Aviance 1975 Cologne

Version von 1975
Helena1411
20.07.2022 - 04:29 Uhr
19
Top Rezension
8
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Ein grünes Juwel der Vergangenheit

Der Aldehyd-See brodelt bedrohlich, grün-gesprenkelte Seifenblasen steigen unablässig aus den dunkelsmaragdenen Tiefen des Sees fast schon verbittert empor, um im Sonnenlicht den goldenen Glanz vergangener Zeiten widerzuspiegeln.
Ein herbpflanzlicher Duft nach feuchtem Gras, durchbrochenen Pflanzenstengeln und bemoostem Baumrinden schwebt nebelschwer in der Luft, fängt die schillernden Seifenblasen auf und erweckt den beruhigenden Anschein eines sanftdämpfenden Grünteppichs über dem aufgebracht stürmenden Aldehyd-See. Zarte, den See umrandende Blütentriebe bleiben verschwommen hinter diesen von blattgrün über farngrün bis hin zu moosgrün changierenden Dunstschwaden, sie sind in ihrer zu vermutenden blumenreichen Vielfalt kaum auszumachen und wehen nur als diffuser zarter Blütentraum vollkommen von jedweder Lieblichkeit befreit zwischen den Nebelschlieren herüber und vermischen sich zu einem nicht in Gänze helllichten, aber auch nicht erdrückend dunklen Duftprismengobelin.
Trotz aller zuerst anmutenden Aufgebrachtheit lädt dieser zauberhafte Ort zum erinnernden Verweilen sowie wohlwollenden Innehalten ein, verströmt er doch die Magie vergangener, längst vergessener Leben.
Und wenn sich der Besucher erst einmal an diesem von der Aura einer verloren geglaubten Vergangenheit umwobenen Fleckchen zur Ruhe niedergelassen hat, dann umhüllen ihn dezent feingrasige, moosweiche Duftdecken der Erinnerung, umspinnen ihn mit einem zarten, kaum mehr herben, eher mildgrünen Gespinst, in dem er sich betten und in ein goldenes Zeitalter zurückträumen vermag.

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Aviance ist ein Chypre-artiger Duft, gänzlich unsüß, dafür in allen Grün-Facetten strahlender, leicht herb-bitterer Duft, dessen aldehyddominierter Einstieg einen direkt um Jahre in die Vergangenheit katapultiert.
Für ein Eau de Cologne hat er eine unglaubliche Haltbarkeit, ebenso eine raumgreifende, jedoch nie (zumindest bei 1-2 Sprühstößen) erdrückenden Sillage.

Er kommt aus dem Dufthaus Prince Matchabelli, benannt nach dem gleichnamigen georgischen Prinzen, der nach seiner Flucht 1921 in die USA aufgrund der russischen Revolution dann im Jahr 1926 besagtes Duftlabel gründete und als Amateur-Chemiker seine eigenen Parfums kreierte.
Aviance ist allerdings längst nicht mehr unter seiner Feder entworfen, da zum Erscheinungsdatum des Duftes 1975 das Dufthaus bereits einen dreifachen Wechsel der Firmeninhaber hinter sich hatte bzw. grundsätzlich an andere Firmen verkauft worden ist. Dennoch erweckt der Duft, obschon mit seinem Erscheinungsdatum ein Klassiker und meines Erachtens nach in einem Zuge mit Duftikonen wie Chanel No.19 - ebenfalls ein Duft der 1970er Jahre - zu nennen, eine Erinnerung an noch weiter zurückliegende Zeiten.

Ein wundervoller, gut austarierter Duft, der - wieder meines Erachtens nach - vollkommen unter dem Duftradar herläuft, sicherlich auch dem Einstellen der Produktion geschuldet, wenngleich sich mir nicht erschließt, aus welchem Grund im Vergleich zum bereits oben aufgeführten Chanel No.19, den ich im Übrigen ebenfalls sehr liebe.

Aber das ist nur meine ganz persönliche Einschätzung, auch wenn ich sie hier dringend mit Euch teilen wollte.

Denn vergangen bedeutet noch lange nicht vergessen …
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