06.09.2025 - 17:42 Uhr

Profumo
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22
‚Juniperus Oxycedrus’, von Antonios Zibetkater umschnurrt
Vor kurzem versuchte ich einer Bekannten zu erklären, dass ich meine tägliche Duftwahl nach den Farben meiner Kleidung treffe, für die ich mich morgens entschieden habe. Ich erntete verständnislose Blicke.
Come?
Als ich ihr daraufhin erläuterte, dass ich zum Beispiel nur unter Zwang einen grünen Duft zu einem roten T-Shirt tragen würde, einen orientalischen Duft zu einem blauen oder eine zitrischen zu einem violetten T-Shirt, begann sie zu grübeln.
Es ist so. Wenn die Farbe des Duftes mit jenen meiner Klamotten korrespondiert, fühle ich mich einfach wohler. Nur ist das so eine Sache mit den Duftfarben. Nicht jeder oder jede assoziiert die gleiche Farbe mit ein und demselben Duft.
Antonio Gardonis neueste Kreation ist für mich eindeutig Grün. Für ihn offensichtlich auch, denn ab und an färbt er die Kappen seiner Flakons ein: bei Douleur war es ein sattes Pink, das wunderbar zu diesem knalligen Duft passte, hier nun ein mattes, dunkles, ein koniferisches Grün. Genau das Grün der spitz zulaufenden Säulen-Zypressen, die landauf, landab in den Himmel Italiens ragen.
Die Zypresse ist jedoch eine Beinote, ein Protagonist ist sie nicht. Hauptdarsteller sind andere: allen voran der nahe Verwandte ‚Juniperus Oxycedrus’, auch Stech-Wacholder genannt, bzw. dessen dunkles, zähflüssiges, kampferartig-rauchig riechendes Öl, das aus der Destillation von Rinde und Zweigen gewonnen, mitunter auch Wacholderteer oder Cade-Öl genannt wird. Antonio Gardoni liebt es.
Schon in Tyrannosaurus Rex von Zoologist setzte er es prominent in Szene, in LITA für sein eigenes Label ebenso und nun erneut. Allerdings jedes Mal in unterschiedlichen Settings, sodass man wirklich von drei grundverschiedenen Düften sprechen kann. Gleichermaßen drückt der Wacholderteer ihnen jedoch seinen charakteristischen Stempel auf.
Aber Antonio Gardoni liebt nicht nur den ‚Juniperus Oxycedrus’, er liebt auch Chypre-Noten, gerne klassisch mit einer Spur Zibet durchwirkt. Und Benzoe, die mit ihren süßlich-balsamischen Nuancen einen wunderbaren Counterpart zu allem Bitteren und Rauchigen abgibt.
Et voilà, schon ist die Grundstruktur seines neuen Duftes umrissen: ein solides top-down Chypre-Gerüst über bitterschalige Bergamotte, ein dezentes Blüten-Bouquet aus Ylang-Ylang, Jasmin und Rose, bis zu einer erdig-mossfeuchten Basis aus Patschuli, Eichenmoos und Zistrose. Dieser in seiner Akkord-Folge so typische Chypre-Sound im Vintage-Look wäre im Grunde schon Duft genug, aber noch lange kein Werk des Alchimisten aus Brescia. So lässt dieser zunächst seinen wunderbar weichfelligen Zibetkater, wir kennen ihn bereits, um die Noten herum schnurren, tropft aus einer Pipette dunkel-rauchigen Wacholderteer in das doch sattsam bekannte Chypre-Idyll und verstärkt die grünen Nuancen des Wacholders und der Zypresse mit einer Spur Vetiver. Dessen Duftspektrum reicht von grasig bis erdig, mitunter leicht rauchig akzentuiert und ist für ein Parfum mit dem Attribut Grün geradezu unerlässlich. Das nicht weniger obligatorische Galbanum kommt interessanterweise hier nicht zum Zug.
Was zum Zuge kommt, ist aber die balsamische Wärme und der Vanillehauch der Benzoe (sowohl der Siam-, als auch der würzigeren Sumatra-Benzoe) die der Parfumeur offenbar den gängigen, ebenfalls Benzoehaltigen Amber-Mixturen vorzieht, die allerorten zum Einsatz kommen und die gleiche Funktion erfüllen: den Duft zu runden, ihm Sinnlichkeit zu verleihen und auf der Haut zu fixieren. Amber-Mixturen sind aber zumeist dominanter, hervorragend geeignet orientalische Opulenz geruchlich zu transportieren, während Benzoe isoliert feinnerviger agiert, eleganter.
