Farbenduft

Farbenduft

Rezensionen
Farbenduft vor 5 Monaten 3 2
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
7.5
Duft
Flügel der Freiheit
Die 80er Jahre. Ganz Spanien rebelliert nach Francos Tod im Rhythmus der Movida. Ganz Spanien? Nein, ein kleines Dorf im Norden, versteckt zwischen grünen Hügeln und Eukalyptusbäumen, lebt noch in den 60er Jahren. Anderswo tanzten junge Frauen mit dicken Schulterpolstern und kurzen Haaren zur Musik von Annie Lennox. Hier kauften Mütter für ihre Töchter noch in der Merceria ein, dem Laden für alles, was die Frau so braucht: Kinderwäsche, Küchentücher, Nadel und Faden, Unterwäsche und anständige Kleidung. Auch für Rafinesse ist hier Platz, aber bitte erst im richtigen Alter. Am Abend nach getaner Arbeit flaniert man untergehakt, mit Mäusezahnstrickjäckchen gegen die Kühle. 
Hierhin also verschlug es mich in den 80ern. Mit meinem Öko-Pulli, meinem asymmetrischen Haarschnitt und meinem geringen Interesse für das Haushälterische kam Unordnung ins öffentliche Dorf-Bild. Rasch wurde ich mit der Clique der Nachbarsmädchen bekannt gemacht. Man war im gleichen Alter - natürlich würden wir Freundinnen werden und ich mich anpassen, oder? Disco? Ja, gab es auch, erfuhr ich von ihnen - ein zartes Band erster Gemeinsamkeiten bahnte sich an. Es kam der Abend, als es in die Disco gehen sollte. Reihum holte eine immer größer werdende Gruppe Mädchen die nächste Freundin ab. Dann würde es zu Fuß die Landstraße runter ein Dorf weiter und um die Bucht zur Disco gehen. Bei jedem Mädchen spielte sich die gleiche Zeremonie ab: großes Hallo vor dem Haus, wo die Mütter und Nachbarinnen den Aufzug ihrer Töchter mit einigem Humor überwachten, während drinnen was auf dem Feuer gerade alleine zurechtkam. Wie anständige Senoras brachten sie eine Duftwolke aus traditionellem La Maja, zarten Veilchen, prüdem Lavendel, femininen Rosen oder sauberen Zitronen zusammen. Lautstarkes Begeisterungsgequietsche über das Outfit der Freundin, ein verschworener Blick beim krönenden Tupfer mit einer duftenden Essenz aus einem Flakon, und weiter zog die Gruppe, eine etwas leichtere, süßere, blumigere Duftwolke als die der Mütter hinterlassend.
Die letzte Freundin, die abgeholt wurde, war natürlich der ungekürte Star der Clique. Bei ihr durfte es länger dauern. Alle sollten mal raufkommen und sich ihre Jeans und ihr Outfit anschauen. Sie trug freche kurze Haare, eine rockerartige Jeansjacke und Sneaker statt Stöckel oder Ballerinas. Selbstbewußt beschwörte sie uns, während sie ihren neuen Duft auftupfte : Das ist „fresco“ - frisch! Das ist anders! Anders als La Maja, als die Veilchen, die Rosen, die Vanille und die Zitronen. „fresco“ heißt zugleich frech! Der freche Duft hieß Alada. Geschwungen und zügig „fliegt“ der Schriftzug über das Glas, etwas Luftiges, Veränderliches, Ungebundenes ausdrückend. Meine Assoziation zu dem Schriftzug war immer Wind über Dünensand. Alada bedeutet „geflügelt“.
In der Drogerie des Dorfes wurde Alada gern empfohlen, wenn ein hoffnungsloser Fall etwas „Anderes“ suchte. Alada duftete Ende der 80er Jahre nach Mann. Eine junge Frau konnte sich damit die Aura der Unabhängigen, Unkonventionellen geben. Zeigen, daß sie anders sein wollte, nicht gefällig, passiv, niedlich, hübsch und adrett, nicht typisch Frau. Zeigen, daß sie sich sehnte, die Flügel auszubreiten und über das Dorf hinauszufliegen, einem weiten Horizont entgegen.
Dank Florblanca kann ich den Hauch von Alada an einem fast leeren Flakon nochmal wahrnehmen. Heute kommt er mir garnicht so grün vor, wie er mir damals erschien. Alada war mir damals zu luftig, zu burschikos und zu wenig geheimnisvoll. Damit reihte ich mich letztlich ein unter die Damen, die diesen Duft als eine Verirrung des Traditionshauses Myrurgia bewerteten. Heute - wenige Tage nach Nil Sanders 80. Geburtstag - empfinde ih Alada garnicht als so leicht, nehme was Würziges wahr. Es wäre ein immer noch tragbarer Chypre, fast klassisch, unaufgeregt, weiblich genug, mit krautigen und lavendeligen Noten. Es hat sich auf leisen Schwingen etwas verändert…
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Farbenduft vor 2 Jahren 12
8
Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Souvenir von einer unmöglichen Reise
Frühjahr 2020 - Man konnte nicht reisen. Jedenfalls nicht planlos. Einfach losfahren, sich treiben lassen, zu einem fernen Ziel spontan der Nase nach. Da lockte auf einmal Une Nuit Nomade mit olfaktorische Fantasie-Reisen. Und so wanderte vor zwei Jahren die ein oder andre Probe von Une Nuit Nomade in mein Probenkistchen. Die Flacons dieser Marke gibt es konsequenterweise in Reisegrößen von 25 ml - da kann man mal einen Abstecher wagen. Suma Oriental als erstes, irgendwo muß man ja anfangen.

