UntermWert

UntermWert

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6 - 10 von 56
UntermWert vor 11 Monaten 29 22
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
zart angekümmelte, saubere Haut
meine Haut ist mein Kleid, meine Aura
ich schlafe in ihr, ich umhülle mich mit ihr + dekoriere sie
sie trägt mich wie selbstverständlich
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So habe ich ihn vor einigen Monaten kennen gelernt (mit liebem Dank an Misca by the way). Ein Hautdduft. Zart angekümmelt, aber nicht schroff schwitzig. Saubere Haut in Natur. Dennoch - mit leisem Bedauern dachte ich mir, Mimose ist irgendwie nicht mein Ding. Die ist aber eine zentrale Duftnote und könnte mir vielleicht in die Quere kommen. Also habe ich ihn beiseite gelegt. Auf Wiedervorlage.

Nun erlebe ich es zum wiederholten Mal, dass mich beim Jahreszeitenwechsel eine gewisse Duftunentschlossenheit überkommt, bei der sich gerne sogar ein Überdruss einstellen kann. So meide ich intensive, lieb gewonnene Düfte meiner Sammlung, um mir damit nicht etwa selbst eine Aversion zu konditionieren. Dann sind eher leise, unauffällige, unspektakuläre oder skinnige Düfte am sichersten. Und da ist er mir wieder eingefallen - und hier noch ein ganz entscheidender Hinweis (ebenfalls von Misca): es macht einen enormen Unterschied, ob man den Duft am Handgelenk testet, oder ihn „richtig“ trägt. Am Handgelenk kümmelt er leise vor sich hin und verpufft irgendwann. Aber wenn ich ihn aufsprühe, wie man das üblicherweise macht, dann legt er sich um mich, als würde die Haut selbst zum Kleid. Dabei erlebe ich trotz der Aldehyde keinen übermäßig strahlend-alerten Auftakt sondern eher eine zurückhaltende, aber konsequente Präsenz. Anheimelnd leise.
Ambrette und Moschus betonen alles, was Haut so sei kann - Weichheit, bedeckt von Flaum. Aber auch dieser Eindruck bleibt subtil. Im Duftverlauf stellt sich durch die Mimose eine zarte Süße ein, so, als ob da eine Blüte gelegen hätte. Und zu meiner großen Überraschung ist da auch Zibet, welches für mich erstmals keinen ungewaschenen Unterton hinterlässt.

In dieser Haut wurde geschlafen, sie ist süß und warm und vertraut.
Und sollte hier ein Verführer am Werk sein, so besteht seine Schamlosigkeit darin, in stiller Präsenz Geborgenheit herbei zu führen.
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Für mich tatsächlich der Inbegriff von Duftkunst. Ein Geschwisterduft von Ambilux, aber bedeutend zarter - und wenn er nicht als Parfum wahrgenommen würde, dann vielleicht als sehr angenehm menschelnd. Ich halte ihn somit auch für sehr alltagstauglich.

(nach dem dritten Test ist er nun eingezogen und hat sich von 8,5 auf 10 in mein Herz geschlichen)
22 Antworten
UntermWert vor 1 Jahr 30 30
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
8.5
Duft
Geheimer Garten
Wie ein lang vergessener, geheimer Garten. Das Tor Efeu-umrankt, verwittertes raues Gemäuer.
Ein Platz an dem sich die Kinder in Prinzessinnen, Feen und Ritter verwandeln, im Gras liegen und die Wolken beobachten. Aus der Zeit gefallen.
Hierhin zieht man sich zurück, um Tagebuch zu schreiben. Wenn man in seiner eigenen Nachdenklichkeit versinken mag, zwischen verklärten Erinnerungen und Sehnsucht.
Heute hat es dort geregnet. Eine kleine Hand streicht die Tropfen vom Fliederbusch, es ist ganz still, die Vögel zwitschern noch nicht. Alles nass und grün und blühend - vor grauem Himmel. In zarter Kühle strömen die Blüten und Kräuter nur ganz leise ihren Duft aus und entführen sanft in eine melancholische Traumzeitlupe in Pastell - zwischen Garten, Kinderzimmer und Großmutters Umarmung.
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Was will man über einen Klassiker berichten, der die Trends von 100 Jahren überlebt hat und der sich doch so anfühlt, als beträte man einen geheimen Garten, dessen Eingang irgendwann - von Ranken und Blättern zugewachsen - scheinbar vergessen wurde? Er offenbart in all seiner Zartheit eine diffuse Zeitreise in ebenso melancholische wie tröstliche Gefühlswelten, umhüllt mit friedlicher Präsenz. Die leicht bitter-kühle Inszenierung kann tatsächlich das Duftbild von Blüten nach einem Regenschauer evozieren.
Der Duft eröffnet sanft-frisch mit Weißdorn, Rosmarin und einem Hauch Lavendel. Im Verlauf kommen weitere Blüten hinzu, immer noch leise und keinesfalls opulent. Ich bin mir noch nicht sicher, ob für mein Empfinden nicht 1-2 Veilchen zu viel enthalten sind - zumindest für eine Weile. Da erinnert er mich an Insolence, den ich mal besessen habe, der mir aber irgendwann zu viel wurde. Die friedliche Melancholie der Basisnoten, wenn der Duft hautnah wird, ist im wahrsten Sinne des Wortes berührend.

