Hallo zusammen,
seit ewigen Zeiten bin ich schon auf der Suche nach einem speziellen Duft, bzw. eher einem Geruch, der bei mir eine regelrechte Explosion von Kindheitserinnerungen auslöst, aber inzwischen nur noch an wenigen Orten zu vernehmen ist. Ich bin ein 1988er Jahrgang und habe meine Kindheit im Ruhrgebiet verbracht, weshalb ich die letzten Jahre der Kohle-und-Stahl-Zeit miterlebt habe. Die Emissionen der Schwerindustrie waren für mich damals völlig normal, genau wie die unumstößliche Tatsache, „...datt dat Christkind Plätzchen backt“ wenn der Himmel (seltsamerweise auch bereits im Januar) mal wieder feuerrot leuchtete.
Den Geruch, der noch einige Monate nach Einstellung der Produktion über der Stadt lag, würde ich heute als ein „kaltes Stahlwerk“ bezeichnen. Natürlich war das kein expliziter Wohlgeruch, aber für „Nicht-Ruhrpöttler“ eben auch nicht direkt unangenehm, sondern einfach neutral und charakteristisch für die gesamte Region. Da die Rauchgasentschwefelung und vermutlich auch zahlreiche andere Verfahren zur Abgasreinigung bereits entwickelt und im Einsatz waren und dadurch „der Himmel über dem Ruhrgebiet schon wieder blau war“ geht es nicht um die faulige SMOG-Glocke bis zum Ende der 60er Jahre, sondern eher um einen (erstaunlicherweise sehr sauberen) frisch-steril-kalt-nassen metallischen Zement-Rostgeruch, der ein wenig an einen Regenschauer erinnert, der im Hochsommer unmittelbar auf der aufgeheizten und staubigen Straßendecke verdampft. Mit dabei waren auch immer dezente erdig-grüne Einflüsse, da das Ruhrgebiet notgedrungen eben grüner war, als die Mehrheit bis heute glaubt.
Heute lässt sich dieser Geruch noch in den dahinrostenden Industriebrachen erleben, zum Beispiel im Landschaftspark Duisburg Nord (am intensivsten direkt in der Abstichhalle des begehbaren Hochofen 5) oder in Dortmund im ehemaligen Hoesch-Hochofenwerk Phoenix West. Wer in Dortmund schon die Deutsche Arbeitsschutzausstellung besucht hat, hat den Geruch beim Betreten der Stahlhalle garantiert wahrgenommen, denn dort wird ein Lichtbogenofen aus einem der drei großen Dortmunder Werke (die übrigens ständig im Weg herumstanden und um die man lästigerweise immer herumfahren musste, wenn man sich im Stadtgebiet bewegte) ausgestellt, knorrig, rostig und für mich so unfassbar wohlriechend, dass ich am liebsten einen Briefkasten mit meinem Namen davor aufstellen und einziehen würde.
Inzwischen weiß ich natürlich vieles besser. Der schamlose Schwindel mit dem backenden Christkind konnte irgendwann durch das Erwachsenwerden nicht mehr aufrecht erhalten werden. Seinerzeit sprach jeder vom bevorstehenden Wandel und welch enorme Verbesserung der Lebensumstände er mit sich bringen würde. Dennoch weckt die gesamte Kulisse, so lebensfeindlich, wie wir sie heute empfinden würden für mich wohlige Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit und aus heutiger Sicht hätte ich gern mehr dieser Epoche miterlebt. Wenn ich heutzutage in Duisburg unterwegs bin, gehört für mich bei Gelegenheit ein kleiner Umweg mit geöffneten Fenstern entlang des HKM-Werksgeländes dazu - herrlich! Besonders wenn die Fackel brennt ein absoluter Traum. Jedes mal ein unbeschreiblicher Flashback, trotzdem die heimischen Hoesch-Werke damals natürlich noch „besser“ schlecht gerochen haben.
Wahrscheinlich gibt es hier ein paar Leute, die ganz genau wissen, was ich meine. Es wäre aber echt der Wahnsinn, wenn jemand auch wüsste, ob diese Kindheitserinnerungen bereits auf Flasche gezogen wurden und falls ja, wonach man verlangen muss.
Danke und Glück auf! 😉