Dass auch noch andere Duftbausteine mit von der Partie sind, Honig beispielsweise, Wachs, fermentierter Tee, Feige, oder meine geliebte Immortelle – alles nachvollziehbar und plausibel. Isolieren kann ich sie nicht, da sie nicht solistisch in den Vordergrund treten. In den Background-Chor einstimmend tragen sie sicher ihr Scherflein zu diesem grün-würzigen, dezent animalischen Chypre bei.
Diese schlagwortartige Zuschreibung trifft auch auf einen Duft zu, an den mich ‚Come’ gleich nach dem ersten Aufsprühen erinnerte: an Robert Piguets ‚Futur’. Nicht dass die beiden Werke furchtbar ähnlich duftenden, nein, das tun sie nicht. Es ist eher ihre Attitüde, ihr Auftritt. ‚Grün’ wurde von ‚Futur’ vor beinahe 60 Jahre aufregend neu mit dezent subkutan schwelender Animalik interpretiert, heller, pudriger, aldehydischer als Antonio Gardonis ‚Come’ sechs Jahrzehnte später. Doch mag die Duftfarbe des Oldies ein helleres Grün sein, wirkt es doch ähnlich matt, fast verschleiert, dabei samtartig weich, ganz wie das koniferendunkle Grün des späten Nachfolgers, der alles in allem von kräftigerer Statur ist.
Ein Wort noch zur Animalik: den berühmt-berüchtigten Kouros-Effekt braucht niemand zu befürchten. Antonio Garodoni schafft es einmal mehr, die prekären Facetten des Zibets, sogenannte Skatole, gekonnt zu dimmen (oder zu kaschieren), zugleich die sinnlich-erotischen strahlen zu lassen.
Mag sein, dass manche dennoch über zu viel Tier lamentieren werden, aber für mich trifft Gardoni erneut, wie schon bei ‚Maai’ oder ‚MEM’ genau jenes mirakulöse Maß duftender Wollust, dass ich mich einem seiner Werke einmal mehr willenlos an den Hals werfen möchte. Erotik in Duft zu übersetzen, da macht Antonio Gardoni niemand so schnell etwas vor. Da ist er ein Meister, ein unwiderstehlicher Verführer – zumindest für mich. Wie gesagt, mag sein, dass einigen dieses Untenrum immer noch zu derb ist, zu wenig sublim. Mich aber triggert das austarierte Verhältnis von Derbheit und Sublimierung über die Maßen.
Da wir lange schon nichts mehr von dem Duft-Magier aus Nord-Italien zu riechen bekommen haben, befürchtete ich schon fast, er habe den Kosmos seiner Duft-Vorlieben halbwegs ausgeschritten und widme sich nun mehr seinen anderen Arbeitsschwerpunkte Design und Architektur. Doch weit gefehlt: mit ‚Come’ meldet er sich kraftvoll zurück.
Und zumindest für mich (aber ich bin auch ein Gardoni-Jünger) ist es eine wahre Wonne nach all dem mediokren Woody-Amber- und sonstigen Synthetik-Kram der Nase mal wieder etwas Reelles, etwas Wahres bieten zu können .
So als würde man nach all den Trump’schen Großmäuligkeiten, Stillosigkeiten und Blendereien endlich wieder eine Stimme der Vernunft hören – einem olfaktorischen Aufatmen vergleichbar, das lange auf sich hat warten lassen, arg lange. Zum Glück sorgen Kolleginnen und Kollegen wie Canali, Corticchiato, Thierry, Ellena, Giacobetti, Sheldrake und einige andere für solche Momente des Aufatmens ebenso zuverlässig. Aber ein neues Werk aus Brescia ist schon etwas Besonderes. Zumal sich Antonio Gardoni Zeit lässt, für heutige Verhältnisse unverschämt viel Zeit.
Bedenkt man allerdings, dass der große Edmond Roudnitska es in seiner ganzen Schaffenszeit nur zu knapp 20 Düften gebracht hat, wird man doch demütig.
Möge er sich also auch in Zukunft ruhig die nötige Zeit lassen, zur Not auch Jahre.
Hauptsache er verstummt nicht.
Ein Nachtrag zur kolportierten Namensgebung:
Die italienische Redewendungen 'Come Quando Fuori Piove' (wie wenn es draußen regnet) bezieht sich auf "Poker all'italiana", einer italienischen Variante des Pokers, wobei die Anfangsbuchstaben für die jeweiligen Farben stehen. Come für Cuori (Herz), die in der Rangfolge wertigste Spielfarbe.