Mit Après L'Ondée verbinde ich gleichermaßen den nachdenklichen Blick eines kleinen Mädchens, wie auch einer alten Frau. Und gerade, weil ich ihn als sehr feminin empfinde, wüsste ich sehr gerne, wie er wohl an einem Mann duftet.

Mit liebem Dank an Marieposa, die mich mit ihrem Statement so neugierig gemacht hat, und an Zippora für die Abfüllung.
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Bewertung: für das persönliche Dufterlebnis und die Qualität 9, für das Zuviel an Veilchen 7,5, ergibt sich für mich eine gute 8,5
30 Antworten
UntermWert vor 1 Jahr 37 51
6
Sillage
6
Haltbarkeit
9
Duft
ein Pullover erzählt...
Der alte, raue Wollpullover erzählt Geschichten von den Zeiten damals im Herbstwald. Vom Blick durch die kargen Baumkronen nach oben zum wolkenverhangenen Mond. Wie wir dort am Feuer gesessen haben. Wie wir die Kastanien geröstet und den schwarzen Kaffeesud aus blechernen Tassen getrunken haben. Feuerholz in der Dämmerung gesammelt, die Hütte winterfest gemacht.
Im Außen wurde es kalt, feucht und unbehaglich, dabei gleichzeitig langsamer und ruhiger. Gewärmt von innen, umhüllt von groben, aber weichen Fasern.
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Sweater Stories wirkt auf mich definitiv fordernd: der Duft beginnt kurz dissonant. Mit schwarz gebrannten Kaffeekastanien, Brandglut und "Gather-Animalik" im Kontrast zu einem initial kühlen Lufthauch, feuchten Blättern und mulchiger Herbstwald-Erde deutet sich zunächst die ungemütliche Seite der anthrazit-grau-braunen Jahreszeit an. Dann, im Verlauf und durch die Haut des Trägers erwärmt, steigt der Duft dunkel-pelzig, malzig-ambriert und weicherdig aus dem Kragen empor, um zunehmend heimeliger zu werden. Nun wirkt er beschützend und ruhig.
Besonders spannend finde ich, dass die mulchig-erdige Note anscheinend ohne Patchouli auskommt. Sie ist weich und wird auf der Haut auch warm. In Ananda's Gedicht erscheinen auch diffuse Bilder aus Kindheitserinnerungen und der Charakter des Duftes findet sich in der Verschlissenheit des Pullovers wieder... irgendwo unter dem Arm ein Loch. Ein ständiger Begleiter, der sich abnutzt und dabei immer schöner wird.
Ich habe eine alte Strickjacke, die so ist. Man könnte sie als häßlich bezeichnen, aber genau wegen der Erinnerungen, der Bildfragmente, die ich mit ihr assoziiere, ist sie eines der kostbarsten Kleidungsstücke, die ich besitze. Ein wahrhaftiges Stück Lebensgeschichte, immer da, besonnen und warm, wenn es drauf ankommt. Auf Sweater Stories muss man sich einlassen - dann wird er nach einigen Malen des Tragens immer weniger schroff, sondern vertraut und auf seine ganz eigene stille Art und Weise präsent.

Ich bin hier auf Parfumo wahrlich keine Expertin für Naturdüfte - immer wieder mal komme ich in den Genuss, welche testen zu dürfen, aber kein anderes (Indie-)Label hat mich bisher so berührt wie die Kreationen von Ananda Wilson.
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The incense of October
crocheted
into my old wool sweater I refuse
to give up. It's hooded and
so warm despite the whole hole
at the armpit seam I don't
know how to mend.
It's not grey
or brown,
or black, but just the color of wet bark on a
furrowed locust.
Its hug, a lap of stories.
--
(Auszug aus: sweater stories, ananda wilson. '22)

51 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 34 47
9
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
10
Duft
Baummeditation
Das Feuer ist schon lange erloschen. Der Ort, an dem es gebrannt hat, ist in friedlichen Frühnebel gehüllt. Die Stille fast hörbar. Der Herbst liegt schon in der Luft, aber das Moos am Boden ist noch warm. Tief dunkel und grün schmiegt es sich tagsüber an den Boden, während am Morgen winzige Tautropfen auf ihm tanzen. Die alte Eiche spendet eine trockene Umarmung. Unter ihren fürsorglichen Armen findest Du Schutz und Trost.
Wachholderrauchige Stimmen flüstern sanfte Beschwichtigungen.
Herbsüße Harze tauchen die verblassende Szenerie in einen sanften Braunton.
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Falling Trees eröffnet mit einem kühlen, trockenen Tanz von Wachholder und Weihrauch, still und meditativ. Ebenso leise gesellen sich weitere Harze, Baummoos- und Eichenaromen hinzu, mit einem Hauch Süße vom Benzoe. Aber wirklich nur einem Hauch. Eigentlich erlebe ich den Duft größtenteils schwebend-rauchig-holzig, eher herb, mit einem fast linearen Verlauf. Für mich der erste Rauchduft mit einer leicht angebrannten Note, der so zart daher kommt, als läge nur noch eine leise Erinnerung an ein Lagerfeuer in der Luft - oder vielleicht in den Haaren. Irgendwo in der Peripherie. Das Bild eines alten, ruhigen und behaglichen Schutz bietenden Waldes stellt sich ein. Nicht düster, eher grau-golden.

