Nordwursts Blog
vor 7 Tagen - 16.11.2025
Ode an die Bückware oder die Gnade der frühen Geburt
Das Parfum-Game ist hart. Wer vorne dranbleiben will, muss schnell sein. Aufmerksam. Die Multimediakanäle müssen glühen, wenn man nichts verpassen will. Gestern noch smash, heute schon bodenlos.
Und es ist kein Spaß. Es geht um gesellschaftliche Akzeptanz. Leider.
Spielst du mit oder stehst du nur am Spielfeldrand?
Der Kuchen, von dem etablierte Parfumhäuser über Startups, Influencern bis hin zu C-Promis etwas abhaben möchten, ist längst zu einer fetten, mehrstöckigen Torte geworden.
Bemüht man die hiesige Datenbank, spuckt diese für das Jahr 1990 insgesamt 284 Neuerscheinungen aus. 2024 waren es 9790.
Es ist ein Multimilliardengeschäft. Höher, schneller, teurer.
Unlängst hat z.B das Haus Xerjoff einen Duft für 13€/ml lanciert - in einem 100 ml Flakon. Warum sie das gemacht haben? Weil sie es können und weil es funktionieren wird. Weil der Konsument mitspielen will in dem Game. Nicht weil der Duft x-fach besser (wie auch immer gemessen) ist, als bisherige Releases. Darum geht es nämlich nicht. Der Preis ist längst Teil des Statusgesamtpaketes geworden, denn mit vollen Hosen ist bekanntlicherweise gut stinken.
Das hier soll weder eine Gesellschafts- noch Konsumkritik werden. Da wäre ich nicht der Richtige und sollte gewiss nicht den ersten Stein werfen. Ich wollte nur den Bogen vom einen Ende des Parfumbusiness zum anderen Ende spannen, welches sich abseits von Tiktok und Instagram ganz unten in den Regalen befindet. Oftmals seit vielen Jahrzehnten. Schlecht beleuchtet, teilweise etwas eingestaubt, und doch nicht totzukriegen. Denn das ist der Ort, an dem ich mich wohl fühle. Hier ticken die Uhren anders. Bedeutend langsamer. Aber sie ticken stetig, im Schein summender Neonröhren die so weiß leuchten, dass sogar Robert Geiss kränklich blass aussehen würde.
Hier funktioniert die sich immer schneller drehende Preisspirale irgendwie nicht so gut, dreht sich manchmal sogar rückwärts. Aber warum ist das so? Warum gibt es z.B. einen Paco Rabanne pour homme seit mehr als 50 Jahren, und warum bekommt man ihn für 30-40 ct/ml?
Marktwirtschaftlich ist das jetzt kein Mysterium: weil er sich offensichtlich noch immer ausreichend und gewinnbringend verkaufen lässt. Ja gut. Doch anscheinend sprechen solche Düfte eine Käuferschicht an, die nicht bereit ist, bedeutend mehr für ihren Duft zu bezahlen. Zum Beispiel, weil sie ihn schon viele Jahre benutzen und horrende Preissprünge nicht akzeptieren würden. Oder weil sie kein Tiktok haben. Oder weil ihren Freundeskreis gar nicht interessiert, was der Duft gekostet hat.
Lucky me, ich bin so einer. Ich liebe klassische Düfte, könnte mich in aldehydige Seifenwässerchen reinlegen. Ich kann Tabac Original genießen und mich in Marbert Man wälzen (wenn es der Rücken gerade zulässt). Und ich muss zum Glück niemanden mehr beeindrucken. Ich muss nicht um Akzeptanz buhlen und mich Gruppenzwängen ergeben. Das ist die Gnade der frühen Geburt.
Ich beneide niemanden, der in der heutigen Zeit aufwachsen muss.
Für mich ist das Hobby einfacher, finde ich zumindest. Ich habe keine Angst, einen Trend zu verpassen und muss nicht entscheiden, ob ich Parfüm oder Sneaker von meinem Taschengeld kaufe. Ich muss den Markt nicht im Blick behalten, sondern kann in alten Katalogen stöbern. Ich muss nicht dringend die xte Ambrocenid-Saffran-Oud Bombe testen, nur um mitreden zu können. Diese Schnelllebigkeit passt so gar nicht zu diesem sinnlichen Hobby. Inne halten, Augen zu und genießen, nicht im Vorbeirennen konsumieren. Es gibt nunmal Lebensbereiche, in denen Tempo nicht funktioniert. Parfüm. Oder Tee trinken. Spazieren gehen, im besten Fall mit Hund.
Wenn ich etwas interessant finde, finde ich es oft ganz unten im Regal. Schlecht beleuchtet und etwas eingestaubt. Das stand da letztes Jahr schon und wird da auch noch nächstes Jahr stehen, also keine Eile. Was habe ich es doch gut.
Aktualisiert am 16.11.2025 - 05:28 Uhr
25 Antworten


Nordwurst
Und nochmal ja, auch heute kommt noch Gutes auf den Markt.
Man muss halt bisschen suchen in Anbetracht der inflationären Menge an Neuerscheinungen.
Die Mischung macht‘s.
Und wer Düfte aus Prestigegründen trägt, hat nichts verstanden! Da nützt auch ein größeres Budget leider auch nichts!
In einem muss ich leider widersprechen, bei uns im M. wollen die tatsächlich noch 140€/100 ml für den Paco p. Homme haben! 🤔
Tiktok und der ganze Kram gehen mir am Arm vorbei. Über Hypes kann ich nur lachen und auch Xerjoff wird in 1-2 Jahren nur noch " ferner liefen" sein. Ich liebe meinen "Designermüll" und meine Vintages sind für mich die beste Nische. Ansonsten gehe ich lieber mit meiner Hündin spazieren und freue mich auf jeden Tag mit ihr.
🙂👍