Come?
Als ich ihr daraufhin erläuterte, dass ich zum Beispiel nur unter Zwang einen grünen Duft zu einem roten T-Shirt tragen würde, einen orientalischen Duft zu einem blauen oder eine zitrischen zu einem violetten T-Shirt, begann sie zu grübeln.
Es ist so. Wenn die Farbe des Duftes mit jenen meiner Klamotten korrespondiert, fühle ich mich einfach wohler. Nur ist das so eine Sache mit den Duftfarben. Nicht jeder oder jede assoziiert die gleiche Farbe mit ein und demselben Duft.
Antonio Gardonis neueste Kreation ist für mich eindeutig Grün. Für ihn offensichtlich auch, denn ab und an färbt er die Kappen seiner Flakons ein: bei Douleur war es ein sattes Pink, das wunderbar zu diesem knalligen Duft passte, hier nun ein mattes, dunkles, ein koniferisches Grün. Genau das Grün der spitz zulaufenden Säulen-Zypressen, die landauf, landab in den Himmel Italiens ragen.
Die Zypresse ist jedoch eine Beinote, ein Protagonist ist sie nicht. Hauptdarsteller sind andere: allen voran der nahe Verwandte ‚Juniperus Oxycedrus’, auch Stech-Wacholder genannt, bzw. dessen dunkles, zähflüssiges, kampferartig-rauchig riechendes Öl, das aus der Destillation von Rinde und Zweigen gewonnen, mitunter auch Wacholderteer oder Cade-Öl genannt wird. Antonio Gardoni liebt es.
Schon in Tyrannosaurus Rex von Zoologist setzte er es prominent in Szene, in LITA für sein eigenes Label ebenso und nun erneut. Allerdings jedes Mal in unterschiedlichen Settings, sodass man wirklich von drei grundverschiedenen Düften sprechen kann. Gleichermaßen drückt der Wacholderteer ihnen jedoch seinen charakteristischen Stempel auf.
Aber Antonio Gardoni liebt nicht nur den ‚Juniperus Oxycedrus’, er liebt auch Chypre-Noten, gerne klassisch mit einer Spur Zibet durchwirkt. Und Benzoe, die mit ihren süßlich-balsamischen Nuancen einen wunderbaren Counterpart zu allem Bitteren und Rauchigen abgibt.
Et voilà, schon ist die Grundstruktur seines neuen Duftes umrissen: ein solides top-down Chypre-Gerüst über bitterschalige Bergamotte, ein dezentes Blüten-Bouquet aus Ylang-Ylang, Jasmin und Rose, bis zu einer erdig-mossfeuchten Basis aus Patschuli, Eichenmoos und Zistrose. Dieser in seiner Akkord-Folge so typische Chypre-Sound im Vintage-Look wäre im Grunde schon Duft genug, aber noch lange kein Werk des Alchimisten aus Brescia. So lässt dieser zunächst seinen wunderbar weichfelligen Zibetkater, wir kennen ihn bereits, um die Noten herum schnurren, tropft aus einer Pipette dunkel-rauchigen Wacholderteer in das doch sattsam bekannte Chypre-Idyll und verstärkt die grünen Nuancen des Wacholders und der Zypresse mit einer Spur Vetiver. Dessen Duftspektrum reicht von grasig bis erdig, mitunter leicht rauchig akzentuiert und ist für ein Parfum mit dem Attribut Grün geradezu unerlässlich. Das nicht weniger obligatorische Galbanum kommt interessanterweise hier nicht zum Zug.
Was zum Zuge kommt, ist aber die balsamische Wärme und der Vanillehauch der Benzoe (sowohl der Siam-, als auch der würzigeren Sumatra-Benzoe) die der Parfumeur offenbar den gängigen, ebenfalls Benzoehaltigen Amber-Mixturen vorzieht, die allerorten zum Einsatz kommen und die gleiche Funktion erfüllen: den Duft zu runden, ihm Sinnlichkeit zu verleihen und auf der Haut zu fixieren. Amber-Mixturen sind aber zumeist dominanter, hervorragend geeignet orientalische Opulenz geruchlich zu transportieren, während Benzoe isoliert feinnerviger agiert, eleganter.
