Jicky (Eau de Parfum) von Guerlain

Jicky Eau de Parfum

MonsieurTest
12.05.2020 - 07:06 Uhr
42
Top Rezension
8.5Duft 9Haltbarkeit 8Sillage 9Flakon

Jicky ist tricky. Versuche, einen Klassiker schätzen & lieben zu lernen

Lesen bildet. Parfumo Lektüre - hier wie in Büchern - bereichert den Wissensschatz, steigert das Unterscheidungsvermögen und letztlich wohl auch den sinnlichen Genuss. Lektüregestützes Aufputschen des Empfindungsvermögens.
Oder warum und wofür schmökert Ihr hier herum?
Doch stellt die Vielleserei manchen auch vor neue Probleme: Etwa anschwellende, gar ausufernde Parfümsammlungen. Oder der Einzug von Klassikern, die so oft besungen und als historische Meilensteine eingestuft wurden, dass der Duftliebhaber diese nun persönlich kennen, besitzen und nach Möglichkeit auch schätzen oder gar lieben möchte. Das klappt manchmal ganz schnell und wie von alleine - manchmal bedarfs aber auch einiger Geduld und Übung.

Wird man reifer oder interessiert frau sich immer schon für alte Dinge, steigert das die Attraktion von Düften die schon seit 50, 100 oder gar 150 Jahren in allerlei historischen Settings eingesetzt wurden und für immer wieder 8 Stunden ihre 20 qm und Kontaktpersonen beeinflussten. Ein kräftiger Sprühstoss des zarten Eau de Cologne Imperiale und ab geht die Phantasiereise mit der Guerlainkutsche ins Paris von 1853. Ein Spritzerchen Jicky, und man denkt sich ins Paris von 1889, der Eiffeltum wurde gerade aufgebaut und die Massen bestaunen die Neuheiten der Weltausstellung. Unter anderem das erste mit synthetischer Vanille auftrumpfende Parfum: Jicky. 80 Jahre später soll es der Signaturduft des klassischen James-Bond-Mimen, Sean Connery gewesen sein. Und welcher Kerl würde nicht gelegentlich für einige Stündchen in dessen Haut schlüpfen wollen?

ABER: Ein Spritzerchen Jicky - und wir haben ein Problem! Neben und vor die guerlainmäßig elegante Mischung von Vanille und Lavendel, von feinst abgetönten Spuren der Rose und der Iris, des Ambers, Vetivers sowie weiterer Gewürze und Hölzer drängelt sich der berüchtigte animalische Duft der Zibetkatze. Auch wenn längst synthetisch imitiert, immer noch da. Der bleibt für einige Stunden, immer mal wieder an und abschwellend und würzt das Ganze interessant und reizvoll; aber für Herrn Test eben reizvoll durchaus im Sinne von irritierend: abstoßend und nur in schwächerem Maße anziehend.

Nun könnte man sagen: Na, dann halt Dich fern von Jicky, trag Vol de Nuit und Heure Bleue und Chant d'aromes (verfügen alle über ähnliche distinguiert altmodische Guerlinaden-Leckerbasis wie Jicky) und natürlich die für Messieurs eh näher liegenden Herrendüfte aus den Champs Elysées 68. Aber Jicky wohnt eben schon hier, und Herr Teste möchte gelegentlich zurück auf die Weltausstellung 1889. Was tun? fragt sich der Guerlaininist nun. Wir wollen Jicky tragen, aber wir wollen es irgendwie entschärfen. Dürfen wird das?

Wein oder Whisky?
Nie würde Herr Teste einen Burgunder oder Sauvignon blanc, einen Rioja oder Riesling mit Wasser oder gar mit Cola aufspritzen (wie es reichen Russen nachgesagt wird, die an der Cote d'Azur feinste Bordeaux' dieserart süffig machen und neureich prassend schänden sollen). Und doch erlaubt er sich - wie es die Connaisseurs Regeln im übrigen auch vorsehen - seinen Whisky mit Wasser zu strecken, seinen Portwein gelegentlich ebenso und letzteren, im Sommer, manchmal auch auf Tonic zu genießen. Jicky scheint mir in seiner Dichte und Wucht nun eher wie ein Porto (oder Whisky) als wie ein Wein. Mithin darf man mit seinem Zibet wohl die gleichen Schwierigkeiten und Umgangsweisen pflegen wie etwa mit den scharfen Torfröstaromen eines Islay Single Malts?

