17.10.2014 - 15:46 Uhr
Meggi
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Meggi
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28
Russkaja Banja
Wir haben eine Sauna im Keller. Kein nachgerüstetes Kabuff in einer Ecke, sondern einen eigenen Raum, den wir beim Kauf mit übernommen hatten. Vornehm, oder? Bestimmungsgemäß benutzt haben wir sie nie, wir lagern darin bloß dies und jenes. Dass ich vom Saunieren Abstand nehme, mag an einem traumatisierenden Jugend-Erlebnis liegen:
Anlässlich einer Chor-Reise in die Sowjetunion zum Jahreswechsel 1990/1991 waren wir in der Stadt Twer in Gastfamilien untergebracht. In meinem Fall hatten zwei Brüder je einen von uns aufgenommen. Höhepunkt an familiärem Lokalkolorit war - neben der Teilnahme am obligatorisch-traditionellen Neujahrs-Besäufnis - der Besuch einer Russkaja Banja, also einer russischen Badestube bei Bekannten „in der Nähe“. „Nähe“ ist in solch einem Land relativ, wie der folgende O-Ton-Dialog zwischen einem Dozenten eines Spätaussiedler-Seminars und einer just eingereisten Russland-Deutschen verdeutlicht: „Woher kommen Sie?“ – „Aus einem Dorf in der Nähe von Nowosibirsk.“ – „Aha. Wie weit entfernt von Nowosibirsk?“ – „Ungefähr 500 Kilometer.“
Derart weit war es zur Banja zwar nicht, aber den Höllenritt dahin habe ich nicht vergessen. In einem uralten Moskwitsch flogen wir in völliger Dunkelheit endlose, eisige Pisten entlang. Ich saß hinten in der Mitte. Anschnallen? Womit denn? Im Ernstfall hätte ich freie Bahn Richtung Frontscheibe gehabt. Unterwegs ab und zu ein Haus oder Weiler, einmal eine tiefgebeugte Babuschka am Straßenrand auf einem langen Fußmarsch von Irgendwo nach Nirgendwo. Bei Ankunft hätte ich keiner Sauna mehr bedurft.
Die Tafel dort krachte; offenbar hatten die Gastgeber die apparatschik-freie Abgeschiedenheit trefflich zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung genutzt. Im Gegenzug hatten sie womöglich gern in Kauf genommen, dass ihre Toilette ein halbes Fass war, welches - mit einem losen Deckel versehen – hinter dem Haus gänzlich im Freien über einer Grube stand. Drinnen kreiste der starke, hausgemachte Kräuterlikör flaschenweise. Auf der nächtlichen Rückfahrt war ich folglich tiefenentspannt; mir wird nur ex post ein bisschen schlecht beim Gedanken an den Pegel des Fahrers.
Die eigentliche Banja war eine stattliche Hütte. Nicht minder großzügig fielen die Aufgüsse aus. Unsere beiden Gastväter (mentalitätsmäßig wurden beide dem zweiten Teil des Begriffs nicht annähernd gerecht) meinten es damit derart gut, dass nach wohl kaum einer Viertelstunde allein die Flucht aus den unerträglich heiß wabernden Dämpfen blieb. Dafür, sich gegenseitig mannhaft die Rücken mit Birkenruten praktisch blutig zu dreschen, hatte die knappe Zeit allerdings gerade ausgereicht. Mit baumelnden Bananen standen wir anschließend in einer sternklaren russischen Winter-Nacht draußen im Schnee herum.
Ein einziges Mal habe ich mich seitdem an dem Thema Sauna noch versucht: im Wellness-Bereich eines gemütlichen, kleineren Hotels. Der war bloß leider unmittelbar unter dem Dach in einem Raum mit unangebracht großen Fenstern untergebracht, so dass man sich vergnügungssteuerfreierweise wie auf einem Präsentiertisch fühlte. Nein, mein Bedarf ist gedeckt. Lebenslang.
