08.01.2023 - 09:48 Uhr
loewenherz
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loewenherz
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Das Grauen in seinen Augen
Vor ein paar Jahren habe ich ganz in der Nähe einer hübschen, kleinen, inhabergeführten Kinderboutique gewohnt, wie es sie in den kernsanierten Gründerzeitvierteln unserer Großstädte viele gibt. Schmuseweiche Alpakajäckchen in nude und greige, liebevoll aufgearbeitetes Vintage-Holzspielzeug aus Holland und in der Normandie handgemachte Matrosenkleider, dazu hochwertige Duftkerzen und Grüner Apfel-Weizengras- oder Acai-Rote Bete-Smoothies, die die Mami auf der gelaugt-geölten Holzbank vor dem Laden trinken konnte, während die kleine Lotta im neuen Matrosenkleid neben ihr in der Sonne spielte.
Quasi das 'Centerpiece' des Schaufensters des Ladens (der einen ganz ähnlichen Namen wie 'Zwergenkönigreich' hatte) war eine Kinderschaufensterpuppe aus den 50er oder 60er Jahren des letzten Jahrhunderts: ein grundguter, pausbäckiger, hummelfigurenartiger Junge, der in seinem in Flandern handgenähten Flachshemd und der sorgfältig abgebeizten Kiefernholzente zum hinter-sich-Herziehen einfach herzig aussah. Wir mochten den Laden mit dem Jungen und den Acai-Rote Bete-Smoothies eigentlich ganz gerne - seine Betreiberin nähte nette, kleine T-Shirts aus alten Küchenhandtüchern und nahm auch gerne unsere Päckchen an.
Eines Tages hatte der Hummelfigurenjunge im Schaufenster kein rechtes Auge mehr.
Wer schon mal eine Puppe ohne Augen gesehen hat, der weiß, wie dämonisch das aussehen kann. Der Rest des Ladens war wie immer, aber mit dem Jungen mit der leeren Augenhöhle wirkte plötzlich alles anders, gespenstisch, falsch. Die Inhaberin hat später erzählt, dass sie beim Umdekorieren versehentlich das Auge in den Kopf der Puppe gedrückt hat und es dann nicht mehr herausbekam. Aber ähnlich wie singende Kinder in Horrorfilmen - aus dem Nirgendwo in einer seit Jahrzehnten verlassenen Schule - hatte das Zwergenkönigreich seine Unschuld verloren und war im Viertel nur noch als 'der Laden mit der creepy Puppe' bekannt.
Die meisten Gourmanddüfte - und Beauforts Lignum Vitae ist seinem Wesen nach ein solcher - haben als prägendes Charakteristikum etwas Intimes, Warmes, Tröstliches, mitunter Reines - so wie das Zwergenkönigreich mit seinen Duftkerzen und Alpakajäckchen und der gelaugt-geölten Holzbank vor dem Laden. Doch wäre Beaufort nicht Beaufort, gäben sie nicht etwas Unerwartetes hinzu, etwas (Ver-)Störendes - etwas, das dem Gourmandigen den Frieden nimmt und stattdessen etwas Erschütterndes und Aufwühlendes beigibt. Doch anders als beim augenlosen Hummeljungen könnte ich nicht sagen, welche seiner Duftnoten es ist.
Der schwarze Pfeffer ist es nicht. Zwar hat auch der etwas latent Störendes, doch ist er zu kurz und nicht ausreichend präsent dafür. Zitrus kommt auch in Frage - und scheidet gleichfalls aus, nein, Zitrus ist es nicht. Doch jenseits von warmweicher Kuchen-Weihrauch-Moschuswonne (und entgegen seinem lebenszugewandten Namen) ist da etwas Unnahbares, ist da ein Akkord, der nicht unangenehm ist, aber fremd - distanzgebietend, vielleicht fast ein bisschen einschüchternd. So reiht auch Lignum Vitae sich ein in die Beaufortsche Phalanx irritierender, schwieriger Düfte, die seziert und 'erkannt' werden wollen - und nie einfach nur genossen.
