17.08.2019 - 09:55 Uhr

Duftsucht
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Duftsucht
Top Rezension
12
Sonnenflecken auf dem Waldboden
Obwohl ich Sylvan Song nun schon häufig getragen habe, schreckte ich bisher vor einem Kommentar zurück. Es ist ein Duft, der sich einer einfachen Kategorisierung entzieht. Ein Grenzgänger zwischen den Duftwelten sozusagen. Der Start ist eigentlich klassisch: Frisch-grüne Bergamotte lässt mich vermuten, dass Sylvan Song ein eher heller, blumiger Duft werden könnte. Doch fast sofort macht sich dunkle Würze bemerkbar und warmes erdiges Patchouli weht an meine Nase. In den nächsten Minuten gesellen sich Blumen dazu und ein klarer weicher Jasmin tritt in den Vordergrund. Man kann sich den Duft so vorstellen, wie wenn du in einem alten dunklen tiefen Wald auf einer Lichtung sitzt, ein leichter Wind weht dir unterschiedliche Gerüche in die Nase. Von der Lichtung trägt er Blütenduft heran, doch dann ändert er die Richtung und weht die Düfte des Waldes in deine Nähe. Erdige, holzige und harzige Noten – und der Waldmeister, der am lichten Waldrand wächst, steuert seine grüne Würze bei. Du sitzt auf einem dicken Baumstumpf und wenn du dich bewegst, werden Harze freigesetzt, die sich unter die anderen Gerüche des Waldes und der Lichtung mischen.
Moschus, der in der Pyramide so prominent vorkommt, ist für mich nicht deutlich zu riechen – und geht zum Glück nicht in diese hell-klebrige Moschusrichtung, die momentan so beliebt ist in Parfums, sondern ist eine dunkle, zurückgenommene Variante.
Sylvan Song ist kein heiterer sommerlicher Wald-und Blumenduft, er ist zurückhaltend und streckenweise fast eine Spur düster. Ein wenig wie Sonnenstrahlen, die durch dichte Blätter nur mühsam bis zum Boden durchdringen. Dort aber werfen sie ein faszinierendes Spiel aus Licht und Schatten auf die warm-würzige duftende Erde. Interessant ist auch, dass Sylvan Song für mich eindeutig ein Waldduft ist, obwohl er kaum grün ist und auch nicht mit Elementen wie Tanne oder übermäßig Harz spielt.
Ich fuhr zu einem Kurzurlaub nach London – und wollte mir als Mitbringsel unbedingt einen Duft von Grossmith mitbringen. Und obwohl ich sicher bin, dass entweder Shem el Nessim, Golden Chypre oder Betrothal irgendwann bei mir einziehen werden, ist meine Wahl dann doch auf Sylvan Song gefallen. Ein Grund ist ein pragmatischer, weil Sylvan Song im Gegensatz zu den anderen exklusiv bei Fortnum und Mason erhältlich ist. Und der zweite, bei weitem wichtigere, dass mich dieser Duft, der nicht nur aus dem Sortiment von Grossmith ausschert sondern sich auch sonst als etwas sperrig und ungewöhnlich erweist, in seiner Unangepasstheit sofort faszinierte. Ich freue mich, dass ich nun Gelegenheit habe, den Duft durch die Jahreszeiten zu tragen, ich könnte mir vorstellen, dass er im Spätherbst und Winter wieder ganz neue überraschende Facetten zeigt.
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