09.11.2025 - 11:53 Uhr

Mairuwa
68 Rezensionen

Mairuwa
Hilfreiche Rezension
6
Waldbaden in Massachusetts
Über den Lingua Planta Duft Defend (2021) war ich auf das Konzept des Waldbadens gestoßen und erinnerte mich, dass ich aus einem Testset von Alkemia noch einen Duft mit japanischem Namen auf dem Schreibtisch liegen hatte, hinter dem sich das gleiche Konzept verbarg: Shinrin-Yoku - 森 林 浴 . Hier stand, wie ich nun lernte, 森 (Shin) für Wald, 林 (Rin) noch einmal ganz ähnlich für Gehölz/Wald und 浴 (Yoku) für das Bad. Baden im Wald also, nicht etwa im Waldschwimmbad, sondern einfach so, sitzend oder wandernd, Sport treibend, aber ganz bewusst mit allen Sinnen in die Atmosphäre des Waldes eintauchend. Nachdem ich von Alkemia aus Amherst, Massachusetts zuvor schon einige sehr hübsche Walddüfte kennengelernt hatte, war ich, nun da ich um die Bedeutung des fremdartigen Namens wusste, neugierig geworden.
Waldbaden. „Shinrin-Yoku“ klang vielversprechend, exotisch und vage nach östlicher Weisheit. Geprägt allerdings, so las ich, wurde der Begriff 1982 eher prosaisch vom Leiter der japanischen Forstwirtschaftsbehörde, Tomohide Akiyama. Die Regierung propagierte dort damals gezielt die immersive Naturerfahrung zur Reduzierung von Zivilisationsstress im Großstadtleben. Doch erst die wissenschaftliche Weiterentwicklung zur Therapie und schließlich ein Buch von Dr. Qing Li, einem Immunologen und Experten für Waldmedizin, habe durch seinen großen Erfolg für eine weltweite Popularisierung des Konzepts gesorgt und letztendlich dazu geführt, dass eine seit langer Zeit bei uns ganz normale Freizeitgestaltung, nämlich der Waldspaziergang am Wochenende, aufgewertet wurde zu einer auch Hipster-tauglichen therapeutischen Übung, die zum Abbau von Stress, Wut und Angst beitragen, bei Depressionen und Angststörungen Wirksamkeit entfalten und eine positive Wirkung auf Blutdruck, Stoffwechsel und Immunsystem haben sollte. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Dabei war das Wissen um die wohltuende Wirkung des Waldes doch alles andere als neu, dachte ich mir. Riet nicht schon Hildegard von Bingen: „Geh einfach ins Grün des Waldes und du wirst Heilung erfahren, allein indem du dort bist und atmest.“ Und die Parfümeurin Sharra Lamoureaux selbst illustrierte die Präsentation ihres Duftes trotz des japanischen Namens auch nicht mit Bezügen zu fernöstlicher Naturmedizin , sondern mit einem Zitat von Muriel Strode, einer zumindest bei uns weniger bekannten amerikanischen Dichterin des frühen 20. Jahrhunderts. Auch Strode, zuweilen als „weiblicher Walt Whitman“ bezeichnet, hatte ein enges Verhältnis zum Wald gehabt. Das Zitat, auf das ich hier stieß, sprach vom Verschmelzen mit der Materialität und den Gerüchen der Natur, was ganz ausdrücklich als Akt der Befreiung dargestellt wurde: „I am odorous of the pine forest, The scent of pine-cones is in my hair. I smell of wild mint, and the tamarack swamps. The juice of elder-berries is on my lips, and the brown stain of hazel on my fingers. I am flecked with the dust of moth-wings, and powdered with the pollen from the hearts of calla-lilies. I am wind-tawned and sun-browned. Wearing the marks of the open. I reek of freedom.“
Mit so viel konzeptuellem Anspruch und zeitgeistigem Überbau beladen, ging ich natürlich mit hoher Erwartungshaltung ans Testen. „Shinrin-Yoku“ eröffnete bitter-zitrisch mit Blutorange und Yuzu, was ich als sehr schön empfand, mich angesichts des Themas aber zunächst etwas überraschte. Typische Waldnoten waren das erst einmal nicht und ich fragte mich einen Moment, ob die Parfümeurin es hier für nötig gehalten haben sollte, für ihr Waldbad noch einen „Badezusatz“ zu verwenden, um ihm eine japanischere Anmutung zu geben, die den Namen rechtfertigte. Zur Zitrik gesellten sich aber schnell grüne und leicht ätherische Noten, die das Thema Wald etwas dezidierter angingen. Und auch hier gefiel mir der Duft ausnehmend gut. Es war sehr hell in diesem Wald, lichtdurchflutet und ich ahnte den darunter liegenden Waldboden eher, als dass er sich in den Vordergrund gedrängt hätte. Patchouli natürlich, Hölzer, ja, aber nicht schwer. Eine leicht süßlich-würzige Note spielte da auch mit, bei der es sich nach den Beschreibungen um den Wohlriechenden Fieberstrauch (Lindera benzoin) handeln mochte. Eine dezente Pfefferschärfe kribbelte mir nur ganz leicht in der Nase.
