher und ich bekomme meist Kopfschmerzen von diesen Gerüchen. Hat nichts mit Synthetik per se zu tun, aber mit diesem speziell ozonischen Einschlag, der interessiert mich schlicht nicht die Bohne.

Silvana Casoli, eine meines Erachtens recht geniale Parfümeurin, hat sich mit „Pioggia Salata“ die schier unlösbare Aufgabe gestellt, die Illusion des Künstlichen (also Aquatischen) mit natürlichen (oder sagen wir naturnahen) Inhaltsstoffen zu bewerkstelligen.
Casoli kommt aus der Aromatherapie, der ja oft etwas Hausbackenes anhaftet. Irgendwelche ätherischen Öle zusammenmischen, dreimal linksherum quirlen und das dann vollmundig als naturgegebene Offenbarung anpreisen. Ähnlich wie heute jede x-beliebige Teemischung den Kleber „Detox“ oder sonst ein Stuss bekommt um eine gewisse Sparte von Leuten zu erreichen. Dass aber jeder Naturrohstoff auch oft einer nicht ganz sanften (meist chemischen) Behandlung bedarf, scheint von Naturfanatikern dabei munter ausgeblendet zu werden. Da ist mir „ehrliche“ Chemie manchmal lieber, da weiss ich wenigstens was ich bekomme. Ansonsten bin ich ja auch eher für Natur und wider alle unnötige Synthetik.

Pioggia Salata ist aquatisch, doch riecht es nicht aquatisch. Sofort blingt es auf: Meer, Sonne, Inselferien. Verdammt, wie gut ist das gemacht! Der Start ist leicht cremig-süsslich, floral, angenehm pudrig, weich und rund. Und eben frisch, perfekt für jeden Sommerurlaub am Meer oder wo man selbiges hinimaginieren will. Ich vermute relativ viel Moschus aus einer natürlichen Quelle, eventuell sogenannte Moschuskörner aus Hibiskussamen (Hibiscus abelmoschus L.). Ylang, Rose und andere florale Komponenten ergeben eine helle, angenehme Blütenstimmung. Aber ganz ohne Naturfeeling-Kante. Nichts ragt dabei hervor, alles sehr dicht verquirlt, um einen Fachterminus zu wahren ;-). Interessant auch, wie der deutlich herauszuriechende Eukalyptus sich langsam ins Bild schiebt, eben auch so, dass er nicht stört, aber den süsslichen Blütenpuder ein wenig relativiert. Aus blumig-unschuldig wird interessant-frisch. Definitiv unisex! Etwas Vergleichbares habe ich bis anhin noch nicht gerochen. Was die anderen Zutaten betrifft, will ich mich nicht auf Mutmassungen hinauswagen. Madame Casoli scheint zu wissen, was sie tut und welche Geheimnisse sie verrät und welche sie behält.
Chapeau für diese geniale Komposition. Der hochwertigste Aquat aller Zeiten?
12 Antworten
Unterholz vor 8 Jahren 32 15
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft
Traum des Replikanten
Ridey Scotts Film Blade Runner (1982) gilt als stilprägendes Science Fiction-Meisterwerk. Die nicht minder geniale Romanvorlage lieferte der dauergedopte SF-Vielschreiber Philip K. Dick, der Teile des Filmes noch zu sehen bekam, kurz bevor er im März ‘82 an Herzversagen starb. Der Film, mit einem bärbeissigen Harrison Ford in der Hauptrolle, war am box office kein Hit. Woran’s lag, ist schwierig zu sagen, vielleicht war Fords Rolle als wortfauler Meuchelcop Rick Decker nicht das, was das in Sachen SF eher an (fröhlich-bunten) Star Wars & Trek geschulte Publikum erwartete. Düsterer und misanthropischer, schmutziger Endzeit-Punk war visuelles Neuland. Jedenfalls hatte sich der Film dank diverser Videofassungen Jahre später eine treue Fanbasis erobert. Darüber hinaus vermochte die philosophisch angehauchte Story auch weniger an SF Interessierte in ihren Bann zu ziehen und so gilt der Film gilt heute an jeder Kunstschule als Vorzeigewerk. Eine Dystopie mit Tiefgang und grossartiger Optik, die ihr Vorbild wiederum in Fritz Langs Stummfilmklassiker Metropolis sieht. Ebenfalls ein Meilenstein aus filmmusikalischer Sicht ist der Soundtrack des griechischen Komponisten Evangelos Odysseas Papathanassiou, besser bekannt unter dem Künstlernamen Vangelis, der ein höchst artifizielles Klanguniversum beisteuerte, welches eigenständige Bilder verstörender Fremdartigkeit und Techno-Exotik evoziert.

