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Top Rezension
Ein durchsichtiges Stillleben.
Zwei Herzen schlagen seit diesem Test in meiner Brust, wenn ich an die Marke Clive Christian denke. Denn an und für sich kann ich nicht anders, als alles an dieser Marke abstoßend zu finden: Das ordinäre, beinahe infantile Design der Flakons, das pseudo-aristokratische Getue mitsamt plump historisierender Symbolik, elitaristische Preispolitik - alles wie auf die Karikatur einer Oligarchensippe aus Odessa als Zielgruppe zugeschnitten und damit beinahe so peinlich wie das EdT von Von Sifftopf, ähm, Sierstorpff, das der Mitparfumo FvSpee so kunstvoll in seinem ganzen Wesen zerlegt, gewogen und für zu leicht befunden hat.
Denn in der Tat: Jeder, der tiefe Sympathien und ein auch nur im Ansatz entwickeltes Verständnis für ein recht begriffenes aristokratisches Element in dieser Welt (das nicht zwangsläufig in einer Monarchie sich verwirklicht sehen muss!) in sich trägt, kann kaum anders, als vor der angestrengten, emporkömmlingshaften Aura solcher und ähnlicher Marken tatsächlich so etwas wie eine arrogante Reserve, im Sinne des "Nicht-wissen-Wollens", zu entwickeln.
Aber bitte, habe die Ehre, vor einigen Monaten fielen mir etwa fünf Milliliter als großzügige Beigabe zu einer Soukbestellung zu. Ab in das hinterste Regal. A-PÜH! Euer rezensierender Möchtegernaristokrat möchte schließlich nichts mit den anderen Möchtegernaristokraten zu tun haben. Hm.
Neulich dann das Parfumo-Interview mit Geza Schön gelesen. Alles, was ich bisher von ihm gerochen habe, hat mir eigentlich gut gefallen. Ach, der 1872 ist von ihm? Doppel-Hm. Na, dann mal los.
Vorab: Auch wenn 1872 for Men auf mir überhaupt nicht gut funktioniert, halte ich ihn für einen äußerst gekonnt komponierten Duft, der z.B. auf Papier, wenn auch in der Beschreibung vergleichbar, wesentlich schlüssiger daherkommt als auf meiner Haut. Aber wichtig ist mir nun einmal, da bin ich pragmatisch, "auf'm Platz". Auf mir schlägt der Nase nach schallender Alles-mit-doppelt-Käse-Ouvertüre ein unharmonischer, grünlicher Pfirsich entgegen, mit einem an stark gesüßten Pfefferminztee erinnernden Überzug. Darunter lauert ein seltsam angeheftet wirkender Quasi-Chypre-Akkord, der den Duft in Kombination frisch und muffig-patiniert zugleich wirken lässt. Diesen Aspekt fand ich tatsächlich interessant und verblüffend. Muss man erstmal schaffen.
Dabei strotzt dieser üppige, grüne Frucht-Blüten-Holz-Cocktail vor Transparenz; man merkt, dass Herr Schön im Rahmen des kreativen Prozesses wirklich in die oberen Regale greifen durfte. Diese natürliche, transparente Hochwertigkeit führt aber offenbar zu einer geringen Toleranz bezüglich der Hautchemie des Trägers/der Trägerin (1872 for Men ist uni!). Auch Frau Konsalik führte mit nach unten gezogenen Mundwinkeln aus: "Man merkt, was er will, aber auf dir gelingt es überhaupt nicht."
Was soll man machen? Mein Proletenblut bricht sich eben doch immer wieder Bahn. Les' ich halt weiter in meiner Metternich-Biographie - 1872 war ohnehin schon alles kaum rettbar auf Krawall gebürstet...
Denn in der Tat: Jeder, der tiefe Sympathien und ein auch nur im Ansatz entwickeltes Verständnis für ein recht begriffenes aristokratisches Element in dieser Welt (das nicht zwangsläufig in einer Monarchie sich verwirklicht sehen muss!) in sich trägt, kann kaum anders, als vor der angestrengten, emporkömmlingshaften Aura solcher und ähnlicher Marken tatsächlich so etwas wie eine arrogante Reserve, im Sinne des "Nicht-wissen-Wollens", zu entwickeln.
Aber bitte, habe die Ehre, vor einigen Monaten fielen mir etwa fünf Milliliter als großzügige Beigabe zu einer Soukbestellung zu. Ab in das hinterste Regal. A-PÜH! Euer rezensierender Möchtegernaristokrat möchte schließlich nichts mit den anderen Möchtegernaristokraten zu tun haben. Hm.
Neulich dann das Parfumo-Interview mit Geza Schön gelesen. Alles, was ich bisher von ihm gerochen habe, hat mir eigentlich gut gefallen. Ach, der 1872 ist von ihm? Doppel-Hm. Na, dann mal los.
Vorab: Auch wenn 1872 for Men auf mir überhaupt nicht gut funktioniert, halte ich ihn für einen äußerst gekonnt komponierten Duft, der z.B. auf Papier, wenn auch in der Beschreibung vergleichbar, wesentlich schlüssiger daherkommt als auf meiner Haut. Aber wichtig ist mir nun einmal, da bin ich pragmatisch, "auf'm Platz". Auf mir schlägt der Nase nach schallender Alles-mit-doppelt-Käse-Ouvertüre ein unharmonischer, grünlicher Pfirsich entgegen, mit einem an stark gesüßten Pfefferminztee erinnernden Überzug. Darunter lauert ein seltsam angeheftet wirkender Quasi-Chypre-Akkord, der den Duft in Kombination frisch und muffig-patiniert zugleich wirken lässt. Diesen Aspekt fand ich tatsächlich interessant und verblüffend. Muss man erstmal schaffen.
