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vor 1 Jahr - 20.01.2023
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Der gepflegte Mann

Der gepflegte Mann

Es regnet ständig, keine Sonne, ich werde sentimental, surfe hier rum und denke darüber nach, woher das gestiegene Interesse für Parfum kommt. Also, wer den Grundstein gelegt hat. Irgendwo habe ich auch schon mal erwähnt, dass es von meinem Papa kommt. Er wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. Also 1923 geboren, aus Westpreußen stammend, viel Schlimmes erlebt, Heimat verloren. Danach eine Zeit orientierungslos, einen Platz suchend und eine bescheidene Existenz aufgebaut, Familie gegründet. Aber auch da schlug das Schicksal grausam zu.

Ich habe meinen Vater nie auch nur ansatzweise ein bisschen "nachlässig" erlebt. Tägliche Rasur war Pflicht, er hatte immer den neuesten Philips Rasierer, es wurde mit dem Rasierhobel nachgearbeitet. Und danach gab es natürlich IMMER Rasierwasser. Ich erinnere mich an Tabac, Pitralon, Sir Irish Moos und natürlich Hâttric Classic / Hâttric (After Shave)Hâttric Classic After Shave (ich liebe dieses Zeug!). Dieser Duft vermischte sich dann mit Birkin Haarwasser oder Brisk Frisiercreme. Zum Herrenfriseur ging es alle 4 Wochen. Koteletten, Augenbrauen, Nase, Ohren, alles akkurat. Es gab Kleidung zum dreckig werden, Kleidung für Alltags und Anzüge. Und da wurde sich auch immer umgezogen. Samstags saß er immer auf dem Treppenabsatz und putzte Schuhe für die ganze Familie. Wir hatten wohl für jedes Paar Schuhe seine eigene Schuhcreme, vervollständigt mit Bürsten und Tüchern. Dafür hatte er einen eigenen Tragekasten gebaut.

Mein Vater war ein Mann mit Hut! Nur zum Arbeiten trug er eine Schiebermütze. Krawatte binden habe ich von ihm gelernt. Oh Mann, ich habe schon so vielen Männern die Krawatte binden müssen. 😁 Über unsere Geschenke zu den Feiertagen, die sich in meiner Jugend auf Rasierwasser oder Krawatte beschränkten, hat er sich immer aufrichtig gefreut. Mit dem ersten selbstverdienten Geld konnte dufttechnisch aufgepimpt werden. Ich erinnere noch Cool Water (Eau de Toilette)Cool Water Eau de Toilette , mehr habe ich leider nicht mehr auf dem Schirm. Die Sprayflaschen erwiesen sich später bei Eintreten der Demenz als schwierig, weil dessen Gebrauch kein Automatismus war. Also wieder zurück zum guten alten Hattric. In die Hand schütten und dann rein ins Gesicht. 60 Jahre tägliches Ritual, das saß. Danach die Handflächen vor die Nase halten und tief Luft holen. Und die Aufforderung, an seinem Hals zu schnuppern.

Ich muss noch meine Sonntagsbluse bügeln und mir was auf den Handrücken sprühen

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