Versuche: vorsichtiger, kleinst möglicher Sprühstoss aus Jickys Bienenkorb-Flakon des EdPs. Eventuell statt des üblichen Handgelenks entferntere Körperpartien wählen?? Herr Teste kommt sich aber doch komisch vor, wenn er nun, Jicky zuliebe, plötzlich Knie oder Schritt beduften soll, um die Katze auf Abstand von seiner irritierbaren Nase zu halten.

Also versuchen wir es mit leichten Gegengewichten. Dafür layern wir wohl am einfachsten mit Düften, welche auch schon Lavendel und/oder Vanille enthalten. Fürs Zeitreise-Kino könnte man da zu Atkinsons English Lavender greifen (fährt mit der Guerlainkutsche nochmal 50 Jahre zurück) oder zu Carons Pour un homme (50 Jahre vorwärts mit dem Dampfzug ins 20 Jahrhundert). Oder wir greifen zu Puigs einfachem Agua Lavanda (Frank Sinatras Lieblingsduft aus den 1940er). Ja, doch: als Sinatra-Connery-Sohn mit dem schweren Jicky und dem leichten Lavendelwasser, das gibt nicht nur historisch großes Kino, sondern tut auch der Nase gut. Als nächstes will Monsieur es mal mit Vanille-Düften probieren. Und dann auch mal mit zitrusfruchtigen Colognes. Denn in Jickys-Kopfnoten sind ja Bergamotten und Zitronen und Mandarinen mit dabei, leider werden Sie bei mir arg schnell von der Katze geholt...

Klar ist: Wenn der Duft nicht zweifellos einen wunderbaren Drydown hätte, lange anhielte, guerlainsche Eleganz ausstrahlte, dann könnte man ihn einfach auf sich beruhen lassen, den Damen überlassen, ins Museum stellen und Abstand halten. Aber ich glaube: Jicky lohnt die Mühe und man sollte diesen Schatz von 1889 weiter, wenn auch womöglich variiert, tragen.
Das Haus Guerlain höchstselbst hat ja sein in anderer Hinsicht sperriges Habit Rouge (zitrische Kopfnote im EdT etwas stechend und dominant) wiederholt ganz formidabel remixed, etwa mit den weicheren und geschmeidigeren Habit Rouge L'Eau sowie Habit Rouge EdP und ferner mit den schwer zu bekommenden Habit Rouge Dress Codes. Gleiches gilt für die Vielzahl an Shalimar-Varianten. Also steinigt mich bitte nicht, liebe Jicky-Verehrerinnen und Verehrer, wenn hier nun heimwerkerisch ähnliches angedacht und versucht wird.

Nun noch ganz prosaisch: Die Sillage des EdP scheint mir stark, wenn auch weniger wuchtig als die von Shalimar. Die Haltbarkeit ebenso. Als Flakon fungiert der hübsch verschnörkelte, nun weit verbreitete Glas-Bienenkorb von Guerlains Damen-Klassikern; etwas desillusionierend wirkt nur die leichte Verschlusskappe aus Plastik, was das friktionsfreie Eintauchen ins Kutschen- und Eisenbahnzeitalter doch etwas hemmt.

Wer kann Jicky wo tragen?
Unisex ist ja schon abgehakt durch verbürgte Identität des Herrn Teste und seines Kronzeugen Sean Connery. Für Frauen ist dieser Duft selbstverständlich ebenso tragbar und vielleicht auch naheliegender. Für alle freilich scheint mir Jicky weniger ins Büro (außer vielleicht für die Weihnachtsfeier mit Hinterabsichten) und eher in den Abend zu passen. Ganzjährig außer im Hochsommer verwendbar. Bitte nicht in die Sauna oder zum Sport damit!
Die animalische Note gibt dem ganzen einen erotischen Touch, der mir freilich nicht so direkt daherzukommen scheint wie bei Jickys Tochter Shalimar, die eine Generation später das Pariser Licht der Welt erblickte.