Sauna. Wie komme ich jetzt darauf? Ach ja, bereits mehrfach wurde hier die Assoziation in Kommentaren bemüht und sie liegt angesichts einiger Zutaten und vor allem Geruchseindrücke nicht fern (wenngleich die Russen es mit dem Kräuterkram angeblich nicht haben). Ich schließe mich für die erste halbe Stunde aber der Schwimmbad-Fraktion an. Der Auftakt von LVU befindet sich genau in der Mitte zwischen Goutals Eau d’Hadrien und Numero Uno von Carthusia. Den Hesperidien fehlt das Fruchtig-Saftige von EdH, ganz so getreidig-pelzig wie NO sind sie freilich wiederum auch nicht. Sondern mehr adstringierend-minzig-spitz. Das hat im Verein mit den Vorboten der Gewürze tatsächlich eine lustige Anmutung von gechlortem Badewasser. Ist doch eine nette Abwechslung, oft gibt es florale Noten, diesmal eine chlorale.
Derlei schwindet innerhalb von einer halben Stunde ein wenig und der Duft bekommt durch seine luftig gehaltenen Zitrusnoten in Verbindung mit den ätherisch-würzigen Kollegen, es seien lediglich Lorbeer, Salbei und Wacholder hervorgehoben, eine elegante, lässige, italienische Leichtigkeit analog der eines guten Anzugs gleicher Abkunft. Das gefällt mir sehr und ich bedauere, dass ich das Pröbchen nicht schon im Sommer bestellt habe. Obwohl die Gewürze zugunsten des Zitrus-Aspekts innerhalb der vier Stunden nach Beginn sukzessive an Boden gewinnen, bleibt der Duft für insgesamt fünf bis sechs Stunden distinguiert frisch. Er gewinnt sogar an Minzigkeit, die – so merkwürdig das klingen mag – langsam und den Stil erstaunlich lange wahrend von Vetiver abgelöst wird. Erst den krautig-moosigen Noten, die ab der sechsten Stunde für die letzten zwei, drei Stunden schleichend dominant werden, gelingt es, den Gesamteindruck stärker ins Herbe zu drehen. Sehr, sehr schön! Erinnert mich gegen Ende nun an den Ausklang von Cuba von Czech & Speake.
Fazit: Um nochmal den Bogen zum Titel zu schlagen: LVU ist kein Aufguss in der Russkaja Banja, sondern eine ordentliche Portion Italianità. Und definitiv eine Test-Empfehlung.
Anlässlich einer Chor-Reise in die Sowjetunion zum Jahreswechsel 1990/1991 waren wir in der Stadt Twer in Gastfamilien untergebracht. In meinem Fall hatten zwei Brüder je einen von uns aufgenommen. Höhepunkt an familiärem Lokalkolorit war - neben der Teilnahme am obligatorisch-traditionellen Neujahrs-Besäufnis - der Besuch einer Russkaja Banja, also einer russischen Badestube bei Bekannten „in der Nähe“. „Nähe“ ist in solch einem Land relativ, wie der folgende O-Ton-Dialog zwischen einem Dozenten eines Spätaussiedler-Seminars und einer just eingereisten Russland-Deutschen verdeutlicht: „Woher kommen Sie?“ – „Aus einem Dorf in der Nähe von Nowosibirsk.“ – „Aha. Wie weit entfernt von Nowosibirsk?“ – „Ungefähr 500 Kilometer.“
Derart weit war es zur Banja zwar nicht, aber den Höllenritt dahin habe ich nicht vergessen. In einem uralten Moskwitsch flogen wir in völliger Dunkelheit endlose, eisige Pisten entlang. Ich saß hinten in der Mitte. Anschnallen? Womit denn? Im Ernstfall hätte ich freie Bahn Richtung Frontscheibe gehabt. Unterwegs ab und zu ein Haus oder Weiler, einmal eine tiefgebeugte Babuschka am Straßenrand auf einem langen Fußmarsch von Irgendwo nach Nirgendwo. Bei Ankunft hätte ich keiner Sauna mehr bedurft.