Fazit: irgendwann hat jemand ihr gesagt, wie unheimlich alle den augenlosen Hummeljungen finden. Man konnte das wohl nicht oder nur schwierig reparieren, und so verschwand er eines Tages aus dem Schaufenster, und das Zwergenkönigreich fand seinen Frieden (scheinbar) wieder. Nur manchmal haben wir uns noch gefragt, ob er jetzt irgendwo im Halbdunkel des Lagers mit leerer Augenhöhle auf aufgestapelte Kartons mit Duftkerzen und Alpakajäckchen starrt. Wie auch in Lignum Vitae jenseits von warmen Hölzern, von Vanille- und von Keksakkorden tief unten in der Basisnote ein namenloses Grauen haust...
Quasi das 'Centerpiece' des Schaufensters des Ladens (der einen ganz ähnlichen Namen wie 'Zwergenkönigreich' hatte) war eine Kinderschaufensterpuppe aus den 50er oder 60er Jahren des letzten Jahrhunderts: ein grundguter, pausbäckiger, hummelfigurenartiger Junge, der in seinem in Flandern handgenähten Flachshemd und der sorgfältig abgebeizten Kiefernholzente zum hinter-sich-Herziehen einfach herzig aussah. Wir mochten den Laden mit dem Jungen und den Acai-Rote Bete-Smoothies eigentlich ganz gerne - seine Betreiberin nähte nette, kleine T-Shirts aus alten Küchenhandtüchern und nahm auch gerne unsere Päckchen an.
Eines Tages hatte der Hummelfigurenjunge im Schaufenster kein rechtes Auge mehr.
Wer schon mal eine Puppe ohne Augen gesehen hat, der weiß, wie dämonisch das aussehen kann. Der Rest des Ladens war wie immer, aber mit dem Jungen mit der leeren Augenhöhle wirkte plötzlich alles anders, gespenstisch, falsch. Die Inhaberin hat später erzählt, dass sie beim Umdekorieren versehentlich das Auge in den Kopf der Puppe gedrückt hat und es dann nicht mehr herausbekam. Aber ähnlich wie singende Kinder in Horrorfilmen - aus dem Nirgendwo in einer seit Jahrzehnten verlassenen Schule - hatte das Zwergenkönigreich seine Unschuld verloren und war im Viertel nur noch als 'der Laden mit der creepy Puppe' bekannt.
Die meisten Gourmanddüfte - und Beauforts Lignum Vitae ist seinem Wesen nach ein solcher - haben als prägendes Charakteristikum etwas Intimes, Warmes, Tröstliches, mitunter Reines - so wie das Zwergenkönigreich mit seinen Duftkerzen und Alpakajäckchen und der gelaugt-geölten Holzbank vor dem Laden. Doch wäre Beaufort nicht Beaufort, gäben sie nicht etwas Unerwartetes hinzu, etwas (Ver-)Störendes - etwas, das dem Gourmandigen den Frieden nimmt und stattdessen etwas Erschütterndes und Aufwühlendes beigibt. Doch anders als beim augenlosen Hummeljungen könnte ich nicht sagen, welche seiner Duftnoten es ist.
Der schwarze Pfeffer ist es nicht. Zwar hat auch der etwas latent Störendes, doch ist er zu kurz und nicht ausreichend präsent dafür. Zitrus kommt auch in Frage - und scheidet gleichfalls aus, nein, Zitrus ist es nicht. Doch jenseits von warmweicher Kuchen-Weihrauch-Moschuswonne (und entgegen seinem lebenszugewandten Namen) ist da etwas Unnahbares, ist da ein Akkord, der nicht unangenehm ist, aber fremd - distanzgebietend, vielleicht fast ein bisschen einschüchternd. So reiht auch Lignum Vitae sich ein in die Beaufortsche Phalanx irritierender, schwieriger Düfte, die seziert und 'erkannt' werden wollen - und nie einfach nur genossen.
Fazit: irgendwann hat jemand ihr gesagt, wie unheimlich alle den augenlosen Hummeljungen finden. Man konnte das wohl nicht oder nur schwierig reparieren, und so verschwand er eines Tages aus dem Schaufenster, und das Zwergenkönigreich fand seinen Frieden (scheinbar) wieder. Nur manchmal haben wir uns noch gefragt, ob er jetzt irgendwo im Halbdunkel des Lagers mit leerer Augenhöhle auf aufgestapelte Kartons mit Duftkerzen und Alpakajäckchen starrt. Wie auch in Lignum Vitae jenseits von warmen Hölzern, von Vanille- und von Keksakkorden tief unten in der Basisnote ein namenloses Grauen haust...
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