Der Karton zeigt ein Segelschiff in gilbigen Brauntönen, wie von uralten Pergamenten. Das läßt an alte Handelswege nach Asien denken und tatsächlich - Suma Oriental ist der Name einer Schriftensammlung aus dem 16. Jahrhundert, in der ein portugiesischer Apotheker seinerzeit über den Handel mit Sandelholz von den Tumba-Inseln schreibt. Damals waren Händler zugleich Abenteurer, die bereit waren, Handelsware, die man sich nichtmal vorzustellen vermochte, im Unbekannten zu suchen. Die mit Menschen fremdester Sitten und Sprachen in Verhandlung traten, freundlich oder mit List oder auch mit der blanken Waffe (naja, dann bitte Verhandlung in Anführungsstrichen). Suma Oriental führt uns auf den Spuren der alten Schiffsrouten nach Indonesien.

Der Duft hüllt gleich mit einem verlockend warmen cremig-würzigen Gemisch aus Rum, Kakao und etwas knarzig-holzigem. Es erinnert mich an Encre Noir, wirkt aber heller und wird bald weicher. Ich sehe eine Szene vor mir wie aus einem alten Piratenfilm. Nach der herben Landung, nach Wochen auf dem knarrenden Schiff, ist nun die Nacht mild und wohltuend, sanfte Gerüche aus Feuer erheben die Stimmung, Hände begutachten mit freundlicher Neugier, die Eingeborenen sind freundlich zu den Fremden. Das Knarzige weicht ein wenig und der Duft wird weicher, balsamischer, Wohlgefühl und Entspannung verbreitend. Patchouli soll laut Beschreibung die Herznote sein, aber ich kann nicht das typisch erdig Modrige ausmachen. Patchouli ist hier so verwoben, daß es eher den Hölzern den Vortritt läßt: Sandelholz, Kaschmirholz und mein besonderer Liebling Guajac, was etwas blumig süß ist. Das Holz, das hier porträtiert ist, ist nicht das von geteerten Balken oder das von schweren alten Schränken, sondern das eines schön verarbeiteten, glatten Handschmeichlers, der sanft schimmert. Etwas Süße kommt durch Tonka hinzu. Ich möchte den Duft nicht als Gourmand bezeichnen, obwohl er lecker riecht. Eher als etwas, in dem man baden möchte, eine cremige, dunkle, warme, entspannende Flüssigkeit. In meinem imaginären Piratenfilm geht es gut aus: die Gier nach Handelsgütern weicht der Entspannung - mit dem Rum in der Kehle, den warmen aromatischen Düften aus den Lagerfeuern, der Süße der Nacht bleibt nur noch der Wunsch nach Harmonie.

Suma Oriental ist geblieben - wie ein wunderschönes Souvenir von einer langen, unmöglichen Reise.
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Farbenduft vor 3 Jahren 11 4
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Flakon
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Haltbarkeit
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Duft
Was Frauen schreiben
Mein Schatz benutzte Encre Noir Extreme. Ein gewichtiger, düsterer, ernster Duft. Die Aura einer uralten Bibliothek mit ihren geschwärzten Holzregalen, voll dicker Buchbände groß wie Truhen, getränkt mit dem zu Tinte geronnen Wissen unsterblicher Gelehrter. Was für ein Duft, der einen fast ehrfürchtig macht! Ich fand ihn großartig. Und als ich entdeckte, daß es diesen Duft auch „Pour Elle“ gibt, mußte ich den haben.

Äußerlich einträchtig stehen der Männer- und der Frauen-Flacon auf dem Regal: geometrisch schlicht geformt, beide schwarz wie zwei Tintengläser. Aber olfaktorisch schreiben sie völlig unterschiedliche Geschichten. Ich erwartete eine weichere, blumigere Version des holzigen Männerduftes. Aber der Parfumeur hat "Elle" etwas Eigenständiges gegönnt: nicht mehr und nicht weniger als eine Interpretation dessen, was Frauen schreiben.