Aber womöglich ist dies alles auch eine Frage der Hautchemie und der Nasen-Idiosynkrasien und Jicky wirkt bei anderen in dieser Hinsicht anders?
Denn klar ist: dieser Klassiker besteht aus ganz vielen Schichten und ist ziemlich fein gestrickt. Das merkt ihr bald, wenn Ihr hier in den vielen weiteren ausgezeichneten Kommentaren lest.
14 Antworten
PolyanthaPolyantha vor 4 Jahren
Wunderbar beschrieben! Ich werde ihn mal testen den Duft und hoffe ich muss dazu keinen Cul de Paris anlegen ;-)
0815abc0815abc vor 5 Jahren
1
Ein ganz und gar wunderbarer Kommentar.Jicky wohnt in jung und alt bei mir,zeitlos wie er ist,gelingt das mühelos.
PaloneraPalonera vor 5 Jahren
3
"Jicky" ist ein Meisterwerk, das ich erst vor einigen Jahren auf einer Parfum-Ausstellung in der Bretagne kennen und schätzen gelernt habe. Düfte, bei denen selbst ein halber Sprüher auf der Haut schon zuviel ist, entschärfe ich, indem ich sie vor mich in die Luft sprühe und durch den Nebel gehe - damit sollte auch Deine Zibetkatze etwas zahmer werden.
KonsalikKonsalik vor 5 Jahren
Steht bei Frau Konsalik im Regal. Mehrfach getestet, bei jedem Versuch anders - daher auch noch nicht besprochen: Wenn man so bemeistert wird, muss eine Besprechung misslingen. Du hingegen warst in Form!
TtfortwoTtfortwo vor 5 Jahren
1
Ich trage Jicky als Erinnerung an meine Mutter, der dieser Duft extrem gut gestanden hat (sie lebt noch, keine Angst, es geht Ihr gut, aber als dementer Schatten ihrer selbst in einer innerlich und äußerlich sehr, sehr klein gewordenen Welt) als Extrait. Dieses finde ich phänomenal elegant, ganz unglaublich sensibel balanciert, ungemein vielschichtig, feinst und innig verbunden und - solange anlaßmäßig dosiert - viel tragbarer. Nein, nicht ins Büro, never. Aber sonst schon.
TooSmell27TooSmell27 vor 5 Jahren
3
Zum Glück weckt Jicky nicht das Tier in mir, aber das passt mir ganz gut. Layern würde ich es nicht. Zu komplex und eigenständig.
Man kann den Duft tragen, wenn er denn behagt, aber man sollte sich auch nicht zwingen.
FittleworthFittleworth vor 5 Jahren
1
Überaus lesenswerter Kommentar!
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
Eure Weihnachtsfeiern scheinen recht interessant zu verlaufen.
Einen solchen spröden Klassiker für sich zu entdecken, kann spannend sein und den Horizont erweitern.
Helena1411Helena1411 vor 5 Jahren
In der Tat traue ich mich an diese Duft-Legende nicht heran, da ich starke Animositäten gegenüber Zibet habe. Dennoch hat Dein Kommentar mir Möglichkeiten zur ersten Annäherung geliefert. Dafür herzlichen Dank! Und natürlich auch einen goldenen Honigtopf!
KJVKJV vor 5 Jahren
Ach was, bei mir ist das Kätzchen ganz lieb :-)
YataganYatagan vor 5 Jahren
2
Schöne Annäherung an diesen Duft. Man braucht Zeit für Jicky, soviel steht fest.
ExUserExUser vor 5 Jahren
Ein Hoch auf's layern.
Herrlich, du wolltest entschärfen u. ich hab genau das Gegenteil versucht.
PollitaPollita vor 5 Jahren
1
Bei Guerlain glaube ich es gerne, dass ein Sean Connery diesen Duft getragen hat. Bei solchen Angaben bezügl. Creed zweifle ich da eher....
Schöner Kommentar!
OakOak vor 5 Jahren
2
Das ist ein wahrer Schatz! Klasse Beschreibung, habe ich gerne gelesen und natürlich rieche ich den Jicky auch gerne. ;-) LG