05.02.2023 - 11:17 Uhr
Marieposa
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Marieposa
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29
Die Ballerina mit den Libellenflügeln
Der beißende Geruch von Leim umfing sie in Stille und Dunkelheit, bis ein kratzendes Geräusch und das Reiben von Plastik auf Plastik das Unvermeidliche ankündigten: Mit dem Erklingen des leiernden Liedes klappte die kleine Holzbox auf und beförderte sie mit einem mechanischen Schnappen ins gleißende Licht. Auf einem Bein und mit über den Kopf erhobenen Armen musste sie sich zum verschwimmenden Takt der Musik drehen, ob die wollte oder nicht. Die Halterung war schon leicht verbogen, sodass die Klänge jedes Mal kurz stockten, wenn ihr Fuß gegen den Rand der Kiste stieß.
Das Lächeln aufgemalt, die zarten Glieder von einer Plastikhülle umfangen.
Obwohl es eng und stickig in der kleinen Kiste war, wartete sie sehnlichst darauf, dass sich der Deckel wieder schließen würde und sie zurückkehren dürfe. Doch dieses Mal war etwas anders. Erst kaum merklich, dann immer stärker durchlief ein leises Vibrieren, ausgehend von ihrer Brust, ihren Körper. Die Schale, die sie umgab, schien zu schmelzen. Licht begann, sie zu durchfluten. Zunächst gelang es ihr nur, einen einzelnen Finger zu rühren, dann löste sie vorsichtig einen Arm aus der Pose und schließlich den schmerzenden Fuß, der ihr so viel Kummer bereitete.
Plötzlich war ihr Körper biegsam und geschmeidig, die Haut verbreitete einen goldenen Schimmer, während libellenzarte Flügel aus ihren Schulterblättern sprossen.
Zögerlich wagte sie einen Schritt nach vorn. Dann noch einen. Die Spieluhr dreht sich ohne sie weiter. Erleichtert streifte sie die Spitzenschuhe ab und fühlte zum ersten Mal den Boden unter ihren Füßen.
Im Aufatmen entdeckte sie eine Motte, die vor der Lampe vor dem geöffneten Fenster flatterte, als wolle sie ihr den Weg weisen. Zaghaft breitete sie die Flügel aus und schwebte schwerelos empor. Sie folgte der Motte. Hinaus. In die Nacht. Wo ein fluoreszierendes Glimmen sie im Garten erwartete. Wie Wilas wirbelten dort ätherische Gestalten im Kreis, sangen ein Lied, wie sie es noch nie gehört hatte.
Ihresgleichen!
Sie streckte die Hand aus und trat ein in den unendlichen Reigen.
**
„Post Tenebras Lux“ ist ein zutiefst eigenartiger und schwer zu fassender Duft. Für mich zumindest. Nach dem Aufsprühen schwingt er eine gesalzene Synthetikkeule, die mich an quietschiges Plastik, alte Sperrholzplatten und Holzleim denken lässt. Ein bisschen wie diese billigen Schmuckkästen mit Spieluhr, in denen eine Ballerina tanzt, wenn man sie öffnet. Angenehm ist anders, aber ich halte tapfer durch, denn der Duft ist zwar leise, aber sehr präsent und strahlt für mein Empfinden weit genug ab, dass es erst einmal kein Entrinnen gibt.
Und die Geduld lohnt sich, denn nach ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten geschieht etwas Magisches: Auf unerklärliche Weise wachsen die sperrigen, dissonanten Noten zusammen. Plötzlich erkenne ich einen Pulsschlag unter warmer Haut, ein harmonisches Ganzes, das vielleicht nicht organisch gewachsen ist, aber dafür ein diffuses goldenes Leuchten entsendet. „Post Tenebras Lux“ ist mehr Aura als Parfum. So etwas geht mir oft nach ein, zwei Stunden schrecklich auf die Nerven, weil mir der Verlauf fehlt, die Spannung, die Kontraste, aber mit diesem Duft fühle ich mich rundum wohl.
