Unkommentierte Düfte No. 37
Eine amerikanische Parfumeurin mit chinesischen Wurzeln, die eine deutsche Produktbezeichnung für ihren Duft wählt?
Eigenwillig!
Prompt ist in der Werbung von einem bayerischen (sic!), mittelalterlichen (sic!!) Wald die Rede, von einem König auf der Jagd, von Dunkelheit, einem düsteren Elixier. Woher kommen diese Bilder? Ein Anhaltspunkt:
„König Richard
Wohl durch der Wälder einödige
Pracht jagt ungestüm ein Reiter;
Er bläst ins Horn, er singt und lacht
Gar seelenvergnügt und heiter.
Sein Harnisch ist von starkem Erz,
Noch stärker ist sein Gemüte,
Das ist Herr Richard Löwenherz,
Der christlichen Ritterschaft Blüte.
»Willkommen in England!« rufen ihm zu
Die Bäume mit grünen Zungen -
»Wir freuen uns, o König, daß du
Östreichischer Haft entsprungen.«
Dem König ist wohl in der freien Luft,
Er fühlt sich wie neugeboren,
Er denkt an Östreichs Festungsduft -
Und gibt seinem Pferde die Sporen.“
(Heinrich Heine)
Diese oder ähnliche Klischees (oder sprechen wir neutraler doch von literarischen Bildern), abgeleitet aus deutscher Dichtung, mag sie auch noch so elitär sein wie die Heines, mögen viele vor Augen haben, wenn sie an dunkle Wälder, jagende Könige, männliche Jagd und dunklen Tann denken. Dann ist da im Pressetext zu allem Überfluss auch noch die Rede vom König in uns, vom modernen Mann: Jäger und Gentleman zugleich.
Spätestens jetzt wird es mir zu viel und ich würde den Duft im Geiste gerne abhaken.
Doch nichts von dem, was ich da lese, kann ich tatsächlich nachvollziehen. Der Duft ist modern, und zwar im guten Sinne des Wortes, ist geradezu innovativ. So klar und hell wie der durchsichtige Flakon und die hellgelbe Flüssigkeit ist aus meiner Sicht auch der Duft selbst. Bei mir jedenfalls wollen sich nur Assoziationen zu Licht, Luft, Äther, gemäßigter Kühle, alkoholischer Schärfe einstellen.
Betrachtet man die Duftnoten, die m.E. ausgesprochen gut nachvollziehbar sind, ist das Parfum innerhalb dieses Koordinatensystems sehr gut beschrieben. Zunächst rieche ich eine alkoholische Note, die mich ein wenig an Gin erinnert. Wacholder ist bei den Duftnoten zwar nicht angegeben, aber die charakteristische bittere Schärfe wird hier m.E. mit „aromatischen Bitternoten“ umschrieben. Auch die Zypresse ist in diesem Kontext mit ihrer hellen, scharfen Harzigkeit erkennbar.
In diesem Stadium kommen mir andere moderne Düfte in den Sinn, die mich in letzter Zeit beeindruckt haben und denen auch diese alkoholische, an Gin erinnernde Schärfe eigen ist: Comme des Garcons‘ Monocle Scent Sugi und Creeds Royal Exclusives Spice and Wood. Und tatsächlich hat mich mein Eindruck scheinbar nicht getrogen, denn bei beiden genannten Düften finden sich Übereinstimmungen in den Duftnoten. Bei Sugi ist es die Zypresse, Vetiver sowie Holznoten, bei Spice and Wood ist es der Apfel, Vetiver, Moschus und wiederum die starke Holz- sowie in allen drei Fällen: die Bitternote.
Aus meiner Sicht deutet sich da eine neue Duftfamilie an, die bisher schwer einzuordnen war, die sich aber mit einer wachsenden Zahl vergleichbarer Düfte (auch die anderen Düfte von Comme des Garcons aus der Monocle-Serie gehören im weitesten Sinne dazu) immer weiter konturiert.
Ein weiteres charakteristisches Element dieser Duftfamilie ist eine Pfeffernote und ein heller scharfer Auftakt, dem m.E. die Säure und Frucht von Hesperidennoten fehlt, die also trotz ihrer Leichtigkeit wenig colognetypisch ist, sondern sich vielmehr durch Bitterkeit und Schärfe auszeichnet.
Sollte ich eine Rangfolge dieser Düfte festlegen, dann würde ich mich zu allererst für Sugi (100%) entscheiden. An zweiter Stelle folgte dann aber bereits König (90%) und anschließend mit knappem Abstand die anderen genannten Düfte (80% - 90%: Spice & Wood, Hinoki und Laurel aus der Monocle-Reihe). Selten hat mich eine Duftfamilie der letzten Zeit so nachhaltig begeistert wie diese „Gin-Zypresse-Düfte“.
Die Besonderheit von „König“ (und ein wenig auch von Spice and Wood) ist dabei die Apfelnote, die mich eher an rote, nicht an säuerlich-grüne Äpfel erinnert und die dezente, untergründige Blütennote, die bei Sugi und Spice and Wood weniger stark ausgeprägt ist bzw. in der Gesamtkomposition untergeht.
Wenig nachvollziehbar ist für mich die Nennung von Amber und Leder, eher schon die saubere Frische von Moschus in der Basis. Amber und Leder verbinde ich mit weichen, warmen, ein wenig dunklen Noten. Diese fehlen hier aber vollständig.
Warum dieser Duft also mit dunklem Wald, einer Jagd, einem stolzen König assoziiert wird, erschließt sich mir kaum oder gar nicht. Am Ende also doch nur aufgesetzte Marketingstrategie? Sicherlich auch ein bisschen davon, aber diese These greift allein sicherlich zu kurz.
Hat es vielleicht etwas mit der asiatischen Mentalität der Parfumeurin Yosh Han zu tun? Haben wir es hier also mit dem asiatischen Bild eines europäischen Waldes, eines europäischen Herrschers zu tun? Ein neuer, ein anderer Blick dank asiatischer Mentalität, die der europäischen doch oft so fern und exotisch erscheint? Vielleicht sogar überdies durchbrochen vom amerikanischen Blick auf Europa?
Ich meine, dass Mentalitäten bzw. Weltanschauungen unser Bild von der Wahrnehmung ganz entscheidend mitformen. Wenn diese These nicht ganz falsch ist, dann haben wir es hier mit einer hochinteressanten Kreation zu tun, die das zum Klischee gefrorene Bild Heines umformt und aus asiatischer (und / oder amerikanischer) Sicht neu definiert und damit auf komplexe Weise durchbricht und etwas Neues erschafft. So wird aus dem Klischee des Pressetextes ein mutiger, ein anderer, ein innovativer Duft.