Dabei strotzt dieser üppige, grüne Frucht-Blüten-Holz-Cocktail vor Transparenz; man merkt, dass Herr Schön im Rahmen des kreativen Prozesses wirklich in die oberen Regale greifen durfte. Diese natürliche, transparente Hochwertigkeit führt aber offenbar zu einer geringen Toleranz bezüglich der Hautchemie des Trägers/der Trägerin (1872 for Men ist uni!). Auch Frau Konsalik führte mit nach unten gezogenen Mundwinkeln aus: "Man merkt, was er will, aber auf dir gelingt es überhaupt nicht."
Was soll man machen? Mein Proletenblut bricht sich eben doch immer wieder Bahn. Les' ich halt weiter in meiner Metternich-Biographie - 1872 war ohnehin schon alles kaum rettbar auf Krawall gebürstet...
14 Antworten
Mustang69 vor 5 Jahren
Sehr feiner Kommentar, war ein Genuss!
Fittleworth vor 6 Jahren
Hervorragender Kommentar! Ich glaube, Clemens Wenceslaus Nepomuk Lothar, Fürst von Metternich-Winneburg zu Beilstein, hätte über Clive Christian nur dezent die Nase gerümpft ...
Andrula vor 6 Jahren
.. hab ich interessiert und amüsiert gelesen ..
Helena1411 vor 6 Jahren
Aristo...was? Ich kenne nur Aristocats... Demnach zog es mich nie ernsthaft zu den CC-Düften hin, Deine Quasi-Anti-Verriss-Rezension jedoch lässt mich zumindest in Erwägung ziehen, eventuell in ferner Zukunft einen Test der Marke CC für vage möglich zu halten. Quasi-Pokal!
Melisse2 vor 6 Jahren
Das klingt trotz des hohen Preises testenswert. Von der Nummer 1 for Women war ich enttäuscht, zu belanglos.
Yatagan vor 6 Jahren
Bei CC ist es ja so, dass sie die Marke Crown aufgekauft haben. Die hatten dieses Flakon-Design seit dem 19. Jahrhundert. Daher die verstaubt protzigen Flakons. Hätte man natürlich nicht übernehmen müssen. Die Düfte an sich sind oft (so auch hier) ganz stark an alten englischen Herrendüften von Crown orientiert, was ich eigentlich gelungen finde (so auch hier). Ein ultraklassischer englischer Duft, ABER: viel zu teuer! Bei Anglia u.a. gibt es das für einen Bruchteil.
FvSpee vor 6 Jahren
Für diese verrisstechnisch gekonnt mit Bremse und Gaspedal spielenden Kommentar stell ich dir einen Sifftopf hin, und zwar mit goldenem Von. Fing 1872 nicht der Gründerkrach an?
Meggi vor 6 Jahren
So isses - Aristokratie kommt von Haltung, nicht von Herkunft.
Pollita vor 6 Jahren
Ja, irgendwann schneien sie alle bei uns rein. Die CCs, die Rojas etc. Ich bin in dieser Preisklasse bislang auch noch nicht fündig geworden- und froh darüber!
Kovex vor 6 Jahren
Herrliche Auseinandersetzung mit dem Establishment oder denen, die vorgeben es zu sein.
Floyd vor 6 Jahren
1
So ist es: Wichtig ist aufm Platz! Düfte müssen auf der Haut funktionieren, eins werden mit dem Träger. Pokal mit doppelt Käse ;-)
Mörderbiene vor 6 Jahren
1
Nun, ich bin da grundsätzlich bei Dir. Wenn eine Firma gefühlt alles ins Marketing steckt schwingt immer ein Gschmäckle mit - braucht es das Blingbling weil der Duft selbst nicht zu glänzen vermag? Dennoch war von den wenigen das ich von CC bislang getestet habe nicht alles schlecht. Und die Möchtegern-Pulle mit aufrechtem Krönchen ist tatsächlich ein Relikt aus alten Zeiten, das CC halt damals mit eingekauft hat. Aber hey, ich mag ja auch den Sifftopf :)
SchatzSucher vor 6 Jahren
1
Deutliche Worte... Von der Marke kenne ich noch nicht so viele Düfte und ich habe mir auch stets gesagt "Nö, nicht zu diesem Preis!". Dabei werde ich auch nach Lektüre deines treffsicheren und pointierten Kommentars bleiben, denn merklistenwürdig erscheint mir 1872 wirklich nicht. Aber es gibt genug Schönes, das entdeckt und gemocht werden möchte und keine Nettokaltmiete kostet.
Melisande vor 6 Jahren
1
Die ersten beiden Absätze unterschreibe ich sofort, daher hatte ich auch nie die Absicht, die Damenvariante eines Blickes zu würdigen. Sie kam als Testerchen mit einem Soukduft hereingeschneit. Und siehe da, der Duft hatte mich im Handumdrehen, und bei nächster guter Gelegenheit zog er ein. Er funktioniert bei mir ausschließlich bei über 20°C Außentemperatur. Ist es kälter, bleibt er ein blasses Abziehbild seiner selbst, leider. Und so wunderbar der Duft ist, so häßlich finde ich den Flakon.