Es geht um eine nicht allzu ferne dystopische Zukunft, in der künstliche Tiere und Menschen erschaffen werden, wobei letztere als billige Arbeitskräfte, Liebesdiener oder für militärische Zwecke eingesetzt werden. Ohne Rechte, wohlgemerkt. Bald einmal überfordert die raffinierte Menschenschaffung die Konrollmöglichkeiten ihrer Schöpfer und es wird selbst für Experten immer schwieriger, Mensch und Replikanten voneinander zu unterscheiden. An dieser Stelle kommen Spezialabteilungen zum Einsatz, deren Aufgabe es ist, mittels eines psychologischen Tests Androiden zu entlarven und schlimmstenfalls zu exterminieren (engl.: to retire). Es entspinnt sich eine durchaus spannende, aber einseitige Jagd nach ein paar geflohenen Replikanten, die in der molochartigen Megacity abzutauchen versuchen und nach dem Prinzip zehn kleine Jägermeister von Decker unzimperlich ausgeschaltet werden…
Zuletzt stellt sich Jägern und Gejagten die Frage, was denn nun eigentlich einen Menschen, Menschlichkeit, Menschsein ausmacht. Und es wird der verblüffende Schluss gezogen, dass in Sachen Empathie der homo sapiens wohl bald von seiner eigenen Schöpfung eingeholt wird…

Infusion d‘ Iris Cèdre ist ein Parfüm, das mich in seiner unterkühlt-mechanisch-futuristischen Reduziertheit sehr an Ridley Scotts Chef-d-oeuvre erinnert. Eine fast metallische Benzoe verbindet sich mit angesäuertem Vetiver, cremig-moussierend wie saurer Regen. Nichts ist wirklich, jeder Zustand ein Oszilieren zwischen widersprüchlichen Eindrücken. Die namengebende Iris wirkt so artifiziell wie all die puderig-frischen Moschusvarianten, von denen ich ebenfalls mindestens eine in Iris Cèdre vermute. Auch die Zeder ist eher Nachahmung, eher skelettale Skizze als nachgeahmte Natur, das will aber in diesem Fall nichts über die Qualität aussagen, weil alle Komponenten so aufeinander abgestimmt sind, dass man nur von einem höchst gelungenen Surrogat sprechen kann.

Iris Cèdre ist Duft eines neuen Zeitalters, ein Nicht-Duft. Nicht-natürlich, nicht-herzlich, nicht aus Fleisch und Blut, nur frisch, sauber und doch lebendig, auf eigene Weise organisch. Nicht-menschlich, in keinster Weise an menschliche Gerüche erinnernd, eher der Schatten eines abstrakten Menschenbildes. Plastik, Metall, Verbundstoffe, Nanotechnologie… eine Vision in widescreen, ein düster leuchtendes Bild unserer Zukunft.
Der Titel der Rezension ist Anlehnung an Dicks Romanvorlage „Do Androids Dream of Electric Sheep?“. Diese Frage wird im Buch nicht direkt beantwortet, doch kann man schliessen, dass Replikanten nicht träumen. Sie funktionieren. Jeden Tag, ohne Unterbruch bis ihre Zeit abgelaufen ist und ohne jedes intime Bedürfnis. Surrogate. Ohne jedes Bedürfnis.
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