Encre Noir pour Elle - das Tintenglas ziert eine luftig geschwungene Handschrift. Und so schwarz der Flacon auch ist - der Duft ist es nicht. Behutsam entführt er mich in ein sonniges freundliches Gemach irgendwo auf dem Land, irgendwo im Zeitlosen... Eine Kommode mit frisch von der Leine genommener Wäsche, Tapeten mit freundlichen Blumenmustern, die den Raum leicht zu parfümieren scheinen. Durch das offene Fenster weht aus dem mittagswarmen Garten der zarte Hauch von Rosen herein, fern davon, schwülstig zu sein. Es ist still bis auf das Rauschen der Gräser im Wind. Und da ist sie, eine sanfte, verhaltene Frau an ihrem zierlichen Schreibtisch. Nachsinnend geht ihr Blick durch das Fenster ins Weite, den Duft der Rosen beiläufig genießend. Soeben öffnet sie die kleine Schublade und entnimmt ein kleines Bündel Briefe. Ein leichter Duft wie von Papyrus kommt ihr entgegen, als sie das fast transparente Papier aus dem knisternden Kuvert zieht und entfaltet. Nachdenklich liest sie die kostbaren Worte ein weiteres Mal, läßt sie auf ihr Gemüt wirken, spürt die Verbindung in den Zeilen. Gedanken steigen auf. Langsam formen sich in ihr Worte, süß und vertraut, während sie ohne Eile, einen Bogen Papier bereit legt und langsam das Tintenglas öffnet. Heute ist sie in der Stimmung angekommen, ihr Herz zu öffnen. Die Erinnerung schweift zu den sommerlichen Tage, von denen sie dem Freund, der Freundin, berichten wird, von ihren Gefühlen wird sie erzählen, von dem was sie bewegt ohne sich aufzudrängen. Sie greift zur Feder. Nun nimmt sie nur noch den Duft des Papiers wahr, trocken und hell. Sie taucht die Feder in die Tinte und beginnt zu schreiben.

Was würden Frauen mit schwarzer Tinte schreiben? Die Antwort von Encre Noir: Briefe an einen Herzensmenschen, vertrauliche Mitteilungen, vielleicht fein parfümiert, schlicht, poetisch und sehr persönlich.
Für mich ist ein gelungener, dezenter Rosen-Papier-Duft, den ich gern getragen habe.. und nun leider wohl auch verabschieden muß.
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Farbenduft vor 7 Jahren 5
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Schnuppern, was der Wind erzählt
Dieser Grecale – das muß ein Wind sein, in dem die kostbare Erinnerung an ein sagenhaftes Land mitschwingt, von dem einst die kühnen Vorfahren mit geblähten Segeln über die Adria kamen. Dieser Grecale erzählt von einem Land, in dem alles so wunderbar ist, daß sogar das Wasser duftet. Er erzählt von Sonnenwärme, die nach Orangen schmeckt und von Luft, die man wie gewürzten Wein trinken kann. Er muß den Hain einer Circe gestreift haben mit Nektar und Früchten und Felder mit glühendroten Nelken. Die Phantasie fliegt davon, die Nase reckt sich in den Wind und will dem Duft folgen, dorthin, von wo all diese Herrlichkeit kommt.

Mir ist Grecale einfach zugeflogen, als ich nur einfach irgendeinen Duft von Paolo Gigli ergattern wollte, nachdem unser Fläschen "Maestrale" leer war. Nun ist auch "Grecale" fast zur Neige, Nachschub ist nicht in Sicht und so will ich das griechische Lüftchen mit einem Kommentar würdigen.

Der irgendwie „griechisch“ klingende Name weckte die Erwartung von etwas Zitrisch-mediterranem. Weit, weit gefehlt! Dann las ich hier bei Florblanca, daß Grecale den kühlen Nordost-Wind bezeichnet, aber auch alles, was man sich unter kühl und nördlich vorstellen würde, führt ganz in die Irre.

Zunächst enthüllt sich eine warme orangen-blumige Duftwolke, bei der schon gleich Würze mitschwingt, wohl von Nelken. An warmen Tagen kommt die Orange manchmal einen Hauch stärker hervor, neckt und macht sich gleich wieder rar. Im Verlauf der ersten Stunde entfaltet sich dann eine betörend würzige Nelke mit Rosengeranie, strahlend und zuversichtlich. Trotz der Oppulenz ist der Duft nicht anstrengend oder laut, sondern er umhüllt und umgibt wie die warme Luft im Süden. Der Duft ist sehr sinnenfroh und selbstbewußt.