Als „hautnah“ würde ich den Duft übrigens nicht bezeichnen, außer vielleicht im übertragenen Sinne, weil es hier bei aller Synthetik tatsächlich gelingt, einen plausiblen Hautakkord zu simulieren. Der Duft ist so transparent, dass er seine Quelle nicht ohne weiteres preisgibt, folgt mir jedoch über Stunden und Stunden wie ein zärtlicher, einhüllender Schatten. Manchmal treibt mir diese überraschende Intimität eine leichte Schamesröte ins Gesicht, obwohl ich gar nicht genau definieren kann, warum.
Das Lächeln aufgemalt, die zarten Glieder von einer Plastikhülle umfangen.
Obwohl es eng und stickig in der kleinen Kiste war, wartete sie sehnlichst darauf, dass sich der Deckel wieder schließen würde und sie zurückkehren dürfe. Doch dieses Mal war etwas anders. Erst kaum merklich, dann immer stärker durchlief ein leises Vibrieren, ausgehend von ihrer Brust, ihren Körper. Die Schale, die sie umgab, schien zu schmelzen. Licht begann, sie zu durchfluten. Zunächst gelang es ihr nur, einen einzelnen Finger zu rühren, dann löste sie vorsichtig einen Arm aus der Pose und schließlich den schmerzenden Fuß, der ihr so viel Kummer bereitete.
Plötzlich war ihr Körper biegsam und geschmeidig, die Haut verbreitete einen goldenen Schimmer, während libellenzarte Flügel aus ihren Schulterblättern sprossen.
Zögerlich wagte sie einen Schritt nach vorn. Dann noch einen. Die Spieluhr dreht sich ohne sie weiter. Erleichtert streifte sie die Spitzenschuhe ab und fühlte zum ersten Mal den Boden unter ihren Füßen.
Im Aufatmen entdeckte sie eine Motte, die vor der Lampe vor dem geöffneten Fenster flatterte, als wolle sie ihr den Weg weisen. Zaghaft breitete sie die Flügel aus und schwebte schwerelos empor. Sie folgte der Motte. Hinaus. In die Nacht. Wo ein fluoreszierendes Glimmen sie im Garten erwartete. Wie Wilas wirbelten dort ätherische Gestalten im Kreis, sangen ein Lied, wie sie es noch nie gehört hatte.
Ihresgleichen!
Sie streckte die Hand aus und trat ein in den unendlichen Reigen.
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„Post Tenebras Lux“ ist ein zutiefst eigenartiger und schwer zu fassender Duft. Für mich zumindest. Nach dem Aufsprühen schwingt er eine gesalzene Synthetikkeule, die mich an quietschiges Plastik, alte Sperrholzplatten und Holzleim denken lässt. Ein bisschen wie diese billigen Schmuckkästen mit Spieluhr, in denen eine Ballerina tanzt, wenn man sie öffnet. Angenehm ist anders, aber ich halte tapfer durch, denn der Duft ist zwar leise, aber sehr präsent und strahlt für mein Empfinden weit genug ab, dass es erst einmal kein Entrinnen gibt.
Und die Geduld lohnt sich, denn nach ungefähr zehn bis fünfzehn Minuten geschieht etwas Magisches: Auf unerklärliche Weise wachsen die sperrigen, dissonanten Noten zusammen. Plötzlich erkenne ich einen Pulsschlag unter warmer Haut, ein harmonisches Ganzes, das vielleicht nicht organisch gewachsen ist, aber dafür ein diffuses goldenes Leuchten entsendet. „Post Tenebras Lux“ ist mehr Aura als Parfum. So etwas geht mir oft nach ein, zwei Stunden schrecklich auf die Nerven, weil mir der Verlauf fehlt, die Spannung, die Kontraste, aber mit diesem Duft fühle ich mich rundum wohl.
Als „hautnah“ würde ich den Duft übrigens nicht bezeichnen, außer vielleicht im übertragenen Sinne, weil es hier bei aller Synthetik tatsächlich gelingt, einen plausiblen Hautakkord zu simulieren. Der Duft ist so transparent, dass er seine Quelle nicht ohne weiteres preisgibt, folgt mir jedoch über Stunden und Stunden wie ein zärtlicher, einhüllender Schatten. Manchmal treibt mir diese überraschende Intimität eine leichte Schamesröte ins Gesicht, obwohl ich gar nicht genau definieren kann, warum.
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