Die Tafel dort krachte; offenbar hatten die Gastgeber die apparatschik-freie Abgeschiedenheit trefflich zur landwirtschaftlichen Selbstversorgung genutzt. Im Gegenzug hatten sie womöglich gern in Kauf genommen, dass ihre Toilette ein halbes Fass war, welches - mit einem losen Deckel versehen – hinter dem Haus gänzlich im Freien über einer Grube stand. Drinnen kreiste der starke, hausgemachte Kräuterlikör flaschenweise. Auf der nächtlichen Rückfahrt war ich folglich tiefenentspannt; mir wird nur ex post ein bisschen schlecht beim Gedanken an den Pegel des Fahrers.
Die eigentliche Banja war eine stattliche Hütte. Nicht minder großzügig fielen die Aufgüsse aus. Unsere beiden Gastväter (mentalitätsmäßig wurden beide dem zweiten Teil des Begriffs nicht annähernd gerecht) meinten es damit derart gut, dass nach wohl kaum einer Viertelstunde allein die Flucht aus den unerträglich heiß wabernden Dämpfen blieb. Dafür, sich gegenseitig mannhaft die Rücken mit Birkenruten praktisch blutig zu dreschen, hatte die knappe Zeit allerdings gerade ausgereicht. Mit baumelnden Bananen standen wir anschließend in einer sternklaren russischen Winter-Nacht draußen im Schnee herum.
Ein einziges Mal habe ich mich seitdem an dem Thema Sauna noch versucht: im Wellness-Bereich eines gemütlichen, kleineren Hotels. Der war bloß leider unmittelbar unter dem Dach in einem Raum mit unangebracht großen Fenstern untergebracht, so dass man sich vergnügungssteuerfreierweise wie auf einem Präsentiertisch fühlte. Nein, mein Bedarf ist gedeckt. Lebenslang.
Sauna. Wie komme ich jetzt darauf? Ach ja, bereits mehrfach wurde hier die Assoziation in Kommentaren bemüht und sie liegt angesichts einiger Zutaten und vor allem Geruchseindrücke nicht fern (wenngleich die Russen es mit dem Kräuterkram angeblich nicht haben). Ich schließe mich für die erste halbe Stunde aber der Schwimmbad-Fraktion an. Der Auftakt von LVU befindet sich genau in der Mitte zwischen Goutals Eau d’Hadrien und Numero Uno von Carthusia. Den Hesperidien fehlt das Fruchtig-Saftige von EdH, ganz so getreidig-pelzig wie NO sind sie freilich wiederum auch nicht. Sondern mehr adstringierend-minzig-spitz. Das hat im Verein mit den Vorboten der Gewürze tatsächlich eine lustige Anmutung von gechlortem Badewasser. Ist doch eine nette Abwechslung, oft gibt es florale Noten, diesmal eine chlorale.
Derlei schwindet innerhalb von einer halben Stunde ein wenig und der Duft bekommt durch seine luftig gehaltenen Zitrusnoten in Verbindung mit den ätherisch-würzigen Kollegen, es seien lediglich Lorbeer, Salbei und Wacholder hervorgehoben, eine elegante, lässige, italienische Leichtigkeit analog der eines guten Anzugs gleicher Abkunft. Das gefällt mir sehr und ich bedauere, dass ich das Pröbchen nicht schon im Sommer bestellt habe. Obwohl die Gewürze zugunsten des Zitrus-Aspekts innerhalb der vier Stunden nach Beginn sukzessive an Boden gewinnen, bleibt der Duft für insgesamt fünf bis sechs Stunden distinguiert frisch. Er gewinnt sogar an Minzigkeit, die – so merkwürdig das klingen mag – langsam und den Stil erstaunlich lange wahrend von Vetiver abgelöst wird. Erst den krautig-moosigen Noten, die ab der sechsten Stunde für die letzten zwei, drei Stunden schleichend dominant werden, gelingt es, den Gesamteindruck stärker ins Herbe zu drehen. Sehr, sehr schön! Erinnert mich gegen Ende nun an den Ausklang von Cuba von Czech & Speake.
Fazit: Um nochmal den Bogen zum Titel zu schlagen: LVU ist kein Aufguss in der Russkaja Banja, sondern eine ordentliche Portion Italianità. Und definitiv eine Test-Empfehlung.
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