Für einen Moment konnte ich dieses frische Waldbad fast uneingeschränkt genießen. Dann jedoch, leider allzu schnell, stellte sich bei mir ein Effekt ein, den ich inzwischen schon von mehreren Alkemia-Kreationen kannte: Der eigentliche Duft zog sich zurück und wurde von einer generischen „Alkemia-Note“ überlagert oder verdrängt, die ihn nurmehr schemenhaft erahnen ließ. In einem Film von Woody Allen gibt es eine Figur, die sich dadurch auszeichnet, dass sie immer unscharf ist. Genau so empfand ich den Alkemia-Effekt. Was ich im Film durchaus als originell würdigen konnte, betrübte mich hier allerdings sehr und ich frage mich, ob es anderen damit ähnlich ginge oder ob das Phänomen mit meiner Hautchemie zu tun hatte. Überaus schade, denn für flüchtige Momente hatte mir der Duft wirklich gut gefallen.
Um Shinrin-Yoku (dem Konzept, nicht dem Duft) gerecht zu werden, sollte abschließend nicht unerwähnt bleiben, dass es in Japan kein zeitgeistabhängiger, irgendwie gerade angesagter Gesundheitstrend ist, sondern Teil eines sehr komplexen medizinischen Systems. Als psychiatrische Technik baut es auf tiefverwurzelten religiösen und philosophischen Vorstellungen auf, ist schulmedizinisch anerkannt und wird auf Rezept verschrieben. Bei dem Duft „Shinrin-Yoku“ werden wir darauf vermutlich noch etwas warten müssen, zumal hierzulande. In Deutschland gibt es andere Prioritäten. So werden mittlerweile Zertifikate nach dem „Kriterienkatalog Kur- und Heilwald“ (KK KuH) vergeben, um die Vermarktung des Waldbade-Konzeptes zu reglementieren. Dann doch lieber unzertifiziert im Wildwuchs des Waldes baden wie Muriel Strode. Das kommt auch dem eigentlichen Ziel des japanischen Shinrin-Yoku näher, bei dem es nicht in erster Linie darum geht, die Natur oder gar sich selbst intensiver wahrzunehmen, sondern vielmehr darum, mit dem Wald eins zu werden, sich in ihm aufzulösen, sich zu verlieren und dadurch ein unbedeutendes Teilchen von etwas Großem zu werden.
Dank geht an @BeJot für die Testmöglichkeit und an @Sapho für die Hilfe bei der angemessenen Einordnung des Shinrin-Yoku Konzepts.
Waldbaden. „Shinrin-Yoku“ klang vielversprechend, exotisch und vage nach östlicher Weisheit. Geprägt allerdings, so las ich, wurde der Begriff 1982 eher prosaisch vom Leiter der japanischen Forstwirtschaftsbehörde, Tomohide Akiyama. Die Regierung propagierte dort damals gezielt die immersive Naturerfahrung zur Reduzierung von Zivilisationsstress im Großstadtleben. Doch erst die wissenschaftliche Weiterentwicklung zur Therapie und schließlich ein Buch von Dr. Qing Li, einem Immunologen und Experten für Waldmedizin, habe durch seinen großen Erfolg für eine weltweite Popularisierung des Konzepts gesorgt und letztendlich dazu geführt, dass eine seit langer Zeit bei uns ganz normale Freizeitgestaltung, nämlich der Waldspaziergang am Wochenende, aufgewertet wurde zu einer auch Hipster-tauglichen therapeutischen Übung, die zum Abbau von Stress, Wut und Angst beitragen, bei Depressionen und Angststörungen Wirksamkeit entfalten und eine positive Wirkung auf Blutdruck, Stoffwechsel und Immunsystem haben sollte. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Dabei war das Wissen um die wohltuende Wirkung des Waldes doch alles andere als neu, dachte ich mir. Riet nicht schon Hildegard von Bingen: „Geh einfach ins Grün des Waldes und du wirst Heilung erfahren, allein indem du dort bist und atmest.“ Und die Parfümeurin Sharra Lamoureaux selbst illustrierte die Präsentation ihres Duftes trotz des japanischen Namens auch nicht mit Bezügen zu fernöstlicher Naturmedizin , sondern mit einem Zitat von Muriel Strode, einer zumindest bei uns weniger bekannten amerikanischen Dichterin des frühen 20. Jahrhunderts. Auch Strode, zuweilen als „weiblicher Walt Whitman“ bezeichnet, hatte ein enges Verhältnis zum Wald gehabt. Das Zitat, auf das ich hier stieß, sprach vom Verschmelzen mit der Materialität und den Gerüchen der Natur, was ganz ausdrücklich als Akt der Befreiung dargestellt wurde: „I am odorous of the pine forest, The scent of pine-cones is in my hair. I smell of wild mint, and the tamarack swamps. The juice of elder-berries is on my lips, and the brown stain of hazel on my fingers. I am flecked with the dust of moth-wings, and powdered with the pollen from the hearts of calla-lilies. I am wind-tawned and sun-browned. Wearing the marks of the open. I reek of freedom.“