Dass auch noch andere Duftbausteine mit von der Partie sind, Honig beispielsweise, Wachs, fermentierter Tee, Feige, oder meine geliebte Immortelle – alles nachvollziehbar und plausibel. Isolieren kann ich sie nicht, da sie nicht solistisch in den Vordergrund treten. In den Background-Chor einstimmend tragen sie sicher ihr Scherflein zu diesem grün-würzigen, dezent animalischen Chypre bei.
Diese schlagwortartige Zuschreibung trifft auch auf einen Duft zu, an den mich ‚Come’ gleich nach dem ersten Aufsprühen erinnerte: an Robert Piguets ‚Futur’. Nicht dass die beiden Werke furchtbar ähnlich duftenden, nein, das tun sie nicht. Es ist eher ihre Attitüde, ihr Auftritt. ‚Grün’ wurde von ‚Futur’ vor beinahe 60 Jahre aufregend neu mit dezent subkutan schwelender Animalik interpretiert, heller, pudriger, aldehydischer als Antonio Gardonis ‚Come’ sechs Jahrzehnte später. Doch mag die Duftfarbe des Oldies ein helleres Grün sein, wirkt es doch ähnlich matt, fast verschleiert, dabei samtartig weich, ganz wie das koniferendunkle Grün des späten Nachfolgers, der alles in allem von kräftigerer Statur ist.
Ein Wort noch zur Animalik: den berühmt-berüchtigten Kouros-Effekt braucht niemand zu befürchten. Antonio Garodoni schafft es einmal mehr, die prekären Facetten des Zibets, sogenannte Skatole, gekonnt zu dimmen (oder zu kaschieren), zugleich die sinnlich-erotischen strahlen zu lassen.
Mag sein, dass manche dennoch über zu viel Tier lamentieren werden, aber für mich trifft Gardoni erneut, wie schon bei ‚Maai’ oder ‚MEM’ genau jenes mirakulöse Maß duftender Wollust, dass ich mich einem seiner Werke einmal mehr willenlos an den Hals werfen möchte. Erotik in Duft zu übersetzen, da macht Antonio Gardoni niemand so schnell etwas vor. Da ist er ein Meister, ein unwiderstehlicher Verführer – zumindest für mich. Wie gesagt, mag sein, dass einigen dieses Untenrum immer noch zu derb ist, zu wenig sublim. Mich aber triggert das austarierte Verhältnis von Derbheit und Sublimierung über die Maßen.
Da wir lange schon nichts mehr von dem Duft-Magier aus Nord-Italien zu riechen bekommen haben, befürchtete ich schon fast, er habe den Kosmos seiner Duft-Vorlieben halbwegs ausgeschritten und widme sich nun mehr seinen anderen Arbeitsschwerpunkte Design und Architektur. Doch weit gefehlt: mit ‚Come’ meldet er sich kraftvoll zurück.
Und zumindest für mich (aber ich bin auch ein Gardoni-Jünger) ist es eine wahre Wonne nach all dem mediokren Woody-Amber- und sonstigen Synthetik-Kram der Nase mal wieder etwas Reelles, etwas Wahres bieten zu können .
So als würde man nach all den Trump’schen Großmäuligkeiten, Stillosigkeiten und Blendereien endlich wieder eine Stimme der Vernunft hören – einem olfaktorischen Aufatmen vergleichbar, das lange auf sich hat warten lassen, arg lange. Zum Glück sorgen Kolleginnen und Kollegen wie Canali, Corticchiato, Thierry, Ellena, Giacobetti, Sheldrake und einige andere für solche Momente des Aufatmens ebenso zuverlässig. Aber ein neues Werk aus Brescia ist schon etwas Besonderes. Zumal sich Antonio Gardoni Zeit lässt, für heutige Verhältnisse unverschämt viel Zeit.
Bedenkt man allerdings, dass der große Edmond Roudnitska es in seiner ganzen Schaffenszeit nur zu knapp 20 Düften gebracht hat, wird man doch demütig.
Möge er sich also auch in Zukunft ruhig die nötige Zeit lassen, zur Not auch Jahre.
Hauptsache er verstummt nicht.
Ein Nachtrag zur kolportierten Namensgebung:
Die italienische Redewendungen 'Come Quando Fuori Piove' (wie wenn es draußen regnet) bezieht sich auf "Poker all'italiana", einer italienischen Variante des Pokers, wobei die Anfangsbuchstaben für die jeweiligen Farben stehen. Come für Cuori (Herz), die in der Rangfolge wertigste Spielfarbe.
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