Auf einer amerikanischen Händlerseite wird der Bezug auf ein Zitat von Peter Wohlleben genommen, Förster und Autor, der sich seit langem mit den Geheimnissen und Wundern des Waldes beschäftigt und sich für eine ökologisch wie ökonomisch nachhaltige Waldwirtschaft einsetzt. Da ich die Textstelle nicht genau kenne, erlaube ich mir hier einen Auszug einer Buchbeschreibung zu zitieren:

„Erstaunliche Dinge geschehen im Wald: Bäume, die miteinander kommunizieren. Bäume, die ihren Nachwuchs, aber auch alte und kranke Nachbarn liebevoll umsorgen und pflegen. Bäume, die Empfindungen haben, Gefühle, ein Gedächtnis.“ (Das geheime Leben der Bäume, Peter Wohlleben)

Falling Trees ist wie eine Einladung, daran teilzuhaben. Ein Zufalls-10er für mich.

Mit liebem Dank an Vinyldates.
47 Antworten
UntermWert vor 2 Jahren 33 28
7
Sillage
8.5
Duft
Tanz im Boudoir (einige Tage später)
Die Zarin zieht einen Duftschweif hinter sich her, in der sich ihre eigene Aura und die ihrer Gespielen untrennbar miteinander verbunden haben. Nach mehreren Tagen fleischlichen Miteinanders. Vielleicht etwas drübergepudert - oder fein eingecremt - aber ohne ein Bad zwischendurch.
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Das Thema des Duftes ist meines Erachtens enorm gut getroffen. Animalisch, narkotisch, gleichzeitig edel und schmuddelig. Körpergeruch vermischt mit süß-floralen Noten.

Im Duftverlauf nehme ich bei La Tsarine zunächst viel Safran wahr, nicht scharf, aber doch sehr präsent, umspielt von einer süßen Honignote. Es folgt ein sanfter Übergang hin zu blumig-würzigen Noten, aus denen sich langsam eine laszive Tuberose herausreckt, begleitet von etwas menschelnd-würzigem. Hier treffen definitiv körperliche Duftnoten beider Geschlechter aufeinander, was interessanterweise dazu führt, dass die Tuberose nicht zu kaugummiartig süß wird, da gleichzeitig etwas raues, haariges dagegen hält (Kreuzkümmel).
Weibliche (Jasmin, Narzisse, Tuberose, Honig) und männliche Animalik-Noten (Kreuzkümmel, Costus, Bibergeil) toben miteinander, verschmelzen irgendwann symbiotisch zu einem ganz eigenen Hautduft. Feine Öle, Indolik, Haut und Schweiß verbinden sich zu einer einzigartigen Melange. Über allem schwebt die schwüle Süße der Tuberose, umrahmt von kerligen Noten. Man weiß nicht, wo der eine anfängt und der andere aufhört. Zwischendurch wurden Trockenfrüchte gefüttert.
Das Ganze beginnt eher sanft-lasziv, wird dann aber zunehmend leidenschaftlicher und "unanständiger". Trotzdem bin ich noch nicht ganz überzeugt - man kann ja viel in einen Duft hineinriechen, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, andere Statements und Rezensionen liest... "Aber Kissenschlacht ist das jetzt eigentlich nicht" möchte ich gerade denken, als die Zibetnote eine neue Verruchtheit ins Spiel bringt. Da lässt es sich nicht mehr leugnen - hier wurde nicht nur gekuschelt, und hier wurden die Spuren der sinnlichen Interaktion auch über längere Zeit nicht abgewaschen (und ich gestehe, da wird es mir auch zu viel).
Schließlich in der Basis bleibt die in Susan's Rezension trefflich beschriebene Hautnote. Ein Echo mit wissendem Lächeln.
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Fazit: hervorragend umgesetzt, man kann die Zarin förmlich vor sich sehen, gecremt, gepudert, in schweren Brokat gehüllt, der Geruch ihrer intimen Begegnungen hängt noch in Haaren und Klamotten. Selbstbewusst, indiskret.
Leider erlebe ich insgesamt die Noten am prominentesten, die ich auch am schwierigsten finde (zu viel Safran zu Beginn, Kaugummi-Tuberose in der Mitte und am Ende Zibet-Schmuddel...)... es ist also nicht mein Animale und ich bekomme von der Zarin deutlich mehr Information als ich haben möchte... ;-)
Dennoch: beeindruckend, spannend und unbedingt einen Test wert.
Bewertung allgemein: 9 für das Konzept und die sehr gelungene Umsetzung
für mich persönlich: 7,5.



Mit liebem Dank an Susan.
28 Antworten
6 - 10 von 56