Nach und nach wird der Duft ruhiger und sanfter, die Blumen treten zurück. Lavendel ist ganz dezent auszumachen, aber vorherrschend bleiben Nelke und Muskat als warmwürzige Wolke. Diese wird immer milder und haftet wie ein lieber Gruß noch lange. Weihrauch rieche ich garnicht heraus. Ein ganz klein wenig erinnert mich der Duft an Femme de Rochas.

Ich trage Grecale vor allem an warmen Tagen. Dann würde ich auch gern an einem Ufer stehen und schnuppern, was der Wind über das Meer bringt.
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Farbenduft vor 7 Jahren 16 5
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Flakon
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Sillage
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Haltbarkeit
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Duft
Enfant - Terrible?
Divin Enfant – Du hast mich ganz schön an der Nase herumgeführt, mit Deinem reinen Duft nach frischen Orangenblüten aus Mutters Wäschewasser, der mich annehmen ließ, Du verbringst Deine Zeit unter blühenden Bäumen an frischer Luft, wie alle Kinder das tun sollten. Aber wo treibst Du Dich wirklich herum, rieche ich da etwa Zigarettenrauch? Nun muß ich Dir einen Eintrag erteilen – einen Eintrag in Form eines Kommentars, und das habe ich bis jetzt noch nie machen müssen.

Divin Enfant – als ich Dich letztes Jahr im Herbst kennenlernte, strahltest Du in orangenem Gewand eine gleichbleibende Heiterkeit aus, von Anfang bis Ende. Ja, ich hatte Dich schnell erkannt, Du warst wie der kleine Buddha – ein freundliches, unverfälschtes und doch weises Wesen. An Dir war nichts Verführung, Gefallenwollen, Provokation, Protz, Sehnsucht oder was Düfte sonst manchmal noch sein wollen. Du warst – einfach Du, einfach zu gut für diese Welt, und ich brauchte doch einen Begleiter für Stimmungen und Situationen.

Und nun sehe ich Dich wieder und bemerke, daß Du Schatten unter den Augen hast, aus Deinen langen Haaren weht der Zigarettenrauch, der in der Szene-Höhle waberte, wo Du mit Freunden die ganze Nacht diskutiert hast. Soeben trittst Du in die Morgenluft. Alle glauben , aus Dir sei ein Enfant terrible geworden, aber Du hast nicht selbst geraucht. Die durchgemachte Nacht hängt in Deinem Kopf voller leuchtender Gedanken. Dein kindlicher Glaube an das Gute ist etwas desillusioniert, aber nun trägst Du verschwenderisch glühende Überzeugungen im Herzen, die Du nie verraten wirst. Du blinzelst in das helle Licht, wo gibt es jetzt Croissants? Draußen blühen die Bäume und verströmen ihren warmen Duft, für den Du trotz Müdigkeit noch empfänglich bist. Er erinnert dich an sonnige Kindertage, wo Du auf dem Platz oder im Park Deine Nachmittage verbrachtest.

Divin Enfant ist ein Kind des Südens, aber ohne Urlaubs-Anstrich. Orangenblüte und Orangenblütenwasser sind wie der Lavendel Folklore, fast ein Hausmittel. Schnell ein Tupfer Orangenblütenwasser, bevor man mit dem Marktkorb hinauseilt, die Frauen verarbeiten es im provencalischen Gebäck, in Limonaden und in den marzipanähnlichen Calisson. Über den Vorhöfen andalusischer Paläste und Mezquitas schwebt dieser Duft wie über einer Oase des Wohlbefindens und Friedens inmitten von Hitze und Gestank. Man kann sich vorstellen, daß ein solch allgegenwärtiger Duft die reine Seele der Kindheit beschwört. Mit diesen Schatten wie in der Kreation von ELDO schafft es der Duft jetzt doch auf meine Wunschliste.

Divin Enfant - Ich weiß nicht, ob ich alles gut finde, was Du tust, aber irgendwie gehörst Du zu mir.
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Zwei Jahre später, Frühling - Zeit, mit Divin Enfant um die Blöcke zu ziehen. Wer weiß, vielleicht entscheiden wir uns spontan, zum Frühstück in das kleine Bistro im Süden zu fahren - ein Hauch von Gitanes unter Orangenbäumen.
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2020 - Wer hätte gedacht, daß Du zur Komplizin wirst in einem Sommer, in dem man nicht reisen kann. Tango-Abende mit Maske, aber der Duft von Orangenbäumen und Gitanes weht Freiheit durch die geöffneten Fenster. Das Lied "Fumando espero " ("rauchend warte ich") klingt sehnsüchtig durch den nahezu menschenleeren Salon.
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