Mit so viel konzeptuellem Anspruch und zeitgeistigem Überbau beladen, ging ich natürlich mit hoher Erwartungshaltung ans Testen. „Shinrin-Yoku“ eröffnete bitter-zitrisch mit Blutorange und Yuzu, was ich als sehr schön empfand, mich angesichts des Themas aber zunächst etwas überraschte. Typische Waldnoten waren das erst einmal nicht und ich fragte mich einen Moment, ob die Parfümeurin es hier für nötig gehalten haben sollte, für ihr Waldbad noch einen „Badezusatz“ zu verwenden, um ihm eine japanischere Anmutung zu geben, die den Namen rechtfertigte. Zur Zitrik gesellten sich aber schnell grüne und leicht ätherische Noten, die das Thema Wald etwas dezidierter angingen. Und auch hier gefiel mir der Duft ausnehmend gut. Es war sehr hell in diesem Wald, lichtdurchflutet und ich ahnte den darunter liegenden Waldboden eher, als dass er sich in den Vordergrund gedrängt hätte. Patchouli natürlich, Hölzer, ja, aber nicht schwer. Eine leicht süßlich-würzige Note spielte da auch mit, bei der es sich nach den Beschreibungen um den Wohlriechenden Fieberstrauch (Lindera benzoin) handeln mochte. Eine dezente Pfefferschärfe kribbelte mir nur ganz leicht in der Nase.
Für einen Moment konnte ich dieses frische Waldbad fast uneingeschränkt genießen. Dann jedoch, leider allzu schnell, stellte sich bei mir ein Effekt ein, den ich inzwischen schon von mehreren Alkemia-Kreationen kannte: Der eigentliche Duft zog sich zurück und wurde von einer generischen „Alkemia-Note“ überlagert oder verdrängt, die ihn nurmehr schemenhaft erahnen ließ. In einem Film von Woody Allen gibt es eine Figur, die sich dadurch auszeichnet, dass sie immer unscharf ist. Genau so empfand ich den Alkemia-Effekt. Was ich im Film durchaus als originell würdigen konnte, betrübte mich hier allerdings sehr und ich frage mich, ob es anderen damit ähnlich ginge oder ob das Phänomen mit meiner Hautchemie zu tun hatte. Überaus schade, denn für flüchtige Momente hatte mir der Duft wirklich gut gefallen.
Um Shinrin-Yoku (dem Konzept, nicht dem Duft) gerecht zu werden, sollte abschließend nicht unerwähnt bleiben, dass es in Japan kein zeitgeistabhängiger, irgendwie gerade angesagter Gesundheitstrend ist, sondern Teil eines sehr komplexen medizinischen Systems. Als psychiatrische Technik baut es auf tiefverwurzelten religiösen und philosophischen Vorstellungen auf, ist schulmedizinisch anerkannt und wird auf Rezept verschrieben. Bei dem Duft „Shinrin-Yoku“ werden wir darauf vermutlich noch etwas warten müssen, zumal hierzulande. In Deutschland gibt es andere Prioritäten. So werden mittlerweile Zertifikate nach dem „Kriterienkatalog Kur- und Heilwald“ (KK KuH) vergeben, um die Vermarktung des Waldbade-Konzeptes zu reglementieren. Dann doch lieber unzertifiziert im Wildwuchs des Waldes baden wie Muriel Strode. Das kommt auch dem eigentlichen Ziel des japanischen Shinrin-Yoku näher, bei dem es nicht in erster Linie darum geht, die Natur oder gar sich selbst intensiver wahrzunehmen, sondern vielmehr darum, mit dem Wald eins zu werden, sich in ihm aufzulösen, sich zu verlieren und dadurch ein unbedeutendes Teilchen von etwas Großem zu werden.
Dank geht an @BeJot für die Testmöglichkeit und an @Sapho für die Hilfe bei der angemessenen Einordnung des Shinrin-Yoku Konzepts.
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